Der Kracher - eine Fortsetzungserzählung Teil IX - Das Ende

Satire zum Thema Gesellschaft/ Soziales

von  pentz

Sich nicht für dumm verkaufen lassen

Trotzdem sind wir uns Drei einvernehmlich. Wir wissen um die Irrwitzigkeiten gesellschaftlicher Zwänge und das ist so einer. Aber der Polizist wird nicht locker lassen wie ein Piranha bei seiner Beute oder ein Krokodil oder Leguan, denen man nachsagt, man müsse ihnen die Köpfe abschlagen, ehe sie loslassen. Der Polizist hat sich in den Glauben festgefahren, dass ich dieses Buch geklaut haben müsse und also ein Dieb sei, der seiner gerechten Strafe zugeführt gehöre.
Stopp: Hier muss ich anhalten. Was jetzt kommt, kann keinem Leser zugemutet werden: die Ödnis von Wiederholungen noch und nöcher. Ich beschränke mich von daher aufs Notwendigste und mache es kurz und bündig.
Ich mache dort weiter, wo wieder Brötchen gebacken werden.
Der Polizist bittet, im Computer die Ein- und Ausgänge der Bücher zu überprüfen, falls darin verzeichnet.
„Selbstverständlich!“, sagt Michael.
„Wir überprüfen den Bestand. Fehlt eins, welches undeklariert ist, ist ein Verdachtsmoment bestätigt, fehlt keins, eins ausradiert!“
Michael schränkt jedoch ein: „Natürlich können wir das machen. Wobei aber auch keine hundertprozentige Gewähr gegeben ist. Es kommen immer wieder Fehler, beruhend auf Lässlichkeiten undsoweiter, vor.“
„Ich verstehe!“
„Aber ich mache es einmal.“
Bald verengen sich Michaels Augen und er spuckt das Ergebnis aus: „Die Bestände belaufen sich auf 20 Exemplare!“
„Hm.“
„Und nun?“ Mir ist auch eine Idee gekommen.
„Jetzt müssen sie die Bestände überprüfen, ob der Ist- mit dem Sollzustand übereinstimmt, stimmt’s?“
Michael: „Richtig!“
Ich weiß, was das heißt: Rennen nach dem Bücherregal in der Verkaufs-, dann nach der Lagerabteilung, um sämtliche vorhandene Exemplare zu zählen, eine Aufgabe für einen Bütteldienst, und wer wäre besser darin als der Kracher? Auf dass  nicht aus der Übung komme und merke, wofür er hier in der Buchhandlung Fiola unbescholtene Leser und Bücherliebhaber belästigt.
Ich setze mein breitestes Grinsen auf
Er liest, was ich denke, aber ohne Murren steht er auf und will sich gerade aus dem Raum begeben. Es ist günstig, nun meine zweite Forderung an die Männer zu bringen.
„Ich bestehe dabei, dass Herr Polizist mitgeht! Als sozusagen neutrale Person.“
Will der Polizist murren? Ich kann es nicht sagen, mein Vorschlag ist einfach der geeigneteste hinsichtlich objektiver Wahrheitsfindung.
Die beiden Männer ziehen ab.
Ich lasse mich entspannt in meinen Sessel zurückfallen und schaue verträumt aus dem Fenster.
Auf dem gegenüberliegendem Gebäude befindet sich eine riesige, blaue Weltkugel, langsam um sich selbst drehend.
Nach bitte, geht doch!

Zuerst trifft der Polizist ein, einwandfrei rhythmisch durchatmend; dann der Kracher, keuchend und nach Luft japsend, und verkündet: „Es sind noch insgesamt 18 Exemplare in unserem Bestand!“
Es klingt wie ein Triumph, obwohl es das Gegenteil darstellt. Aber verstehe einer den Kracher.
Jedenfalls Interessant, nicht 19, 20, weniger meinem vermeintlich „geklauten“ Buch, sondern minus zwei.
Habe ich denn zwei Bücher geklaut? Ich glaube nicht.
„Dass heißt dann wohl: ich habe zwei Bücher stibitzt. Wo aber ist dann das zweite Buch?“
Ich hebe dazu mein T-Shirt, greife unter meine Achseln, dann stopp. Ich spüre das Entsetzten der anderen. Ich bin ja kein Unmensch.
„So sind wir auch nicht weitergekommen!“, sagt der Polizist resigniert.
Michael grient vor sich hin.
Ich interpretiere dies als Freude über das Ergebnis. Ein warmer Blick meinerseits trifft ihn. Er lässt ihn unbeachtet.
Der Kracher, Oberkörper nach vorne zwischen seine breiten Oberschenkel gedrückt, schaut verbissen auf seine gefalteten Hände? Maria, bitt für uns Sünder! - Ist ihm seine Welt zusammengestürzt, da  zwei Bücher fehlen? An was kann man noch glauben, in dieser Welt, an was? Nicht mal mehr an die Betriebswirtschaft...
Der Kracher steht plötzlich auf. Ich verstehe ihn, das Lebens ist so inhalts- und sinnlos geworden.
Er geht ans Fenster, lehnt sich über den Sims und wirft einen Blick auf die Fußgängerzone drei Stockwerke unterhalb.
Giert er nach seinen Schuss Heroin, erwartet seinen Drogendealer? Wäre es denn, Mitleid, nein, das empfände ich trotzdem nicht.
Ich brauche es nicht tausendmal zu wiederholen, dieses sich Im-Kreis-sich-Drehen, bei dem jede Partei immer wieder seinen Standpunkt abgibt: ich meine Unschuld, der Kracher die Möglichkeit, sich getäuscht zu haben und Michael, der lächelnde, der die Möglichkeit des Irrtums seines Angestellten bekräftigt.
So mustern wir reihum sämtliche Ecken des Zimmer, wobei wir uns, scheint mir, abwechseln, also jeder stets jeweils in eine andere glotzen. Aber dort ist beim besten Willen nichts zu finden.
Der Kracher dreht jetzt Däumchen, während er ein grantiges Gesicht zieht.
Der Polizist schaut abwechselnd auf das Korpus Delicti und mich.
Und da verharrt er auch. Und das ist der Höhepunkt, weil die längste Pause, die sogar zu einer Stille wird.
Seine Augen bohren sich in meine, senden die Botschaft aus: „Ich weiß, ich weiß es genau, sie haben versucht das Buch zu klauen. Ich weiß es!“
Ich schaue unschuldig-lammfromm zurück: „Woher, woher wollen Sie das wissen? Was verschafft Ihnen ihre Sicherheit? Was?“
Er blinzelt kein bisschen, sein Lid zuckt überhaupt nicht, lange Zeit.
„Ich weiß es einfach!“
Ich lasse sein Wissen unwidersprochen und bin sehr darauf bedacht, meinen Kopf nicht zu hoch zu heben, wie ich es öfter tue. Nur nicht die Nasespitze hochgereckt halten, denn das kann fälschlicherweise als Hochnäsigkeit missverstanden werden. Ich will jetzt, in den letzten Zügen dieses qualvollen Gesprächs, nicht noch unnötig provozieren und eine Verlängerung heraufbeschwören. Mir wird allmählich die Zeit zu lang und ich habe, wie alle Anwesenden wohl, das Gefühl, hier nur meine Zeit zu verplempern.
Man spürt es nahezu körperlich, so liegt es in der Luft, ein elektrostatisches Knistern, das bald zur Entladung kommen muss. Wann ist es endlich soweit, dass der Polizist nicht mehr anders kann und die bitteren Neige ist erreicht?
Noch aber bleibt er sitzen.
„Sie hören von mir!“
Das ist an mich gerichtet und natürlich eindeutig eine Drohung, wenngleich formal-gleichgültig erklingend.
Schließlich hat er ja nichts in der Tasche gegen mich. Aber die Botschaft ist immerhin klar: über der Gerechtigkeit schwebt stets das Damoklesschwert des Gesetzes. Soll es!
Daraufhin lösen wir uns endlich auf, alles andere als in Wohlgefallen.
Froh sind wir natürlich schon, alle, sage mir keiner, der Polizistenmensch wäre es nicht.
Michael kann ich noch ein Augenzwinkern zuwerfen. Den Kracher strafe ich selbstverständlich keines Blickes. Den Polizisten ignoriere ich, um endlich durch die Tür hinauszutreten, in die Freiheit sozusagen.
Interessiert hätte mich, wer der zweite Bücherdieb gewesen ist? Schließlich haben ja zwei Bücher gefehlt. Kann sich einer mir gegenüber offenbaren? Würde mich interessieren, welchen Grund ihn dazu bewegt hat. Bestimmt genau solch ein rechtschaffener wie mir! Sei’s geklagt, wenn etwas sicher ist, dann so etwas in dieser verquerten Welt.

http://pentzw.homepage.t-online.de/literatur.htm

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