Kleiner Psycho

Kurzprosa zum Thema Psychologische Phänomene

von  RainerMScholz

Ich muss es endlich aufschreiben, bevor dies unter Umständen nicht mehr möglich sein wird.
Wie soll ich beginnen, wie einen Anfang finden? Das Blatt ist leer, mein Hirn ist schwer, haha.
Das erste Mal passierte es vor genau drei Monaten. Ich kam gerade aus dem Büro, hatte Feierabend gemacht nach einem wie immer tödlich langweiligen Arbeitstag. Ich setzte mich in meinen Wagen und wollte nach Hause fahren zu meiner Familie. Alles wie immer. Klar.
Ich könnte eigentlich noch etwas Feines zum Abendessen besorgen, dachte ich, und hielt an einem Feinkostgeschäft. Ich parkte ein paar Blocks weiter, da wie immer kein Parkplatz zu finden war, in dieser beschissenen Stadt. Ich schnappte mir einen Einkaufswagen und los ging`s.
Als ich die vollbusige Bedienung hinter der Theke für Meeresfrüchte sah, wie sie sich zu mir herbeugte und mir zulächelte, ihre fertilen Brustwarzen unter dem engen weißen Kittel, ihre blutroten schwellenden Lippen und all das, da passierte es einfach. Ich weiß nicht wieso, aber plötzlich wälzten wir uns durch den Laden. Wachteltäubchen in Aspik, getrocknete Krabbenschwänze und gepökelte Rinderherzen flogen nur so durch die Luft. Ich krallte mich an ihren drallen Brüsten fest, schlug meine Zähne in ihren schlanken Hals, riss ihr die Kleider vom Leib und sodomisierte sie. Dann schlug ich ihr mit in Senfsoße eingelegten Austern den Schädel ein. Ich schnappte mir noch schnell einige Portionen marinierte Ochsenfroschschenkel, klemmte mir die Ladenkasse unter den Arm und machte, dass ich wegkam. Die zwei, drei Kunden, die noch da waren, glotzten nur und, na ja, die anderen Ladenkräfte, na ja...
Auf dem Weg zu meinem Auto riss ich einer alten Oma im Sturzflug die Handtasche nebst Hand weg, plünderte ein Waffengeschäft, metzelte, nach erfolgreicher Bewaff­nung, den Besitzer mit einem original Samurai-Harakiri-Schwert für 159,95€ nieder und wollte dann endlich verdammtnochmal meinen Heimweg antreten.
An der Windschutzscheibe hing schon wieder ein Strafzettel, und da platzte mir in gerechter Wut der Kragen, aber wirklich, echt. Ich setzte die verrottete Kiste in Brand und beschloss mit dem Bus zu fahren. Ich stellte mich an die Haltestelle und wartete.
Als der Bus endlich kam, stieg ich ein, zwang die Fahr­gäste mit der Waffe in der Hand sich zu entkleiden und gab dem Fahrer meine Adresse, der, nach einem vagen Blick auf den Stadtplan, dann auch losfuhr. Zu unser aller Unterhaltung ließ ich einen seriös wirkenden nunmehr nackten Bankangestellten mit vorgehaltenem Samuraischwert zwischendurch dem Pudel einer älteren Dame einen blasen, was er auch erstaunlich gut hinbekam, so richtig, schmatz, schmatz. Ich schoss einem querschnittsgelähmten Rollstuhlfahrer die Zehen ab und warf mit Handgranaten (wo kamen die denn her?) nach vorbeirollenden Kinderwagen.
Zuhause angelangt - endlich, denn es war doch alles in allem ein recht anstrengender Tag gewesen - gab ich dem Busfahrer ein tüchtiges Trinkgeld, das ich bei den übrigen Einem-nackten-Mann-fasst-man-nicht-in-die-Tasche-Fahrgästen requiriert hatte, wünschte allen noch einen schönen Tag und verließ das Gefährt. Der Bus rauschte ab.
Wie immer fragte mich meine Frau aus der Küche, wie mein Tag so gewesen sei, und ich antwortete: Wie immer, Schatz. Meine Tochter sprang an meinem Hosenbein hoch, ich küsste sie auf die Wange und ging ins Bad, um mich frisch zu machen.

So oder so ähnlich läuft das jetzt schon seit drei Monaten fast jeden Abend nach Büroschluss, und kein Schwein scheint auf die Idee zu kommen, dagegen etwas unternehmen zu wollen. Ich bin nicht `mal sicher, ob das im Radio kommt oder sonst wo. Meine Ausgaben steigen auch irgendwie, der Verschleiß an Klamotten ist immens, ich trage nur noch Billiganzüge, Socken von Woolworth und Druckknopfkrawatten. Wuulwörs! So mit der Zunge zwischen den Lippen.
Meine Schuhe sind auch ganz ausgelatscht.




© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (09.01.10)
"Hosenbei"?

 RainerMScholz meinte dazu am 09.01.10:
Danke.
Und Grüße,
R.
Mondscheinsonate (39)
(19.01.10)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 20.01.10:
Naja, Falling Down hat ja einen Handlungsfaden. Außerdem ist Michael Douglas ein arbeitsloser, großer Psycho.
Und die Szene auf dem Golfplatz ist unschlagbar.
Grüße,
R.
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