Die Impertinenz, eine gewisse Entschlossenheit, gegen den Strom zu schwimmen, aufrechtzuerhalten, ja, aber wie weit ist dieses Stück noch, die Breite des Wassers, und die Tiefe, und wie lange noch vermag ich es, den Kopf hoch zu halten, über der Linie, wieviel muss ich noch schlucken, wie lange die Luft anhalten; wird dieser Strom nicht immer stärker, trüber, tückischer oder nimmt meine Schwäche mit Ablauf der Zeit zu.
Wann haben wir begonnen dieses Entfremden zuzulassen. Vielleicht schon nach der Vertreibung, in den Zeiten der Bewusstwerdung. Jedoch der aufflackernde Hass ist echt, war es immer, die irrationale Wut. Was noch?!
Wer viel hat, muss noch mehr festhalten. „All things come to he who waits, the waiting never ends.“*
Ich geh´ nicht zurück in die Mühle, ich war schon da. Ich bin das Korn der Ähre gewesen.
Christians Mutter lag mit geöffnetem Morgenmantel auf dem Krankenbett, die dürren, krampfadrigen Beine baumelten gespreizt auf den schmutzigen, grauen Linoleumboden in einer Urinpfütze; unter Tabletteneinfluss wirkte sie nahezu eingeschläfert, alle Physiognomie phantomhaft und leer. Sie schien versucht zu haben, den Notknopf am Kopfende des Bettes zu betätigen. Christian hob ihre Beine unter die Decke, horchte an ihrem Mund, ob sie noch atmete, deckte sie zu und verließ das Zimmer im Altersheim, das er ihr verschafft hatte. Aus dieser verschrumpelten Vagina war er hervorgegangen.
Er schloss die Tür hinter ihr.
*Motörhead: Get back in line; „The world is yours“, 2010
© Rainer M. Scholz