N orbert Sternmut: Zeitschrunden
Rezension zum Thema Literatur
von Hans
Norbert Sternmut: Zeitschrunden
Doch, der Titel klingt nach Sternmut. Der Umschlag zeigt eine vom Autor maskenhaft gezeichnete Balletttänzerin auf schwarzblauem Hintergrund. Ein ungewohntes Erscheinungsbild für diejenigen, welche die vorangehenden Gedichtbände Norbert Sternmuts kennen. „edition monrepos“ heißt die neue Reihe im Ludwigsburger Pop-Verlag, deren zweiten Band ich in der Hand halte. In der kleinen Buchhandlung bei mir um die Ecke gibt es ein Gespräch über die traurigen Verse auf der Rückseite des neuen und noch versiegelten Buchs. Eine Gelegenheit mich als Lyrikkenner aufzuspielen, was der sympathischen Buchhändlerin imponiert, zumindest erweckt sie den Anschein, es sei so. Schließlich bin ich Stammkunde. Großspurig behaupte ich, dass die kühne Wortwahl und kunstvolle Komposition des Dichters sogar dem Schrecklichen eine ungeahnte Schönheit verleiht und es dadurch ertragbar macht. Die pragmatische Frau schaut mich leicht misstrauisch an: will ich sie auf den Arm nehmen? Zu sehr unterscheidet sich mein Pathos von unserer üblichen Plänkelei. Also frage ich sie noch, was sie unter „Zeitschrunden“ versteht und fahre mit dem Fahrrad nach Hause. Den neuen Sternmut lege ich auf den Schreibtisch, öffne eine Flasche Rotwein (Sternmuts Gedichte kann man auch gut mit Kristallweizenbier lesen), gieße ein und blättere neugierig drauf los. Bestimmt ist es angemessen, wenn man auch einen Gedichtband von Anfang bis zum Ende liest, schließlich hat sich der Dichter Gedanken darüber gemacht, in welcher Reihenfolge er die Gedichte anordnet. Manchmal scheint das sogar notwendig, wenn man den „lyrischen Gang der Handlung“ verstehen will, wie zum Beispiel beim „Stundenbuch“ von R.M.Rilke (doch, ich bin belesen), aber das ist mir egal. Ich suche den eigenen, ganz persönlichen Zugang, und der Zufall hilft mir dabei. Probieren wir es: ich schlage auf Seite 95 „Aus Zärtlichkeit“. Schon der Titel gefällt mir. Bei Vers 2 stutze ich „Unterschlupft“? Ist das ein Druckfehler? Es müsste doch Unterschlupf heißen. Egal. Ich könnte, müsste, wollte jetzt nachschauen im Duden, ob es dieses Wort gibt, aber mir fehlt die Lust dazu. Die folgenden Verse versöhnen und inspirieren mich und dann der Schluss – eine Reminiszenz an Peter Rühmkorfs berühmtes „sei erschütterbar und widersteh…“ Unerwartet und in ganz anderem Zusammenhang! Das ist es, was ich bei diesem Dichter liebe (unter vielem anderen): er eignet sich die Tradition an, spielt damit, aber nur scheinbar, tatsächlich bringt er ihre Bedeutung für die Gegenwart auf den Punkt und (er)öffnet damit neue Horizonte. So könnte man das heute lesen/ verstehen. Sagenhaft. „Uns ist in alten mären wunders vil geseit… OK, ich hör schon auf damit. Schauen wir doch mal auf die gegenüberliegende Seite „Besser scheitern“. Nein, das lese ich nicht, doch, doch. Also, schon wieder der zweite Vers „Niemandsbucht“. Peter Handke lässt grüßen ! Diese ewig lange Erzählung, in der nichts passiert. Ein Jahr lang! Gut, ich bin wahrlich nicht der ideale Handkeleser. Was macht Sternmut daraus? „…mit dem Gedanken an dich/ trete ich ab ins Unausweichliche,/ verblute innerlich, leicht“. Ist das ein Liebesgedicht, eine literarische Anspielung oder einfach nur gelungen? Oder alles von dem, ein bisschen oder ziemlich arg? Auch hier wieder ein dreifach donnerndes Egal. Schon der Titel tröstet und ermöglicht die Zumutungen des Lebens mit anderen Augen zu betrachten. „Besser scheitern“ ist provokativ, wenn man es genau bedenkt. Die Leichtigkeit des Untergangs wird besungen, gerühmt in einer erfolgssüchtigen Welt. Halt! Ich möchte widersprechen. Scheitern ist immer schwer. Das weiß Sternmut natürlich und bestreitet es trotzdem, und zwar grundsätzlich. Neben den Psychologen gibt es die Philosophen, die uns den Weg anbieten aus den Krisen, zumindest die interessanten von ihnen. Lyriker werden eher selten um Rat gefragt. Sie fristen ein Dasein im Off. Fast niemand käme auf die Idee in ihren Büchern und Versen Antworten zu finden auf Fragen, die uns bedrängen. Gerade Sternmut bietet sich dafür an. Er formuliert Einsichten in einer unverbrauchten Sprache, die deshalb manchmal unverständlich und schwierig anmutet, weil sie ungewohnt und eigen ist. Er spürt nicht nur, was uns widerfährt, er formuliert es. Wieso er das kann? Keine Ahnung. Er hat geübt, gearbeitet, sich entwickelt, mit uns gelebt und gelitten. Doch, doch, auch sich gefreut und unsere Illusionen geteilt, sonst wären diese Verse nicht so überzeugend. Von Goethe (Pudels Kern, S. 37) bis zu Hannes Wader (Wolkenspiel, S.57) reichen die Anklänge. Hier zeigt er dem Immerunterwegsseienden ein mögliches Ziel: „… hinter den Wolken spielst du/ mit der Muschel,/ dem Fisch an der Angel,/ nimmst ihn mit/ auf deine Weise, bis kein/ Fleisch mehr bleibt.“ Der Dichter schreibt „vom Gemurmel des Zeitschimmels.“ (S. 106), „der grau verspannten Hirnrinde“(S. 26) und dem „Schmerz der Vernunft“ (S.27), alles Themen, die in der gegenwärtigen Literatur etwas vernachlässigt werden. Traian Pop, der Ludwigsburger Verleger, schreibt zu den Bildern Sternmuts in der Zeitschrift BAWÜLON (empfehlenswert!):“ … Wie weit ist eigentlich Sternmut zu trauen? Möchte er uns wirklich etwas erklären, lehren?“ ( Nr 2-3, S. 149) Keine Ahnung, obwohl ich als Kollege tätig bin. Schön und treffend die Formulierung: „Sternmut bleibt sich treu, seiner Art von Grenzüberschreitung ins Niemandsland.“ (S. 149) Der Philosoph Ernst Bloch hätte von Transzendieren ohne Transzendenz gesprochen. Und das Niemandsland, was ist das anderes als U-topia, der Nicht-Ort, den noch keiner betreten hat? Da haben die Ritter den Gral gesucht und die Romantiker die blaue Blume. Sternmut ist weder Ritter noch Romantiker und doch beides zugleich, im verklärten und verkitschten Sinn, versteht sich. Viele Dichter, die er liebt, mag auch ich. Er benutzt ihre Verse, spielt mit ihnen, entlockt ihnen neue Sichtweisen und konfrontiert sie mit der traditionslosen Gegenwart. Eine Methode, die Bert Brecht als Verfremdungseffekt bezeichnet. Aber das trifft es nicht genau. Bei Sternmut handelt es sich eher um eine Aneignung. Noch was verbindet mich mit diesem Dichter, was sich wie ein roter Faden durch seine Werke zieht: der tiefe Glaube an die Vergänglichkeit.
Sternmut, Norbert: Zeitschrunden, Ludwigsburg 2012, 14,80 €
Hans J. Eisel
Doch, der Titel klingt nach Sternmut. Der Umschlag zeigt eine vom Autor maskenhaft gezeichnete Balletttänzerin auf schwarzblauem Hintergrund. Ein ungewohntes Erscheinungsbild für diejenigen, welche die vorangehenden Gedichtbände Norbert Sternmuts kennen. „edition monrepos“ heißt die neue Reihe im Ludwigsburger Pop-Verlag, deren zweiten Band ich in der Hand halte. In der kleinen Buchhandlung bei mir um die Ecke gibt es ein Gespräch über die traurigen Verse auf der Rückseite des neuen und noch versiegelten Buchs. Eine Gelegenheit mich als Lyrikkenner aufzuspielen, was der sympathischen Buchhändlerin imponiert, zumindest erweckt sie den Anschein, es sei so. Schließlich bin ich Stammkunde. Großspurig behaupte ich, dass die kühne Wortwahl und kunstvolle Komposition des Dichters sogar dem Schrecklichen eine ungeahnte Schönheit verleiht und es dadurch ertragbar macht. Die pragmatische Frau schaut mich leicht misstrauisch an: will ich sie auf den Arm nehmen? Zu sehr unterscheidet sich mein Pathos von unserer üblichen Plänkelei. Also frage ich sie noch, was sie unter „Zeitschrunden“ versteht und fahre mit dem Fahrrad nach Hause. Den neuen Sternmut lege ich auf den Schreibtisch, öffne eine Flasche Rotwein (Sternmuts Gedichte kann man auch gut mit Kristallweizenbier lesen), gieße ein und blättere neugierig drauf los. Bestimmt ist es angemessen, wenn man auch einen Gedichtband von Anfang bis zum Ende liest, schließlich hat sich der Dichter Gedanken darüber gemacht, in welcher Reihenfolge er die Gedichte anordnet. Manchmal scheint das sogar notwendig, wenn man den „lyrischen Gang der Handlung“ verstehen will, wie zum Beispiel beim „Stundenbuch“ von R.M.Rilke (doch, ich bin belesen), aber das ist mir egal. Ich suche den eigenen, ganz persönlichen Zugang, und der Zufall hilft mir dabei. Probieren wir es: ich schlage auf Seite 95 „Aus Zärtlichkeit“. Schon der Titel gefällt mir. Bei Vers 2 stutze ich „Unterschlupft“? Ist das ein Druckfehler? Es müsste doch Unterschlupf heißen. Egal. Ich könnte, müsste, wollte jetzt nachschauen im Duden, ob es dieses Wort gibt, aber mir fehlt die Lust dazu. Die folgenden Verse versöhnen und inspirieren mich und dann der Schluss – eine Reminiszenz an Peter Rühmkorfs berühmtes „sei erschütterbar und widersteh…“ Unerwartet und in ganz anderem Zusammenhang! Das ist es, was ich bei diesem Dichter liebe (unter vielem anderen): er eignet sich die Tradition an, spielt damit, aber nur scheinbar, tatsächlich bringt er ihre Bedeutung für die Gegenwart auf den Punkt und (er)öffnet damit neue Horizonte. So könnte man das heute lesen/ verstehen. Sagenhaft. „Uns ist in alten mären wunders vil geseit… OK, ich hör schon auf damit. Schauen wir doch mal auf die gegenüberliegende Seite „Besser scheitern“. Nein, das lese ich nicht, doch, doch. Also, schon wieder der zweite Vers „Niemandsbucht“. Peter Handke lässt grüßen ! Diese ewig lange Erzählung, in der nichts passiert. Ein Jahr lang! Gut, ich bin wahrlich nicht der ideale Handkeleser. Was macht Sternmut daraus? „…mit dem Gedanken an dich/ trete ich ab ins Unausweichliche,/ verblute innerlich, leicht“. Ist das ein Liebesgedicht, eine literarische Anspielung oder einfach nur gelungen? Oder alles von dem, ein bisschen oder ziemlich arg? Auch hier wieder ein dreifach donnerndes Egal. Schon der Titel tröstet und ermöglicht die Zumutungen des Lebens mit anderen Augen zu betrachten. „Besser scheitern“ ist provokativ, wenn man es genau bedenkt. Die Leichtigkeit des Untergangs wird besungen, gerühmt in einer erfolgssüchtigen Welt. Halt! Ich möchte widersprechen. Scheitern ist immer schwer. Das weiß Sternmut natürlich und bestreitet es trotzdem, und zwar grundsätzlich. Neben den Psychologen gibt es die Philosophen, die uns den Weg anbieten aus den Krisen, zumindest die interessanten von ihnen. Lyriker werden eher selten um Rat gefragt. Sie fristen ein Dasein im Off. Fast niemand käme auf die Idee in ihren Büchern und Versen Antworten zu finden auf Fragen, die uns bedrängen. Gerade Sternmut bietet sich dafür an. Er formuliert Einsichten in einer unverbrauchten Sprache, die deshalb manchmal unverständlich und schwierig anmutet, weil sie ungewohnt und eigen ist. Er spürt nicht nur, was uns widerfährt, er formuliert es. Wieso er das kann? Keine Ahnung. Er hat geübt, gearbeitet, sich entwickelt, mit uns gelebt und gelitten. Doch, doch, auch sich gefreut und unsere Illusionen geteilt, sonst wären diese Verse nicht so überzeugend. Von Goethe (Pudels Kern, S. 37) bis zu Hannes Wader (Wolkenspiel, S.57) reichen die Anklänge. Hier zeigt er dem Immerunterwegsseienden ein mögliches Ziel: „… hinter den Wolken spielst du/ mit der Muschel,/ dem Fisch an der Angel,/ nimmst ihn mit/ auf deine Weise, bis kein/ Fleisch mehr bleibt.“ Der Dichter schreibt „vom Gemurmel des Zeitschimmels.“ (S. 106), „der grau verspannten Hirnrinde“(S. 26) und dem „Schmerz der Vernunft“ (S.27), alles Themen, die in der gegenwärtigen Literatur etwas vernachlässigt werden. Traian Pop, der Ludwigsburger Verleger, schreibt zu den Bildern Sternmuts in der Zeitschrift BAWÜLON (empfehlenswert!):“ … Wie weit ist eigentlich Sternmut zu trauen? Möchte er uns wirklich etwas erklären, lehren?“ ( Nr 2-3, S. 149) Keine Ahnung, obwohl ich als Kollege tätig bin. Schön und treffend die Formulierung: „Sternmut bleibt sich treu, seiner Art von Grenzüberschreitung ins Niemandsland.“ (S. 149) Der Philosoph Ernst Bloch hätte von Transzendieren ohne Transzendenz gesprochen. Und das Niemandsland, was ist das anderes als U-topia, der Nicht-Ort, den noch keiner betreten hat? Da haben die Ritter den Gral gesucht und die Romantiker die blaue Blume. Sternmut ist weder Ritter noch Romantiker und doch beides zugleich, im verklärten und verkitschten Sinn, versteht sich. Viele Dichter, die er liebt, mag auch ich. Er benutzt ihre Verse, spielt mit ihnen, entlockt ihnen neue Sichtweisen und konfrontiert sie mit der traditionslosen Gegenwart. Eine Methode, die Bert Brecht als Verfremdungseffekt bezeichnet. Aber das trifft es nicht genau. Bei Sternmut handelt es sich eher um eine Aneignung. Noch was verbindet mich mit diesem Dichter, was sich wie ein roter Faden durch seine Werke zieht: der tiefe Glaube an die Vergänglichkeit.
Sternmut, Norbert: Zeitschrunden, Ludwigsburg 2012, 14,80 €
Hans J. Eisel