Das Schweigen der Welt

Kurzprosa zum Thema Heimat

von  Ephemere

Ich rufe meinen Wahnsinn heraus in diese Welt und bekomme nur ihr Schweigen zurück. Das ist alles, was wir jemals bekommen von ihr. All die Entmenschlichung, all die Zügel und Fesseln, all die Zwecke und Dienlichkeiten und all die Begrenztheit entlädt sich, überreizt – und findet keine Antwort. Und das, eben das, ist ihre Gnade und ihre Großartigkeit. Sie lässt uns ins Leere laufen und schenkt uns Stille. Uns, die nach Antworten lechzen. Uns, die nach Widerstand dürsten. In ihr zerfließen wir wie eine Ejakulation oder ein versickerndes Rinnsal. Wir sind ihr – wahrscheinlich – egal. Wie köstlich. Sie stellt keine Forderungen an uns, ruft uns nicht an, will nicht unser Bestes, ist auch nie enttäuscht. Sie nimmt unser Brüllen und Wüten, unser Locken und Schmeicheln nicht einmal zur Kenntnis, und tut sie es doch, dann mit ewiger Gleichmut. Und entlädt uns so die Waffe der ewigen Eskalation, des sich Hineinsteigerns, des Immer-noch-einen-Draufsetzens. Die Spirale aus Selbst- und Fremdbestätigung, aus Inputinputinput, das Joch der Wirksamkeit – akzeptieren wir das Schweigen, die Weite, die Leere der Welt, akzeptieren wir ihr Desinteresse an uns, akzeptieren wir ebenso ihre gleichgültige, endlose Großzügigkeit und ihre fantastische Kargheit, in der wir uns an sie angepasst haben, nicht sie für uns den Tisch gedeckt hat…dann erkennen wir in manchen Momenten, in denen Sinnlichkeit und Hoffnungslosigkeit, Glück und Entsagung so nah beieinander liegen, dass unsere einzige Chance und unsere einzige echte Heimat in ebendiesem Schweigen liegt. Wie furchtbar wäre unsere Existenz, hätten wir eine Mission. Wir müssen erwachen.

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Kommentare zu diesem Text

tausendschön (33)
(09.09.15)
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 Ephemere meinte dazu am 09.09.15:
Ich denke, meist wollen wir die Welt schwängern. Wir wollen gar nicht so viel von ihr aufnehmen, sondern uns mehr in sie hineinlegen, hineinschreiben. Es sind die Momente, in denen wir bereit sind, sie aufzunehmen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, in denen wir die Chance erkennen, ziellos zu sein, ohne dass das wie ein Makel wirke.
Jack (33)
(09.09.15)
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 Ephemere antwortete darauf am 10.09.15:
Das ist auch der "Nihilismus" der radikaleren Mystiker und der eines Camus oder Nietzsche - nur, wie Du eben ausgeführt hast, dass sich auf lange Sicht kaum einer dessen enthalten konnte, daraus doch wieder ein "Programm" für "DEN Menschen" abzuleiten. Natürlich brauchen wir gewisse Programme, sonst würde keine Gesellschaft mit differenzierter Arbeitsteilung und gewisser Toleranz für Pluralismus funktionieren. Aber man muss sich bewusst sein und bleiben, dass man damit Parallelwelten aufbaut und sollte nicht versuchen, das auch noch philosophisch zu verbrämen oder darin Gesetze der Natur finden zu wollen. Wir binden uns in Assoziationsketten, Sinn und Pflichten, weil wir es zu einem bestimmten Grad müssen, um gemeinsam zu "funktionieren". Aber wir dürfen uns nie einreden lassen, so sei die Welt, so seien wir, das sei die höhere Wahrheit. Die Sinnlosigkeit der Welt ist das Gegengift gegen die Selbstreferentialität und Borniertheit, gegen die Dressur und den Größenwahn. Wo die Sinnstiftung und Ordnung des Menschen die Sinnlosigkeit und Entropie der Welt zu weit überwuchert, passieren Katastrophen - für den Menschen wohlgemerkt, nicht für die Welt.
(Antwort korrigiert am 10.09.2015)
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