Komm, wir legen die Stadt in Brand. Komm, wir fangen an, Berlin zu hassen.

Erzählung zum Thema Andere Welten

von  SunnySchwanbeck

„Du bist so jemand, den man auf kleinkarierte Familienfeste mitnimmt, um zu rebellieren.“
„Mit der man Sektflaschen klaut und laut lachend durch dunkle Straßen rennt.“

Ich ziehe den Kragen meiner Lederjacke hoch, laufe fast geduckt durch den Regen und erinnere mich an Zeiten, wo Regen noch schön war und verrauchte Kneipen neben dir nach Jasmin rochen. Ich höre einen deiner abgefuckten Lovesongs, der keiner ist, und laufe über das glänzende Kopfsteinpflaster. Düsseldorf. Hat dir nicht gereicht. Hat dir nie gereicht. „Weißte, was hab ich hier. Das Leben ist in Berlin, das Leben lehnt am Brandenburgertor, und was mache ich? Ich esse Pappkartonpizza in irgend’ner verdreckten Gasse, wo mich alle paar Minuten ein scheiß Punker nach ner Kippe fragt. Was also, habe ich hier?“ – „[mich.] Stimmt, nichts.“
Ich setze mich auf die Rheintreppen und schaue auf das Wasser, verliebte Paare machen Panoramafotos mit Spiegelreflexkameras und lautem Gelächter. Keine lacht so schön wie du. „Ich hab gestern ein wunderschönes Mädchen gesehen, ich musste sofort an dich denken.“ Morgendliche Bettgespräche mochtest du noch nie, Jalousienschattenspiele und kalter Kaffee waren dir zu wider, genau wie meine Fragereien. „Was du wissen musst, ist meine Nummer. Das wars.“ Ich frage mich, ob jetzt irgendein alternativer Typ deinen Rücken hoch streicht und dir dabei ins Ohr flüstert, und ob du ihm all das glaubst, was ich mich nie auch nur getraut habe, zu sagen. Ich stehe auf, fahre mir durchs strähnige Haar und über die dürftig geschminkten Augen, weiter geht’s, denke ich. Hier läuft das Leben schließlich auch umher, ich sehe es doch. Hörst du? Ich sehe es. Es betrinkt sich in lauten Clubs und schließt die Augen am Rheinufer, es schlendert durch Weihnachtsmärkte und rennt durch den Bahnhof. Es ist hier, nur du bist fort.

Ich breche meine Traditionen, die nur mit dir Bestand hatten, und gehe in eine dieser Kneipen wo dir verbeulte, triefende, Unterhemdtragende Kerle, entgegen taumeln während sie ihre Bierflasche fest umkrallen. Nur ein Bier, denke ich, weiß, dass die letzten Wochen ohne dich gut eingeübter Selbstbetrug waren und bestelle mir Tequila. Er sieht das, sieht mich, sieht meine Zweifel, meinen ungeraden Eyeliner und meine kaputt geliebten Schuhe. Ich werde ihn viel zu spät bemerken, nach zu viel Tequila und zu vielen Anrufen in Abwesenheit.
Er kommt nicht auf mich zu, spricht mich nicht auf meine fuchsroten Haare oder meine eisblauen Augen an, er steht da in der Ecke, zieht gelangweilt an seiner Kippe und hat es. Auf wackligen Beinen schleiche ich mich um die Bar herum zu seinem Platz neben der Box. „Man sollte seine Grenzen kennen, nicht wahr?“ Ich schaue ihm fest in die Augen, er lacht ein bisschen. „Anscheinend kennt ihr euch. Ihr versteht euch nur einfach nicht.“ Ich beiße mir auf die Unterlippe und frage mich welche Farbe mein Gesicht wohl gerade annimmt. Du reichst mir eine Zigarette rüber und zündest dir deine mit einem Streichholz an. Du bist schön. Deine Augen sind klein und dunkel, aber du hast eine unglaublich geschwungene Unterlippe, ohne dabei weich zu wirken. „Du hast schöne Handgelenke.“ Sagst du. Völlig selbstverständlich streiche ich über die Armbänder und spüre wie sich mein Herz zusammenzieht. „Und du siehst aus wie Jemand, der nicht weiß was Hollister ist.“
Wir unterhalten uns, während alle um uns herum nur quatschen. Mein Verdacht bestätigt sich, du bist einer dieser Kerle die lässig ihre Kippen selbst drehen, und darauf warten angesprochen zu werden. Du spielst Bass. Du weißt wer Kimya Dawson ist. Du besitzt nur Chucks. Du kannst keine Krawatten binden und findest es nicht schlimm. Du bist warm. Du machst mir mein Bier mit meinem Feuerzeug auf und lachst dabei. Du hasst Berlin. Du hasst Blondinen. Du magst Pappkartonpizza und verdreckte Gassen. Hättest du die Wahl würdest du nach Irland gehen, alles über 25 Grad ist dir zu heiß. Du hast es. Und du hast mich.
„Du hast wirklich Huskyaugen.“ Wir lachen. Ich erkläre dir dass mein Name mindestens genauso abgegriffen ist, wie meine Lederjacke und muss eine Kippenlänge warten bis du etwas sagst. „Hachiko.“, „Hm?“, „Husky.“ Wie selbstverständlich richtet sich mein innerer Kompass nach dir aus, auf einmal ist alles warm, du bist der Nordpol der mir gefehlt hat, denke ich. Traue mich nicht es zu sagen, will nichts zerstören dass du vielleicht noch nicht einmal aufgebaut hast. Schweige, ziehe an deiner Zigarette, atme, lebe, vergesse sie.

Es ist zu spät um jemanden nach der Uhrzeit zu fragen, wir schleichen uns rauchend raus und lassen all die Schönheiten hinter uns, die du nicht einmal angeschaut hast. Du müsstest dich durch meine Augen sehen, um zu verstehen warum ich es zu lasse, dass du meine Hand nehmen darfst.
Und ich denke mir, ich will keine Herzzurückgarantie, ich will keine Wohnung mit Diele und buntem Balkon in Berlin.
Ich will mit dir die Stadt in Brand setzen, und wissen, dass du das Leben nicht in Berlin suchst, sondern unter meinen Kleidern findest.

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Kommentare zu diesem Text

bookishasearlgrey (29)
(02.01.12)
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 SunnySchwanbeck meinte dazu am 02.01.12:
erst einmal: danke für die empfehlung, es freut mich immer wenn bekannte gesichter mal vorbei schauen.
natürlich hast du recht, ich frage mich manchmal selbst; wie sehr ich dieses thema eigentlich noch totschreiben will, aber irgendwie hat sich noch nichts ergeben.

ich arbeite daran!
hoffentlich bist du auch in berlin gut ins jahr gerutscht, und hoffentlich sieht man sich bald mal wieder.

neujahrskuss mit wunderkerzen,
sunny.

 Dieter_Rotmund (02.01.12)
"Familenfeste"? Was ist das?

 SunnySchwanbeck antwortete darauf am 02.01.12:
ein synonym für "opossum".

 loslosch (02.01.12)
mit jugendlichem schwung, herzerfrischend. die überschrift hat was von georg kreisler (dem jüngst verstorbenen). nicht nur die überschrift.

Geh mer Tauben vergiften im Park!
lothar

 SunnySchwanbeck schrieb daraufhin am 03.01.12:
mit dem größten vergnügen, und sowieso: vielen dank.

 princess (03.01.12)
„Und du siehst aus wie Jemand, der nicht weiß was Hollister ist.“
Mist, das muss ich gewesen sein! )

Das ist ein richtig schöner, ein lebendiger Text. Einer, der durch die schwungvolle Präsenz seiner Protagonistin besticht. Und ein wenig auch durch das Bittersüße zwischen den Zeilen. Mag ich, Frau Schwanbeck!

Liebe Grüße, Ira

 SunnySchwanbeck äußerte darauf am 03.01.12:
solche menschen sind mir schon aus prinzip sympathisch. ekelhafte marke, die größtenteils von ekelhaften persönlichkeiten getragen wird. meine ganze schule ist damit infiziert.

ich danke dir, ira!
Nemoria (19)
(03.01.12)
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 SunnySchwanbeck ergänzte dazu am 03.01.12:
mein nächster text thematisiert kiwihoden, danke, nic.
Nemoria (19) meinte dazu am 04.01.12:
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kyl (57) meinte dazu am 18.06.13:
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 Ephemere (29.02.12)
Schon alleine der letzte Satz ist so einer der Sätze (Pathosalarm!) für die Ewigkeit:

"Ich will mit dir die Stadt in Brand setzen, und wissen, dass du das Leben nicht in Berlin suchst, sondern unter meinen Kleidern findest."

Darin ist meines Erachtens der ganze Text kondensiert - es ist eine Textspore, aus der der Rest auch wachsen könnte, wenn er nicht existierte und diese Spore durch leeren Raum geirrt wäre, bevor sie hätte keimen können.

Sehr gut gefällt mir auch der wandelnde Bezug des "Du"...das "Du" als eine Rolle im Leben und eine Leerstelle, die benötigt wird, gesucht wird, zu vergeben ist - und von jedem konkreten "Du", das sie ausfüllt, nicht nur anders interpretiert, sondern gänzlich zu anderen Lebensmöglichkeiten wird.

P.S.: Ich wollte vorhin per Copy/Paste den wunderschönen Ewigkeitssatz einfügen und die Zwischenablage lieferte mir stattdessen aus einer E-Mail:
"Muss das dann nach dem PHP-Upgrade erneut eingepflegt werden?"
Das wäre dann ein Kommentar für die Ewigkeit geworden
Marslaeufer (24)
(19.03.12)
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asche.und.zimt (24)
(13.04.12)
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cooori (20)
(16.09.13)
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