Unter der Böschung

Kurzprosa zum Thema Unfall

von  RainerMScholz

Der Oberschenkelknochen ragt aus dem zerfetzten Fleisch unterhalb der Lenden, lugt durch die zerrissene Hose. Mir wird übel. Ich kann nicht genau rekonstruieren, was geschehen ist. Neben mir liegt Doris. Sie scheint ohnmächtig zu sein. Vielleicht ist sie tot. Blut tropft von ihrer Schläfe. Ihr rechter Arm ist grotesk nach hinten verdreht, widernatürlich.
Immer wieder überkommen mich Schleier der Dunkelheit. Die Umgebung ist in diffuses Helldunkel getaucht, wie nach ein paar Valium zu viel. Jegliches Zeitgefühl ist abhanden gekommen.
Muss wohl von der Straße abgekommen sein, denke ich. Die Kurve, die Leitplanke - keine Ahnung, was dann geschehen ist.
Mein Mund fühlt sich taub und zerbrochen an. Ich scheine meine Zähne verschluckt zu haben. Blut und Speichel rinnen über die geplatzten Lippen. Weinerliches Stammeln, das aus meiner Kehle zu kommen scheint.
Ich kann mich nicht bewegen. Irgendetwas scheint mich einzuklemmen. Die Tür hat mir die Rippen gebrochen.
Wieso kommt niemand? Sonst gaffen doch immer alle. Da könnte doch einer dieser Menschen Hilfe rufen. Hirnlose Monster.
Ich kann nicht an mir hinabsehen. Ich muss kotzen. Das Bein. Oh, mein Gott. Nicht hinsehen.
Doris. Sie rührt sich nicht, Scheiße. Doris, sag´ doch `was. Es ist Nacht. Ich muss wohl weggetreten sein. Haha, allein unterm Sternenzelt.
Hab´ ich eigentlich saubere Unterwäsche an? Nur, falls tatsächlich wirklich `mal einer hier auftauchen sollte. Der Klassiker: saubere Unterwäsche. Ich habe mir bestimmt in die Hose geschissen.
Ich glaube jetzt, dass Doris tot ist. Sie bewegt sich nicht. Ich kann sie nicht erreichen. Keine Bewegung. Kein Atmen. Kein – kein Garnichts, Herrgott.
Ich kann nichts machen. Ich habe keine Empfindung, angesichts der Tatsache, dass ich Doris umgebracht zu haben scheine. Kein Schreien. Nichts. Dasitzen und warten, in meinem zerschmetterten Körper, bis ... ja, bis was geschieht? Bis ich verrückt werde? Bis der Tod eintritt? Exitus?
Gerade sind oberhalb der Böschung Scheinwerfer aufgetaucht. Und wieder verschwunden. Schade eigentlich. Fast komisch.
Doris ist immer noch tot.
Das Morgengrauen. Oder was ich dafür halte. Bald wird mich jemand finden. Bestimmt. Die Rettungsmannschaft. Jemand, der mich vermisst. Uns! Uns wollte ich sagen. Doris und mich. Ein Mensch, bitte, bevor ich wahnsinnig werde. Ich bin nicht zu schnell gefahren. Nur sportlich. Denke ich. Keine Ahnung, wie ich von der Straße abkommen konnte, Doris. Es ist nicht meine Schuld. Kann doch nicht meine Schuld gewesen sein.
Ich spüre nichts mehr. Gar nichts. Das muss wohl das Ende sein. Alles friert allmählich ein.
Da. Blaulicht. Sie haben uns gefunden, Doris, hörst du?! Sie sind da. Jetzt wird alles gut. Ich höre Schritte. Doris. Schritte.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

KoKa (41)
(30.12.09)
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 RainerMScholz meinte dazu am 31.12.09:
Schon noch `ne Weile.
Grüße,
R.
unicum (58)
(30.12.09)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 31.12.09:
Danke schön.
Grüße,
R.
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