Wenn der Kehlsack flattert

Glosse zum Thema Allzu Menschliches

von  Reliwette

Ich weiß nicht, wem soll ich bedeuten? - (frei nach einem alten    Volkslied)       


Da saßen sie schon wieder auf der blauen Gartenbank am Gartenteich: Opa Hermann und sein alter Kumpel Jupp, der sich inzwischen auch im südlichen Ostfriesland niedergelassen hatte. Der Kirschbaum trieb seine wunderschönen weißen Blütenbüschel, die vor dem blauen Himmel kontrastreich ins schwärmende Auge stachen. "Wenn nur die bescheuerten Menschen nicht wären", stöhnte Opa Hermann vor sich hin. Doch sein Freund hatte es gehört: das Thema war festgelegt, Wortbeiträgen wurde demnach entgegengesehen. "Was hast du denn im Angebot", fragte Jupp lauernd, "Pils oder Alt?"

Zunächst kam die aktuelle außenpolitische Lage von der Tagesordnung: Trump, Putin, Assad und Kim Jong-un. "Bezeichne mir einen von denen, der ansatzweise alle Latten am Zaun hat", forderte Jupp seinen Gesprächspartner auf. "Ja gut, solange du kein statement zu Israel einforderst, mach ich mit, aber nix zu den Juden. Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem wir auf der braunen Gartenbank saßen und du bei dem Wort Juden genau bis "Ju..." kamst, als die Bank krachend unter uns zusammenbrach. Geistesgegenwärtig haben wir unsere Bierflaschen hochgehalten, als wir wie die Maikäfer auf dem Rücken zu liegen kamen." "Nicht einen Tropfen verschüttet", bestätigte der ehemalige Steiger von der Zeche Prosper II. "Das war ein Zeichen", orakelte Opa Hermann, "und Zeichen sollte man nicht übersehen!" "Wir haben uns an die Zustände und fragwürdigen Werte inzwischen gewöhnt", mutmaßte Jupp, "weil wir da von Kindesbeinen an hinein geboren wurden. Das geht inzwischen nach dem Motto: Jeden Tag Schweinefleisch - ich will auch mal ein Kotelett essen!"
Jetzt konnte Opa Hermann seine philosophischen Kernsätze in die Debatte werfen. Er hatte die ganze Zeit darauf gelauert. "Die meisten Menschen sind mit ihrem mickrigen Leben unzufrieden. Tagesschau und Wetterkarte bilden sozusagen ihre täglichen Höhepunkte, samstags dann die Sportschau. Es fehlt ihnen an erlebter Bedeutung, an Anerkennung und ansonsten sehen sie sich machtlos wie in einer Waschmaschinentrommel, die sich gerade im Schongang befindet. Und sie leben mit einem gefährlichen Halbwissen: außerhalb eines Themas erstreckt sich in den meisten Fällen eine bodenlose Grotte."
"Oder sie befinden sich im Schleuderganng bei 1600 Umdrehungen", fiel ihm Jupp ins Wort.
"Also wenn der Durchschnittsmensch mal aus seiner Rolle heraus will, auf die er sich im Verlaufe seines Lebens eingelassen hat, sollte er vielleicht mal einen Einsatzwagen der Dorfpolizei klauen und mit Blaulicht durch die Gegend sausen, am besten ohne Führerschein!" "Natürlich ohne Führerschein", gluckste Opa Hermann, "dann können sie die Fleppe nicht einziehen, und der Idiotentest entfällt dann auch!" Jupp ergänzte den fiktiven Sachverhalt mit der Bemerkung: "Blaulichtfahrten sind wie die verlängerte Schwanzflosse beim Teichkarpfen, wenn du weißt was ich meine!"
"Ja, ja, Erlebnistrübsal und fehlende Bewunderung, wie kann ein Mensch das nur aushalten? Schade, schade, die meisten Menschen stehen nur einmal in der Zeitung, und dann auch noch mit der eigenen Todesanzeige, die sie selber nicht mehr lesen können."
"Prost! Austrinken", riet Opa Hermann, "noch sind wir!"

"Ich wünsch dir das selbe!" Flaschen klirrten aneinander, sanfte Glucksgeräusche bereicherten die Atmosphäre. Den pensionierten Steiger befiel ein schlimmer Krampfanfall der Staublungen. Er hustete nach vier Anläufen in einen Grasbüschel neben der Bank. Das sah nicht mehr nach Eierkohle aus, sondern nach hydriertem Senfgas am Stück. "O-o", maulte Opa Hermann, "da wächst die nächsten zwei Jahre kein Gras mehr!" Tatsächlich welkte an der Stelle augenblicklich das Gras und verschwand im Erdreich.
Das Piratenschaf kam angewetzt, Linda im Schlepptau: "Ist etwas passiert, Opa Hermann?" "Ja, ruf den Abdecker, wir haben eine Notschlachtung!"
Da war sie wieder, die rauhe aber herzliche Art der Bergmänner, wie sie miteinander umgingen: nur keine Gefühle zeigen, sondern immer den Presslufthammer im Flöz!
Entsprechend hustete Jupp noch ein Nachbeben in die Landschaft und sagte: "Ach - ach! Wo waren wir stehengeblieben?  Wenn einem doch wenigstens einmal im Leben zugejubelt würde", schluchzte Jupp in seine Bierflasche, "einmal im Leben!"
"Mir passiert das jedes Jahr einmal", freute sich Opa Hermann, "wenn das Finanzamt dreimal klingelt!"
"Wie das?" fragte Jupp interessiert. "Sie wollen die Einkommenssteuer vom letzten Jahr einfordern. Wenn ich nicht bald liefere, schätzen sie mich ein. Das könnte katastrophale Folgen haben, wenn sie auf die Idee kommen, meine Deputat-Kohle aus dem Jahr 1956 nachzuberechnen und in Ansatz zu bringen."
"Du musst schon etwas Tolles auf die Beine stellen, damit du den Menschen als bemerkenswerter Zeitgenosse im Fernsehen vor die Nase geführt wirst wie ein Tanzbär. Mach doch mal mit beim Talentwettbewerb. Es muss ja noch was anderes geben als Flatulenzen aus dem Darmgewebe!" "Nun ja, diese stinkende Absonderheit lenkt natürlich vom langweiligen Tagesgeschehen ab, aber wie du bei Dieter Bohlen in der Sendung gesehen hast, reicht das nicht für den Recall!"
"Ich habe das Selbstbewusstsein einer Oberammergauer Nachtigall im Stimmbruch", warf sich Jupp in die Brust. Er senkte den Blick. Der traf auf sechs leere Bierflaschen, die im Gras um die Gartenbank aufgereiht waren. "Ich vertrage nix mehr", lallte er bekümmert, "das liegt am Chlorophyll in der Currywurst!" "Du solltest mal den Imbisstand wechseln, und seit wann ist im Hundefleisch Chlorophyll? War die Wurst grün?"
Zwei Flaschen klirrten erneut aneinander. "Jupp, der ganze Weltschmerz taugt nichts!" Diese Erkenntnis kam wieder von Opa Hermann: "Die ganze Rederei stört nur beim Schlucken!"
"Und weischu auch, warum das scho is? Weil tschuviel Wascher im Bier is, ja - genau - hicks - tschu- hicks-viel Wascher..."

Mit diesen Worten nahm die Diskussion ein vorläufiges Ende. Jupp, soeben noch von konkreten Gedanken gequält, ging von einer Sekunde auf die andere in den "stand by modus".
Die Bienen summten im Kirschbaum. Eine dicke Hummel hatte es sich auf dem Holztisch gemütlich gemacht und steckte ihren Rüssel in eine Bierpfütze. Sie hatte ein weißes Höschen an."Wenn das man gutgeht", murrte Opa Hermann vorwursvoll, "kleine Flügel, dicker Körper und Alkohol am Steuerknüppel..."

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Kommentare zu diesem Text

LottaManguetti (59)
(17.04.17)
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 Reliwette meinte dazu am 19.04.17:
Schön, lieber Freund, dass Du diesen "Film" gesehen hast. Das kann nicht jeder!
Liebe Grüße!
Hartmut T.R.
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