Kollateralschaden

Erzählung zum Thema Kampf

von  Mutter

Charly rührt sich nicht – steht da wie ein Reh vor meinem Achtzehntonner. Der Trickster ist kein Rotwild, der ist ein Wildschwein. Drängt sich an Charly vorbei, der verliert fast das Gleichgewicht. Timmons macht ein paar Schritte nach vorne, bis ihn ein bedeutungsschwangerer Blick von mir auf die Wumme zum Stehenbleiben zwingt.
‚Corker‘, stellt er mit einer Befriedigung fest, die mir Eiswasser im Magen macht. ‚Haben dich erwartet, Mann.‘ Er grinst.
‚Wovon redest du, Timmons?‘
Molly hat hinter mir eine seitliche Bewegung gemacht, tritt ins Blickfeld der beiden. Der Eber kneift kurz die Augen zusammen, als hätte er Schwierigkeiten, sie zu erkennen. Wendet seine Aufmerksamkeit erneut mir zu.
‚War bloß eine Frage der Zeit, bis du mit deinem haarigen Arsch hier aufkreuzen würdest. Hättest du was gesagt, hätten wir dich richtig empfangen.‘
‚Halt die Fresse, Trickster. Wo ist Money?‘
Er schlitzt die Augen. ‚Money Monaghan? Wovon zum Teufel redest du?‘
Verärgert mache ich einen kleinen Schritt auf ihn zu. ‚Scheiße, Timmons, wo ist Dave? Wenn du nicht mit mir redest, hast du keinen Wert für mich. Lege ich dich um, halte den Smalltalk mit Charly.‘ Ich mache eine Bewegung mit der Kanone, zeige indirekt auf Park. Der guckt unglücklich hinter seinem Kumpel vor - will eher nicht mit mir reden.
‚Bejaysus, Corker, du bist echt runter mit der Bereifung, oder? Dave Money Monaghan ist seit einem Jahr tot. Verreckt, hier, in dieser Höhle.‘
Fassungslos starre ich ihn an. Mein Blick wandert rüber zu Charly Park, der langsam nickt. Hinzufügt: ‚So wahr uns Gott helfe, Corker, Dave ist tot. Ich muss es wissen – er ist in meinen Armen krepiert.‘
‚Was ist passiert?‘, krächze ich. Kann Molly unruhig neben mir spüren. Diese Wendung schmeckt ihr nicht – mir auch nicht. Mein gesamtes Kartenhaus bricht zusammen. Wenn Dave nicht mein Puppenspieler ist – wer dann?
‚Er hat versucht, die Grotte nochmal zu aktivieren. Sich mit ein paar Schotten kurz geschlossen. Hatte einen echten Plan, glaube, es ging um Waffen für Belgien und Frankreich. Er war total abgebrannt, brauchte dringend Geld‘, erklärt Park.
‚Er ist zu gierig gewesen‘, wirft Timmons ein, mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen. ‚Die Jungs von drüben haben ihn umgelegt.‘
Ficken!
Ich winke meinen Fellen bei ihrer Reise den Fluss runter fröhlich zu – Zeit, Abschied zu nehmen.
Genau in diesem Moment dringt Motorengeräusch zu uns rüber, stiehlt sich durch den brutalen Sound der Natur. Hinter uns.
Über Timmons Gesicht huscht ein Lächeln, und ich sehe, wie seine Hand hochzuckt. In die Jacke greifen will. Meine Eagle wandert hoch, der Zeigefinger drückt den Abzug.
Durch die Bewegung sitzt der erste Schuss zu hoch, geht über seine Schulter. Sein Gesichtsausdruck wandelt sich von Gehässigkeit zu Panik. Zu Entschlossenheit. Er packt Park an der Daunenjacke, reißt ihn nach vorne.
Meine nächsten beiden Schüsse sitzen. Erreichen Timmons trotzdem nicht – stattdessen stanzen sie Charly Park zwei münzengroße Löcher in die Brust.
Er stürzt nach vorne, beraubt Timmons seiner Deckung. Hastig zieht sich der Trickster zurück, stürzt auf dem unebenen Fels. Mit einem Satz bin ich über ihm, sehe in seine dunklen Augen. Verhindere den Reflex, ihn voll Blei zu pumpen – vielleicht brauche ich das Schwein noch.
Stattdessen zuckt meine Waffe nach unten, der Knauf erwischt ihn zwischen den Augen. So kann man das bösartige Licht in ihnen ebenfalls löschen.

Mein Kopf zuckt herum, nach hinten. Zeit, unsere Gäste zu empfangen.
Der Motor wurde gedrosselt, ist gegen das Meer kaum noch zu hören. Sehen kann ich nichts. Weiter vorne hat sich Molly hinter einen Felsen geduckt, späht ebenfalls nach vorne.
Ich bewege mich zu ihr, zische sie an. Sie schüttelt den Kopf - nichts zu sehen.
Fieberhaft gehe ich unsere Optionen durch. Möglicherweise haben unsere Besucher die Schüsse nicht gehört. Der Schall könnte sich in der Kaverne, gegen den Lärm, verloren haben. Dann erwarten sie niemand außer Charly Park und Timmons hier. Müssten wir sie früh erwischen, bevor sie zu nahe kommen und die beiden Körper da hinten sehen.
Falls sie die Schüsse allerdings gehört haben …
Ich mache eine Kopfbewegung nach vorne, sehe Molly fragend an. Sie nickt entschlossen. Ist ebenfalls der ungeduldige Typ.
Uns gegenseitig Deckung geben, schieben wir uns nach vorne. Mein Blick wandert über all die vielen Kanten, Zacken und Nasen – ein Labyrinth, in dem wir uns bewegen.
Plötzlich bellt eine Waffe vor uns auf, zwei, drei Mal.
Ich nehme eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahr, höre ein dumpfes Geräusch. Nasser Sack.
Mit einem Fluch werfe ich mich seitwärts gegen einen Felsen in Deckung, sehe rüber. Molly liegt halb in einer kleinen Spalte, die eine Makarov ist ihr aus der Hand geglitten. Ich kann nicht sehen, wo es sie erwischt hat, oder wie schwer.
‚Molly!‘, rufe ich zu ihr rüber. Eines ihrer Beine schabt hilflos über den feuchten Stein.
Scheiße, das sieht nicht gut aus. Ich will mich auf sie zubewegen, da schlagen neben mir zwei Schüsse ein. Sofort zucke ich zurück in Deckung, fluche leise.
Von hinter mir ruft eine tiefe Stimme: ‚Nicht den Großen, du Arschloch. Dämlicher Hund!‘
Die Stimme erkenne ich. Tief, mit einem Bass, den ich in den Knochen spüre. Mister X.
Mein Blick fällt auf die leblose Gestalt der kleinen Molly, und irgendwas in mir drin brennt durch. Der Frust über die Manipulationen, die beschissenen Rätsel und die Sackgassen. Wieder soll ich zappeln, werde für was auch immer gebraucht.
Molly nicht, Molly ist bloß zufällig hier. Fängt sich ein, zwei Kugeln ein, um sie aus der Gleichung rauszunehmen. Kollateralschaden, Querschläger in meinem persönlichen Kugelhagel.
In meinem Kopf macht es Klick. Ist mir alles egal.
Mit zusammen gebissenen Zähnen rolle ich hinter dem Felsen hervor, komme auf einem Knie hoch. Die Eagle am schmerzhaft ausgestreckten Arm, die Linke stützt. Ziele wutentbrannt nach vorne, warte, Mississippi-einundzwanzig-Missi …
Zwanzig Meter vor mir taucht er auf – die Waffe erhoben, den Blick auf die Stelle, an der ich mich bis gerade eben noch befunden hatte: Fünf Schritt zu meiner Rechten.
Das bleiche, jugendliche Gesicht zuckt rüber, die Augen weiten sich. Es ist der jüngere Vogelmann.
Mit einem Brüllen, unendlich laut in meinen eigenen Ohren, dünn und zart gegen die natürliche Lärmkulisse, feuere ich auf meinen Gegner, der dort vorne aufgetaucht ist wie eine Handpuppe. Ein, zwei, drei, vier, alle Schüsse, die mir noch im Magazin verbleiben.
Keine Ahnung, welcher von ihnen den Vogelmann von der Bühne seines Kasperletheaters reißt. Er verschwindet durch die kinetische Energie eines oder mehrerer Massiv-Geschosse von der Bildfläche.
Das leere Klacken der Desert Eagle bringt mich zur Besinnung. Ich suche mir Deckung hinter einem weiteren Felsen, niedriger als die anderen. Schiebe mir die Waffe in den Hosenbund und löse die beiden Glocks aus den Schnellziehholstern auf dem Rücken. Kommt her, ihr Penner. Zwei Mal 26 Schuss – damit kann ich eine Menge Löcher machen, sogar in große Unbekannte.
Mehrmals sehe ich vor mir Bewegung – jedes Mal löse ich einen Hagel aus Projektilen aus. Ob ich treffe, kann ich nicht sagen.
Bleibe in Bewegung, schleiche, klettere, sprinte. Spiele Verstecken, angetrieben von sagenhafter Wut.
‚Molly!‘, will ich brüllen, eine Mischung aus Rage und Verzweiflung mit jeder Kugel mitschicken.
Um mich nicht zu verraten, schließe ich diese Botschaft in meinem Kopf ein, benutze sie als Treibmittel. Mich als Projektil.
Molly!
Wieder Bewegung. Wieder Schüsse auf Schatten, egal wie groß. Mir ist, als atme ich seit Ewigkeiten Kordit. Meine Ohren klingeln, Handflächen und Knie sind wund und abgeschürft. Der Stein bestraft mich dafür, dass ich ihm keine Aufmerksamkeit schenke.
Wo bist du, du dumme Drecksau? Ich komme, um dich zu holen!
Nach und nach dringt ein bekanntes Geräusch durch den Schleier, der meine Wahrnehmung verhängt. Motorengeräusch.
Plötzlich zuckt ein schwarzer, schimmernder Schatten vorne am Eingang der Grotte durch mein Blickfeld. Ein Schlauchboot.
Motoren werden aufgedreht, kurz darauf nimmt das Geräusch bereits ab.
Fersengeld.
Vorsichtig klettere ich weiter, auf der Hut vor einem Hinterhalt. Ich kann nichts sagen, ob der Vogelmann und Mister X alleine waren – was ist mit dem älteren Birdwatcher?

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Kommentare zu diesem Text

Alegra (41)
(04.11.09)
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 Mutter meinte dazu am 04.11.09:
Cooles Lob, danke schön ... :)

Molly ist wieder da, weil Corker ein Magnet ist. ;)
Kitten (36)
(04.11.09)
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 Mutter antwortete darauf am 04.11.09:
Ja, arme Molly ...
"Bei manchen Menschen weiß man genau – mit denen gibt es nichts als Ärger. Corker gehört definitiv dazu."
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