Atem.Zug
Skizze zum Thema Hoffnung/Hoffnungslosigkeit
von mnt
Kommentare zu diesem Text
Ein Gedicht, dass ich mehrmals gelesen habe und dessen Inhalt sich nicht sofort erschließen lässt. Schon die erste Zeile lässt einen stutzen. „Stellt ab den Strom, ich nehm mich morgen frei“. Hier will sich das lyrische Ich nicht etwas (den morgigen Tag) frei nehmen, sondern sich selbst. Das „ sich frei nehmen“ wird hier nicht wie üblich mit Dativ verwendet, sondern reflexiv, und das „morgen“ dient hier nur als Zeitangabe. Es geht also um eine Form der Befreiung, der Selbstbefreiung.
Die zweite Zeile verweist durch das Futur ebenfalls in die Zukunft, ebenso wie die sechste. „Keines Menschen Stimme werd ich hören, keine.“ In diesem Satz, der durch das nachgestellte „keine“ noch einmal eine besondere Gewichtung bekommt, liegt fast etwas Bedrohliches. Absolute Stille, Einsamkeit. Doch in dieser Stille scheint für das lyrische Ich etwas Friedliches zu liegen, es sehnt sich nach „Ruh, nur Ruh, nur Waldesruh“. Auch hier wird durch die dreimalige Wiederholung das Ausmaß deutlich, diese extreme Sehnsucht nach Ruhe. In dem Verb „umhallen“ liegt etwas Paradoxes, weil ja eben kein Klang mehr da zu sein scheint, der einen Hall erzeugen könnte. Gleichzeitig liegt darin etwas Einlullendes, Umfassendes. Insofern klingt in den „Hallen“ doch etwas (mit): Ein all umfassender, ein sich um das lyrische Ich lagernder endgültiger Frieden der Friedhofs-„Hallen“ eines Waldfriedhofs.
Zwischen diesen in die Zukunft gerichteten Versen der ersten Strophe finden sich zwei Verse, die einen Rückblick in das Vergangene geben. „Jäger war ich, Gejagte, Lauf und Blei / und hielt zu lang im Gang, um nicht zu fallen“. Das lyrische Ich (es scheint ein weibliches zu sein: „Gejagte“, sofern man Jäger als neutrale Form wertet) hat einen Kampf geführt, in dem es gekämpft hat gegen sich selbst mit seinen eigenen Waffen. Vielleicht ein Kampf gegen den Krebs, vielleicht gegen etwas anderes im Innern. Ein langer Kampf, ein langes standhaft-Bleiben in dem Tunnel, den es zu durchschreiten gilt. Doch jetzt eröffnet sich mit dem im Präsens stehenden Satz in Vers 5 endlich eine Perspektive: „Die Tür steht auf, nun kann das Käfigtier entweichen“. Eine Flucht aus diesem menschenunwürdigen Kampf („Käfigtier“), der als Gefangenschaft erlebt wird, scheint möglich. Das „Stellt den Strom ab“ wird langsam verständlich. Da wünscht sich jemand, dass endlich das Licht ausgeht, dass es endlich dunkel werde. Vor meinem Auge habe ich das Bild eines schwerkranken Menschen, dessen Tod nur noch durch lebenserhaltende Maschinen verhindert wird, der sich wünscht, dass man diese endlich abstellen möge, damit er aufhören kann zu atmen: „Stellt den Strom ab“.
Die zweite Strophe, die wie die erste sechs Verse hat und dennoch wegen der immer kürzer werdenden Zeilen viel kürzer erscheint, versinnbildlicht diese immer kürzer werdenden „Atemzüge“ bis hin zu diesem letzten, wo „die Luft still hält“. Das lyrische Ich durchschreitet den Tunnel, geht hinüber zu einem Ort, wo nicht Maschinen, sondern „das Leben“ es atmen lässt. Es wird nicht mehr sprechender Mensch sein, auch kein gefangenes Tier. Aus dem verwesenden Körper wird neues Leben entstehen, wird ein Baum mit Zweigen wachsen. Der Tod ist nicht das Ende, hat nichts Bedrohliches. Er wird vom lyrischen Ich als ein Übergang gesehen zu einer neuen Lebensform, was besonders schön durch dieses „ – ich werde“ am Ende des vorletzen Verses zum Ausdruck kommt. Das Werden als Hoffnung auf einen Neuanfang, als ein wieder heil werden, als ein „nicht zerreißen“ müssen.
Ein nachdenklich machender Text, mit dem ich mich gerne beschäftigt habe. LG BirmchenIrmchen
(Kommentar korrigiert am 30.04.2013)
Die zweite Zeile verweist durch das Futur ebenfalls in die Zukunft, ebenso wie die sechste. „Keines Menschen Stimme werd ich hören, keine.“ In diesem Satz, der durch das nachgestellte „keine“ noch einmal eine besondere Gewichtung bekommt, liegt fast etwas Bedrohliches. Absolute Stille, Einsamkeit. Doch in dieser Stille scheint für das lyrische Ich etwas Friedliches zu liegen, es sehnt sich nach „Ruh, nur Ruh, nur Waldesruh“. Auch hier wird durch die dreimalige Wiederholung das Ausmaß deutlich, diese extreme Sehnsucht nach Ruhe. In dem Verb „umhallen“ liegt etwas Paradoxes, weil ja eben kein Klang mehr da zu sein scheint, der einen Hall erzeugen könnte. Gleichzeitig liegt darin etwas Einlullendes, Umfassendes. Insofern klingt in den „Hallen“ doch etwas (mit): Ein all umfassender, ein sich um das lyrische Ich lagernder endgültiger Frieden der Friedhofs-„Hallen“ eines Waldfriedhofs.
Zwischen diesen in die Zukunft gerichteten Versen der ersten Strophe finden sich zwei Verse, die einen Rückblick in das Vergangene geben. „Jäger war ich, Gejagte, Lauf und Blei / und hielt zu lang im Gang, um nicht zu fallen“. Das lyrische Ich (es scheint ein weibliches zu sein: „Gejagte“, sofern man Jäger als neutrale Form wertet) hat einen Kampf geführt, in dem es gekämpft hat gegen sich selbst mit seinen eigenen Waffen. Vielleicht ein Kampf gegen den Krebs, vielleicht gegen etwas anderes im Innern. Ein langer Kampf, ein langes standhaft-Bleiben in dem Tunnel, den es zu durchschreiten gilt. Doch jetzt eröffnet sich mit dem im Präsens stehenden Satz in Vers 5 endlich eine Perspektive: „Die Tür steht auf, nun kann das Käfigtier entweichen“. Eine Flucht aus diesem menschenunwürdigen Kampf („Käfigtier“), der als Gefangenschaft erlebt wird, scheint möglich. Das „Stellt den Strom ab“ wird langsam verständlich. Da wünscht sich jemand, dass endlich das Licht ausgeht, dass es endlich dunkel werde. Vor meinem Auge habe ich das Bild eines schwerkranken Menschen, dessen Tod nur noch durch lebenserhaltende Maschinen verhindert wird, der sich wünscht, dass man diese endlich abstellen möge, damit er aufhören kann zu atmen: „Stellt den Strom ab“.
Die zweite Strophe, die wie die erste sechs Verse hat und dennoch wegen der immer kürzer werdenden Zeilen viel kürzer erscheint, versinnbildlicht diese immer kürzer werdenden „Atemzüge“ bis hin zu diesem letzten, wo „die Luft still hält“. Das lyrische Ich durchschreitet den Tunnel, geht hinüber zu einem Ort, wo nicht Maschinen, sondern „das Leben“ es atmen lässt. Es wird nicht mehr sprechender Mensch sein, auch kein gefangenes Tier. Aus dem verwesenden Körper wird neues Leben entstehen, wird ein Baum mit Zweigen wachsen. Der Tod ist nicht das Ende, hat nichts Bedrohliches. Er wird vom lyrischen Ich als ein Übergang gesehen zu einer neuen Lebensform, was besonders schön durch dieses „ – ich werde“ am Ende des vorletzen Verses zum Ausdruck kommt. Das Werden als Hoffnung auf einen Neuanfang, als ein wieder heil werden, als ein „nicht zerreißen“ müssen.
Ein nachdenklich machender Text, mit dem ich mich gerne beschäftigt habe. LG BirmchenIrmchen
(Kommentar korrigiert am 30.04.2013)
Hallo BirmchenIrmchen,
herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar –es war mir eine Freude ihn zu lesen. In vielen Teilen stimmen deine Lesarten mit dem überein, was ich ausdrücken wollte bzw. beim Schreiben im Kopf hatte. An lebenserhaltenden Maschinen dachte ich nicht, finde diesen Gedankengang jedoch sehr stimmig.
Das lyrIch sehnt sich stark nach einem Übergang in eine neue Lebensform, einen Neuanfang ein anderes (menschenwürdiges Sein, ja, jedoch - so wie ich es mir dachte;) - möchte es diesen nicht durchs Sterben sondern durch eine Befreiung aus Zwängen erreichen. Wie geschrieben, das Lesen des Kommentars hat mich sehr gefreut, insbesondere, weil es meine Denkrichtung erweitert hat.
LG mnt
herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar –es war mir eine Freude ihn zu lesen. In vielen Teilen stimmen deine Lesarten mit dem überein, was ich ausdrücken wollte bzw. beim Schreiben im Kopf hatte. An lebenserhaltenden Maschinen dachte ich nicht, finde diesen Gedankengang jedoch sehr stimmig.
Das lyrIch sehnt sich stark nach einem Übergang in eine neue Lebensform, einen Neuanfang ein anderes (menschenwürdiges Sein, ja, jedoch - so wie ich es mir dachte;) - möchte es diesen nicht durchs Sterben sondern durch eine Befreiung aus Zwängen erreichen. Wie geschrieben, das Lesen des Kommentars hat mich sehr gefreut, insbesondere, weil es meine Denkrichtung erweitert hat.
LG mnt
wa Bash (47)
(30.04.13)
(30.04.13)
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Danke fürs Kommentieren und ja, das wollte ich (auch) hineinlegen. Grüße mnt