No Name.

Erzählung zum Thema Schlaf/ schlafen

von  franky

Herman hieß er, der mit mir gemeinsam diesen schrecklichen Fliegerangriff im Zimmer sieben erlebt hat, nun hatte ich ihn als Bettnachbar an meiner rechten Seite.
Die Rippenfellentzündung schmerzte ihn permanent, Herman war jedoch ein
Ausgesprochen introvertierter Mensch. Sprach wenig, nur sein ständiges Stöhnen war hörbar. Penicillin war damals schon erfunden, doch für die Anwendung in so kleinen, unwichtigen Spitälern, wie es das Brucker Spital war nicht verfügbar. So war eine Rippenfellentzündung eine unheilbare, tödliche Krankheit. 

Baumgartner hatte sich sichtlich erholt, von dort war nun alles ruhig.

An diesem Abend saß ich auf dem Rande meines großen Bettes und war noch gar nicht müde. Ich schaukelte meinen Kopf und sang Lieder, quer durch mein kindliches Programm, wie ich es aus Radio und mündlicher Überlieferung, mehr oder weniger vollkommen übernommen habe.
„Kam ein Vogel geflogen, Von Finnland bis zum schwarzen Meer und Stille Nacht.“ 
War ganz verblüfft, als Herman mich höflich bad, den Gesang für heute einzustellen, ich könne ja morgen wieder weiter singen.   
Ich fügte mich der Bitte meines Bettnachbarn. Schlüpfte unter die Decke und führte meine täglichen Zwiegespräche mit meinen Geschwistern und Mutter fort, Vater war ja im Krieg, wenn auch ganz Nahe von Bruck.
Dann vor dem Einschlafen schluchze ich leise unter meiner Decke, hatte doch etwas Heimweh. Zum Lied: „Oh Tannenbaum, oh Tannenbaum“ weinte ich in meine vor dem Mund gehaltenen Hände. Das war so heimlich und leise, dass es ja niemand hören konnte. Als die Tränen ziemlich getrocknet waren, schlief ich ein.
Nachts wurde ich wieder von so eigenartigen Geräuschen geweckt. War mir nicht sicher von wo das herkommt. Im Umdrehen stellte ich bestürzt fest: „ Das kommt doch aus Hermans Bett!“ „Der wollte doch nach meinem Abendgesang ungestört schlafen.“ Ich hatte ja keine Glocke um die Nachtschwester zu rufen und aufwecken wollte ich auch niemand. Ich kannte von den anderen Sterbenden schon den Ablauf. Die langgezogenen, tiefen schnarchähnlichen Atemzüge, die Aussetzer, die immer länger und länger wurden, bis sie wie ein Kerzenlicht für immer verloschen. 
Dann hatte Herman keine Schmerzen mehr, er lag ganz friedlich in seinem Bett.

Ich spürte so ein eigenartiges kribbeln im der Magengegend, konnte aber trotzdem wieder einschlafen.
Als der Tot von Herman morgens entdeckt wurde, lief wieder das eingespielte Prozedere ab.
Der leblose Körper wurde mit einem Leintuch abgedeckt und aus dem Zimmer gebracht.
Angehörige gab es nach Wissen von Pfleger Franz keine, daher konnte man den Inhalt des Nachtkästchens ohne schlechten Gewissen im Zimmer sieben aufteilen. Da gab es jedoch weniger als Nichts zu verteilen. Bei einem „No Name“ war das nicht anders zu erwarten.

Über das Russische Militär konnte man die grauenvollsten Dinge erfahren. Jede junge Frau wird vergewaltigt. Personen die sich nicht den Anordnungen fügten, wurden kurz Wegs erschossen. Mutter hatte wegen der älteren Tochter Poldi fürchterliche Angst, die war erst dreizehn, aber sehr gut entwickelt, da könnten die Wilden aus Russland schon auf dumme Gedanken kommen. So entschloss sie sich, Poldi zum Onkel Blasius nach Bernegg, auf die Alm zu schicken. Onkel Blasius Bauernhof war ein gutes Wegstück auf dem Berg hoch, da sollte Poldi von den wilden Russen sicher sein.
Zur Zeit ist der Vormarsch des Russischen Militär in Graz zum vorläufigem Stillstand gekommen. Die vier Großmächte verhandelten in Wien über die Kapitulation des Nazireschims und dann über die Aufteilung von dem befreiten Österreich in vier Besatzungszonen. Da lag ein eklatanter Widerspruch im Protokoll.   
Wie kann man ein Land befreien und dann in vier Besatzungszonen aufteilen?

Meine Schwester Poldi, bei Onkel Blasius am Bauernhof bekam Gesellschaft von zwei Illusteren Damen. Es versteckten sich: „Marika Röck mit ihrer Zofe.“ Marika floh auch von den Russen. Für Poldi brachte das willkommene Abwechslung im sonst eintönigem Alltag. 


© by F. J. Puschnik

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Kommentare zu diesem Text


 loslosch (06.04.17)
ein makaber bunter strauß.

jetzt hab ich einiges über marika röck nachgelesen. die war ja eine stramme führer-verehrerin. "1947 wurde sie von dem Ehrengericht der Österreichischen Schauspielervereinigung rehabilitiert." das ging flott! in westdeutschland gabs ähnliche fälle.

 EkkehartMittelberg (06.04.17)
In deiner traurigen Erzählung wird die These bekräftigt, die gestern noch diskutiert wurde, dass jeder allein sterbe.
LG
Ekki
Sätzer (77) meinte dazu am 06.04.17:
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Graeculus (69) antwortete darauf am 06.04.17:
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 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 06.04.17:
@Graeculus: Du hast Recht. Deshalb spreche ich auch von "bekräftigen" und benutze den Konkunktiv.
Graeculus (69) äußerte darauf am 06.04.17:
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Graeculus (69)
(06.04.17)
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