20
 Inhalt 
22 
 20
22 

21

Text

von  RainerMScholz

21
Die Personalleitung hat wieder einmal die Personalstruktur durcheinandergewirbelt, heißt: angepasst. Das hält die Leute bei Laune und verhindert Fraternisierung, lässt kaum ein allzu antikapitalistisches Solidaritätsgefühl aufkommen unter den Beschäftigten, weil jeder wieder einmal sich selbst der Nächste ist. Hammer ist jetzt in der Tagschicht, dafür bekommen wir öfter Batur und Opa. Atec ist wohl in der Herzklinik gelandet, ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen (oder vielmehr gehört: meinem Innenohr scheint richtig etwas zu fehlen), und die Odenwälder und Polen versuchen sich gegenseitig den Rang abzulaufen, was Arschkriecherei vor ihren Chefs angeht. Ein gesunder Konkurrenzgedanke unter den einzelnen Schichtgruppen belebt das Geschäft. Besonders für uns: Dann wird auch schon einmal die komplette Grundreinigung an Wochenenden zweimal angesetzt, wenn scheinbar sonst nicht viel los ist, wenn gläubige Christenmenschen in die Frühmette gehen. Na, so früh vielleicht doch nicht.
Und dann gibt es da die Stellenleiter, die kontrollieren, ob auch jeder Mitarbeiter seine Anstoßkappe mit sich führt, die herabfallende Gegenstände von unseren Köpfen abprallen lassen soll. Die Anstoßkappe ist eine einfache blaue Schirmmütze, auf der F A G steht (fag, Sie wissen schon! Auf englisch!). Heute steht da etwas anderes, aber die Bedeutung ist wohl die selbe geblieben. Eine einfache Schirmmütze: Da kann ich mir auch ein Handtuch um den Kopf wickeln, das hält die Wackersteine genauso gut ab. Aber wehe ich habe den blauen Deckel nicht dabei! Als gäbe es nichts wichtigeres. Alleine auf den Gates wird schon vorschriftswidrig gearbeitet, wenn nicht ein Kollege zur Unterstützung mitarbeitet, aber ich muss die beladenen Container mit der Hand auf das Vorfeld ziehen, weil ich die Ameise nicht fahren darf, was nicht den Vorschriften entspricht. Fahre ich aber die Ameise, verletze ich wiederum die Vorschriften, weil ich dazu keinen Ameisenschein besitze - das kümmert kein Schwein. Aber sollte ich die Mütze nicht auf dem Kopf haben, wenn der Mützenkontrolleur kommt, dann kann ich gleich, oder je nach Arbeitslage später (oder gar nicht, je nach Arbeitslage), nach Hause gehen. Wahrscheinlich läuft irgendwo in den Flughafenkatakomben auch ein irrer Latzhosenkontrolleur herum, alleine mit einer altersschwachen Funzel und sucht nach verlorengegangen Mitarbeitern, deren Latzhosenriemen nicht korrekt geknüpft sind, oder jemand, der die unerlaubten Kippen auf dem Boden zählt und darüber Statistiken führt auf unsichtbaren Kladden. Tatsächlich ist ein Mitarbeiter dazu abgestellt, mit einem langen, vermutlich für diesen Zweck konstruierten Schaber, die Kaugummis in den Abflughallen abzukratzen. Immer derselbe. Keine Ahnung, was der verbrochen haben mag. Wenn wir alle nach Vorschrift arbeiten würden, inklusive der Sicherheitsbestimmungen, müssten sie den Flughafen ohnehin schließen. Oder doppelt so viele Studentennigger einstellen. Ich weiß, ich sollte mich nicht über Standortdeutschland beschweren, sondern froh sein, dass ich überhaupt Geld zu meinem Luxusstudium dazuverdienen darf. Aber von dieser Galeere nimmt man mehr mit als ein paar Silberlinge. Die Perfidie ist, dass es meine Entscheidung ist, mein freier Wille. Ich kann jederzeit die Kurve kratzen. Aber für die Butter aufs Brot bin ich ab 22 Uhr kein Mensch mehr, hänge meinen Stolz, mein Selbstbewusstsein und meine Integrität in den Spind, um diese und andere Eigenschaften um sechs Uhr siebenundzwanzig wieder unbefleckt überstreifen zu können. Das scheint mir ein zutiefst deutsches Arrangement zu sein. Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps. Wer morgens schon singt, den holt abends die Katz. Hier Menschen schinden, da den Dackel Gassi führen. Schizophrenie, in die man hineingedrängt wird und sich viel zu leicht hineindrängen lässt. Zum Maschinenmenschen gemacht für die Zeitspanne von acht Stunden, und dann wieder alles Familienidylle. Der Geist aus der Flasche wieder verkorkt, mehr schlecht als recht. Sechs Uhr siebenundzwanzig bin ich wieder Ich selbst, bevor ich Verschiebegut war, einer von soundsovielen Stück Studenten auf der Flughafenrampe. Ich habe versucht, diese Sicht der Dinge, die zugegebenermaßen eine radikale, vielleicht auch pathologische ist, einem festangestellten Kollegen zu vermitteln, dass ich kein Stück sei, kein totes Ding, zur Be- und Abnutzung freigestellt, im Augenblick abkommandiert zur Post, im nächsten zur Staubahn undsofort. Aber ich fürchte, er hat mich nicht verstanden. Oder wollte und konnte es nicht verstehen, nicht als das Stück, das er selber ist. Vielleicht dachte er bereits seit den Anfängen seines bewussten Denkens in Stückmenschenkategorien. Also: ja, ja. Was soviel heißt wie - Sentimentalismus wie Hospitalismus. Der Apfel fällt unweit des Kerns. Ich könnte wenn ich wollte tirili ...- Leck mich am Arsch.

 20
 Inhalt 
22 
 20
22 
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram