Krankheit

Text

von  Vessel

Ich denke, es ist ein seltsames Stück Leben, das wir uns heute Nacht teilen. Du hast mich verständnislos angesehen und ich habe nur mit den Schultern gezuckt und nichts weiter gesagt.
Ich sehe zur kleinen Lampe auf, die über unseren Köpfen ein flimmerndes Licht auf den Asphalt wirft, der eigentlich gar kein Asphalt ist, sondern Wasser, das in der Kälte der Nacht zu Stein gefroren ist und die Lampe schwirrt von Fliegen, die sich auf ihr sammeln und hin-und-her zucken und manche in der Hitze der Glühbirne verkohlen und leblos auf den Boden rings um uns niederregnen.
Es ist nicht so, dass das Licht die Straße und die Mauer, an der wir lehnen, erhellen würde, vielmehr scheint es noch die letzte Klarheit vollkommen zu nehmen, zu absorbieren und sich eigen zumachen. Ich bin durstig und denke an dich, ich habe vergessen das du neben mir sitzt und du hast mich vergessen.
Ich denke an dich und dass du dich nicht mit Wasser füllst, aber mit Mitleid, das von deinen Armen wie Harz von den Bäumen rinnt und stockt.
Seltsam verzwickt und ausweglos scheint mir die Welt zu sein, die vor uns liegt. Kein Labyrinth, aber der Garten eines Krankenhauses in dem tagsüber alte Menschen lustwandeln, um sich an kleinen bunten Blumen zu erfreuen, die ein Gärtner neben die kiesbestreuten Wege gepflanzt hat.

All das ist fern wie dein Krankenzimmer, wo du eigentlich sein solltest, aber das Zimmer war so voll von Krankheit dass ich flüchten musste und du bist halt mitgekommen und sitzt schweigend und verständnislos neben mir. Immer noch geht von dir Krankheit aus, die den Raum um uns füllt. Die Welt ist leer, bereit jeden einzelnen Tropfen aus deinen Poren aufzunehmen, um ihn dann zu verteilen, um uns herum zu zerstäuben. Es ist still und symptomlos, ich denke darüber nach, wie es sich anfühlt zu vergessen, und sehe die Bilder in meinem Kopf zerplatzen wie kleine Seifenblasen. Jede Sekunde eine Erinnerung.
Wie es wohl jetzt in deinem Kopf aussieht?
Ganz leise höre ich dich atmen und dein Herz schlagen. Die allgegenwärtige Dunkelheit schluckt dass Licht, sobald eine kleine Lampe über unsere Köpfen es ausstrahlt. Die Fliegen scheinen von dem Licht zu leben, es aufzunehmen. Es ist ihre Sucht, der sie nicht widerstehen, obwohl sie jede Sekunde den Tod bedeutet und der Boden rings um uns ist schwarz, aber es ist kein Asphalt, es sind Fliegen die einen dichten Teppich bilden. Ein schwarzer Teppich, bereit deinen bleichen Füßen einen weichen Heimweg zu gewähren, wie man einer Königin den Teppich ausrollt, damit sie darauf gehen kann ohne den festen Boden spüren zu müssen.
Ich berühre dich sanft, fast so als hätte ich Angst dass du wie eine der Seifenblasen in meinem Kopf zerplatzen könntest und du siehst mich an und es ist als würdest du mich zum ersten mal wahrnehmen: Dein Blick zeigt Verständnis und du lächelst still in die Nacht.

Das Licht ist gestorben, die Fliegen leben weiter, sie haben sich auf deinem Herzen gesammelt, das ihnen mit jedem Schlag ein neues Suchtmittel zuwirft. Sie bedecken deinen Körper wie ein Laken und ich würde gerne auf eine Uhr sehen. Die Sekunden sind Zeitlos. Ich warte auf den Morgen, aber der kommt nicht.
Fliegen haben sich in die Sonne gestürzt, um ihr Licht auszusaugen wie ein durstiges Kind die Milchflasche. Ich habe mich selbst in der Dunkelheit des Krankenhausgartens verloren, wie in dem Labyrinth, dass der Garten nicht zu sein verspricht und vielleicht bin ich eine Blume, die ein Gärtner dort neben die fliegenbestreuten Wege gepflanzt hat, damit alte Damen ihrem Lustwandeln eine kleine Pause gönnen können, um sich an den bunten Farben der Blüten zu ergötzen, denn es ist ihr Suchtmittel. Sie saugen mit ihren Blicken alle Farbe aus den Blütenblättern, bis der Garten wieder grau und dunkel daliegt, ausgelaugt und farblos.

Dann geht die Sonne doch auf, zögerlich erst, so als hätte sie Angst sich ganz zu zeigen und dann immer selbstsicherer, da sie sieht, dass die Fliegen ihr nichts anhaben können. Sie fallen zu tausenden von der Hitze getötet vom Himmel und bilden schwarze Wolken, ohne die Kraft das Licht zu verdecken.
Der Himmel ist noch blau, bald kommen die ersten Bäume um ihre Äste wie Pinsel in einen Farbtopf gen Himmel zu strecken, wo sie alle Farbe aufnehmen, damit der Himmel grau und tot dahängt, wie ein altes Bettlaken. Wie die Nacht die Gedanken doch verändert, sage ich. Du siehst mich verständnislos an und ich zucke die Schultern und schweige.

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus (35)
(21.06.11)
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 Vessel meinte dazu am 22.06.11:
Vielen Dank, Nimbus! Schön, dass du in die Gedankenwelt eintauchen konntest.
Raissa (57)
(21.06.11)
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 Vessel antwortete darauf am 22.06.11:
Cool, danke!
ues (34)
(22.06.11)
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 Vessel schrieb daraufhin am 22.06.11:
Danke!
Der Text ist schon etwas älter, habe das damals in einem Rutsch geschrieben und mich danach gewundert(denn normalerweise klappt es so bei mir nur selten).
korel (21)
(15.07.11)
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 Vessel äußerte darauf am 19.07.11:
Danke, korel!
Savignon (26)
(26.11.11)
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 Vessel ergänzte dazu am 26.11.11:
Dann sag ich an dieser Stelle einfach mal danke, für die Kommentare, für die Fav's!
majaja (28)
(03.06.13)
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 Vessel meinte dazu am 04.06.13:
Hallo,
Deine Meinung über unbedingt originelle Vergleiche teile ich durchaus nicht. Und auch nicht den Wunsch, das ich und das du eine Persönlichkeit haben zu lassen. Aber dass der Text überladen ist, und das man die Vergleiche nicht braucht, das glaube ich dir. Wie du deine Texte liest, musst du nicht rechtfertigen. Ich finde das schön, zu erfahren welche Herangehensweisen möglich sind und ein wenig erfahre ich auch selbst dabei Neues.
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