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Text

von  RainerMScholz

Für Lukas

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Der erste Eindruck ist überwältigend: Die weite weiße Betonfläche ohne ein einziges Fleckchen Grün, auf der sich die kolossalen metallenen Maschinen geradezu leichtflügelig bewegen, wie von Geisterhand geschoben, die so auf die Position rollen, an der man gerade arbeiten muss, sie sozusagen in Empfang nimmt, sie andocken lässt, denn so muss es in einem Hafen zugehen, wenn ein Ozeandampfer anlegt, vielleicht etwas weniger ohrenbetäubend, aber gewiss genauso imposant. Oder auf dem Raumflughafen Calderon im Krieg der Sterne, wenn gerade der Rasende Falke zur Landung ansetzt. Eine 747 rollt auf ihre vorbestimmte Position und die Männer in Blau rennen mit den gelben, zerkratzten Bremsklötzen zu den riesenhaften Reifen des Räderwerks, sobald das Flugzeug zum Stillstand gekommen ist, die armdicke Leitung für die externe Stromzufuhr wird angeschlossen und der Passagierbrückenarm fährt ferngesteuert an die Kabinentür heran. Alles geschieht blitzschnell und wortlos, denn wer könnte schon verstehen, was sein Nachbar sagt, solange die Turbinen noch brüllen, ein tiefgrollendes pfeifendes Geräusch, das an den Magenwänden kleben bleibt wie Zement. Jeder Handgriff sitzt, die Bodencrew arbeitet Hand in Hand, schon werden die Förderbänder an das Belly, den Bauch des Fliegers, herangefahren, die Kollegen beginnen mit der Ausladung der Fracht und der Gepäckstücke. Alles läuft wie am Schnürchen - so erschien es mir jedenfalls an meinem ersten Arbeitstag am Flughafen. Übrigens so ungefähr der einzige, den ich dort auf dem Beton bei helllichtem Tage verbringen musste. Ich konnte noch nicht wissen, dass das so nur im Handbuch des eifrigen Mitarbeiters vorkommt. Für den Uneingeweihten ist der Anblick dieser riesigen monströsen, wie geschmiert laufenden Maschinerie ein undurchschaubares Faszinosum an Präzision und Organisation. Er kann nicht wissen, dass hier das Chaos mehr schlecht als recht durchstrukturiert ist, um an jeder Ecke und Kante hervorzubrechen. Der scheinbar reibungslose und rationalistische Arbeitsablauf mit und an diesen gigantischen Flugmaschinen (unvorstellbar, stehend vor dem Bugrad der Transatlantikmaschine, dass diese imstande sein soll, auch nur einen Zentimeter vom Boden abzuheben) ist einfach faszinierend. Irreal und beängstigend, wenn das Flugzeug vom Leitweg auf die Position einschert, die Turbinen aufheulen lässt und fünf Meter vor mir zum Stehen kommt. Die Euphorie legt sich dann mit der Zeit und man sieht nur einen Haufen Koffer, Kinderwagen, Sonnenschirme, Surfbretter und den ganzen Kram auf sich zu kommen, den es gilt in die Ausgabe zu schaffen, damit der dort von den Passagieren in Empfang genommen werden kann.
Es war mein erster Tag und Führer Rolf macht mit uns den Rundgang. Rolf war schon etwas länger dabei. Wie lange genau, wusste er wahrscheinlich selbst nicht zu sagen, obwohl die wirklich harten Typen Strichliste führen. Wie lange es noch bis zur Frühverrentung ist, denke ich. Ich kann mich an die Einzelheiten der verschiedenen Lokalitäten, zu denen er uns brachte, nur dunkel erinnern, Orte im übrigen, die ich zumeist nie mehr wiedersehen sollte, weil sie nicht zu meinem Arbeitsbereich gehörten, doch die Belegschaftskantinen habe ich mit meiner Zukünftigenkollegenbesuchergruppe unter Leitung von Führer Rolf intensiv studiert. Hier verbrachten wir die meiste Zeit mit Rolf, ließen die Stunden verstreichen und versuchten eine halbwegs fachspezifische Unterhaltung zu führen, das heißt, Rolf versuchte das. Rolf erzählte so ungefähr von der Zeit vor dem Krieg, als man am Flughafen noch richtig arbeiten musste, was auch viel einfacher war, weil noch richtige Männer hier arbeiteten (keine Studies! Studenten studierten nämlich damals auch noch richtig!). Also hörten wir uns auch das an in unseren neuen und kratzigen blauen Arbeitsanzügen, mit der Micky Maus, dem Gehörschutz, an der Seite und der vorschriftsmäßigen Anstoßkappe, einfach, die nur Neulinge tragen, und den klobigen Sicherheitsschuhen an den Füßen. Wir fielen auf wie bunte Hunde in den sauberen bügelfaltigen brandblauen Klamotten. Alle anderen sahen dann doch eher nach richtiger Arbeit aus (was ein Teil des Mimikri ist, wie ich allerdings erst viel später herausbekam). Schlussendlich war das der einzige Tag auf dem Rollfeld, denn fortan wurde ich als studentische Aushilfe nur zur Nachtschicht eingeteilt, flexibel zweimal die Woche von zweiundzwanzig bis sechs Uhr in der Früh, je nach Arbeitsanfall, und da ist die Sache mit den Klamotten gar nicht mehr so ins Gewicht gefallen.
In meinem Leben fehlen einige Tage oder Wochen, die nie wiederkehren werden, weil sie meinem Gedächtnis komplett entfallen sind oder ich es vorziehe, sie in der Versenkung verschwinden zu lassen. Oder wegen Alkoholabusus. Von den Nächten gar nicht zu reden. Aber ich hätte wohl einen Kopfsprung vom Tower gemacht, wenn ich den höllischen Wahnsinn eines Sommertages auf dem Flughafenvorfeld hätte ertragen müssen. Aber das wusste ich ja noch nicht.
Also ließen wir Anfänger und Neulinge uns in den diversen, stets gleichgestalteten Kantinen des Flughafens mit unseren neuen Blaumännern von denen, die es bereits besser wussten, begaffen wie Affen im Zoo. Wenn mir jemand eine Banane an den Kopf geworfen hätte, ich wäre nicht überrascht gewesen. Und Onkel Rolf erzählte von früher, von seinen tragenden Posten, die er schon bekleidet hatte und von dem, den er jetzt innehatte als verantwortungsvoller Einweiser, und von der Steinbrucharbeit, die er früher, viel früher, hier verrichten musste, wahrscheinlich als der Flughafen gerade gebaut worden war. Wir nickten alles ab und lächelten höflich verlegen ob unserer Unbedarftheit. Irgendwann gegen vier Uhr nachmittags war es vorüber und Rolf setzte uns vor der Umkleide ab, um auf Niemehrwiedersehen zu verschwinden. Ich zog den Blaumann zwischen den muffigen Gängen in dem Gewölbe, in dem sich alle umziehen und in dem es entsprechend riecht, aus und warf ihn in den blechernen Spind. Das war auch bloß ein Job wie alle anderen, dachte ich und fuhr mit der Bahn nach Hause. Schließlich musste ich Geld verdienen, die Frankfurter Miete bezahlen und das Studium, das dennoch irgendwie auf Sparflamme lief und da war es doch gleichgültig womit, dachte ich. Ich konnte nachts arbeiten und tagsüber zur Uni. Keine Ahnung, wie ich dennoch meinen Abschluss schaffte, beschleunigt hat das die Sache jedenfalls nicht.

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