Mein Pony ist tot

Text zum Thema Abhängigkeit

von  keinB

Es war klein und niedlich, mit wuscheliger, schwarz-weißer Mähne.
Kennengelernt hatten wir uns am 23. Januar, ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen.
Es stand auf einer Wiese im Schneematsch, sein schwarz-weißes Fell war dreckig und es stank bestialisch. Einer Eingebung folgend ging ich näher an den Zaun, da hob es den Kopf und sah mich fragend an.
Hallo, sagte ich und es lächelte. Ich war sofort verliebt.

Wir wichen nicht von des Anderen Seite. Wir spazierten miteinander durch Blumenwiesen, teilten Zuckerwatte auf dem Jahrmarkt, rannten um die Wette durch den Sand am Meer. Es gewann meistens. Nach etwa einem halben Jahr des Glücks dachten wir, es sei vernünftig, wenn es bei mir einzöge. Wir hatten vorher ausgiebig darüber diskutiert, warum es für mich auf keinen Fall in Frage käme mit zu ihm in seinen Stall zu ziehen. Es zeigte sich zwar einsichtig darüber, dass ich fließend Wasser und eine Heizung brauchte, aber ein bisschen gezickt hatte es schon. Es war eben sehr temperamentvoll.

Die Treppenstufen waren ihm eine Qual. Ich wohnte im dritten Stock, und obwohl es ein kleines Pony war, waren die Stufen fast zu schmal für seine Hufe. Das Heimkommen war sehr anstrengend für es, mehr als einmal stolperte es und verletzte sich.
Ich versprach ihm, eine neue Wohnung zu suchen, eine im Erdgeschoß, vielleicht auch mit Terrasse und Garten und es lächelte mich an wie früher.

Es ging nicht mehr aus dem Haus.
Mir fiel zwar schon auf, dass es keine Einkäufe mehr erledigte, und auch, dass die ganze Wohnung ein wenig verwahrlost wirkte.
Ich schob seine Nachlässigkeit auf seine Unfähigkeit, mit sich allein zu sein, da ich schließlich den ganzen Tag außer Haus war, um Geld zu verdienen. Im Leben nicht wäre ich darauf gekommen, dass mein Pony depressiv geworden war. So depressiv, dass es selbst vor dem Äußersten nicht zurückschreckte.


Es war an einem Freitag im Oktober. Ich kam wie üblich gegen halb sieben nach Hause. Schon als ich die Wohnungstür aufschloss, kam mir kalte Luft entgegen. Komisch, dachte ich, die Heizung wird doch nicht kaputt sein? Ich rief nach meinem Pony. Es antwortete nicht. Ich hörte kein Wiehern, kein fröhliches Hufgetrappel, sah keine wehende Männe, keine schnaubenden Nüstern. Stattdessen pfiff mir eiskalter Wind um die Ohren. Die Balkontüre stand sperrangelweit offen. Vielleicht stand es ja draußen und rauchte eine, und hatte mich wegen des Windes nicht gehört? Ich trat hinaus auf den Balkon – kein Pony. Beunruhigt verließ ich den Balkon, schloss die Türe und überlegte, wo mein Pony denn sein könnte. Mir fiel nichts ein. Ich beschloss, die Polizei anzurufen und ging zum Telefon. Als ich das Telefon in die Hand nahm, bemerkte ich einen Zettel auf dem Schreibtisch daneben. Ich legte das Telefon zurück, runzelte die Stirn und griff nach dem Papier. Mein Pony schrieb eigentlich nie, das Halten des Stiftes mit dem Huf war unmöglich, und wenn es den Stift in den Mund nahm, konnte es nicht sehen, was es schrieb. Es sei nicht so der Schreiber, hatte es mir ganz zu Anfang anvertraut, auch die Rechtschreibung sei ihm nicht ganz geläufig, verständlich, wenn man bedachte, dass es nie eine anständige Schule besucht hatte.

Ich brauchte einige Augenblicke, um die Worte auf dem Papier zu entschlüsseln.

ih kan nih mäh
äz tuh mi layt
ih vindshä di aläz guhde

Ich starrte die Buchstaben an. Das konnte nicht wahr sein. Oh, wie sehr ich hoffte, dass mein Pony sich nur einen schlechten Scherz mit mir erlaubte. Da es an und für sich aber eher humorlos war, wusste ich, wie illusorisch diese Hoffnung war. Ich rannte ins Bad, gefasst darauf, es mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne liegen zu sehen. In den wenigen Sekunden, die ich für den Weg brauchte, malte ich mir das Bild davon, was mich erwartete, in immer schaurigeren Nuancen aus. Das Bad war leer. Wie gelähmt stand ich vor der Badewanne, den ersten Schock überwunden, die erste Angst von mir abgefallen, und doch wissend, dass ich nicht mit einem glimpflichen Ausgang rechnen durfte. Ich überlegte einen Moment, nur, um kurz darauf wieder zu rennen, zuerst an den Schrank mit der Taschenlampe, dann auf den Balkon. Ich war so außer mir, dass ich die Balkontüre kaum aufbekam. Dann stand ich draußen, holte tief Luft und beugte mich, auf alles gefasst, samt leuchtender Taschenlampe über das Geländer, um nach unten zu sehen.

Der Wind jagte herbstbunte Blätter über das zerzauste Fell. Ich schauderte. Es lang ganz still, und man hätte meinen können, es schlafe nur, wenn nicht der Lichtkegel der Taschenlampe dunkle, rote Pfützen um seinen Leib herum offenbart hätte. Als das Licht den Kopf erreichte, heulte ich auf. Es musste so verzweifelt und lebensmüde gewesen sein, dass es einen Kopfsprung vom Balkon gemacht hatte. Ich begann zu schreien. Lichter flammten auf hinter Glasscheiben, Balkontüren und Fenster öffneten sich, undeutliches Getuschel drang durch meinen Schrei an meine Ohren. Das letzte, was ich noch weiß, ist, dass es an der Tür klingelt, zwei gesichtslose Polizisten stehen davor und einer fragt mich mitfühlend: „Ist das da unten ihr Pony?“ Danach setzt meine Erinnerung aus.

Die Obduktion ergab anhand des Zahnschmelzes, dass es bereits längere Zeit an Bulimie gelitten haben musste. Es muss ihm sehr schlecht gegangen sein. Ich wusste davon nichts. Ich mache mir Vorwürfe, dass ich hätte aufmerksamer sein müssen oder mit ihm öfter an die frische Luft gehen. 

Ich habe es im Hof unter einer Birke begraben.
Ich bin unendlich traurig.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

starfish8305 (55)
(13.02.16)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB meinte dazu am 13.02.16:
Um ehrlich zu sein: ich finde Pferde/Ponys sind so ziemlich die unspannendsten Tiere überhaupt. Allerdings bin ich irgendwann dazu übergegangen, mir grundsätzlich immer ein Pony zu wünschen - von den unterschiedlichsten Leuten zu den unterschiedlichsten Anlässen ... Erstaunlicherweise kriege ich ständig das gleiche Bild in die Hand gedrückt.^^
starfish8305 (55) antwortete darauf am 13.02.16:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
managarm (57)
(13.02.16)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB schrieb daraufhin am 13.02.16:
Danke :)
ues (34)
(13.02.16)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB äußerte darauf am 13.02.16:
Mh. Ich frage mich grade, ob das Bruchgefühl deiner Erwartungshaltung entspringt. Die Tragödie ist mMn vorhersehbar.

Der Tonfall wechselt zu ernst, traurig und tragisch? Wenn du dir da grade einen Spaß mit mir erlaubst, ist der saulustig. Wenn nicht, muss ich, fürchte ich, meinem Humor komplett infrage stellen ... :/

Okay, nein, ganz so schlimm isses nicht. Nur ein bisschen.
Kafkaesk find ich wieder sehr ... Lustig, da mir das schon ein paar mal über meine Schreibe gesagt wurde und ich selbst aber beim besten Willen nichts davon in meinen Texten sehen kann.

Danke dir. :)

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 13.02.16:
Schöne Allegorie zum Thema Beziehung Mann/Frau. Gerne gelesen.
ues (34) meinte dazu am 13.02.16:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB meinte dazu am 13.02.16:
Nach nun mehr über dreißig Jahren in diesem Leben kann ich mit Bestimmtheit sagen, dass Tragik und Komik (für mich) untrennbar zusammengehören.

Die Passage mit dem Blick übers Geländer wollte ich nicht überstrapazieren - absurd ja, Slapstick nein. Augenzwinkernde Elemente sind vielleicht seltener, aber dennoch vorhanden, wenngleich sicher besser "versteckt" als vorher (der Kopfsprung und die Frage des Polizisten, später die Bulimie).

Danke für deine Ausführungen. :)

 keinB meinte dazu am 14.02.16:
@Dieter: Dir auch vielen Dank ;)
Dr.Frosch (63)
(13.02.16)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB meinte dazu am 13.02.16:
Ich kaufe ein 'E'.
Dr.Frosch (63) meinte dazu am 13.02.16:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB meinte dazu am 13.02.16:
Du bist total beknackt. Dich mag ich. :)

 Isaban (13.02.16)
Klasse! Ich sah die beiden auf der großen kopfinternen Kinoleinwand mit wehender Mähne auf der Bumenwiese aufeinander zugaloppieren ...

Sehr schöne Parabel über die Liebe und das Ändern des Beziehungsstatus.

Liebe Grüße

Sabine

 keinB meinte dazu am 01.04.16:
Danke :)
fragilfluegelig (49)
(13.02.16)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB meinte dazu am 01.04.16:
Dankeschön :)

 HerrSonnenschein (13.05.16)
Ja, da will ich doch mal zu diesem Text auch ein wenig wiehern.
Einer der ganz wenigen längeren Texte hier die ich nicht nur gelesen habe, sondern die mich begeistern.
Da mein Leben in echt ein Ponyhof ist werde ich den Text mal in unsere Ponyhofgruppe bei Facebook verlinken.
Ich fürchte allerdings, das nicht alle so begeistert sind wie ich.
Aber ich werde die Geschichte auch unseren Ponys vorlesen. Und die haben Humor!

Sonnenscheingrüße!

 keinB meinte dazu am 16.01.18:
Ich hab mich hier nie bedankt, stelle ich grade fest. Danke. :)
Liebe Grüße
KB
Tante (66)
(22.05.16)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 keinB meinte dazu am 16.01.18:
Danke :)
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram