Dem Ennui auf meiner Schulter

Text

von  Diablesse

Durch trübe Augen blicke ich auf den Tag, der vor mir liegt, wie auf die übriggebliebenen Scherben des letzten zwischenmenschlichen Tohuwabohus. Beides habe ich mir in der vergangenen Gegenwart irgendwie größer vorgestellt. Und den Himmel, der mich an diesem Tag erwartet, blauer. Doch die Vorsorge vermag es, dass meine himmelblauen Vorhänge mir jedes Wettertief veredeln.

Leben ist mehr als Atmen und so beschließe ich mich zu bewegen. Es wird behauptet, dass ich mich in der Bewegung bzw. durch die Bewegung nicht verändere, dass der Mensch in der Lage dazu sei, einen sich in der Zeit bewegenden Körper als ein und denselben zu erkennen. Daran zweifle ich, denn schon beim Aufstehen bin ich – ein anderer, wie Kertész sagen würde.

Ich trotze der Ewigkeit wie dem Wettertief und versuche mich am Radschlagen auf einer nassen Wiese. Die Wolken kitzeln mich dabei unangenehm an den Fußsohlen. Aus dem nichts taucht eine Menge an Individuen – einem Kollektiv gleich – auf und erstarrt zu Menschenguss. „Stillstand kann ich!“, denke ich noch beim Fallen.

Meine Kleidung – wie die Wiese nass – ließ ich zum Glück Zuhause auf der Wäscheleine, sodass dieser negative Aspekt mich nicht zum Heimgehen zwingen kann, weswegen ich mich indeterminiert, also völlig freiwillig dazu entscheide. Im Badezimmerspiegel betrachte ich das, was von meinem Antlitz übrig ist. Überrascht erblicke ich dabei einen Notizzettel, der an meinem Haupt klebt: Außer Funktion. Ich ärgere mich, denn ich wollte meinen Kopf gerade benutzen. Also nicht gerade, aber später sicherlich. Doch die Batterie meines Neuronenfeuerwerks scheint ausgelaufen zu sein; anders kann ich mir das Hin-und-her-Schwappen des Hirnbads nicht erklären. Die Säure hat in der Folge das übrige Knallwerk getränkt, so dass auch in Zukunft in meinem Schädel nichts passieren wird.

Schade, denke ich und versuche eine etymologische Herleitung des Wortes ausgehend von Schädel. Die Ähnlichkeit ist bestechend. Doch das dachte ich von mir und meinem Spiegelbild auch einst. Neuerdings zeigt es indes etwas ängstlich Stierendes, argwöhnisch Zweifelndes. Dies führte in logischer Konsequenz dazu, dass ich kopfscheu wurde. Wenn die Sprache mein Abbild ist, brauche ich doch keinem Spiegel der Welt mehr trauen! Ich schreibe und frisiere mir mein Ich gleichermaßen mit Worten zu recht. Apperzeptionsverweigerung!

Bekleidet mit einem Wortnegligé verlasse ich die Wohnung erneut, auf der Suche nach einem Lückenbüßenden für meinen kärglichen Stoff. Das Gerüst steht, denke ich, und betrachte ich Werbeplakate, benötigen moderne Menschen gar nicht mehr als das. Das Stützwerk des Einzelnen – marode und zum Abriss bereit. Ein Behelf, das weniger der Not als vielmehr der Einbildung geschuldet ist, und die Leerheiten schließt, die in meinen Geist Löcher fressen als hätte dieser Motten, mehr strebt das Individuum Richtung Erkenntnis gar nicht an. Die Beschwerlichkeit der Realisierung in der Jetztzeit ist jedoch offenkundig.

Ausgelaugt vom Leidensgang meiner Unternehmung kehre ich des Nachtens dahin zurück, wo ketzerisch der Tag begann und wohin mich Verdruss, Spleen und Unbill begleiten. Dahin, wo meine Vorhänge mir nach wie vor den schönsten Himmel zeigen. Während ich meine Augen fälle vor diesem abbrüchigen Tag und erneut den zuvor misslungenen Stillstand im Liegen, Lieben und Leben übe, erinnere ich mich daran, dass ich in der Erstarrung, der Kristallisation wenigstens Ich bleibe. Na welch ein Glück!


Anmerkung von Diablesse:

(gewidmet: Dem Ennui auf meiner Schulter)

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Kommentare zu diesem Text

rochusthal (71)
(12.05.14)
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 Diablesse meinte dazu am 25.05.14:
ich kann jedes wort nachvollziehen.
du hast mich vermutlich erwischt.
aber es geht eben auch in prosa.

 Vessel (21.05.14)
nein, ich bin froh, dass es kein gedicht geworden ist.
du hast mir einmal geschrieben (vor hundertausend internetjahren) dass du gerne mehr als nur assoziationen als kommentare wünschst.
und seitdem habe ich keinen deiner texte mehr kommentiert.
es ist recht schwer, zumindest für mich, über die reine assoziation hinauszugehen.
die denkweise deines ichs ist zerrüttet. die sätze passen kaum zueinander, ergeben auch ganz objektiv betrachtet wenig sinn. es scheint also mehr ein geisteszustand zu sein, den du beschreibst, denn ein fortlaufendes geschehen. es ist wie das worte suchen, um einen zustand zu beschreiben, den man selbst nicht versteht, bzw in dem man nicht in der lage ist, einen festen gedanken zu fassen.
oder es ist das suchen nach dem perfekten bruch des satzes, von dir als autorin. und, wie gesagt, bin ich froh, auch deshalb, dass es kein gedicht ist.

 Diablesse antwortete darauf am 25.05.14:
ich danke dir für deine meinung. es konnte einfach kein gedicht werden, nicht in der verworrenheit.
vergiss, was ich dir vor internetlichtjahren schrieb. freie assoziationen sind doch schließlich alles, was wir haben. über mehr kommentare von dir und mehr assoziationen würde ich mich sehr freuen.
du hast vollkommen richtig den desolaten geisteszustand des erzählers erfasst. brüchig in sinn und satz und selbst.
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