Pimmel.

Anekdote zum Thema Nonsens

von  MrDurden

Ich fiel aus allen Wolken in einen reißenden Fluss und ließ mich stromaufwärts treiben. An der Quelle angekommen ging ich an Land, fand Felsen aus Granit und faltete Origami aus ihnen. Dann hielt ich sie in den Himmel und wünschte mir einen Sturm, der sie mir entreißen und hinaus in die Welt zu ihren Familien aus Papier tragen würde. Und er kam, der Wind. Denn all meine Gedanken, selbst die unmöglichen, wurden wahr. Wenn ich Hunger hatte, ging ich zum Strand und backte mir Erdbeerkuchen aus Sand. Wenn ich mich erfrischen wollte, spazierte ich zur Spitze eines Vulkans und badete in flüssigem Stein. Wenn ich traurig war, brach ich mir selbst das Herz und schenkte mir eine Hälfte davon. Wenn ich müde war, baute ich mir eine Leiter in den Himmel und ließ mich in mein Bett aus frisch gewaschenen Wolken fallen. Und wenn bei Nacht der letzte meiner sieben Monde aufgegangen und der Himmel so hell erleuchtet war, dass ich nicht schlafen konnte, zog ich mir Shorts und ein lächerliches, neongelbes Stirnband an und ging auf der Milchstraße joggen. Dann, kurz bevor es Tag wurde, verschwand die Welt um mich herum und nichts blieb übrig außer mir selbst.

Der Wecker klingelte und ich warf ihn an die Wand. Ich fiel aus dem Bett in ein Rinnsal grauen Wassers aus meinem tropfenden Heizkörper und rutschte stromabwärts einem weiteren Tag entgegen. In der Tiefgarage meines Wohnblocks angekommen schleppte ich mich ans Steuer meines Wagens und fuhr Richtung Arbeit. Die Morgensonne war aus Granit. Sie schnappte sich eine Schere und einige Regenwolken und begann, Tauben aus ihnen herauszuschneiden. Es bildete sich ein Schwarm, der den Himmel verdunkelte, und ein riesiger Schatten verschlang die Stadt. Die Welt. Das gesamte Universum. Bis alles in der Dunkelheit und Kälte verschwunden war und es nur noch mich, mein Auto und meinen Job gab. Ich wünschte mir einen Sturm, der all die Tauben vom Himmel fegen und das Licht der Sonne entfesseln würde. Doch es kam kein Sturm. Und die unmöglichen Dinge, von denen ich geträumt hatte, blieben unmöglich. Wenn ich Hunger hatte, suchte ich diverse Fast-Food-Ketten auf und aß Dinge, die in ihren eigenen Fäkalien zugrunde gegangen waren. Wenn ich mich erfrischen wollte, trank ich Flüssigkeiten, die meine Organe vaporisierten wie Schwefelsäure einen Strauß Pusteblumen, und wenn ich traurig war, war ich traurig. Ich stieg aus meinem Wagen, trat in Hundescheiße und verbrachte den Tag damit, auf einen Monitor zu starren und eine Projektliste zu bearbeiten, die keinen Anfang und kein Ende hatte. Acht Stunden später. Strafzettel am Scheibenwischer. Ich trat erneut in Hundescheiße und wischte sie mir mit dem Strafzettel vom Schuh. Noch immer war das Universum in gewaltige Taubenschwärme gehüllt und der einzige Weg, ihren Schatten zu entkommen, war die Flucht in den Schlaf. Also fuhr ich nach Hause und ließ mich in mein Bett aus zusammengenagelten Europaletten fallen, während an den Wänden meines Schlafzimmers Projektlisten, Tauben und Hundehaufen um mich herumtanzten und mir zuflüsterten, dass sie immer ein Teil meines Lebens sein würden.

Der Mond war nicht zu sehen und dennoch lag ich wach. Ich stand auf, zog mir Shorts und ein lächerliches, neongelbes Stirnband an und ging im Gewerbegebiet hinter meinem Wohnblock joggen. Dann, kurz bevor es Tag wurde, traf ich auf einen rechtsradikalen Kinderschänder, der mal eine Ausnahme machen wollte. Er presste mir ein chloroformgetränktes Stück Stoff aufs Gesicht, nahm mein Geld und vergewaltigte mich bis die Sonne aufgegangen war. Dann malte er mir ein Hakenkreuz auf die Stirn, zerrte mich in den Straßengraben und machte sich aus dem Staub.

Die Welt um mich herum verschwand und nichts blieb übrig außer mir selbst und dem Hakenkreuz auf meiner Stirn. Ich fiel aus allen Wolken in einen reißenden Fluss und ließ mich stromaufwärts treiben. Und an der Quelle angekommen fand ich eine Tafel aus Granit mit einem Satz, den irgendwer dort eingemeißelt hatte.

Du kommst zu spät zur Arbeit.


Anmerkung von MrDurden:

Pimmel.

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (12.03.16)
Da hast du aber alle Kaliber des Gruselns ausgeschöpft und einen Pimmeltitel gewählt, auf den ich bei dem Text nicht gekommen wäre.
LG
Jorge

 MrDurden meinte dazu am 12.03.16:
Schien mir irgendwie passend. Außerdem will ich die niederen Instinkte meiner Leser nutzen, um Klicks zu generieren :-D

 Melodia antwortete darauf am 13.03.16:
Ein Hoch auf niedere Instinkte und den Text!^^

 FrankReich (06.06.19)
Hi MrDurden,

guter Text, aber um meine niederen Instinkte anzusprechen, braucht es schon etwas mehr als nur ein Schlagwort, und das war für mich die Assoziation des Titels mit dem Begriff "Schwachkopf", insofern ein verdammt modernes Steinzeittheater, das Du da inszeniert hast.

Ciao, Ralf
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