28
Text
von RainerMScholz
28
Das Jahr, das alles entscheiden sollte, was ich bislang unternommen habe, ist angebrochen (wie dramatisch!). Also habe ich nur noch zwei Nächte die Woche gearbeitet und mich zur Prüfung angemeldet und versucht, sehr germanistisch zu erscheinen, oder sagen wir: sehr literaturwissenschaftlich.
Nichtsdestotrotz geschehen andere Merkwürdigkeiten, die ebenfalls der Erwähnung wert erscheinen mögen.
Gunther möchte mit seiner vierjährigen Tochter nach Thailand fliegen, um dort mit ihr Urlaub zu machen. Doch seine von ihm geschiedene Frau verbietet das. Sie hat das Sorgerecht, und auch mir kommt Gunthers Idee reichlich zweifelhaft vor. Gunther jedoch ist untröstlich und einigermaßen verständnislos. Alles war schon gebucht, Vater und Tochter wären mit einem Billigbumsbomber nach Phuket und von dort weiter zum Strand oder so. Er ist schließlich alleine geflogen. Abstruse Idee, mit der vierjährigen Schönheit nach Thailand fliegen zu wollen. Nicht, dass er zwielichte Absichten gehabt hätte. Er hat so weit einfach nicht gedacht. Und weil Gunther den Menschen viele Dummheiten, aber keine Bösartigkeiten zutraut, ging er davon aus, dass die Menschen mit ihm genauso verfahren würden.
Er hat mir einen obszön großen Drachenkopfring aus Silber mitgebracht, da in Thailand die Edelmetallpreise so niedrig seien, ein Ring, der die Hand in Richtung Erdanziehung verbiegt und eigentlich ziemlich schwul aussieht, was Gunther mit Sicherheit nicht aufgefallen sein dürfte, mit diesem blauen Glassplittereinsatz als Drachenauge, und der das Highlight auf der Party ist, jedenfalls für einen Moment. Wenn ich wegen der Hitze über meine Stirn wische, muss das der Arzt wieder zusammennähen. Bei seiner Geburtstags- und Flughafenabschiedsparty hat er ihn aus der Küchenschrankschublade gezaubert und so musste ich ihn den ganzen Abend tragen. Keine Frau hat mich angesprochen, aber Gunther hat sich so gefreut.
Die übrigen Gäste guckten ohnehin merkwürdig, als die Kollegen begannen aufzutauen, nach drei oder vier Bier. Besonders als Klaus und ich eine Diskussion über Kommunismus im allgemeinen und über russische Literatur im besonderen lostraten und wir uns fürchterlich in die Haare gerieten über: die russische Seele und den russische Menschen – Dostojewski gegen Tschechow, eine irrationale Debatte, sozusagen -; die Unmöglichkeit des Schreibens anständiger Literatur in der Postmoderne (die quasi auch schon wieder obsolet zu sein scheint)(nein, nicht nur ist die sogenannte Postmoderne möglicherweise nicht mehr modern, sondern ganz sicher); Hermeneutik nach Kierkegaard oder/und Karl Jaspers; oder der Untergang der iberosowjetischen Kolchosen in Spanien vor Franco, die eigentlich dem Anarchosyndikalismus zuzuordnen sind. Stinknormale Sachen also. Der russische Aspekt wurde von Anatolij ins Spiel gebracht (oh Mann, ein echter Russe!), obwohl Alf und Roger lieber über ihr Thema Waffengattungen des zweiten Weltkriegs gesprochen hätten, was auch immer das bedeuten soll. Eigentlich geht mir ein solch halbgares und tendenziöses Gequatsche einigermaßen auf die Nerven, besonders mit einem Germanistikstudenten (Klaus), der sich in der Fachrichtung vertan zu haben scheint (Ich), wenn er behauptet, dass jedwede Erstellung von Texten im Grunde eine müßige Angelegenheit sei. Natürlich ist es das! Und dann ist das Arbeiten am Flughafen auch nicht gerade das Arbeiter- und Bauernparadies. Aber Steineschmeißen an der Startbahn-West, um dann von der FAG sein Gehalt zu beziehen und über die guten alten Zeiten zu nostalgisieren ist in Ordnung, du Arsch! Und das sagte ich ihm auch. Auf der Couch sitzen und Bier trinken ist müßig! Nicht wahr, Bukowski. Nichtsdestotrotz soll Klaus diese Geschichte redigieren und als Beteiligter die Handlung auf ihre Wahrhaftigkeit hin prüfen.
Und zu meiner Abschiedsfeier habe ich ihn selbstverständlich auch eingeladen. Glaube ich. Klaus ging dann frühmorgens zusammen mit 0lli, der sich auf meiner Couch in seiner Lederkombi breitgemacht hatte und mir seit zwei Stunden beteuerte, dass er in fünf Minuten verschwinden werde. Ich war total blau und habe sie dann um fünf Uhr 'rausgeschmissen. Conny war schon längst im Bett und die anderen hatten die erste Bahn genommen. Die hören nie auf! Kemal, Spiro, Martin und Olaf, der dann noch ins 'Cave' ging, der Frauen wegen - und später gibt's dann die obligatorische Dose Ravioli, oder Plastikpizza, alleine im Morgengrauen, wenn der Ofen nicht abbrennt. Pedro hat`s bislang als Maler leider nicht zu wirtschaftlichem Erfolg gebracht. Dafür waren wir ein halbes Jahr später auf seiner Hochzeit. Mittlerweile ist er Vater geworden. Keine Ahnung, ob er immer noch am Flughafen arbeitet. Ich weiß aber, dass er immer noch Kunst produziert. Seine Mutter kocht phantastisch spanische Küche, um nicht zu sagen baskische. Jürgen sehe ich vielleicht im 'Elfer' oder im 'Café Läuft'. Und Alf musste natürlich unbedingt Nachtschicht arbeiten – einfach besessen. Matthias scheint mich wohl vergessen zu haben, vielleicht wollte er aber auch seinen Freund Hermann trösten, den ich für einen blasierten Wichser halte. Psycho-Ulli hingegen hat's wahrscheinlich tatsächlich vergessen.
Wie auch immer. Niemand vermag zu sagen, was als nächstes kommen wird, um ein weiteres Klischee zu bemühen. Bevor es besser wird, kann es immer noch schlechter werden, haha. Fliegen werde ich so bald nicht mehr (oder nur mit Handgepäck). Ansgar meinte, dass ich nach Beendigung meines Studiums mit meinem Scheißmagister irgend so ein popeliger Sachbearbeiter in einer Versicherung werden würde, den könne ich mir dann in die Haare schmieren. Vielleicht hat er recht. Nur dass ich dann keine Koffer fremder Leute mehr anfassen muss, so wie er.
Ich bin's jetzt leid. Und vielleicht höre ich auch noch mit dem Rauchen auf. Jedenfalls höre ich jetzt hiermit auf.
© Rainer M. Scholz
Das Jahr, das alles entscheiden sollte, was ich bislang unternommen habe, ist angebrochen (wie dramatisch!). Also habe ich nur noch zwei Nächte die Woche gearbeitet und mich zur Prüfung angemeldet und versucht, sehr germanistisch zu erscheinen, oder sagen wir: sehr literaturwissenschaftlich.
Nichtsdestotrotz geschehen andere Merkwürdigkeiten, die ebenfalls der Erwähnung wert erscheinen mögen.
Gunther möchte mit seiner vierjährigen Tochter nach Thailand fliegen, um dort mit ihr Urlaub zu machen. Doch seine von ihm geschiedene Frau verbietet das. Sie hat das Sorgerecht, und auch mir kommt Gunthers Idee reichlich zweifelhaft vor. Gunther jedoch ist untröstlich und einigermaßen verständnislos. Alles war schon gebucht, Vater und Tochter wären mit einem Billigbumsbomber nach Phuket und von dort weiter zum Strand oder so. Er ist schließlich alleine geflogen. Abstruse Idee, mit der vierjährigen Schönheit nach Thailand fliegen zu wollen. Nicht, dass er zwielichte Absichten gehabt hätte. Er hat so weit einfach nicht gedacht. Und weil Gunther den Menschen viele Dummheiten, aber keine Bösartigkeiten zutraut, ging er davon aus, dass die Menschen mit ihm genauso verfahren würden.
Er hat mir einen obszön großen Drachenkopfring aus Silber mitgebracht, da in Thailand die Edelmetallpreise so niedrig seien, ein Ring, der die Hand in Richtung Erdanziehung verbiegt und eigentlich ziemlich schwul aussieht, was Gunther mit Sicherheit nicht aufgefallen sein dürfte, mit diesem blauen Glassplittereinsatz als Drachenauge, und der das Highlight auf der Party ist, jedenfalls für einen Moment. Wenn ich wegen der Hitze über meine Stirn wische, muss das der Arzt wieder zusammennähen. Bei seiner Geburtstags- und Flughafenabschiedsparty hat er ihn aus der Küchenschrankschublade gezaubert und so musste ich ihn den ganzen Abend tragen. Keine Frau hat mich angesprochen, aber Gunther hat sich so gefreut.
Die übrigen Gäste guckten ohnehin merkwürdig, als die Kollegen begannen aufzutauen, nach drei oder vier Bier. Besonders als Klaus und ich eine Diskussion über Kommunismus im allgemeinen und über russische Literatur im besonderen lostraten und wir uns fürchterlich in die Haare gerieten über: die russische Seele und den russische Menschen – Dostojewski gegen Tschechow, eine irrationale Debatte, sozusagen -; die Unmöglichkeit des Schreibens anständiger Literatur in der Postmoderne (die quasi auch schon wieder obsolet zu sein scheint)(nein, nicht nur ist die sogenannte Postmoderne möglicherweise nicht mehr modern, sondern ganz sicher); Hermeneutik nach Kierkegaard oder/und Karl Jaspers; oder der Untergang der iberosowjetischen Kolchosen in Spanien vor Franco, die eigentlich dem Anarchosyndikalismus zuzuordnen sind. Stinknormale Sachen also. Der russische Aspekt wurde von Anatolij ins Spiel gebracht (oh Mann, ein echter Russe!), obwohl Alf und Roger lieber über ihr Thema Waffengattungen des zweiten Weltkriegs gesprochen hätten, was auch immer das bedeuten soll. Eigentlich geht mir ein solch halbgares und tendenziöses Gequatsche einigermaßen auf die Nerven, besonders mit einem Germanistikstudenten (Klaus), der sich in der Fachrichtung vertan zu haben scheint (Ich), wenn er behauptet, dass jedwede Erstellung von Texten im Grunde eine müßige Angelegenheit sei. Natürlich ist es das! Und dann ist das Arbeiten am Flughafen auch nicht gerade das Arbeiter- und Bauernparadies. Aber Steineschmeißen an der Startbahn-West, um dann von der FAG sein Gehalt zu beziehen und über die guten alten Zeiten zu nostalgisieren ist in Ordnung, du Arsch! Und das sagte ich ihm auch. Auf der Couch sitzen und Bier trinken ist müßig! Nicht wahr, Bukowski. Nichtsdestotrotz soll Klaus diese Geschichte redigieren und als Beteiligter die Handlung auf ihre Wahrhaftigkeit hin prüfen.
Und zu meiner Abschiedsfeier habe ich ihn selbstverständlich auch eingeladen. Glaube ich. Klaus ging dann frühmorgens zusammen mit 0lli, der sich auf meiner Couch in seiner Lederkombi breitgemacht hatte und mir seit zwei Stunden beteuerte, dass er in fünf Minuten verschwinden werde. Ich war total blau und habe sie dann um fünf Uhr 'rausgeschmissen. Conny war schon längst im Bett und die anderen hatten die erste Bahn genommen. Die hören nie auf! Kemal, Spiro, Martin und Olaf, der dann noch ins 'Cave' ging, der Frauen wegen - und später gibt's dann die obligatorische Dose Ravioli, oder Plastikpizza, alleine im Morgengrauen, wenn der Ofen nicht abbrennt. Pedro hat`s bislang als Maler leider nicht zu wirtschaftlichem Erfolg gebracht. Dafür waren wir ein halbes Jahr später auf seiner Hochzeit. Mittlerweile ist er Vater geworden. Keine Ahnung, ob er immer noch am Flughafen arbeitet. Ich weiß aber, dass er immer noch Kunst produziert. Seine Mutter kocht phantastisch spanische Küche, um nicht zu sagen baskische. Jürgen sehe ich vielleicht im 'Elfer' oder im 'Café Läuft'. Und Alf musste natürlich unbedingt Nachtschicht arbeiten – einfach besessen. Matthias scheint mich wohl vergessen zu haben, vielleicht wollte er aber auch seinen Freund Hermann trösten, den ich für einen blasierten Wichser halte. Psycho-Ulli hingegen hat's wahrscheinlich tatsächlich vergessen.
Wie auch immer. Niemand vermag zu sagen, was als nächstes kommen wird, um ein weiteres Klischee zu bemühen. Bevor es besser wird, kann es immer noch schlechter werden, haha. Fliegen werde ich so bald nicht mehr (oder nur mit Handgepäck). Ansgar meinte, dass ich nach Beendigung meines Studiums mit meinem Scheißmagister irgend so ein popeliger Sachbearbeiter in einer Versicherung werden würde, den könne ich mir dann in die Haare schmieren. Vielleicht hat er recht. Nur dass ich dann keine Koffer fremder Leute mehr anfassen muss, so wie er.
Ich bin's jetzt leid. Und vielleicht höre ich auch noch mit dem Rauchen auf. Jedenfalls höre ich jetzt hiermit auf.
© Rainer M. Scholz