Tarzanpunkt

Roman zum Thema Lüge(n)

von  Mutter

„Was machst du hier, du Penner? Und wo ist Tiger?“
Manne sieht mich verständnislos an. Er hat ein zu kleines T-Shirt für seinen runden Bauch und eine zerschlissene Boxershorts an. Ich könnte mir vorstellen, dass die wertvollen Teile unten raushängen.
„Wovon redest du?“
„Lass mich rein“, sage ich, während ich mich bereits entschieden an ihm vorbei in die Wohnung dränge. Keine Lust, das auf dem Flur auszudiskutieren.
Drinnen schaue ich mich kurz um. Die Wohnung ist eine echte Müllkippe – sieht nicht aus, als wäre hier irgendwer am Umziehen. Manne schleppt sich in die Küche und fragt über die Schulter: „Willste ‘nen Kaffee?“ Ich grunze eine undefinierbare Antwort, die er offenbar als Zustimmung auslegt. Ich werde aus der ganzen Sache nicht schlau. Stehe im Türrahmen gelehnt und sehe zu, wie er die Maschine mit Kaffeepulver füttert.
Nachdem er sie angeschaltet hat, dreht er sich zu mir um - verschränkt die Arme resolut über der Brust. Die sind so sehr zu kurz für diese Geste wie das Shirt zu klein ist. Als könnte er mich so zwingen, ihm zu erklären, was ich bei ihm in der Wohnung mache.
„Warum bist du noch hier? Tiger hat gesagt, ihr seit ausgesperrt worden.“
Er scheint erstaunt. „Ausgesperrt? Weswegen? Tiger habe ich seit einer ganzen Weile nicht mehr gesehen. Keine Ahnung, wo der steckt.“
„Weil ihr die Miete nicht bezahlt habt. Du die Kohle nicht überwiesen hast.“
Manne schnaubt, checkt die Maschine. Ist noch nicht soweit. „Was für’n Quatsch. Wieso erzählt der Blödmann das? Wie du siehst, ist alles beim Alten …“ Er breitet die Hände in einer allumfassenden Geste.
„Wann hast du Tiger das letzte Mal gesehen?“
„Irgendwann vor zwei Wochen.“
„Denk nach.“ Meine Stimme hat einen scharfen Klang angenommen und ich mache unwillkürlich einen Schritt in die Küche.
„Scheiße!“ Er sucht fahrig nach halbwegs sauberen Bechern in der Spüle, um sie abzuwaschen. Oder den Kaffee direkt einzufüllen – ich weiß es nicht. Interessiert mich auch nicht, gerade ist nur Tiger wichtig. „Ich weiß, dass er Montagabend vor vierzehn Tagen noch hier war. Wir haben zusammen gegessen.“ Wie um seine Worte zu beweisen, deutet er auf einen Stapel Teller. Oh Mann – zwei Wochen?
„Weiter?“
Er hat zwei Becher gefunden. „Ey, ich weiß nicht. Ich glaube, Dienstag ist er schon nicht mehr hier aufgeschlagen. So ganz genau kann ich das aber nicht sagen. Wir haben nicht den gleichen Rhythmus.“
Niemand hat deinen Rhythmus, Manne, denke ich. Sage nichts. Er fragt: „Kaffee?“ und hält mir einen der dubios aussehenden Becher hin. Ich schüttle den Kopf. „Ich schau mich mal in Tigers Zimmer um.“
„Mach das.“ Er klingt, als sei es ihm tatsächlich völlig egal.
In Tigers Zimmer stehe ich einen Augenblick unschlüssig herum. Weiß nicht, nach was ich suche. Einen Schlüssel würde ich gerne finden – der mir alles erklärt. In der Ecke liegt eine Matratze mit durchwühltem Bettzeug. Vor dem Bett ein paar zerfledderte Taschenbücher – Dean Koontz, Stephen King und ähnliches Zeug. Ich gehe auf die Knie runter, aber es gibt nichts zum Drunterschauen. Erst als ich die Matratze anhebe, finde ich etwas. Mein triumphierenden Grinsen verwandelt sich schnell in Asche, als ich meinen großartigen Fang näher betrachte: Ein Taschenbuch. Es sieht alt, aber gut erhalten aus - Chess For Tigers. Ich nehme an, Tiger fand den Titel cool. Auch wenn ich dem Buch keine große Bedeutung beimesse, stecke ich es ein – bisher die einzige Verbindung zu seinem Namen. Ich suche enttäuscht weiter.
Ein alter Bundeswehrspind enthält seine wenigen Klamotten, an der Wand ein Mannschaftsposter der Bayern von 2004 und zwei Bilder von muskulösen Wrestlern. Auf dem fleckigen Teppich steht ein winziger Fernseher, davor ein ramponierter DVD-Player. Ich checke kurz die DVDs, die auf einer Holzkiste daneben stehen, finde aber nichts Besonderes. Nicht mal Pornos. Ich sehe keine Briefe, kein Tagebuch, nichts, was darauf schließt, dass Tiger jemals ein kleines bisschen Persönlichkeit mit nach Hause gebracht hat. Keine Spur seiner Seele. Frustriert gehe ich zurück auf den Flur.
Manne erwartet mich bereits. „Nichts?“
Ich schüttle den Kopf, er nickt – als hätte er nie etwas anderes erwartet.
Während er mich zur Tür bringt, sage ich: „Wenn du was von Tiger hörst, sagst du Bescheid.“ Er brummt irgendwas. Abrupt drehe ich mich um, er stolpert gegen mich, schüttet sich Kaffee auf das Shirt. Ich komme ihm mit dem Gesicht bedrohlich nahe, knurre: „Das ist wichtig. Nimm das ernst, Manne.“ Ich stupfe ihm bei den Worten sanft mit dem Finger auf das Brustbein – auf den sogenannten Tarzanpunkt. Angeblich soll das Energien freisetzen – könnte bei Manne bestimmt nützlich sein. Er versteht die Botschaft – nickt hastig, während er den Rest seines Kaffees zu retten versucht. „Geht klar.“
„Nummer hast du?“
Er schüttelt den Kopf, zeigt mit der freien Hand auf eine riesige Kreidetafel an der Flurwand. Ich nehme mir ein fettes Stück Kreide und schreibe meine Nummer drauf. Dann: Luca und daneben: Tiger!!!
Ich will mich gerade abwenden, als mir eine Idee kommt. Ich ziehe das Schachbuch aus der Tasche, zeige es Manne. „Das ist Tigers, oder?“ Er nickt. „Hast du eine Ahnung, was es damit auf sich hat?“
„In dem hat er immer gelesen. Das war ihm wichtig – so etwas wie seine Bibel.“ Er sieht mich misstrauisch an. „Wo hast du das gefunden? Wenn er weg ist, hätte er das bestimmt mitgenommen.“
„Gut.“ Ohne einen weiteren Gruß drücke ich die Klinke, gehe raus. Er sieht mir noch einen Augenblick nach, bevor er die Tür zuklappt.

Unten auf der Straße laufe ich in die Arme von Wehmeier und Dombrowski. Hinter ihnen stehen weitere Beamte – manche in Uniform, andere in weißen Anzügen. Dombrowski mustert mich und fragt: „Kleiner Besuch unter Freunden? Was wollten Sie denn in der Wohnung?“ Seine Stimme klingt leicht zischend und misstrauisch.
Bevor ich antworten kann, nimmt Wehmeier mich am Arm. „Können wir uns kurz unterhalten?“ Ich nicke.
„Geht schon mal hoch. Ich komme gleich nach.“ Dombrowski zögert, gibt dann seinen Kollegen ein Zeichen mit dem Kopf. Geht zur Haustür. Manne wird sich freuen – hat er den Kaffee nicht umsonst gemacht.
„Gehen wir ein Stück“, schlägt Wehmeier vor. Geht Richtung Potsdamer Straße. Da er mich immer noch sanft am Oberarm festhält, folge ich ihm. „Haben Sie schon gefrühstückt?“, will er wissen. Ich verneine.
„Ein Stück weiter gibt es einen hervorragenden Imbiss. Nicht unbedingt die beste Currywurst der Stadt, aber immerhin nicht schlecht.“ Scheiße, Mann, es ist noch nicht mal acht. Currywurst um die Zeit? Als nächstes schlägt er ein paar Kurze vor. Mich schüttelt es innerlich, aber besonders gut habe ich offenbar meine Reaktion nicht verbergen können. Er lacht. „Kaffee und Brötchen hat‘s da auch.“
„In Ordnung.“
Stumm laufen wir nebeneinander die Straße entlang. Als wir auf die laute Potsdamer einbiegen, bricht er das Schweigen. „Was haben Sie bei Manfred Hagedorn gewollt?“
Ich antworte nicht, bis wir bei der Bude ankommen. Das scheint ihn nicht zu stören, er bohrt nicht nach. Während ich mich mit beiden Unterarmen auf den Tresen lehne, sage ich: „Jemand hat herausgefunden, dass Tiger nicht die Wahrheit gesagt hat.“
Wehmeier nickt, betrachtet mich nachdenklich. Wendet sich dann der älteren Dame zu und bestellt eine Currywurst mit Pommes.
„Mit oder ohne Darm.“ Er nimmt sie mit. Ich betrachte die bemitleidenswerten belegten Brötchen hinter der Scheibe, die längst jede Hoffnung auf Verzehr aufgegeben haben, deute auf eins mit Käse und welkem Salat. Erscheint mir die harmloseste Variante.
Kurz darauf bekommt Wehmeier seine Curry, ich mein müdes Brötchen. Er nickt mir zu, als würde das meinen Appetit vergrößern und piekt in schneller Folge Wurststückchen auf. Schiebt sie sich in den Mund, kaut.
„Warum, glauben Sie, hat Tiger gelogen?“
Ich zucke mit den Schultern, reiße in Gedanken kleine Stücken vom Salatblatt ab. Sehe zu ihm rüber. „Was wollen Sie hören? Damit er in meine Wohnung reinkommt? Ich dachte, für den Part wäre Dombrowski zuständig.“ Er lächelt, isst konzentriert weiter. Bestellt uns zwei Kaffee.
Als er einen kleinen Schluck von seinem nimmt, tue ich es ihm gleich. Für einen Imbissbuden-Kaffee fast trinkbar.
„Lassen wir für einen Moment mal außer Acht, dass Tiger tatsächlich momentan unser einziger Tatverdächtiger ist. Was gäbe es sonst noch einen Grund für ihn, Sie anzulügen?“
„Um ihn meine Wohnung zu kommen?“
Er nickt energisch, schnappt sich die letzten beiden Stücke auf einmal. Widmet sich danach mit genauso viel Eifer den Pommes. Sagt mit vollem Mund: „Nehmen wir mal an, wir glauben ihm. Dass er mit der ganzen Sache nichts zu tun hat.“ Sieht mich eindringlich ein. „Warum sollte er Ihnen diese Geschichte aufzutischen?“
Hilflos muss ich zugeben: „Ich habe keine Ahnung. Das ergibt alles keinen Sinn.“
Befriedigt isst er weiter.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Cockteil (53)
(21.04.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 21.04.10:
Hmmm, ich fürchte, nicht. Nicht nützlich.
Weil ich's nicht verstehe.

Dabei würde ich gerne - alleine so einen langen Kommentar zu bekommen, schreit geradezu danach, damit etwas machen zu können.

Aber den Filmpart raffe ich einfach nicht. Hab's mir jetzt mehrfach durchgelesen, und versteh's einfach nicht. Also nicht, was genau Du willst. Sagen willst. :)

:(
(Antwort korrigiert am 21.04.2010)
Cockteil (53) antwortete darauf am 21.04.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter schrieb daraufhin am 21.04.10:
Ja, besser.

Jetzt versteh ich's. Kann ich zwar Null teilen, aber immerhin habe ich's kapiert. Danke dafür. :)

"... als beinahe Buch" - Oh, das wird schon noch ein Buch, braucht nur noch ein bisschen. ;)
Alegra (41)
(21.04.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter äußerte darauf am 21.04.10:
DAS wiederum ist wohl eher nicht so cool ...

Tropsdem danke. :)
Alegra (41) ergänzte dazu am 21.04.10:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 franky (07.05.10)
Diesen Text sollte man nicht als Quereinsteiger kommentieren, da wirkt ein Kommentar wie ein Besuch eines Elefanten im Porzellanladen...
(Wenn es auch dein Vater sein sollte!)

Herzliche Abendgrüße

Von

Franky
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram