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Text

von  RainerMScholz

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Männer überlegen, wie sie ihre Familie ernähren sollen mit so einem Scheiß. Männerproblem. Leider sind die Errungenschaften der Emanzipation bis hierher noch nicht vorgedrungen. Diese Nachtschicht, diese Arbeit sind Männerbastion. Hier kann man all die geheimen Offenbarungen tiefster und sperrigster Männerwünsche erfahren. Weites Feld für Alice. Was soll ich hier mit Tiefenhermeneutik anfangen, wenn das Gesetz des Gepäckmeisters gilt und sonst keines, was mit metaphysischer Transzendenz eines vermeintlich magischen Realismus´, wenn ich doch gerade alles tue, um diesen sehr konkreten und keineswegs metaphysischen Realismus auszuschalten und vergessen zu machen. Hier bleiben nur begrenzte kleine Fluchten und die Illusion, als führte das alles am Ende doch noch zu - ich weiß nicht was. Es ist ein Widerspruch in sich, dass Studierende ihren Lebensunterhalt verdienen müssen und somit ihr Studium ad absurdum führen, andererseits entbehrt diesem Umstand nicht eine gewisse Dialektik, die den Hund in den eigenen Schwanz zu beißen versuchen lässt.
Männer müssen Geld verdienen im Schweiße ihres Angesichts. Ein weites Feld. Jeder Soziologe müsste sich glücklich schätzen dürfen am Flughafen zu dienen, Teil des Räderwerks sein zu können. Glücklicherweise gibt es nur wenige Geisteswissenschaftler an den Bändern. Genaugenommen gibt es nur einen, der das erste Jahr überstanden hat. Ich habe einen Philosophen im dritten Semester mit einer Eisenstange hinter seinem Chef herrennen sehen, nachdem er sich eine halbe Stunde lang schreiend am Boden gewälzt hat. Marko, der Architekt, musste gehen, weil die Depressionen ihn fertig gemacht haben. Er sank immer tiefer in seine ohnehin nicht voluminöse Gestalt hinab, schwere Augenringe zeichneten sein blaugestoppeltes Gesicht und er wurde immer wortkarger. Marko fragt, bevor er nicht mehr zur Arbeit antrat, wozu das alles gut sein solle, dieses sinnlose Bewegen von toten Körpern von A nach B nach C und wieder nach A, Koffer in die Ausgabe und wieder hinauf zu den Bändern, eincodieren und dieselben Koffer wieder vom Band nehmen, auf Wagen laden, um diese dann abermals zu entladen; fragte sich, was das Gebrüll bezwecken solle, das doch nicht beschleunigt, sondern die Konfusion steigert und damit die Inproduktivität; die absurden Vorschriften, die Gängeleien, die hirnverbrannten Kommandos, Abläufe und Normen. Das schien das Leben zu sein. Marko kam nicht mehr.
Die Widerstandsfähigsten sind die Zahn- und Tierärzte. Ich denke an Danni, der, wie ich mir vorstelle, Koffer frisst, wie er Zähne zieht. Danni schiebt mich im Flieger zur Seite, weil er die Post alleine zerren will, und die Säcke fliegen dann zehn Meter weit zur Luke, die Deckenverschalung kracht, die Sitzcontainer reißen , die Gurte schnallen ab, Rechnungen, Prospekte, Liebesbriefe und Mahnbescheide flattern auf das Rollfeld und zu Füßen des konsternierten Rampenagenten dreizehn Meter tiefer unter das Förderband; noch tödlicher sind die Postkisten, tödlich, gelb und hirnzerschmetternd. Dann fährt Danni zu seiner Assistenz in der Klinik und zieht Backenzähne, macht Füllungen, Plomben oder Abdrücke. Abends ist er wieder da. Unzerstörbar, unerbittlich, unsterblich.
Oder Ede, der russische Tierarzt, der von seiner Jugend in Sibirien erzählt, nicht gerade ein überzeugter Kommunist, aber ein großer Geschichtenerzähler wie alle Russen. Morgens noch den Arm in einer Kuh und abends dann ein Hallo dem Gepäckmeister. Sommers wie winters hat er einen grauen Rollkragenpulli an. Er kann die Geschichte mit dem Traktor seines Großvaters immer und immer wieder rekapitulieren, der auf einem zugefrorenen Wasserloch in der Tundra steckengeblieben ist. Bei minus 30.000 Grad. Oder er unterhält sich mit Alf und Roger über die Waffengattungen des Zweiten Weltkriegs, und das muss man wohl so anerkennen, denn sie tun das mit solch einer Hingabe und Werturteilsfreiheit, dass man denken mag, der Wüstenfuchs sei nur so eine Art Zwergmarder gewesen.
Der blonde Kemal und der blonde Mark werfen sich im Flieger die grünen Postsäcke zu. Wer ist der Stärkste, wer hält am längsten durch. Oder wer hat den Längsten. Ein Spiel wie Murmeln in ein Loch im Sandkasten bugsieren. Klickerspielen. Lachen und Schwitzen und Hemdsärmel hochkrempeln, um die aufgepumpten Arme präsentieren zu können. Wie junge Hunde, ganz für den Augenblick und retardierend bis zur Bewusstlosigkeit. Jenseits jeden Morgens. Blond und groß und stark. Unsterblich in diesem Moment wie ein Wimpernschlag dem anderen gleicht, doch niemals derselbe sein kann. Genauso fragil und schon vorüber. Aber daran denkt jetzt niemand, denke ich nicht, sehe nur die Kraft und die Grazie der eingespielten Abläufe, seien sie auch noch so banal. Bevor dieser Augenblick zerfließt in kruder Monotonie und jeder Gedanke an die Schönheit dieses Akts wieder ungedacht geworden ist.

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