Keratinês

Text

von  Akzidenz

[..] Der Schlaf ist der Anstand eines jeden.

Es lässt sich sagen über diese Schrift sie handle vom Sitz des hêgemonikon für ein hêgemonikon; sie handle mithin von der Vernunft, eine Vernunft zu haben*, handle freilich vom Großen, Großes zu glauben; von jenem, was die Träne sagt, was sie uns nicht sagen möchte, weinet schließlich nicht aus Anstand einer, der nur bei sich ganz traurig ist.

* Eine solche Vernunft ist dann mindestens die ignava ratio einer ohnehinnigen Vernunft.

[Vom Zügellosen aber Rechten]
Ein jedes menschliches Geständnis gegen die Weisen des Staates oder die der Gemeinschaft - oder auch die des gemeinen Bürgers -, sowann die Schmähschriften der Pasquillanten die Unwägbarkeit der teutschen Sitte beklagen, wo allzu vielleicht nur d i e s e r Mensch zu finden sei, der er uns den Himmel mit den vielen Moralen verhärtet und in heterarchische Wunderkammern abgeschlossen, wo ein jedes anzusprechen, was ihn festhält, dem kann auch freilich viel des Mitgefühls und des eleos, ja kaum ein Ratschlag dazu abverhelfen, je eine g a n z e Antwort aus dem Volk zu hören.
Denn etwas Ganzes ist, überhaupt sehr volkstümlich, nicht Ich.
Aber mitnichten sind noch Regungen von eben jenem zu erwarten, das nur aus Ahnungen zur Sitte hält und hinter welchem Ich vermute, dass es jenen Vordergrund vereine, die ein Volk zu evozieren imstande; denn dass die Sitte Mutter vieler ist, mag viel Meinungslust angemacht haben - unter den Deutschen vor allem, von denen sich zu Viele verwaist dünken: viel Krähwinkelei aus Ehrfurcht, viel Erb-Lust aus privatio boni - denn sie meinen: Wenn das deutsch ist, kenne Ich das allzu gut(e)! Wenn mein Herz irgend die Herkunft angeht und die Luft dieser Herkunft, so soll sie auch leichtherzig zu nehmen sein! Da sträubt sich weder Holz noch Blut, noch Turm, noch Magd! Noch Hirn, leichthin etwas Stolz zu haben! Wer mag schwerer sein im Herzen, solcher Grobheit zu entkommen? der wiegelt auf gegen die Zünfte, Ritter und Knecht gegen des mehrenteils Räte, die sie zähmlich die Weisen vom Sitze der Sitte verschweigen, aber gar nicht sehr das Volk - denn das Volke sei schon von vorn vereint, und also zeitgleich mit der Seele.

[Vom Unbekannt aber Feinen]
Tatsächlich ist dasjenige a l i q u i d, nämlich jenes Etwas, auf das sich alle Spuren und Furcht der Ankläger bedränget finden, eine Unleugbarkeit vom nur sehr Ganzen der Sitte, als dem Feinen, wo es ausströmt; denn graben wir je ein Teil aus derselben heraus, so wird es unziemlich vom Ganzen sprechen und niemals von sich, wenn es irgend noch das rechte Volk angeht - und das mit vieler vettelhaften Eigenart, die zu verstehen einhundert bräuchte. Nicht nur vieles Schweigen, sondern Vorwerfen geht dem Deutschen seiner Kultiviertheit voraus - zumindest unter Deutschen wie unter heikel und übel. Auf den Straßen, in den Höfen, und auf den Agoren aller Gutbürger, da wissen wir das orthos logos aller unbewegteren Beweger von uns stehen. Möchten sie ihr'n Souverän gar noch ganz vorhängerisch? Ihr Kurzgesichtiges! Denn wer sich nahe an einer Sache tut, verschweigt das Umfeld mit den eigenen Augen, wie so ein miasmatisches Versprechen von Urkunden und Stellen des Flüchtenden herauszutreten kräftig ist: er blieb (in allen) daheim und flüchtet noch! O, er trägt zu vieles Heil zu Grunde! Bringt uns den Abstand nah und hält zurück, wie ein Berg den Alpinisten oder der Alpinist den Berge - steht er am Gipfel, so hat er Tal und Haushalt hinter sich! aber doch den Berge nicht! So der, der auf die Sitte hält - ja festhält. Er begehret noch den Ausspruch vor den Nachzüglern, begehret das Horchen unterm Berghange, das sich eilig unter Schatten hüllet, noch einen Schritt in diese Luft zu tun, um zu sehen, wie die Breite gipfelt oder pfeift - tatsächlich: das tuet sie auf einem schmalen Kamm von hohem Schwindel! Hier also habt ihr der Gesittung Thron, ihr Moralhygieniker! Hier alsdann Genugtuung vom Auf- und Abstiege der Größe! da stehet niemand und tritt fest, euer furchtsames Agglomerat und graudeutsches Gespenst von ehernen Zeugen! In diesen Umfang ihr umsiedelt, in Breite riesenhaft und sittenfest, der Gürtel und die Spange aller, doch am Hochpunkt ist kein Fleck für alle! Es sei denn, man versteht, zu fallen! und der muss endlos fallen können!

(Gipfelgleichnis - So möge man sich darauf umsehen; der große Berge sei jenes Ganze, worin Volk und Nachbaren behaftet, vom Gipfel viel zu glauben, aber besser nur vom Feinen zu haften, wo die spürbar heil'ge Klette sitzet, denn jedwede Stelle als bis auf den Gipfel sie besetzet, damit sie sich ihres Nächsten oder Übernächsten haltbar machen und viel von ihnen über oben hören und über unten, wo der Blick vollkommen ist oder nieder, und über sie und alles Übrige gelegen - oder unter ihnen, aber nie ganz bei ihnen. Was der Nachbar schätzt, das fürchte Ich aus vielm Vermuten. Was ein Mensch schätz überhaupt, das muss mir, wenn nicht herzhaft, schadhaft sein! Denn die Vermutung tut viel schöner dar, so wie jede Übelkeit von viel Erwartung! Erwartung haben: das heißt viel fertige Welt! und viel Überblick über das Fertige! Und strömen einige von ihnen nach oben, dahin, wo die Fläche schmal und hager wird und der Fels allmählich bröckelig, zum Orte der Erwartung, um die Aussicht zu besprechen, wo wir alles ineins hinfürchten, so wird ein Teile, der arrivieret, den Rest wieder hinabdrücken, und so werden weniger mit allen, als zu wenige mit wen'gen reden, während in den Spalt- und Kluften die neuen Agnaten hinausgeboren und euch alte schwere Wetter atmen. Früh wird man ihnen von der Seit anmuten, welch steiles Treiben diesen Berg umwandert, und dass man Tafeln affichiert im Steine und Troglodyten in den Tälern findet; je näher sie der Spitz gekommen, desto mehr sie sich entfernen vom Breiten. Und je weiter und breiter sie denn sind, nunmehr vom Kleineren entzücken, dass es im Größeren gelegen sei. Und vom Größeren, dass es im Kleinen.

[Annotation]
Wahrlich ist das Ganze groß und Berg; um selbander an der Spitz zu gipfeln braucht das äußerst flache Gipfel, und als noch Steigungen zu überwinden, die das Odium hinausgetragen, müsst ihr nichts als selbst die Steigung sein. Denn das Wir und Sie(!) ist Odium der Steigerung. Und in den Kanten stülpt hervor ein jedes Glied in Hang und Fels und vielen Schatten, nach rechts und links zu hören den Nachbarn, um seinen konkaven Pilz zu riechen, dass den Halt des Berges es umfried'ge! Derart helikal - ja konisch - verläuft der Bund des Körperlosen! Denn gar niemand hält sich noch die Hand! Durchaus, ihr Bürger und ihr Vielen, neigt vom Regierenden nur in die Ferne, von der Unbetretbarkeit des Großen in die Feinheiten des Kleinen hinein, vom Ondit - was wir hören - nicht zur Quelle zu gelangen: denn kommen wir zurselben Zeit, ist nichts mehr unter uns, was halten würde; denn dort schließt der Gurt des vielen Gutbluts und Gehörten, den Gipfel zum Höchsten auszuquetschen - voll und angereichert ist er davon, vor Ort jedoch, da tröpfelt jäh ein Stalagmit, Dir sein Abwasser zu klären und Enttäuschung überhauft die Riesen! Wie die Hörensagen ist die Sitte! wie das Erwarten: es bauet sich einen Hohlraum aus, vom Ergebnisse gefüllt zu werden! Endemisch ist der Fluch der Fülle! Und ergibt es sich alsdann, worauf man wartet und erwartet(!), dringen andere Formen in das Loch, die Kavität zu rühmen für ihr falsches Flimmern!
- Hat einer Attis je begriffen? der wird ahnen, welchem Gram unter der Pinie unser schöner Jüngling da in Blut gefallen: aus größter Menschenfurcht vor der Kybele, die fürcht er jäh die Propoetide! Wie als ein Göttliches gestaucht von einem echten Gott zurechtgewiesen, wie als die Kriegsgeilheit das Spielkind stürzte: Zu viele Farben hat das unbekannte Blut! Wie ohne Erinnerung beweget sich der neuer Herrscher - und ist feindlich, und rot!

[Von der Mortifikation]
Einen anderen großen Schritt hat's nötig, die Ganzheit und Leere des Volkes zu bereden. Denn wo wir alles sagen, ist doch nichts. Und wer zuviel beweist, beweist gar nichts. Hat man je einen Schritt von der grauen Acedie gesprochen, als getan? Denn auch das Untätige tut uns zu viel! Sessil und träg ist seine G u t h e i t - Deshalb heißt Unerschütterlich das Viele sein G u t e s. Das Seltene und Einzelne jedoch hält sein G u t e s mit dem Wetter gleich: und so verkleinert rühmt sich Vieles jeden heimatlichen Grad von Frost und Hitze unterm Volke zu kennen-  man glaubet auch noch heute: Recht gleich rate Ich den Leuten, wie viel sie von der Welt bereisen: der Mensch wird nicht kleiner!
Und brechen wir auf, das Ding zu finden, das sie das Verdikt der Pflichten und der Rechtmäßigkeit außerhalb des Geistes dünkt, dies orthos logos ex officio, so wird die Suche nicht beim ersten, noch beim zweiten oder dritten enden, der sich Gutmensch genug ist, auf die Reste zu verweisen, die er noch vom Staate weiß: und suchen wir auch ebenda uns die Redlichkeit ihrer gefeiten Stimmen heraus, den Kopf des aretologischen Geistes, das Symposion, ihr Kardinalwissen vom Guten, so wird auch hier uns nur ein Mensch erscheinen, ob dem der übergroße Nimbus schillert oder von viel Nichts bekümmert, wenn das Volk zu groß wurde; wiewohl es so das Volk, nicht aber den Menschen deckte! Und er deckt Land und Volk, wofern er selbstlos genug ist dazu!
Das Volk so größer ist als das Haus und tausend Zungen sich darin einen! Und in ihrem Munde stirbt die Logik! Der Staat schließlich imitiert den Stamm - welche Padiglione aber empfinden sie gegen die Wahrheit, dass die Seele ihren Stamm vermisst! und nur kurze, hieratische Schatten uns spendet im Gegenüber der Träger, die zu vielen und abervielen durch die Straß defilieren? Und welch großmütiges Erscheinen da, eine Sonne vom Amphelium auswärts zu regieren! Das mag dem besten Hammerwerfer munden!

[Vom Größeren und wahrlich Großen]
Derart gespenstisch treibt die Ferne ihr Husarenstück mit der Ärztlichkeit des Guten und Vernünftigen - Gott weiß: sogleich wer danach greifet, er greift es an, und so viele sich ereifern, über die Topographie des Unsäglichen hinwegzukommen, den gedeihlichen Dekubitus des Sesshaften zu verbinden: Zu viele sind sie und unverdaulich für den leisen, oligarchischen, mitmenschlichen Takt der Seele! Im Vorrecht von Sitte digeriert ihr besseres Organ, mit größten Bissen Größtes auszuscheiden: pars pro toto - sie tun volkstümlich in solcher Seele, dabei tut die Seele nie wie etwas, sondern bleibet sie - man hätte die Völker unter sich lassen sollen - an ihrem angestammten Platze. Der ist ein Garten in den Hängen Europas!



[..] Der Wächter hört nicht mich, sondern höret er die Wände zittern und die Treppe jammern vom Gewichte: aber sein Sterben hört er nicht in mir, sondern Menschenwerke, die ihn warnen.

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