Experimentelle Prosa - Der Gelehrte
Text zum Thema Zeitgeist
von autoralexanderschwarz
Gerade in dem Moment, als die Fußgängerampel auf Grün springt und der gehobene Fuß bereits reisefertig über der Straße schwebt, nimmt er den Gesprächsfaden wieder auf und belehrt mich darüber, dass es nicht „Billigkeit“, sondern vielmehr „Billigheit“ heiße und dass dies ohnehin wieder zeige, dass ich von nichts und niemanden eine Ahnung hätte, denn schlechthin alles wäre in den letzten Tagen in den Geschäften teurer geworden, teurer und schlechter, sagt er und spuckt mit den Worten auf das Pflaster.
Menschen schieben sich an uns vorbei, dazwischen seine Stimme.
Wir kennen uns nicht.
„Stellen Sie sich ein Schaf vor, das freiwillig seinen Schlächter zum Herrn über Tod und Leben wählt. Ein Schaf, das nicht nur im Sommer geschoren werden will.
Die Schafe werden sich noch wundern, sagt er, wundern, erst geschoren, dann Tod, dann Fleisch, später Braten. Keine Transformation, sagt er, ein Schafsleben ohnehin, das die meisten dort draußen führen, nur der Schein wechselt, das Schaf bleibt. Schaf und Schein.
„Sie reden über Politik?“, frage ich, weil ich für eine Weile abgelenkt, den Strom der Passanten auf mich wirken, meine Gedanken schweifen ließ,
Büroarbeit und Schlachtbank.
„Politik“, sagt er, spuckt, lacht, räuspert sich und sagt,
dass alles Politik sei, dass die Politik zugleich da und nicht da, letztendlich immer und niemals Politik sei.
„Hannah Arendt sagte, dass die Bürokratie die schrecklichste aller Staatsformen sei, weil der Unterdrücker niemals sichtbar, die Verantwortung verschwunden, das System mechanisiert ist. Weil es niemanden gibt, der verantwortlich ist", sagt er und sieht für einen Moment betroffen aus. Alt wirkt er in diesem Moment, älter als zuvor, als er noch wütend war.
Ich nicke dabei stumm, da er zwar mitnichten den Wortlaut, durchaus aber den Sinn jener Zeilen wiedergegeben hat und während ich nicke geht eine Wandlung in seinem Gesicht vor sich.
„Sie sind der Gelehrte“, sagt er plötzlich, als er mich erkennt und ich die Larve fort in den dunklen Mittag schleudere.
„Eine Schande, dass ich Sie nicht erkannt habe.“
„Es ist recht so“, sage ich und
„was liegt dir auf dem Herzen?“
„Ein Sinnbild, mein Herr“, ruft er aus einer Verbeugung heraus und es ist Respekt, der seinen knochigen Rücken beugt, sichtbar schämt er sich seiner schmutzigen Kleidung und seiner Spucke auf dem Pflaster.
„Stellen Sie sich einen Becher vor, zuerst nur den Becher,
dann: einen Kranken, samt Bett, Leiden und Schläuchen, daneben:
ein kleiner Beistelltisch, darauf: eben jener Becher und auf der anderen Seite den Gegenpart: den scheinbar Gesunden, den Anderen, den ich von nun an nur noch „den Gießer“ nennen werde.
Der Gießer verbringt einen Großteil seines Tages damit, jenes Glas zu füllen und daneben andere Gläser, die ihm aus allen Richtungen entgegengehalten werden und so ist er dazu verdammt Tag für Tag durch die überfüllten Flure zu hasten, immer klein gehalten, immer untergeordnet, ausgebeutet und auf der Suche nach Wasser.“
„Was soll das Bild mit dem Becher“, frage ich einleitend zurück und sage darauf „also“, um ein wenig so wie Zarathustra zu klingen: „du klagst über den Staat in deinen bunten Bildern, klagst über fremde Vorstellungen von Gerechtigkeit, Subsidiarität wo du Schonung erwartest, doch überlege: All das, was du bei dir trägst, hat dir der Staat gegeben:
Die blaue Plane die du dir um deine kalten Füße wickelst ist ein Industrieerzeugnis erster Güteklasse!
Die Fetzen, in die du deine mageren Knochen hüllst sind für dich verfügbar, weil sie mit billigen giftigen Chemikalien in den Händen billiger, vergifteter Kindersklaven gefertigt wurden und was meinst du, wer die Sicherheit garantiert, wenn du nachts einen ruhigen Fleck in dem dunklen Park suchst.
All die Kameras, die nur da sind, um dich zu beschützen,
die freundlichen humanistischen Polizisten, die dem Bürger Spalier
und immer kompetent mit Rat und Tat zur Seite stehen
und was ist mit unserer Freiheit die doch täglich am Hindukusch verteidigt wird?
An allem was du in den Schaufenstern sehen kannst klebt ein Stück einer solchen Geschichte, vielleicht sogar ein Stück deiner eigenen, wenn du nur genau genug hinsiehst.“
„Das ist doch alles vollkommen sinnlos und unlogisch, es entbehrt jeder vernünftigen Grundlage, hat weder Hand noch Fuß“, ruft er,
„wo sind denn da die Zusammenhänge?“, fragt er spöttisch, und sagt dann mit schwindendem Respekt:
„Es ist nicht nur vollkommen wertlos, sondern drückt zudem durch den propagandistischen Unterton und die Simplizität der Bilder eine gefährlich nihilistisch angehauchte Grundstimmung aus.“
„Ich bin noch nicht lange Gelehrter“, entgegne ich ihm,
aber dennoch schäme ich mich für keines meiner Worte.
Manches muss wohl auseinander genommen, im Einzelnen betrachtet und dann neu zusammengeschoben werden, so wie damals, als die Zeitungen vom Holzraub berichteten: die Wahrheit ist oftmals ein Chiasmus…“
„Du bist nicht der Gelehrte“, unterbricht er mich,
dann wendet er sich ab
und wir gehen auseinander.
Menschen schieben sich an uns vorbei, dazwischen seine Stimme.
Wir kennen uns nicht.
„Stellen Sie sich ein Schaf vor, das freiwillig seinen Schlächter zum Herrn über Tod und Leben wählt. Ein Schaf, das nicht nur im Sommer geschoren werden will.
Die Schafe werden sich noch wundern, sagt er, wundern, erst geschoren, dann Tod, dann Fleisch, später Braten. Keine Transformation, sagt er, ein Schafsleben ohnehin, das die meisten dort draußen führen, nur der Schein wechselt, das Schaf bleibt. Schaf und Schein.
„Sie reden über Politik?“, frage ich, weil ich für eine Weile abgelenkt, den Strom der Passanten auf mich wirken, meine Gedanken schweifen ließ,
Büroarbeit und Schlachtbank.
„Politik“, sagt er, spuckt, lacht, räuspert sich und sagt,
dass alles Politik sei, dass die Politik zugleich da und nicht da, letztendlich immer und niemals Politik sei.
„Hannah Arendt sagte, dass die Bürokratie die schrecklichste aller Staatsformen sei, weil der Unterdrücker niemals sichtbar, die Verantwortung verschwunden, das System mechanisiert ist. Weil es niemanden gibt, der verantwortlich ist", sagt er und sieht für einen Moment betroffen aus. Alt wirkt er in diesem Moment, älter als zuvor, als er noch wütend war.
Ich nicke dabei stumm, da er zwar mitnichten den Wortlaut, durchaus aber den Sinn jener Zeilen wiedergegeben hat und während ich nicke geht eine Wandlung in seinem Gesicht vor sich.
„Sie sind der Gelehrte“, sagt er plötzlich, als er mich erkennt und ich die Larve fort in den dunklen Mittag schleudere.
„Eine Schande, dass ich Sie nicht erkannt habe.“
„Es ist recht so“, sage ich und
„was liegt dir auf dem Herzen?“
„Ein Sinnbild, mein Herr“, ruft er aus einer Verbeugung heraus und es ist Respekt, der seinen knochigen Rücken beugt, sichtbar schämt er sich seiner schmutzigen Kleidung und seiner Spucke auf dem Pflaster.
„Stellen Sie sich einen Becher vor, zuerst nur den Becher,
dann: einen Kranken, samt Bett, Leiden und Schläuchen, daneben:
ein kleiner Beistelltisch, darauf: eben jener Becher und auf der anderen Seite den Gegenpart: den scheinbar Gesunden, den Anderen, den ich von nun an nur noch „den Gießer“ nennen werde.
Der Gießer verbringt einen Großteil seines Tages damit, jenes Glas zu füllen und daneben andere Gläser, die ihm aus allen Richtungen entgegengehalten werden und so ist er dazu verdammt Tag für Tag durch die überfüllten Flure zu hasten, immer klein gehalten, immer untergeordnet, ausgebeutet und auf der Suche nach Wasser.“
„Was soll das Bild mit dem Becher“, frage ich einleitend zurück und sage darauf „also“, um ein wenig so wie Zarathustra zu klingen: „du klagst über den Staat in deinen bunten Bildern, klagst über fremde Vorstellungen von Gerechtigkeit, Subsidiarität wo du Schonung erwartest, doch überlege: All das, was du bei dir trägst, hat dir der Staat gegeben:
Die blaue Plane die du dir um deine kalten Füße wickelst ist ein Industrieerzeugnis erster Güteklasse!
Die Fetzen, in die du deine mageren Knochen hüllst sind für dich verfügbar, weil sie mit billigen giftigen Chemikalien in den Händen billiger, vergifteter Kindersklaven gefertigt wurden und was meinst du, wer die Sicherheit garantiert, wenn du nachts einen ruhigen Fleck in dem dunklen Park suchst.
All die Kameras, die nur da sind, um dich zu beschützen,
die freundlichen humanistischen Polizisten, die dem Bürger Spalier
und immer kompetent mit Rat und Tat zur Seite stehen
und was ist mit unserer Freiheit die doch täglich am Hindukusch verteidigt wird?
An allem was du in den Schaufenstern sehen kannst klebt ein Stück einer solchen Geschichte, vielleicht sogar ein Stück deiner eigenen, wenn du nur genau genug hinsiehst.“
„Das ist doch alles vollkommen sinnlos und unlogisch, es entbehrt jeder vernünftigen Grundlage, hat weder Hand noch Fuß“, ruft er,
„wo sind denn da die Zusammenhänge?“, fragt er spöttisch, und sagt dann mit schwindendem Respekt:
„Es ist nicht nur vollkommen wertlos, sondern drückt zudem durch den propagandistischen Unterton und die Simplizität der Bilder eine gefährlich nihilistisch angehauchte Grundstimmung aus.“
„Ich bin noch nicht lange Gelehrter“, entgegne ich ihm,
aber dennoch schäme ich mich für keines meiner Worte.
Manches muss wohl auseinander genommen, im Einzelnen betrachtet und dann neu zusammengeschoben werden, so wie damals, als die Zeitungen vom Holzraub berichteten: die Wahrheit ist oftmals ein Chiasmus…“
„Du bist nicht der Gelehrte“, unterbricht er mich,
dann wendet er sich ab
und wir gehen auseinander.