Spürst du doch

Kurzgeschichte zum Thema Momente

von  princess

„Du konntest es unmöglich spüren. So was gibt es nicht!“ sagst du zu mir und streichelst meine Hand.

Es war in jenem Winter. Mit der Hartnäckigkeit ihrer 18 Jahre hatte meine Tochter Sophia ein erstes großes Lebensziel erreicht: Laptop und DSL-Anschluss im Hause princess! Ehrlich gesagt: Sie jubelte, und mich interessierte der Quatsch nicht die Bohne.

Bis ... eines Tages: „Boah, Mama, wie geil ist das denn, guck mal, es gibt so was wie Studi-VZ jetzt auch für Alte! Voll die krasse Ü50-Plattform scheint das zu sein. Das ist doch was für dich!" sprudelte Sophia begeistert auf mich ein. „Hä? Studi-VZ? Ist das etwa eine neue Gebühreneinzugszentrale? Und wieso für mich? Und was heißt hier überhaupt: ALT??", grummelte ich genervt vor mich hin. „He, bleib cool, Mama, da gehste jetzt mal rein, ich zeig dir das", insistierte mit sanfter Gewalt mein Nachwuchs.

Und schwups, schon war ich drin.

Zwei Wochen, 154 Profilaufrufe, fünf Kontaktanfragen und drei unanständige Angebote später... Mein Blick bleibt bei einer Frage im Forum hängen:

Die erste große Liebe
macht das Herz ziemlich schwach.
Die zweite große Liebe
trauert der ersten nur nach.
Die dritte große Liebe
schnell die Koffer gepackt
das Herz splitternackt.
Ist da vielleicht was dran...?

Ach du Scheiße. Das berührt mich. Das Pochen meines Herzens deutet auf ein akut erhöhtes Infarktrisiko hin. Schlimmer noch: Mir kullern allen Ernstes Tränen aus den Augen. Oh nee, wie peinlich ist das denn! Und warum ist da plötzlich so ein Gefühl, so ein eigenartiges, ganz spezielles? Was ist hier los um Himmels willen? Meine Lebensplanung gerät ins Wanken. Seit sechs Jahren bin ich schwer damit beschäftigt, mich innerlich aus einer ultimativ dämlich gelaufenen Liebe frei zu strampeln. In jedem Fall habe ich mit dem Thema Männer abgeschlossen! Rigoros und definitiv!!!

Habe ich?

Ich klicke aufs Profil.

„Mama, was guckste denn so komisch? Was ist denn passiert" befreit die sehr reale Stimme meiner Tochter mich aus diesem schier endlos währenden Eindruck, ich stünde kurz vor der Metamorphose zum hypnotisierten Karnickel. „Wie ... komisch? Ich weiß auch nicht so recht. Nur irgendwie habe ich das Gefühl, als sei mir gerade ... ähh, dieser Mann ... also ... mein künftiges Leben ... jedenfalls ... über den Weg gelaufen." Sophia sieht sich irritiert im Wohnzimmer um. „Aha. Und wo ist der hingelaufen? Hier sehe ich ihn jedenfalls nicht mehr!"

„Moderne Kommunikationstechnologie, mein Schatz!" säusele ich mit beredtem Blick Richtung Laptop. Vornehm verschweigend, dass ich noch aus einer Generation stamme, die den Computer für neumodischen Unsinn hielt, dessen Bedeutung sich naturgemäß ebenso von selbst erledigen würde wie etwa die des Römischen Reiches nach Augustus. „Im INTERNET??? MAMA!!!" entrüstet sich meine fast erwachsene Tochter. „Weißt du überhaupt, was für Gesocks sich da rumtreibt? Und wie gefährlich das sein kann?"

Wenn ich etwas hasse, dann sind es … Einwände, Stoppschilder, erhobene Zeigefinger. Überhaupt, jede Form von Einmischung in mein Leben.

„Ach, Blödsinn, Sophia. Ich spüre ganz genau, dass da eben ... absolut sicher ... ganz bestimmt...!"

„Häää? Was tust du? SPÜREN??? Dass der Typ ... und du??? Nee, Mama, jetzt übertreibst du aber echt mit deinem esoterischen Getue!"

Pfff, Kinder! Ich hätte bei der Erziehung nicht so viel Wert auf die Entwicklung von Schlüsselqualifikationen legen sollen. „Komm, zisch ab nach oben, du schreibst morgen Mathe!"

Also, nachdem ich in ihm nun den Mann meines künftigen Lebens erkannt habe, stehe ich nur noch vor der Frage, wie ich ihn dazu bringen kann, das ebenfalls zu erkennen. Weil ... ER ist ja der Mann, da muss ER ja auch die Initiative ergreifen, da bin ICH nämlich altmodisch, jawoll! Na ja, ich könnte ja mal ... probeweise ... nur so als Versuch ... in sein Postfach ...

Nur ... WAS???

„Kaum las ich deine Frage, schon spürte ich, dass etwas Bedeutsames in unser beider Leben sich zu ereignen nunmehr anschickt.“
Ira, hast Du noch alle Tassen im Schrank? Männer hassen theatralische Auftritte!

Vielleicht ... mehr so lustisch?
„Hallihallohallöle, war grad auf deim Proföle.“
Mhh, nee, irgendwie ... zu plump.

Ach, erst mal ein Glas Rotwein. Ich muss mich jetzt einfach ein wenig entspannen, sonst wird das nie was!

Vielleicht ... nur ganz kurz?
„Hallo. Und tschüss. Ira."
Nee, das klingt ja so, als ob ich den schon loswerden wolle noch bevor wir ... nee, das ist auch nix.

Der Wein ist aber echt süffig heute Abend.
Vielleicht noch einen wenzigen Schlock...

„Hajo du! Hu-huu! Du biss suppa, hehe, grinzdichmaan...;-)))))
Ja, DAS ist guuuuut, DAS schicke ich!!!

Puuhh, bin ich froh, dass aus unerfindlichen Gründen an diesem Abend zu dieser Stunde die Sendefunktion meines Computers versagte.

Am nächsten Morgen.
Mein Prinzessinnenkopf brummt ausgesprochen unhoheitlich vor sich hin.
Der Mann ist online.
Und ich bin irre originell drauf.

Vielleicht … wenn ich…?
„ichbindochnichtsobekloppthierzuverratenwasichschrieb.“
Basta, weg damit.
Das Universum macht ja angeblich keine Fehler. Also entweder ... oder eben nicht!

„Du konntest es unmöglich spüren. So was gibt es nicht!“ sagst du zu mir und streichelst meine Hand. „Und ob ich das konnte“, sage ich. „Spürst du doch.“

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Kommentare zu diesem Text

steinkreistänzerin (46)
(24.04.10)
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 princess meinte dazu am 24.04.10:
Pubertär, liebe Annette?? Also, ich finde, die Protagonistin hat die Situation ausgesprochen entspannt, besonnen, ja nahezu würdevoll gemeistert. Öhm. Oder so. ) Sonnengrüße zurück an Dich. Viele.

 franky (24.04.10)
Hi liebe Ira,

Man strampelt sich im Leben nicht nur aus Abgelaufenem heraus, wir strampeln uns auch gleich in die nächste Gefühlsruine hinein, da könnte auch noch ein Prinz oder Prinzessin vergraben stecken.
Dann die vierte Liebe
Schleicht sich heimlich in dein Herz
und du steigst dann himmelwärts!

Oh! Wir sind nie am Ende,
Wir stehn immer da wo es weitergeht.
Bin ganz von der Vielzahl deiner Bilder geistig vollgepackt, die Plattform ist nach oben offen...

Viele herzliche Grüße an die Donau

Von Franky am Rhein;-)

 princess antwortete darauf am 24.04.10:
Das gefällt mir, lieber Franky: „Wir sind nie am Ende, wir stehen immer da wo es weitergeht.“ Ja ja ja, solche Perspektiven liebe ich! Und wenn man es dann noch schafft, sich dem zu öffnen, was das Leben jenseits der eigenen Vorstellungen vielleicht zu bieten hat… ja, dann kann man schon mal kleine Wunder erleben. Oder große. Vielen herzlichen Dank und sonnige Grüße an Dich, Ira
BBA (43)
(24.04.10)
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 princess schrieb daraufhin am 24.04.10:
Lieber BBA,

„natürlich spürt man das - auch im Internet“, ja, genau so ist das…;-)) Obwohl es eigentlich schon verblüffend ist… Na ja, ich bin ein alter Sturkopf und verlasse mich ohnehin nur auf meine spürerischen Fähigkeiten. Die haben sich im Laufe der Zeit als mein zuverlässigstes Navigationssystem entpuppt.

Herzlichen Dank und viele liebe Grüße an Dich, Ira
KoKa2110 (42)
(24.04.10)
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BBA (43) äußerte darauf am 24.04.10:
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KoKa2110 (42) ergänzte dazu am 24.04.10:
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 princess meinte dazu am 24.04.10:
Lieber KoKa,

ich glaube, die Kacke läuft virtuell nicht sehr viel anders als real. Jeder kann jedem alles vormachen, so oder so, hier wie da. Und entsprechend fliegt man auf die Nase. Oder nicht. Der beste Schutz ist meiner Einschätzung nach immer noch ein gesundes Vertrauen in die eigene Wahrnehmung.

Danke für Deinen Kommentar und die Sterne. Ich habe mich sehr darüber gefreut. LG Ira
KoKa2110 (42) meinte dazu am 24.04.10:
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 Martina (02.05.10)
Ach, was musste ich lachen....das mit dem Rotwein und die Selbstgespräche...und das ERSPÜREN....Manchmal hab ich mich so richtig wiedererkannt....
Grinsegrüße, Tina.

 princess meinte dazu am 02.05.10:
Wie? Lachen? Liebe Tina, es handelt sich hier um eine autobiografische Trendwende in meinem Leben ... also der Text ist sozusagen mehr oder weniger praktisch quasi ernst. Klar? ) Du hast das alles schon ganz doll richtig gespürt! Danke, prost und liebe Grüße, Ira

 makaba (02.05.10)
oh wie schön. oh wie süß. einfach genial! ;)
lg makaba

 princess meinte dazu am 02.05.10:
Danke...! Ich freue mich sehr, dass Dir die Geschichte gefiel. Liebe Grüße, Ira
rumpelsophie (45)
(04.05.10)
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 princess meinte dazu am 04.05.10:
Und ob es das gibt...!! Wie schön, dass Du weisst, dass...!
Danke und viele bunte Grüße an Dich, Ira
PaulineKirsch (22)
(07.05.10)
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 princess meinte dazu am 07.05.10:
Öhm, ja, es gibt so Situationen, da sind etwas ältere Prinzessinnen wieder kleine Mädchen mit kleiner Kunst...;-) Danke für Deinen Kommentar, ich habe mich gefreut. Liebe Grüße, Ira
Songline (45)
(12.05.10)
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 princess meinte dazu am 13.05.10:
So isses, das mit dem Spüren...! Siehe Einleitung. Und Schluss. )
Dieter Wal (58)
(18.05.10)
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 princess meinte dazu am 18.05.10:
Lieber Dieter,

damals war ich ein echter virtueller Neuling, gerade mal zwei Wochen im Netz unterwegs. Inzwischen habe ich ein wenig dazu gelernt... kommentartechnisch und so. Dieter Schlesak kannte ich bislang noch nicht, aber das kann sich ja ändern.

Danke für Deine Rückmeldung, ich habe mich sehr darüber gefreut. Und herzlichen Glückwunsch zur Tochter, etwas nachträglich, vermute ich mal.;-)

Liebe Grüße aus Bayern, Ira
Gabililith (54)
(05.01.11)
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 princess meinte dazu am 05.01.11:
Und ich erst. Immer neu und immer wieder!
Ja-ha!! Liebe Grüße, Ira
fragilfluegelig (49)
(03.12.11)
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 princess meinte dazu am 03.12.11:
Das ist ein super schöner Kommentar, über den ich mich doll freue. Anders formuliert: Was für ein erfrischend stürmischer Wind hier in meinen alten Gemäuern! Besonders mag ich deine Gedanken zur Vollkommenheit des Universums und zu den Stoppschildern. Apropos: Weil ich so eine Schusseline war und  das hier im Text vergaß ... na, du weißt schon!
Dankeschön, Frau fragilfluegelig, und liebe Grüße zu dir, Ira
gaby.merci (61)
(28.09.12)
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 princess meinte dazu am 28.09.12:
Richtig! Echte Spürnasen funktionieren auch im Internet! Vielen Dank für deine schöne Rückmeldung. Ich freue mich darüber. Liebe Grüße, Ira
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