Die Krawatte

Kurzgeschichte zum Thema Ehrgeiz

von  Jorge

Mir kam er eigentlich schon immer bekannt vor.
Nie gab er sich locker und leger.
“Mit seinem Äußeren unterstreicht man seine Inneren Werte”
das ist einer seiner zahllosen Sprüche, die er bei jeder Gelegenheit loslässt.
Immer transportierte ihn der Fahrstuhl nach oben.
Das Einzige, was er einräumte, war seine Höhenangst.
Ich glaube jetzt, er hat Angst vor dem tiefen Fall.
Vor über 20 Jahren hörte er mit dem Fallschirmspringen abrupt auf.
Das war übrigens die einzige Gelegenheit, wo er sich in der Öffentlichkeit ohne Schlips zeigte.
Das vielleicht einzig Lockere an ihm ist seine Frisur.
Sie erinnert mich irgendwie an die Beatles.
Sein Musikgeschmack ist sehr einseitig und wechselt je nach Anlass von Ravel auf Händel. 
Immer wenn er eine neue Position einnahm, die mit einem Bürowechsel verbunden war, achtete er sehr auf die Dekoration.. Ein Bild von Möllemann im schlichten Goldrahmen begleitet ihn seit mehr als 25 Jahren. 
Über verschlungene Umwege gehöre ich seit Jahren zu seinem kleinen Bekanntenkreis. Wir plaudern auch schon mal über Privates.
Kürzlich lud er mich zu einem Rotweinabend unter vier Augen ein.
Wer eine solche Einladung von ihm erhält, fühlt sich in der Regel fast geadelt.
Nach der zweiten Flasche Bordeaux legte er nicht nur Händel auf, sondern ein Fotoalbum aus längst vergangenen Tagen auf den Tisch.
Er zeigte mir alte Klassenfotos und mir wurde auf einmal fast schwindlig.
Ich ging mit diesem prominenten Bekannten zwei Jahre in die gleiche Schule.
Ganz bewusst ließ ich mir nichts anmerken.
Ich erinnere mich an meine Gymnasialzeit. Wir hatten ein gemeinsames Sportfest in der Hasenheide in Berlin. Ich gehörte zur Abiturstufe, er war zwei Jahre jünger und der sportlichere von uns beiden.
Mein Interesse galt nur dem Kugelstoßen. Mir gelang bei diesem Sportfest ein Stoß auf passable 11,04 m. Er gewann den 100 m Lauf in 11,6 s  und lief mit dem Zielband noch eine Ehrenrunde. Damals lächelten viele über die übertriebene Ehrenrunde. Er nahm das Zielband mit nach Hause und bastelte sich seit jener Zeit daraus Krawatten.
Ich war nun der Einzige, der das Geheimnis um die unmöglichen Krawatten  lüften konnte. Aber ich tat es nicht und werde es auch in Zukunft nicht tun.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (25.10.10)
Schöne Geschichte. Schweigen ist in dem Falle wirklich Gold. Nur 11 m? Ich musste mich bei den Bundesjugendspielen auch immer übers Kugelstoßen retten. LG

 Jorge meinte dazu am 25.10.10:
11 m mit der Männerkugel. Ist das wenig? Das habe ich historisch interpoliert.
Danke Armin für deinen Kommentar und LG

 AZU20 antwortete darauf am 25.10.10:
Ist, glaube ich, normal. Ich hatte mal 12,75 m. LG
JowennaHolunder (59)
(25.10.10)
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 Jorge schrieb daraufhin am 25.10.10:
Hallo Wally, vielen Dank und einen fröhlichen Gruß in deine neue Woche.
LG Jorge
chichi† (80)
(25.10.10)
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 Jorge äußerte darauf am 25.10.10:
Das ist wirklich extrem Gerda - aber möglicherweise nicht ganz wahrhaftig
Vielen Dank und liebe Grüße
Jorge
steyk (57)
(26.10.10)
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 Jorge ergänzte dazu am 26.10.10:
Danke Stefan auch für die Grüße.
Nebenbei erwähnt begann auch heute hier der Winter knapp 12 Grad Celsius um 07:00. Das ist Zeit für die warmen Jacken.
LG nach X-Berg, Jorge
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