Echo

Roman zum Thema Erkenntnis

von  Mutter

Mit einem satten Wumms knallt irgendwas neben mir an die Wand. Ich reiße die Augen auf, sehe runter. Der Junge fängt den Fußball, der ihm entgegenkommt, auf und feuert ihn erneut gegen die Wand. Zwischendrin sieht er mich an, aber ich kann sein ausdrucksloses Gesicht nicht deuten. Weiß nicht, ob er mich provozieren will, ich mit ihm spielen soll oder ob ihm einfach autistisch langweilig ist.
Der Ball weicht etwas ab, der Junge muss einen Sprung zur Seite machen, um ihn zu fangen. Einfallswinkel gleich Ausfallwinkel, denke ich, schließe erneut die Augen.
Ich rutsche die Wand hinunter, hocke mich auf die Fersen. Das Geräusch des Balles gegen die Wand, auf dem Boden und, leiser, in Kinderhänden und meine Position erinnert mich Steve McQueen. In Gesprengte Ketten. Dirty liebt den Film – hat alleine deswegen mal eine Weile einen Tennisball mit sich rumgetragen, um den auch dauernd an jeder Wand abprallen zu lassen.
Das Handy vibriert. Frank.
„Hey. Hast du was?“
„Der Kerl ist Kunde bei uns. Wer ist das?“
Mir ist klar, dass ich Frank irgendwas geben muss, wenn ich die Info will. Ich versuche ihn abzuspeisen. „Der hat Ärger mit einem ehemaligen Geschäftspartner von mir. Ich habe da so Zeug gehört.“
„Kann ich mir vorstellen. Der hat vor ein paar Jahren gesessen.“
„Wegen was?“
„Diebstahl und Raub.“
Ich verziehe das Gesicht, der Junge hält kurz inne. Sein Gesichtsausdruck ändert sich nicht – er behält nur den Ball für ein paar Sekunden in den Händen. Entscheidet dann, dass ich nicht ihn meine, knallt den Ball einen Meter neben mich gegen die Wand.
„Irgendwas mit Frauen? Sexuelle Nötigung? Belästigung?“
„Nein, nichts in der Art. Er hat zwei schwebende Verfahren wegen Tätlichkeiten – aber alles gegen Kerle. Eine Prügelei in der Kneipe und ein Streit mit seinem Nachbarn.
„Okay, danke, Frank. Weißt du schon was zu …“ Ich kann den Satz ohnehin nicht beenden, aber die dunkle Augen des Jungen stoppen mich weiter. Aber Frank zwingt mich ohnehin nicht, weiter zu reden. „Noch nichts. Irgendwas ist da komisch  - die Papiere sind noch mehr unter Verschluss als sonst. Aber ich bin da dran, Luca. Ich kümmere mich.“
„Alles klar, danke.“
Wir beenden das Gespräch, ich stecke das Handy weg. Nehme es nach einem Augenblick wieder raus, suche Lollos Nummer raus. Er geht nicht ran. Ich probier’s mit der Festnetz-Nummer. Seine Mitbewohnerin geht ran. „Anne hier?“
„Hey ich bin’s Luca. Ein alter Kumpel von Lollo. Wir haben uns mal …“
„Ich weiß, wer du bist“, unterbricht sie mich. Ich kann sie am anderen Ende lächeln hören. „Lollo ist nicht da.“
„Vielleicht kannst du mir weiterhelfen – sagt dir Ducky was?“
Sie überlegt einen Augenblick. „Geschäftspartner von Lollo? So’n Rocker?“
„Genau der. Hast du mit dem schon mal zu tun gehabt?“
„Nein, nicht wirklich. Der war irgendwann mal hier, als wir Fünfjähriges der WG gefeiert haben. Aber sonst …“
„Okay, danke. Grüß Lollo von mir, ja? Ich melde mich bei ihm.“
„Ist gut. Bis dann.“
Klick. Aus. Lollo, die dumme Sau. Ich will zurück in die Wohnung, aber der Ball vor mir stoppt mich. Mein Kopf zuckt rüber, der Kleie sieht mich an, schmeißt den Ball. Einmal, zweimal. Endlich hält er inne, lässt mich durch. Ich hätte nicht übel Lust, ihm seinen Scheiß-Ball den Korridor runterzukicken.
Drinnen schiebe ich die Haustür mit der Schulter zu, gehe ins Wohnzimmer. Ducky sitzt auf seinem hässlichen Sofa, Dirty hockt auf der Lehne neben ihm. Sehen fast entspannt aus, die beiden.
„Und?“, fragt Dirty. Ich schüttel den Kopf. Lasse mich auf die Couch neben den lädierten Rockabilly fallen.
„Was geht hier eigentlich ab?“, will Ducky wissen. Ich drehe den Kopf zu ihm rüber, hinten ans Sofa gelehnt, aber würden wir beide auf irgendeiner Party abhängen, die Flasche Becks in der Hand. Gleich anstoßen.
„Frank hat nichts.“
Dirty zieht die Augenbrauen hoch. Macht eine Kopfbewegung hinter Ducky Rücken. Ich schüttel noch mal den Kopf. „Nichts, was uns hier weiterhilft. Nichts, was mit Anne zu tun hat.“
Dirtys Miene verdüstert sich. Ich möchte nicht in Lollos Haut stecken, wen er ihm das nächste Mal begegnet.
„Lass uns gehen“, sage ich müde und wuchte mich aus dem zu tiefen Sofa hoch.
„Ihr Brüder habt echt einen Schatten“, beschwert sich Ducky. Als wäre er unglücklich darüber, uns los zu sein. Der Franzose beugt sich zu ihm runter, sticht ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. „Halt dich von Luca fern, du hirnloser Schwanzlutscher. Das ist eine Sache zwischen dir und Lollo – hat mit ihm nichts zu tun.“ Er zeigt auf mich. „Quatscht du ihn noch mal blöd von der Seite an, komme ich nochmal rüber. Öfter, wenn ich muss.“ Damit gibt er Ducky eine letzte freundschaftliche Backpfeife und schiebt mich an den Schultern vor sich aus der Wohnung.
Als die schwere Tür hinter uns zu klappt, zischt er: „Lollo ist eine kleine Drecksau. Hätte nicht übel Bock, bei dem gleich auch vorbeizufahren.“ Ich muss grinsen. Alles ein Abwasch.
Dirty zuckt zusammen, als der Ball neben ihm an die Wand wummert. „Ej!“, brüllt er, wirbelt zu dem Kleinen rum. Der hat das Ding schon wieder in der Hand, starrt zurück. Dann, ohne mit der Wimper zu zucken, wirft er den Ball erneut. Eine Handbreit von Dirtys Kopf entfernt.
Die Arme des Franzosen zucken hoch, packen das Geschoss. „Du kleine Sackratte!“, stößt er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor. An mich gewandt: ‚Los, komm.“
Wir gehen in Richtung Treppenhaus, den Ball hat er unter den Arm geklemmt. Als ich die schwere Tür aufstoße, sehe ich nach hinten. Der Kleine steht mitten im Gang, ist uns nur ein, zwei Schritte gefolgt. Ich nehme an, hier wird einem öfter mal das Spielzeug geklaut von jemand, der größer, stärker, schneller ist.
„Willst du den?“, fragt Dirty und hält den Ball an den Armen ausgestreckt nach vorne. Der Junge fängt an, auf uns zu zu rennen. Dirty dreht sich um, holt mit dem Fuß aus und kickt den Ball in den Treppenschacht. Als der Kleine ankommt, kann man von unten das schwächer werdende Dupp-dupp-dupp des Balles hören. „Hol ihn dir, du kleine Kröte.“
Dirty fängt an, die Treppen runterzugehen. Ich folge ihm.

Als wir unten in die Beton-Sonne des  Innenhofs treten, brummt mein Handy. Während ich auf den grünen Hörer drücke, fragt Dirty: „Wer isses?“
„Enzo“, sage ich und halte das Telefon ans Ohr. „Hey Mann, alles gut?“
„Alles gut, Luca. Pass auf – kennst du Echo? Der Kerl mit dem Tonstudio?“
„Mit dem du deine Tracks machst?“
„Genau der. Ich bin gerade bei ihm, und wir haben uns unterhalten.“ Er zögert. „Über den ganzen Scheiß.“ Schon gut, Enzo, denke ich, sage aber nichts. Ist doch klar, dass das Thema ist.
„Jedenfalls kennt er Tiger.“
„Im Ernst?“
„Er sagt, Tiger sei ein paar Mal mit Kumpels im Studio gewesen und die hätten Probetracks aufgenommen. Erst letzten Monat oder so. Ich dachte, Du willst vielleicht vorbeikommen und mit ihm reden.“
Klar will ich! Ich lasse mir kurz die Adresse geben, lege ohne Verabschiedung auf.
Dirty hat meinen Blick bemerkt. „Was ist?“
„Es gibt eine Spur von Tiger. Wir müssen nach Mitte – in die Torstraße.“
Der Franzose nickt. „Wir nehmen meinen Wagen.“ Haut mir auf die Schulter und wir laufen los.
Unterwegs frage ich ihn: „Vorhin – im Bunker. In der Zeitung steht was über den Fall, oder? Das wollte Tomte sagen.“
Dirty antwortet nicht, sieht im Gehen stur geradeaus.
Ich schnaube. „Begreifst du’s nicht? Lollo hat das aus der Zeitung.“ Sein Kopf zuckt herum, er starrt mich an.
„Die Geschichte mit Ducky. Lollo hat das aus der Zeitung - hat gedacht, er kann so Ducky loswerden. Oder ihm zumindest ordentlich Ärger machen.“ Dirty runzelt die Stirn, versteht nicht.
Ich lächle, haue ihm auf die Schulter. Setze mich in Bewegung und zwinge ihn so, zu folgen. Erkläre weiter: „Lollo ist doch ein Idiot. Der weiß doch, dass wir da zusammen drinhängen. Hat sich ausgerechnet, dass genau sowas passiert.“
„Die dumme Sau!“
Mein Grinsen wird breiter. „Aber wir fahren trotzdem in die Torstraße. Lollo muss warten.“
Dirty brummt unwillig.

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