Abfluss verstopft die 4.

Erzählung zum Thema Vergessen

von  Feuervogel

Am nächsten Morgen erwachte ich da das Telefon mich unsanft aus dem Schlaf riss. Es war die Polizei, die mich bat meinen Mann abzuholen. Wie bitte, meinen Mann? Ich habe keinen Mann. Von wem sprechen sie denn bitte? Na von Harry, Harry  Brenner, ihrem Mann, der sich letzte Nacht hier ausgenüchtert hatte, da er handgreiflich, oder sagen wir laut gegen Sie geworden war. Nein, da liegt ein Irrtum vor, dieser Mann ist nicht mein Mann. Ich hatte ihn bis dato nie gesehen. Ja, er sagte uns, dass Sie an retrograder Amnesie leiden würden. Sie sind vor einiger Zeit überfallen worden und jemand hatte ihnen Gewalt angetan. Er sagte uns schon, dass Sie sich daran nicht mehr erinnern können, zumindest nicht im Moment. Ach, und das glauben Sie ihm so einfach ohne es zu überprüfen.

Nun, ihr Mann hatte zu viel getrunken und sie stritten miteinander, daraufhin alarmierten die Nachbarn uns. Nein, ich hatte sie alarmiert, da dieser Mann unbefugt bei mir eingedrungen war. Entschuldigen sie bitte, dass ist doch nicht zu fassen. Ich begann zu weinen, vollkommen fassungslos. Wenn mir jetzt nicht einmal die Polizei  glaubt, wie soll ich mich dann schützen? Nun beruhigen Sie sich doch, ich wollte Sie nicht aufregen. Wir werden ihren Mann nach Hause bringen und wenn Sie Hilfe benötigen, können Sie sich ja wieder an uns wenden. Der Polizist legte den Hörer auf und ich fand mich in einer nicht enden wollenden Anspannung und Angst neben dem Telefon am Boden wieder. Ich starrte die Wand vor mir an, unfähig mich zu bewegen. Ich weiß nicht wie viel Zeit vergangen war bis zu dem Moment, als der Schlüssel in die Wohnungstür gesteckt wurde und Harry eintrat. Oh mein Gott, die Angst ließ mein Herz höher schlagen, doch ich war total gelähmt und konnte nicht fliehen. Ich presste meinen Rücken gegen die Wand und öffnete den Mund zum Schrei, doch ihm entwich kein einziger Laut. Ich war und blieb stumm. Harry setzte sich zu mir auf den Boden und sagte leise, beinahe sanft, hab doch keine Angst mein Schatz, es wird alles wieder gut. Verzeih, dass ich zu viel getrunken hatte und die Beherrschung verlor. Das wird bestimmt nicht mehr vorkommen. Doch das was dir wiederfuhr vor Wochen, ging auch an mir nicht spurlos vorüber.

Danach stand er vom Boden auf und ging in die Küche. Hast du Hunger Schatz? Ich konnte nicht mehr sprechen, und ein Gefühl von Hunger nahm ich überhaupt nicht wahr. Ich glaube, ich nahm nichts mehr wahr. In mir setzte eine beginnende Taubheit jegliche Empfindung außer Kraft. Ich ging mir genau in diesem Moment verloren. Danach aber erhob ich mich, wankte in das Badezimmer und begab mich unter die Dusche. Das Wasser rauschte an meinem Körper abwärts und ich genoss den warmen Strahl. Ich wollte vergessen, dass ich wohl verrückt wurde. Niemandem konnte ich erzählen, dass ich seit neuestem ja auch mit Toten reden konnte. Harry hatte eine Frau, die aber war tot, doch sie sprach mit mir. Ich begann zu weinen. Wem konnte ich denn nur trauen? Meinen Freunden? Was, wenn sie genau dieselbe Geschichte über mich erzählen würden wie Harry? Ich spürte die Angst vor der Wahrheit. Welcher Wahrheit? Harrys oder meiner? Ich wusste nicht mehr wer ich bin. Nachdem ich die Dusche verlassen hatte um mich abzutrocknen und einzukleiden, beschloss ich Silke anzurufen. Ja, sie kennt mich nun schon 27 Jahre, sie wird doch die Wahrheit kennen, sie wird wissen ob ich verheiratet bin, einen Unfall hatte und unter Amnesie leide. Nein, dass kann nicht sein, denn sonst würde ich mich doch nicht an Silke erinnern.

Ich ging zu Harry in die Küche und sah wie er ganz selbstverständlich Frühstück machte. Schatz, ich habe einen Bärenhunger. Was ist denn mit dir? Willst du denn gar nichts essen? Du bist ja ganz blass! Bitte hab doch keine Angst vor mir. Harry sah richtig betroffen aus und ich dachte er ist wirklich ein erstklassiger Schauspieler. Plötzlich kam mir der glorreiche Einfall nach Beweisen für Harrys Leben mit mir in meiner Wohnung zu suchen. Ich wankte in das Schlafzimmer und riss die Schranktüren auf. Hier muss doch der Beweis zu finden sein, dass wir nie miteinander gelebt hatten. Es konnten doch überhaupt keine Kleidungsstücke von ihm darin zu finden sein. Erschrocken starrte ich in das Innenleben des Schrankes. Das kann doch nicht wahr sein, dachte ich und wollte genau diesen Satz hinaus brüllen, doch ich konnte nicht mehr reden, geschweige denn schreien. Ich blieb stumm und nahm Harrys Hemden und seine Unterwäsche in meine Hand. Ich roch daran unter Tränen, aber der Geruch blieb mir fremd, in mir regte sich nichts. Die Erinnerungen blieben aus. Was ist nur los mit mir? Ich kenne diesen Mann nicht, ich hatte ihn nie zuvor gesehen, bis zu jenem Moment als er gewaltsam in meine Wohnung stürmte und mir ein unbekanntes Höschen unter die Nase hielt. Hatte ich doch etwas erlebt, was meinen Verstand nun komplett alles durcheinander wirbeln ließ?

Silke, ich musste Silke anrufen. Ich hetzte zum Telefon und wählte ihre Nummer. Das Freizeichen erklang, aber niemand meldete sich. Plötzlich entwendete Harry mir sanft den Hörer und sprach beruhigend auf mich ein. Liebes, ich denke du solltest dich erst einmal beruhigen. Wen möchtest du denn anrufen? Ich versuchte meine Sprache wiederzufinden und formte mit meinen Lippen den Namen Silke. Er schaute mich besorgt an. Ich denke es ist besser, wenn du dich hinlegst. Ich werde Dr. Schneider anrufen und ihn bitten nach dir zu sehen. Dr. Schneider? Ich kenne keinen Dr. Schneider. Mein Arzt heißt Dr. Fischer.

Harry griff erneut zum Hörer und wählte eine Nummer. Ja, guten Tag, Brenner, es geht um meine Frau. Sie ist wieder einmal komplett durcheinander, sie scheint sogar ihrer Sprache nicht mehr mächtig. Denken Sie, es ist möglich, dass der Doktor in der Mittagspause einen Hausbesuch machen kann? Ja, ach da bin ich beruhigt. Gut wir erwarten ihn. Er legte auf, kam ins Wohnzimmer und bettete mich auf das Sofa. Kann ich dich ein paar Minuten alleine lassen? Ich muss kurz in den Keller, etwas suchen was ich da unten vermute. Ich wollte,  dass er ging. Ich wollte,  dass  er nie wiederkäme und ich aus diesem Albtraum endlich erwachen würde. Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, steckte ich den Schlüssel von innen in das Schloss. Ich wollte Zeit gewinnen, doch die Erschöpfung griff nach mir und ich versank in einen leichten Dämmerschlaf. Ich erwachte, weil ich plötzlich ein zaghaftes Klopfen an der Terrassentür wahrnahm. Ich stand benommen auf und begab mich zu der Tür. Da stand sie wieder. Ich wollte nicht öffnen, wollte dass sie geht. So ging ich zurück in den Raum. Doch daraufhin wurde ihr klopfen massiver, sie gab keine Ruhe. Ich öffnete einen Spalt und fragte was sie denn von mir wolle. Sie sind tot. Ich werde wohl soeben verrückt, oder bin es schon. Sie sah mich traurig an. Bitte zweifeln sie nicht an sich, zweifeln sie an ihm. Passen sie auf sich auf, bitte. Es ist alles unglaublich kompliziert. Trauen sie ihrem Gefühl. Manchmal sind die Toten lebendiger als die Lebenden. Vor der Wohnungstür hörte ich Stimmen. Er bat mich zu öffnen und lockte mich auf freundliche Weise. Liebes, mach doch auf. Fürchte dich nicht vor mir, ich bin nicht dein Feind. Ich sagte ihr, dass ich Angst habe. Ich weiß nicht was ich tun soll. Warum bin ich in dieser Geschichte gelandet? Was habe ich mit ihrem Tod und ihm zu schaffen? Wird er mich auch bitten ihn zu schlagen? Helfen sie mir. Ich flehte die Frau an, die plötzlich sehr nervös das Weite suchte. Da stand auch schon Harry auf der Terrasse und sah mich fragend an. Liebes, mit wem hast du denn da soeben gesprochen? War sie wieder da? Hat sie dir wieder irgendwelche Geschichten erzählt? Ich sah ihn sprachlos an. Woher weißt du von ihr? Ich habe dir doch noch nichts erzählt? Ach Liebes, natürlich hast du mir von ihr erzählt. Deshalb war doch der Streit zwischen uns entstanden. Du hast behauptet, ich wäre schon einmal verheiratet gewesen und hätte meine Frau in den Tod getrieben. Du warst wie besessen von dieser Geschichte und felsenfest davon überzeugt. Ich schaffte es nicht dich zu beruhigen. Da begann ich den Rest aus der Wodka Flasche zu trinken. Der Schmerz über deine Verdächtigungen machte mich rasend und mein Geschrei ließ die Nachbarn aufhorchen.  Ach, Tina, ich weiß nicht mehr weiter. Er kniete vor mir nieder und umfasst schluchzend meine Knie. Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr. Ich denke, du solltest eine Weile in eine Klinik gehen. Der letzte Aufenthalt war wohl doch zu kurz für dich gewesen. Bitte leg dich wieder hin, ich bringe dir Tee, lese dir etwas vor und wir warten gemeinsam auf Dr. Schneider. Ich gehorchte, total überwältigt von seinem Gefühlsausbruch. Vielleicht ist es ja wirklich besser wenn er mich einweisen lässt. Ich weiß wirklich nicht mehr wer ich bin. Ich weiß auch nicht mehr, dass mich alle Tina nennen.

Ela

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Kommentare zu diesem Text


 franky (26.12.09)
Hi liebe Ela,

Das liest sich wie ein Wachtraum, oder Wachalptraum...
Du hast die Begabung den Leser total mitzureißen und auch deine Unsicherheit zu übertragen.
Die Geschichte ist fantastisch und spannend!!!

Herzliche Morgengrüsse

von

Franky im Frühdienst:-)
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