Gabber
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Echo 

Fuck-A-Duck

Roman zum Thema Aggression

von  Mutter

Mit einem Stöhnen lehne ich mich gegen die Tür vom Spind, den Kopf und die Arme hilflos im nassen Shirt gefangen. „Brauchst du Hilfe?“, will Dirty wissen und zieht am Stoff. Befreit mich, und ich falle fast von der schmalen Bank.
„Alter, bin ich fertig. Was hast du mit mir gemacht?“
Er lacht, reibt sich mit seinem Sport-Shirt kurz unter den Armen. Steht dann mit nacktem Oberkörper vor mir und grinst. „Morgen früh brauchst du ein halbes Dutzend Krankenschwestern, nur um aufs Klo zu kommen.“
Er bekommt nur ein Ächzen als Antwort. Bin nicht mal sicher, ob ich es jetzt schon bis zum Klo schaffe.
Mühsam pelle ich mich aus Shorts und Slips, stemme meine kaputten Körper hoch und schleiche langsam zu den Duschen. Dirty überholt mich und haut mir dabei klatschend auf den Hintern. Ich habe keine Energie, um irgendwie darauf zu reagieren. Nicht mal der Schmerz kommt an.
Drinnen hat er mir schon eine Dusche knallheiß aufgedreht. Ich strecke erst eine Hand, dann beide Arme und schließlich mein Gesicht unter das Wasser, das mir auf der Haut sticht. Im Gegenzug Lebensgeister weckt, die mir Dirty ausgetrieben hatte.
„Das machst du jetzt täglich“, stellt er fest.
„Hast du ‘nen Rad ab?“ Fast glaube ich, dass er es ernst meint.
Er antwortet nicht, ist damit beschäftigt, die Rübe unter den Strahl zu halten.
„Lollo hat mich angerufen.“
„Ja? Was will der Wichser?“
„Hat mich vor Ducky gewarnt. Meinte, der sei aktenkundig. Vorbestraft.“
„Iss nich wahr? Der kleine Stricher?“ Dirty grinst. „Hätte ich dem gar nicht zugetraut. Dabei sieht er gar nicht aus, als hätte er einen Arsch in der Hose.“
„Lollo meinte, er hätte seine Mitbewohnerin mit dem Messer das Gesicht zerschnitten.“
Dirtys Gesicht schießt aus dem Wasservorhang vor. „Was?“
Ich reibe mir mit beiden Händen über das Gesicht, meine Stimme klingt dumpf, als ich antworte: „Sagt, der hätte schon öfter Ärger wegen so Geschichten mit Frauen gehabt.“ Ich muss Dirty nicht ansehen, um zu ahnen, wie er reagiert. Ich sollte seine Dusche auf kalt drehen, um zu verhindern, dass er hochkocht. Aber er sagt nichts.
Nach einer Weile schaue ich zu ihm rüber. Er ist von der Dusche zurückgetreten, seift sich ein. Stumm betrachte ich ihn eine Weile, warte darauf, dass er was sagt. Macht er nicht. Wortlos duschen wir zu Ende.

Die Tür öffnet sich einen Spalt, Duckys Gesicht erscheint. „Was willst du?“, brummt er, als er mich sieht. Wir haben unten bei irgendwem geklingelt, um reinzukommen. Damit er uns oben ohne Gegensprechanlage aufmacht.
Dirty, der sich an der Wand versteckt gehalten hat, macht den Schritt in den Wohnungseingang. Hämmert seinen Fuß mit Wucht gegen die Tür. Die fliegt auf, Ducky nach hinten weg.
„Fuck-A-Duck!“, sagt Dirty mit seinem französischen Akzent und geht in die Wohnung. Ich folge ihm müde.
Komme mir vor wie ein Auto, in das Dirty eingestiegen ist und wo er kurzerhand ein paar Kabel überbrückt hat, um mich kurzzuschließen. Hotwired. Als hätte ich längst komplett die Kontrolle verloren.
Ihn hat die Sache mit Ducky äußerlich nicht mal aufgeregt. Hat nicht viel gesagt, während wir uns umgezogen haben und aus dem Bunker raus sind. Aber für ihn war klar: Der Penner kriegt aufs Maul. Ich habe den Verdacht, dass Dirty völlig egal ist, ob Ducky wirklich etwas mit Tiger zu tun hatte. Ich vermeide den Gedanken ‚mit Luisa‘. Schlucke trocken. Die Idee ist absurd. „Es gibt keine Zufälle“, sagt Dirtys Trainer immer. Ein alter Kerl aus Spandau, dem die oberen Schneidezähne fehlen. „Es gibt nur die sorgfältige Komposition eines gelangweilten Universums.“
Ducky und Luisa bilden keine Schnittmenge, können nichts miteinander z tun haben. Richtig? Trotzdem passen hier irgendwelche Puzzleteile nicht zusammen. Vermutlich hätte Dirty sich Ducky auch vorgeknöpft, wenn er nur die Geschichte mit Lollos Mitbewohnerin gehört hätte.
Fass und überlaufen und so.
Ich stehe in dem engen Flur in Duckys Wohnung, die vom Schnitt her fast genauso aussieht wie die von Dirty. Die beiden sind offenbar durch das Wohnzimmer raus auf den Balkon. Dirty hat an der Stelle sein Schlafzimmer. An den Wänden hängen riesige Poster von Bands und Musikern, das Zimmer ist in Rot und Schwarz gehalten. Das schwarz-weiß karierte Sofa ist dagegen vermutlich das hässlichste Möbelstück, was mir je unter die Augen gekommen ist.
Ich höre das Geräusch von Schlägen, ein Stöhnen. Als ich zwischen Mini-Balkon und Zimmer stehe, betrachte ich Dirty, der halb über Ducky hängt. Der Franzose hat die blutigen Knöchel der rechten Hand bereits zu einem neuen Schlag erhoben.
„Dirty!“, rufe ich, weder besonders laut noch besonders überzeugt. Er hält tatsächlich inne. Erhebt sich halb von dem Teddy-Boy, die eine Hand immer noch in dessen Flanell-Hemd gekrallt. Ducky sieht beschissen aus. Das eine Auge ist bereits halb zugequollen, das Jochbein rot und angeschwollen und aus einer Platzwunde über dem linken Auge sickert Blut. Ich schätze, da hat ihn die Tür erwischt. Seine Lippen sehen aus, als wollen sie Angelina Jolie Konkurrenz machen.
Er spuckt hilflos Blut und Rotz aus. Das Meiste trifft sein Shirt. Wenn er die Kraft hätte, würde er uns fragen, was zum Teufel wir hier machen.
„Lollo hat mich angerufen“, sage ich. Lehne mich gegen den Türrahmen. Von hier hat man einen noch besseren Blick auf Kreuzberg als von Dirtys Wohnung aus. Eigentlich mag ich diese tatsächlich lieber. Bis auf die Einrichtung. Ich sehe Ducky direkt an. „Was ist mit Tiger? Wo ist der abgeblieben?“
Verwirrt verzieht er das Gesicht. „Wovon redest du?“ Nur dass es eher wie Fofon redescht du? klingt – seine Lippen behindern ihn beim Sprechen, ein Spuckefaden läuft im rechten Mundwinkel herunter.
„Du warst in Lucas Wohnung, du Schwanzlutscher!“, bricht es aus Dirty heraus. Er sieht so aus, als müsste er dem Rocker gleich eine weitere Runde die Fresse polieren. Irgendwas in meinem Schädel schreit Neinneinnein …
Das ergibt alles keinen Sinn. Er war es nicht.
„Wart mal einen Moment“, sage ich. Gehe zu Ducky und ziehe seine Brieftasche an der Edelstahlkette aus seiner Jeanshose. Er will sich wehren, aber eine drohende Bewegung und hochgezogene Augenbrauen des Franzosen halten ihn davon ab. Ich ziehe seinen Perso aus dem Leder, werfe ihm den Rest wieder hin.
Hebe die offene Hand, um Dirty klar zu machen, dass er seinen Vulkan davon abhalten soll, wieder auszubrechen. Gehe Richtung Ausgang. Ich schiebe mich durch die Haustür raus in den Flur. Vor der Nachbarwohnung, die in einem Gangende liegt, stapeln sich  Dreiräder und Kinderräder. Ich suche Franks Nummer raus, lasse das Handy wählen. Von rechts nähern sich zwei Kinder. Während ich dem Tuten im Hörer lausche, betrachte ich die beiden, die mich scheu mustern. Das Mädchen ist vielleicht drei, mit geflochtenen Töpfen. Der Junge etwa zwei Jahre älter. Sie geht langsam an mir vorbei, lässt mich nicht aus den Augen. Sobald sie mich passiert hat, fängt sie an zu rennen. Hämmert gegen die Wohnungstür, weil sie die Klingel noch nicht erreicht. Den Kopf hat sie dabei nach hinten gedreht, um mich nicht aus den Augen zu lassen. Die Tür öffnet sich einen Spalt, die Kleine schiebt sich rein. In Sicherheit. Mit einem letzten Blick aus ihren dunklen Augen ist sie verschwunden.
Der Junge steht mir noch gegenüber. Betrachtet mich genauso aufmerksam wie seine Schwester, aber ohne Furcht. Frank geht ran.
„Hey Luca.“ Pause. „Wie geht’s dir?“ Ob ich noch aufrecht stehe, will er wissen. Wie mein Make-Up aussieht, und wie oft ich das reparieren musste.
„Geht so“, antworte ich wahrheitsgemäß. „Hör zu – du musst mir einen Gefallen tun.“
„Schieß los!“
Ein Blick auf den Perso in meiner Hand. „Kannst du für mich in die Akte von Markus Christian Hertel schauen?“
Misstrauisches Schweigen am Ende. „Wer ist das? Hat der irgendwas mit … der Sache zu tun?“
„Das weiß ich noch nicht. Kannst du oder kannst du nicht?“
„Gib mir ein paar Minuten – ich ruf Stößel auf dem Revier an.“
„Gut.“ Ich lege auf. Der Junge beobachtet mich immer noch stumm. Ich lehne den Kopf zurück, bis er die rau verputzte Wand berührt, schließe die Augen.

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Kommentare zu diesem Text


 Melodia (24.04.10)
„Es gibt nur die sorgfältige Komposition eines gelangweilten Universums.“.... geil^^

lg

 Mutter meinte dazu am 24.04.10:
Danke ... :)
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