Nintendo
Märchen zum Thema Krieg/Krieger
von Augustus
Irgendwo weit in den Tiefen von Afghanistan, wo der Krieg die Menschen aus ihren Häusern ins Unbekannte verscheucht und ins Unglück gestürzt hat, wo in jeder Wand Einschusslöcher zu sehen sind, lebte einst eine sehr ärmliche Familie, Vater, Mutter, Kind, am Rand der Existenz, die trotz allem um keinen Preis der Welt ihr Haus verlassen wollten. Darunter lebte ein kleiner Junge namens: Nintendo. Er war ein Kind mit dunklen braunen Augen, schwarzen Haaren, sonnengebräunter Haut, von stillen, braven, recht heiteren Wesen und er spielte liebend gern draußen, jedoch stets für sich allein und immer dort wo der Brunnen stand, in den er oft kleine und größere Steine hinein warf, die er am Boden fand. „Nintendo! Nintendo!“ rief die Mutter von Weitem, wie jedes Mal. „Komm’ nach Hause, das Essen ist fertig!“ Der kleine Junge hörte die Stimme und lief nach Hause. Ungeachtet dessen erschienen drei Terrorristen von der anderen Seite mit Waffen ausgerüstet, die so aussahen, als wären sie vor irgendetwas oder irgendjemanden auf der Flucht. Sie erblickten das Haus und sahen über dem Schornstein den Qualm in die Luft fliehen. Sie übersahen und merkten nicht, dass im Verborgenen aber eine Kampfdrohne jeden ihrer Schritte beobachtete. Die drei Männer, wohl erschöpft von einer langen Reise, traten ohne Anklopfen in das Haus ein. Die Drohne, die alles beobachtet hatte, flog leicht heran und positionierte sich in einen Winkel, in welchem sie versteckt blieb und von welchem aus sie die Handlungen aller Menschen durch das Fenster des Hauses im Innern des Raumes verfolgen konnte. Nintendo betrat über den Hinterhof das Gebäude und gelangte durch die Hintertür in sein Schlafzimmer. Eine weitere Tür trennte sein Zimmer von der Küche. Der Geruch eines frisch gekochten Gerichtes umspielte seine Nase und er spürte seinen Magen. Weiterhin vernahm er zischende Stimmen aus der Küche, die er miteinander aufgeregt sprechen hörte. Draußen im Winkel spähte die Kampfdrohne jede Einzelheit des Geschehens aus. Eine Meldung vom Hauptquartier wurde empfangen und ihre Systeme wechselten von Grün auf Rot; und dann…
Als Nintendo die Tür aufschloss konnte er seinen Augen nicht trauen. Vor ihm eröffnete sich in der Weite und Breite eine wunderliche, bunte und warme Welt auf. Ihm stockte der Atem. Nach einer kurzen Überwindung seiner Überraschung machte er ganz in Erstaunen und ohne wirklich darüber nachzudenken, ohne irgendeinen Zweifel, seinen ersten Schritt in sie hinein. Da schloss sich hinter ihm die Tür schwungvoll zu. Sein erster Eindruck, den er von der Welt eingenommen hatte, hatte ihn ganz und gar in Bann gezogen. Solche Schönheit und zugleich Merkwürdigkeit hatte er noch nie zuvor gesehen. Am glitzernden Himmel etwa leuchteten zwei karamell-goldbraunen Monde und weit in der Ferne, so schien es, stand eine Art Gebäude Mitten in einem Labyrinth, als er von der Anhöhe schaute in das Tal herunter. Die unschuldigen rosazarten Wolken türmten sich zu Bergen und zogen langsam über ihn hinweg. Er verschwendete keinen Gedanken daran, sich zu fragen, warum denn diese Welt so ist, wie sie ist und wie er in sie hineingekommen sei. Das interessierte ihn nicht. Viel mehr machte er eine sehr neuartige Entdeckung, als er nach einiger Zeit eine rote runde Tulpe vor sich in der Erde sah, die sich hin und her wog. Er kam näher zu ihr und bückte sich zu ihr herunter. „Oh, bitte, esse mich nicht. Bitte, esse mich nicht, Fremdling.“ sprach die Tulpe kleinmutig und ängstlich.
„Warum sollte ich dich denn essen?“ fragte Nintendo neugierig.
„Weil ich aus Zuckerguss und zarten Mandelnblättern bin und Kinder mögen das.“ erwiderte die Tulpe.
„Habe keine Angst, ich werde dich nicht essen. Aber warum kannst du denn sprechen?“ fragte er.
„Jede Blumen hier kann sprechen, weißt du das denn nicht?“ erwiderte die Tulpe.
„Nein,“ sagte das Kind, „woher auch, ich habe noch nie vorher eine solche Blume wie dich gesehen.“
„Oh du kleines armes Kindchen, wo kommst du denn her?“ fragte die Tulpe, in dem sie sich wieder in Sicherheit neigte.
„Aus dem Dorf…“sagte es, „ich war am Brunnen spielen und als mich meine Mama rief, ich solle essen kommen…dann bin ich hier her gelangt.“
„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ fragte die Tulpe und neigte sich zu ihm. Nintendo spitzte seine Ohren.
„Alles hier ist aus Süßigkeiten gemacht,“ sagte die Tulpe freudvoll, „die ganze Welt besteht aus Süßem, Der rote Fluss etwa, den du sicherlich bald sehen wirst, der ist aus süßem Kirschsaft, und die blauen Büsche und Bäume, ja die sind aus Marzipan gemacht und, und, der Nebel, den du vielleicht auch antreffen wirst, der ist aus Zuckerwatte.“
Nintendos Augen wuchsen bei jedem Wort der Tulpe, und allein vom Zuhören knurrte sein Bauch. Seine Fantasie führte ihm die leckersten Süßigkeiten vor Augen.
„Träum’ dir eine Süßigkeit aus.“ sagte die Tulpe.
Wenige Augenblicke später, als der kleine Junge seine Einbildung spielen ließ, geschah etwas sehr Spannendes am Himmel. Ein Schauer fiel herein und überraschte das Kind. Doch als es genauer hin sah, und einen Schauerklumpen aufhob, ihn von allen Seiten betrachtete und vorsichtig mit der Zunge kostete, konnte er es kaum glauben.
„Ist das wahr oder träume ich!“ rief Nintendo überglücklich, „es ist ein Bonbon! Ein echt sehr leckerer Bonbon!“
In seiner ganzen Freude lief er rundherum umher und sammelte emsig die Bonbons ein. „Dass du mir ja nicht zu viele isst, hörst du,“ ermahnte ihn die Tulpe, „sonst bekommst du sehr schlimm Bauchweh.“
Doch was kümmert das Kind das, wenn es seine zwei Hände voller Süßigkeiten hat? Von Bonbons bald gesättigt verspürte er einen großen Durst.
„Wo kann ich hier etwas trinken?“ fragte er.
„Du kannst vom Fluss trinken.“ sagte die Tulpe.
„Und wo kann ich ihn finden?“ fragte er.
„Wenn du den Weg weiter runter gehst ins Tal.“ antwortete sie.
„Bevor ich gehe,“ sagte er, „weißt du vielleicht welches Gebäude dort in der Mitte ist, welches im Labyrinth steht?“
„Das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß es selbst nicht.“ antwortete die Blume enttäuscht.
„Und weißt du vielleicht wie ich wieder nach Hause komme?“ fragte er.
„Möchtest du denn überhaupt wieder nach Hause?“ fragte sie.
„Du weißt es nicht, stimmt’s?“ erwiderte er.
„Es tut mir leid, ich weiß es wirklich nicht.“ antwortete die Blume indem sie traurig den Kopf senkte.
„Na dann muss ich’s wohl selbst herausfinden.“ sagte er; und brach mit einer großen Portion Mut zu seinem weiteren Weg auf.
Recht herzlich verabschiedete sich Nintendo von der Tulpe und begab sich nun zum Fluss hinunter. Er genoss unterwegs den leise flüsternden Wind, der durch die Bäume sauste und die Wälder zum vergnüglichen Tanzen bewegte, die um ihn herum ihn umschlossen. Es war als ob alles in rastloser Bewegung zu sein schien. Seinen Augen eröffnete sich bald ein herrlicher Anblick: klein geraspelte Kokosnussameisen, die winzige Lakritzstängel aus den Kakaobüschen wegtrugen, krabbelten in einer geraden Linie den Weg entlang. Auf einem Zimtstrauch saß eine hauslose Vanillepuddingschnecke und klebte am Rande eines Zimtstrauchblattes. Milchkeksschwalben flatterten am Himmel und drehten ihre Runden. Ein Milchreiswurm kroch mit aller Mühe einen Zuckergrashalm herauf. Honignachtigallen verzauberten mit ihren schönsten Liedern die weite Gegend.
Als er dann viele Schritte gegangen, sich zu allen Seiten hin gewandt, zu sehen, zu staunen, zu bewundern, zu riechen, zu schmecken; er hörte unweit das Rauschen des Flusses. Der Kirschsaft floss in einem gemächlichen Gang dahin, schlängelte sich und endete mit den anderen Flüssen entlang des Tals, so wie man es erkennen konnte, in der Labyrinthmitte. Zu allererst fiel Nintendo zu Knien, beugte sich über den Fluss und nahm einen großen Schluck zu sich. Noch nie zuvor hatte er so wohltuende und süße Flüssigkeit getrunken. Als er sich satt getrunken hatte, überlegte er, wie es nun für ihn weitergehen sollte. Es schien, als bliebe ihm nichts anderes übrig, nun weiter zu kommen, als in das Labyrinth hinein zu gehen. Grübelnd blickte er umher und sah sich nach einer Brücke um. Doch konnte er keine sehen. Wie sollt’ ich nun in das Labyrinth gelangen, wenn keine Brücke über den Fluss führt? „dachte er.“
Als er so nachdenkend da stand und in den Fluss schaute, verzerrte sich sein Spiegelbild, dass der Kirchsaft wiedergab, und war am verschwimmen, als aus diesem das Köpfchen eines Waldbeerenpferdchen hervor lugte. Verwundert sahen sich beide an. Die kleinen runden Äugelchen des Fisches ruhten auf Nintendos Gesicht. „Willst du hinüber?“ piepste das Waldbeerenpferdchen.
„Schon.“ Antworte der kleine Junge.
„Wenn das so ist, kann ich dir helfen, du musst nur Platz auf meinem Rücken nehmen.“ piepste es.
Da musste Nintendo aber sehr lachen.
„Du bist so winzig klein. Ich bin so groß. Wie soll das gehen?“ fragte der Junge schmunzelnd.
„Ach ich Dummerchen.“ sagte es. „Du musst von der Himbeere da drüben kosten.“
„Und dann?“ fragte er.
„Du wirst schon sehen.“ antwortete es mit einem verschmitzten Lächeln.
„Du willst mich doch nicht vergiften?“ fragte er besorgt.
„Das würde ich niemals tun.“ erwiderte es.
„Versprochen?“
„Vertrau’ mir.“
Nintendo pflückte, wie es ihm gesagt wurde, vom nächsten in der Nähe stehenden Himbeerstrauch eine Beere ab und aß diese. Wie durch einen Zauber fing Nintendo an zu schrumpfen. Kleiner und immer kleiner wurde er, und größer und immer größer wuchs alles um ihn herum.
„Ich bin ganz winzig. Ein Zwerg. Was hast du mit mir gemacht?“ fragte er erbost und man konnte eine Falte auf seiner Stirn sehen.
„Ich war’s nicht, die Himbeere war’s.“ antworte das Waldbeerenpferdchen lächelnd.
„Bleibe ich jetzt für immer so klein?“ fragte er beängstigt.
„Nein, nur für wenige Zeit. Keine Sorge. Sehe es so: Nur in dieser Größe kann ich dich zum anderen Ufer bringen.“ piepste es.
„So habe ich das gar nicht gesehen. Aber du hast recht. Entschuldige bitte dass ich Böse auf dich war.“ sagte er.
„Schon gut. Kommst du nun?“ piepste es.
Und so transportierte das Waldbeerenpferdchen den kleinen Nintendo über den Fluss an das
andere Ufer. Als es ihn abgesetzt hatte, wünschte es ihm noch eine gute Reise und dass er unversehrt auch dorthin gelange, wohin in der Weg auch führen möge. Nun stand er vor dem Labyrintheingang und sah sich die Mauern an, aus denen das riesige Konstrukt der Verworrenheit errichtetet wurde. Sie bestanden aus dicken undurchdringlichen Zuckerplatten, die so fest in ihrer Dichte waren wie Diamant. Aber sie schmecken gut, dachte er, als er daran leckte. Sein kindlicher Einfall, er könne ja in die Mauer ein Loch essen, brachte ihn selbst zum Schmunzeln. Jeden Gedanken, der ihm hilfreich erschien, verwarf er und sah nach weiterem Nachdenken ein, dass ihm also nichts anderes übrig blieb, als einen Pfad einzuschlagen und sich durch die Wirren des Labyrinths zu kämpfen. Es verging eine geraume Zeit in der er sich ununterbrochen verirrte und eine Sackgasse nach der anderen betrat und so den Weg zurück gehen musste bis zu einem scheidenden Pfad, welchen er dann nahm. Jederzeit seinem Gefühl vertrauend, das ihn von Pfad zu Pfad immer tiefer in das Innere führte, offenbarte sich ihm, nach vielen Mühen und Laufschritten, endlich der Ausgang des Irrgartens.
Vor sich sah er die Flüsse sich zu einem großen See verinigen, der hinter dem Gebäude lag. In der Nähe war ein Brunnen, so ein Brunnen, welchen er so oft gesehen und an dem er so oft gespielt hatte. Sein Brunnen. Es war ihm nun alles vertraut. Das Gebäude war das Heim seiner Eltern. Er fühlte sich dabei, wie von einer langen Reise heimgekehrt, endlich am Ziel angekommen und er würde, wenn er nun die Tür aufmachen, seine Eltern im Wohnzimmer zusammen vorfinden, die auf ihn warten; er würde, so glücklich wie er gerade war, ihnen um den Hals fallen, alle die Begebenheiten und Bekanntschaften, die er während seiner Reise gemacht hatte, erzählen, und von den Wunderen, die er gesehen, berichten.
In dieser wunderschönen Aussicht lief Nintendo zur Tür hin; als dann auf einmal vom Himmel diagonal ein flammender Meteor fiel, auf das Dach herunter genau. Das Haus war mit einemmal zerstört. Er blieb vor Schrecken stehen. Sein versteinertes Gesicht sprach tausend Worte. Seine Seele jedoch rief nur: Mama! Papa!
Aus den Flüssen trat plötzlich der Kirschsaft, der die Landschaft überflutete. Der Wind, der noch vorhin so belebend wehte, wurde immer schwächer und schwächer an seinen Schwingen. Die Wolken, die am Himmel zogen, schwanden. Die ganze Welt fing an kalt zu werden, als würde der Winter einbrechen. Es fing bald die Erde an zu beben und zu brausen und zu verfallen, als würde der heruntergefallene Meteor, der in sie mit Wucht eingeschlagen, sie verschlingen.
„Nintendo. Nintendo.“ erklang es leise, „Fürchte dich nicht. Ich rette dich.“ ertönte dann lauter eine raue unbekannte Stimme.
„Wer ist da?“ rief der Junge erschrocken.
„Ich halte viel Spielzeug bereit für dich.“ zischte es durch die Luft.
„Wirklich?“ rief er erstaunt.
„Ich halte auch viel Süßigkeiten bereit für dich.“ säuselte es im Wind.
„Und wer bist du, dass du mir das alles bieten kannst?“ fragte der Junge.
„Man nennt mich den Erlkönig.“ raunte es durch die Luft.
„Ohne meinen Papa und ohne meine Mama gehe ich aber nirgends wo hin!“ rief der Junge.
Plötzlich öffnete sich der Himmel und zwei Erscheinungen traten hervor.
„Papa! Mama!“ rief Nintendo.
„Ich kann euch vereinen“, sprach der Erlkönig, „du musst nur meine Hand nehmen.“
Papa! Mama! Ich komme, ich komme! zu euch, rief der Junge überglücklich, während er seine Hand dem Erlkönig ausstreckte und mit Tränen in den Augen nach seinen Eltern sah. Als die Soldaten das Haus stürmten, waren alle erschossen und das Kind lag tot.
Als Nintendo die Tür aufschloss konnte er seinen Augen nicht trauen. Vor ihm eröffnete sich in der Weite und Breite eine wunderliche, bunte und warme Welt auf. Ihm stockte der Atem. Nach einer kurzen Überwindung seiner Überraschung machte er ganz in Erstaunen und ohne wirklich darüber nachzudenken, ohne irgendeinen Zweifel, seinen ersten Schritt in sie hinein. Da schloss sich hinter ihm die Tür schwungvoll zu. Sein erster Eindruck, den er von der Welt eingenommen hatte, hatte ihn ganz und gar in Bann gezogen. Solche Schönheit und zugleich Merkwürdigkeit hatte er noch nie zuvor gesehen. Am glitzernden Himmel etwa leuchteten zwei karamell-goldbraunen Monde und weit in der Ferne, so schien es, stand eine Art Gebäude Mitten in einem Labyrinth, als er von der Anhöhe schaute in das Tal herunter. Die unschuldigen rosazarten Wolken türmten sich zu Bergen und zogen langsam über ihn hinweg. Er verschwendete keinen Gedanken daran, sich zu fragen, warum denn diese Welt so ist, wie sie ist und wie er in sie hineingekommen sei. Das interessierte ihn nicht. Viel mehr machte er eine sehr neuartige Entdeckung, als er nach einiger Zeit eine rote runde Tulpe vor sich in der Erde sah, die sich hin und her wog. Er kam näher zu ihr und bückte sich zu ihr herunter. „Oh, bitte, esse mich nicht. Bitte, esse mich nicht, Fremdling.“ sprach die Tulpe kleinmutig und ängstlich.
„Warum sollte ich dich denn essen?“ fragte Nintendo neugierig.
„Weil ich aus Zuckerguss und zarten Mandelnblättern bin und Kinder mögen das.“ erwiderte die Tulpe.
„Habe keine Angst, ich werde dich nicht essen. Aber warum kannst du denn sprechen?“ fragte er.
„Jede Blumen hier kann sprechen, weißt du das denn nicht?“ erwiderte die Tulpe.
„Nein,“ sagte das Kind, „woher auch, ich habe noch nie vorher eine solche Blume wie dich gesehen.“
„Oh du kleines armes Kindchen, wo kommst du denn her?“ fragte die Tulpe, in dem sie sich wieder in Sicherheit neigte.
„Aus dem Dorf…“sagte es, „ich war am Brunnen spielen und als mich meine Mama rief, ich solle essen kommen…dann bin ich hier her gelangt.“
„Soll ich dir ein Geheimnis verraten?“ fragte die Tulpe und neigte sich zu ihm. Nintendo spitzte seine Ohren.
„Alles hier ist aus Süßigkeiten gemacht,“ sagte die Tulpe freudvoll, „die ganze Welt besteht aus Süßem, Der rote Fluss etwa, den du sicherlich bald sehen wirst, der ist aus süßem Kirschsaft, und die blauen Büsche und Bäume, ja die sind aus Marzipan gemacht und, und, der Nebel, den du vielleicht auch antreffen wirst, der ist aus Zuckerwatte.“
Nintendos Augen wuchsen bei jedem Wort der Tulpe, und allein vom Zuhören knurrte sein Bauch. Seine Fantasie führte ihm die leckersten Süßigkeiten vor Augen.
„Träum’ dir eine Süßigkeit aus.“ sagte die Tulpe.
Wenige Augenblicke später, als der kleine Junge seine Einbildung spielen ließ, geschah etwas sehr Spannendes am Himmel. Ein Schauer fiel herein und überraschte das Kind. Doch als es genauer hin sah, und einen Schauerklumpen aufhob, ihn von allen Seiten betrachtete und vorsichtig mit der Zunge kostete, konnte er es kaum glauben.
„Ist das wahr oder träume ich!“ rief Nintendo überglücklich, „es ist ein Bonbon! Ein echt sehr leckerer Bonbon!“
In seiner ganzen Freude lief er rundherum umher und sammelte emsig die Bonbons ein. „Dass du mir ja nicht zu viele isst, hörst du,“ ermahnte ihn die Tulpe, „sonst bekommst du sehr schlimm Bauchweh.“
Doch was kümmert das Kind das, wenn es seine zwei Hände voller Süßigkeiten hat? Von Bonbons bald gesättigt verspürte er einen großen Durst.
„Wo kann ich hier etwas trinken?“ fragte er.
„Du kannst vom Fluss trinken.“ sagte die Tulpe.
„Und wo kann ich ihn finden?“ fragte er.
„Wenn du den Weg weiter runter gehst ins Tal.“ antwortete sie.
„Bevor ich gehe,“ sagte er, „weißt du vielleicht welches Gebäude dort in der Mitte ist, welches im Labyrinth steht?“
„Das kann ich dir leider nicht sagen. Ich weiß es selbst nicht.“ antwortete die Blume enttäuscht.
„Und weißt du vielleicht wie ich wieder nach Hause komme?“ fragte er.
„Möchtest du denn überhaupt wieder nach Hause?“ fragte sie.
„Du weißt es nicht, stimmt’s?“ erwiderte er.
„Es tut mir leid, ich weiß es wirklich nicht.“ antwortete die Blume indem sie traurig den Kopf senkte.
„Na dann muss ich’s wohl selbst herausfinden.“ sagte er; und brach mit einer großen Portion Mut zu seinem weiteren Weg auf.
Recht herzlich verabschiedete sich Nintendo von der Tulpe und begab sich nun zum Fluss hinunter. Er genoss unterwegs den leise flüsternden Wind, der durch die Bäume sauste und die Wälder zum vergnüglichen Tanzen bewegte, die um ihn herum ihn umschlossen. Es war als ob alles in rastloser Bewegung zu sein schien. Seinen Augen eröffnete sich bald ein herrlicher Anblick: klein geraspelte Kokosnussameisen, die winzige Lakritzstängel aus den Kakaobüschen wegtrugen, krabbelten in einer geraden Linie den Weg entlang. Auf einem Zimtstrauch saß eine hauslose Vanillepuddingschnecke und klebte am Rande eines Zimtstrauchblattes. Milchkeksschwalben flatterten am Himmel und drehten ihre Runden. Ein Milchreiswurm kroch mit aller Mühe einen Zuckergrashalm herauf. Honignachtigallen verzauberten mit ihren schönsten Liedern die weite Gegend.
Als er dann viele Schritte gegangen, sich zu allen Seiten hin gewandt, zu sehen, zu staunen, zu bewundern, zu riechen, zu schmecken; er hörte unweit das Rauschen des Flusses. Der Kirschsaft floss in einem gemächlichen Gang dahin, schlängelte sich und endete mit den anderen Flüssen entlang des Tals, so wie man es erkennen konnte, in der Labyrinthmitte. Zu allererst fiel Nintendo zu Knien, beugte sich über den Fluss und nahm einen großen Schluck zu sich. Noch nie zuvor hatte er so wohltuende und süße Flüssigkeit getrunken. Als er sich satt getrunken hatte, überlegte er, wie es nun für ihn weitergehen sollte. Es schien, als bliebe ihm nichts anderes übrig, nun weiter zu kommen, als in das Labyrinth hinein zu gehen. Grübelnd blickte er umher und sah sich nach einer Brücke um. Doch konnte er keine sehen. Wie sollt’ ich nun in das Labyrinth gelangen, wenn keine Brücke über den Fluss führt? „dachte er.“
Als er so nachdenkend da stand und in den Fluss schaute, verzerrte sich sein Spiegelbild, dass der Kirchsaft wiedergab, und war am verschwimmen, als aus diesem das Köpfchen eines Waldbeerenpferdchen hervor lugte. Verwundert sahen sich beide an. Die kleinen runden Äugelchen des Fisches ruhten auf Nintendos Gesicht. „Willst du hinüber?“ piepste das Waldbeerenpferdchen.
„Schon.“ Antworte der kleine Junge.
„Wenn das so ist, kann ich dir helfen, du musst nur Platz auf meinem Rücken nehmen.“ piepste es.
Da musste Nintendo aber sehr lachen.
„Du bist so winzig klein. Ich bin so groß. Wie soll das gehen?“ fragte der Junge schmunzelnd.
„Ach ich Dummerchen.“ sagte es. „Du musst von der Himbeere da drüben kosten.“
„Und dann?“ fragte er.
„Du wirst schon sehen.“ antwortete es mit einem verschmitzten Lächeln.
„Du willst mich doch nicht vergiften?“ fragte er besorgt.
„Das würde ich niemals tun.“ erwiderte es.
„Versprochen?“
„Vertrau’ mir.“
Nintendo pflückte, wie es ihm gesagt wurde, vom nächsten in der Nähe stehenden Himbeerstrauch eine Beere ab und aß diese. Wie durch einen Zauber fing Nintendo an zu schrumpfen. Kleiner und immer kleiner wurde er, und größer und immer größer wuchs alles um ihn herum.
„Ich bin ganz winzig. Ein Zwerg. Was hast du mit mir gemacht?“ fragte er erbost und man konnte eine Falte auf seiner Stirn sehen.
„Ich war’s nicht, die Himbeere war’s.“ antworte das Waldbeerenpferdchen lächelnd.
„Bleibe ich jetzt für immer so klein?“ fragte er beängstigt.
„Nein, nur für wenige Zeit. Keine Sorge. Sehe es so: Nur in dieser Größe kann ich dich zum anderen Ufer bringen.“ piepste es.
„So habe ich das gar nicht gesehen. Aber du hast recht. Entschuldige bitte dass ich Böse auf dich war.“ sagte er.
„Schon gut. Kommst du nun?“ piepste es.
Und so transportierte das Waldbeerenpferdchen den kleinen Nintendo über den Fluss an das
andere Ufer. Als es ihn abgesetzt hatte, wünschte es ihm noch eine gute Reise und dass er unversehrt auch dorthin gelange, wohin in der Weg auch führen möge. Nun stand er vor dem Labyrintheingang und sah sich die Mauern an, aus denen das riesige Konstrukt der Verworrenheit errichtetet wurde. Sie bestanden aus dicken undurchdringlichen Zuckerplatten, die so fest in ihrer Dichte waren wie Diamant. Aber sie schmecken gut, dachte er, als er daran leckte. Sein kindlicher Einfall, er könne ja in die Mauer ein Loch essen, brachte ihn selbst zum Schmunzeln. Jeden Gedanken, der ihm hilfreich erschien, verwarf er und sah nach weiterem Nachdenken ein, dass ihm also nichts anderes übrig blieb, als einen Pfad einzuschlagen und sich durch die Wirren des Labyrinths zu kämpfen. Es verging eine geraume Zeit in der er sich ununterbrochen verirrte und eine Sackgasse nach der anderen betrat und so den Weg zurück gehen musste bis zu einem scheidenden Pfad, welchen er dann nahm. Jederzeit seinem Gefühl vertrauend, das ihn von Pfad zu Pfad immer tiefer in das Innere führte, offenbarte sich ihm, nach vielen Mühen und Laufschritten, endlich der Ausgang des Irrgartens.
Vor sich sah er die Flüsse sich zu einem großen See verinigen, der hinter dem Gebäude lag. In der Nähe war ein Brunnen, so ein Brunnen, welchen er so oft gesehen und an dem er so oft gespielt hatte. Sein Brunnen. Es war ihm nun alles vertraut. Das Gebäude war das Heim seiner Eltern. Er fühlte sich dabei, wie von einer langen Reise heimgekehrt, endlich am Ziel angekommen und er würde, wenn er nun die Tür aufmachen, seine Eltern im Wohnzimmer zusammen vorfinden, die auf ihn warten; er würde, so glücklich wie er gerade war, ihnen um den Hals fallen, alle die Begebenheiten und Bekanntschaften, die er während seiner Reise gemacht hatte, erzählen, und von den Wunderen, die er gesehen, berichten.
In dieser wunderschönen Aussicht lief Nintendo zur Tür hin; als dann auf einmal vom Himmel diagonal ein flammender Meteor fiel, auf das Dach herunter genau. Das Haus war mit einemmal zerstört. Er blieb vor Schrecken stehen. Sein versteinertes Gesicht sprach tausend Worte. Seine Seele jedoch rief nur: Mama! Papa!
Aus den Flüssen trat plötzlich der Kirschsaft, der die Landschaft überflutete. Der Wind, der noch vorhin so belebend wehte, wurde immer schwächer und schwächer an seinen Schwingen. Die Wolken, die am Himmel zogen, schwanden. Die ganze Welt fing an kalt zu werden, als würde der Winter einbrechen. Es fing bald die Erde an zu beben und zu brausen und zu verfallen, als würde der heruntergefallene Meteor, der in sie mit Wucht eingeschlagen, sie verschlingen.
„Nintendo. Nintendo.“ erklang es leise, „Fürchte dich nicht. Ich rette dich.“ ertönte dann lauter eine raue unbekannte Stimme.
„Wer ist da?“ rief der Junge erschrocken.
„Ich halte viel Spielzeug bereit für dich.“ zischte es durch die Luft.
„Wirklich?“ rief er erstaunt.
„Ich halte auch viel Süßigkeiten bereit für dich.“ säuselte es im Wind.
„Und wer bist du, dass du mir das alles bieten kannst?“ fragte der Junge.
„Man nennt mich den Erlkönig.“ raunte es durch die Luft.
„Ohne meinen Papa und ohne meine Mama gehe ich aber nirgends wo hin!“ rief der Junge.
Plötzlich öffnete sich der Himmel und zwei Erscheinungen traten hervor.
„Papa! Mama!“ rief Nintendo.
„Ich kann euch vereinen“, sprach der Erlkönig, „du musst nur meine Hand nehmen.“
Papa! Mama! Ich komme, ich komme! zu euch, rief der Junge überglücklich, während er seine Hand dem Erlkönig ausstreckte und mit Tränen in den Augen nach seinen Eltern sah. Als die Soldaten das Haus stürmten, waren alle erschossen und das Kind lag tot.