Amos und die rote Kiste
Glosse
von Reliwette
Einhundertundzwanzig Knöpfe und doch kein Mantel
Die Märzsonne stand im blauen Azur, wärmte bereits mit ihren Strahlen Land und Flur. Amos, das Piratenschaf, hatte nach langer erfolgloser Suche endlich seine geliebte Schafsdame Linda gefunden und sie zu sich in Opa Hermanns Grundstück entführt. Na ja, im Grunde war es gar keine Entführung gewesen, denn Opa Hermann hatte sie bei ihrem Züchter ausgelöst. Nun waren sie zusammen und genossen die Vorboten des Frühlings auf der saftigen Wiese.
"O, meine geliebte Linda", säuselte Amos soeben, "wie habe ich dich lieb!" Linda errötete etwas unter ihrem Wollschopf und atmete hörbar aus: "Mein strammer Pirat!"
Das wäre wahrscheinlich noch eine Weile so weitergegangen, wenn nicht plötzlich ein wehleidiger Laut an Amos Ohr gedrungen wäre.
"Oh, du liebe Güte", durchfuhr es das Piratenschaf, "es ist etwas mit Opa Hermann!" Dessen Kate war ja nur einen Hammelsprung entfernt auf dem selben Grundstück gelegen. "Bleibe du nur lieber hier", empfahl das Piratenschaf, "ich gehe mal nach dem Rechten schauen!"
"Pass auf dich auf", antwortete Linda, "nicht dass es etwas Gefährliches ist, was dich erwartet!"
"Nein, nein, bin doch schon groß", brüstete sich Amos. Je näher er dem Haus von Opa Hermann kam, desto eindringlicher wurden die Klagelaute. So ein Geräusch hatte das Piratenschaf vorher noch nie wahrgenommen.
Unter dem Fenster, aus welchem die Töne kamen, stand eine blaue Gartenbank, die Amos jetzt als Kletterhilfe benutzte, um in das Zimmer zu spähen. Aus dem halb geöffneten Fenster waren jetzt deutlich Wortfetzen zu hören. "Ein Schmerz", schrie Opa Hermann gerade, der eine rote Kiste vor seinen Bauch gebunden hatte und "fährt hinaus auf Seeeee", war zu vernehmen.
Die rote Kiste blähte sich auf, es mutete an wie ein altmodischer Heizkörper einer Zentralheizung, aber dem alten Mann gelang es immer wieder sie zusammenzudrücken. Dabei entstanden diese wehleidigen Klagelaute. Gerade maulte der alte Herr: "Musst nicht traurrrrrig sein!" Offensichtlich versuchte er, die rote Kiste zu beruhigen. Amos konnte sich keinen Reim auf das Geschehen machen. "Komisch sind die Menschen", dachte Amos, "sie binden sich überflüssigerweise eine Kiste vor den Bauch und versuchen sie dann zu trösten!"
Der Zeitpunkt war gekommen einzugreifen. Opa Hermann musste unter allen Umständen gerettet werden. Das Piratenschaf spähte nach der Haustür. Sie war verschlossen, ebenso die angebaute Waschküche. Amos raste um das Haus. Eile war sichtlich geboten! Was wäre, wenn die rote Kiste den armen Opa Hermann erdrücken würde? Nicht auszudenken! Amos besann sich nicht lange, sondern raste in wilden Dreiecksprüngen zum Nachbarhaus und bumste mit seinem Schädel gegen die Eingangstür. Der Nachbar erschien in der Türfüllung: "Ach, du bist es, was gibt`s?" "Komm schnell", hechelte der Vierbeiner, "es ist etwas mit Opa Hermann, aber bring einen Dietrich mit, er hat sich eingeschlossen!" Zusammen erreichten sie die Kate. Der Nachbar trommelte mit seinen Fäusten gegen die Hausür. Von innen war ein Rumoren zu hören, dann wurde die Tür entriegelt. Opa Hermann stand mit umgeschnalltem Akkordeon im Eingang. Der Nachbar rang nach Worten: "Dein Schaf hat mich alarmiert, es meinte, dir ginge es nicht gut, hätte verdächtige Geräusche aus dem Haus gehört! Was spielst du auch immer für nen Scheiß? Da rollen sich ja die Tapeten vor Rührung von den Wänden!" Opa Hermann war entrüstet: "Du Kulturbanause", giftete er seinen Nachbarn an." "Wieso ich?" rief sein Nachbar, "du hättest ja dein Schaf beizeiten an die Geräusche gewöhnen können!" "Geräusche? Geräusche? Ich glaube bei dir hackt es! Das einzige Geräusch, welches du akzeptierst, ist doch deine Kettensäge! Das geht von morgens bis spät in die Nacht! Vor dir ist doch kein Baum mehr sicher!"
"Kannst du überhaupt die Tonleiter?" wollte Clemens jetzt wissen. "Na klar: - do-re-mi-fa-so-la-ti-do." Dabei machte Opa Hermann komische Handbewegungen, so als wolle er einen Fisch aus einem Marmeladenglas fingern. "Das ist keine Tonleiter", kommentierte Clemens, "das hört sich an wie das Morsealphabet!" "Das Morsealpabet hat doch ganze Wörter, z.B. "Yankie" und "Zulu". Für "Z" hätte man heute sicher "Zombie" genommen." "Aber die Yankies sind doch nicht in Afrika bei den Zulus", wendete Clemens ein. "Boa", Opa Hermann verdrehte die Augen, "das Morsealphabet ist doch keine völkerrechtliche Gebietsangabe, sondern ein Übertragungsmittel, außerdem waren die Amis schon überall, meist als Besetzer."
Irgendwann hatten sich die Gemüter beruhigt. "Wenn du schon mal da bist, Clemens, komm rein. Wir nehmen einen zusammen und danke, dass du mich retten wolltest!" Die Männer betraten die Diele, Amos folgte ihnen. Er brauchte mehr Informationen. Deshalb ging er mit. Später könnte er Linda alles erzählen.
"Ich habe das Lied von Hans Albers gespielt", erklärte der alte Mann seinen Besuchern, "ein Stück aus "Große Freiheit Nr.7". Es ist unter dem Titel "La Paloma" sehr bekannt geworden. Das ist nun mal ein wenig wehmütig, besonders die Stelle, in der es heißt: weit ist das Meer, wie groß muss der Himmel sein!"
"Ja aber Opa Hermann, wozu sind die ganzen Regler an dem Kasten, die vielen weißen und schwarzen?" wollte das Piratenschaf wissen. "Na, die lösen die Töne aus, und die Regler nennt man Tasten. Man spielt eine Tonart, die wird durch Tonika, Dominante und Subdominante geregelt, also einen Dreiklang!" Amos sagte: "Bööööööööh!" "Fast richtig", stellte Opa Hermann fest. "Du fängst in frühen Jahren mit der Musik an, lieber Amos! Ich habe zum Beispiel von meinem Vater einen Kamm bekommen, da fehlten nur drei Zähne (es war Nachkriegszeit). Der wurde in ein Stück Zellophanpapier eingewickelt, und man konnte herrliche Melodien darauf blasen. Das Geräusch, also der Ton, kam einem Saxophon schon sehr nahe, also wenn du nur auf dem Mundstück spielst, ha ha ha ha ha! Sonst gab es ja nichts, außer einem Volksempfänger, und da kam meistens Marschmusik heraus. Wusstet ihr, dass ein Saxophon ein Holzinstrument ist, obwohl es aus Blech besteht, aus zusammengelöteten Konservendosen?"
Amos und der Nachbar kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. "Bööööh", sagte das Piratenschaf erneut.
"Ich spiele euch jetzt mal ein Stück auf meinem Schifferklavier vor, das passt in diese Landschaft, dann wisst ihr das nächste Mal Bescheid, bevor ihr mir die Tür eintretet." Opa Hermann verklärte seine Augen und griff in die Tasten. Er sang dazu folgenden Text:
"My Bonnie is over the ocean - my Bonnie is over the sea, my Bonnie is over the ocean - please bring back my Bonnie to me!"
"Nicht schlecht", schluchzte Clemens, "wenn doch nur min Olschke wieder bei mir wäre..."
"Weshalb ist sie denn damals stiften gegangen?" fragte Opa Hermann mitfühlend. "Das war die Zeit, als ich damit anfing, Trompete zu lernen!"
Die Märzsonne stand im blauen Azur, wärmte bereits mit ihren Strahlen Land und Flur. Amos, das Piratenschaf, hatte nach langer erfolgloser Suche endlich seine geliebte Schafsdame Linda gefunden und sie zu sich in Opa Hermanns Grundstück entführt. Na ja, im Grunde war es gar keine Entführung gewesen, denn Opa Hermann hatte sie bei ihrem Züchter ausgelöst. Nun waren sie zusammen und genossen die Vorboten des Frühlings auf der saftigen Wiese.
"O, meine geliebte Linda", säuselte Amos soeben, "wie habe ich dich lieb!" Linda errötete etwas unter ihrem Wollschopf und atmete hörbar aus: "Mein strammer Pirat!"
Das wäre wahrscheinlich noch eine Weile so weitergegangen, wenn nicht plötzlich ein wehleidiger Laut an Amos Ohr gedrungen wäre.
"Oh, du liebe Güte", durchfuhr es das Piratenschaf, "es ist etwas mit Opa Hermann!" Dessen Kate war ja nur einen Hammelsprung entfernt auf dem selben Grundstück gelegen. "Bleibe du nur lieber hier", empfahl das Piratenschaf, "ich gehe mal nach dem Rechten schauen!"
"Pass auf dich auf", antwortete Linda, "nicht dass es etwas Gefährliches ist, was dich erwartet!"
"Nein, nein, bin doch schon groß", brüstete sich Amos. Je näher er dem Haus von Opa Hermann kam, desto eindringlicher wurden die Klagelaute. So ein Geräusch hatte das Piratenschaf vorher noch nie wahrgenommen.
Unter dem Fenster, aus welchem die Töne kamen, stand eine blaue Gartenbank, die Amos jetzt als Kletterhilfe benutzte, um in das Zimmer zu spähen. Aus dem halb geöffneten Fenster waren jetzt deutlich Wortfetzen zu hören. "Ein Schmerz", schrie Opa Hermann gerade, der eine rote Kiste vor seinen Bauch gebunden hatte und "fährt hinaus auf Seeeee", war zu vernehmen.
Die rote Kiste blähte sich auf, es mutete an wie ein altmodischer Heizkörper einer Zentralheizung, aber dem alten Mann gelang es immer wieder sie zusammenzudrücken. Dabei entstanden diese wehleidigen Klagelaute. Gerade maulte der alte Herr: "Musst nicht traurrrrrig sein!" Offensichtlich versuchte er, die rote Kiste zu beruhigen. Amos konnte sich keinen Reim auf das Geschehen machen. "Komisch sind die Menschen", dachte Amos, "sie binden sich überflüssigerweise eine Kiste vor den Bauch und versuchen sie dann zu trösten!"
Der Zeitpunkt war gekommen einzugreifen. Opa Hermann musste unter allen Umständen gerettet werden. Das Piratenschaf spähte nach der Haustür. Sie war verschlossen, ebenso die angebaute Waschküche. Amos raste um das Haus. Eile war sichtlich geboten! Was wäre, wenn die rote Kiste den armen Opa Hermann erdrücken würde? Nicht auszudenken! Amos besann sich nicht lange, sondern raste in wilden Dreiecksprüngen zum Nachbarhaus und bumste mit seinem Schädel gegen die Eingangstür. Der Nachbar erschien in der Türfüllung: "Ach, du bist es, was gibt`s?" "Komm schnell", hechelte der Vierbeiner, "es ist etwas mit Opa Hermann, aber bring einen Dietrich mit, er hat sich eingeschlossen!" Zusammen erreichten sie die Kate. Der Nachbar trommelte mit seinen Fäusten gegen die Hausür. Von innen war ein Rumoren zu hören, dann wurde die Tür entriegelt. Opa Hermann stand mit umgeschnalltem Akkordeon im Eingang. Der Nachbar rang nach Worten: "Dein Schaf hat mich alarmiert, es meinte, dir ginge es nicht gut, hätte verdächtige Geräusche aus dem Haus gehört! Was spielst du auch immer für nen Scheiß? Da rollen sich ja die Tapeten vor Rührung von den Wänden!" Opa Hermann war entrüstet: "Du Kulturbanause", giftete er seinen Nachbarn an." "Wieso ich?" rief sein Nachbar, "du hättest ja dein Schaf beizeiten an die Geräusche gewöhnen können!" "Geräusche? Geräusche? Ich glaube bei dir hackt es! Das einzige Geräusch, welches du akzeptierst, ist doch deine Kettensäge! Das geht von morgens bis spät in die Nacht! Vor dir ist doch kein Baum mehr sicher!"
"Kannst du überhaupt die Tonleiter?" wollte Clemens jetzt wissen. "Na klar: - do-re-mi-fa-so-la-ti-do." Dabei machte Opa Hermann komische Handbewegungen, so als wolle er einen Fisch aus einem Marmeladenglas fingern. "Das ist keine Tonleiter", kommentierte Clemens, "das hört sich an wie das Morsealphabet!" "Das Morsealpabet hat doch ganze Wörter, z.B. "Yankie" und "Zulu". Für "Z" hätte man heute sicher "Zombie" genommen." "Aber die Yankies sind doch nicht in Afrika bei den Zulus", wendete Clemens ein. "Boa", Opa Hermann verdrehte die Augen, "das Morsealphabet ist doch keine völkerrechtliche Gebietsangabe, sondern ein Übertragungsmittel, außerdem waren die Amis schon überall, meist als Besetzer."
Irgendwann hatten sich die Gemüter beruhigt. "Wenn du schon mal da bist, Clemens, komm rein. Wir nehmen einen zusammen und danke, dass du mich retten wolltest!" Die Männer betraten die Diele, Amos folgte ihnen. Er brauchte mehr Informationen. Deshalb ging er mit. Später könnte er Linda alles erzählen.
"Ich habe das Lied von Hans Albers gespielt", erklärte der alte Mann seinen Besuchern, "ein Stück aus "Große Freiheit Nr.7". Es ist unter dem Titel "La Paloma" sehr bekannt geworden. Das ist nun mal ein wenig wehmütig, besonders die Stelle, in der es heißt: weit ist das Meer, wie groß muss der Himmel sein!"
"Ja aber Opa Hermann, wozu sind die ganzen Regler an dem Kasten, die vielen weißen und schwarzen?" wollte das Piratenschaf wissen. "Na, die lösen die Töne aus, und die Regler nennt man Tasten. Man spielt eine Tonart, die wird durch Tonika, Dominante und Subdominante geregelt, also einen Dreiklang!" Amos sagte: "Bööööööööh!" "Fast richtig", stellte Opa Hermann fest. "Du fängst in frühen Jahren mit der Musik an, lieber Amos! Ich habe zum Beispiel von meinem Vater einen Kamm bekommen, da fehlten nur drei Zähne (es war Nachkriegszeit). Der wurde in ein Stück Zellophanpapier eingewickelt, und man konnte herrliche Melodien darauf blasen. Das Geräusch, also der Ton, kam einem Saxophon schon sehr nahe, also wenn du nur auf dem Mundstück spielst, ha ha ha ha ha! Sonst gab es ja nichts, außer einem Volksempfänger, und da kam meistens Marschmusik heraus. Wusstet ihr, dass ein Saxophon ein Holzinstrument ist, obwohl es aus Blech besteht, aus zusammengelöteten Konservendosen?"
Amos und der Nachbar kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. "Bööööh", sagte das Piratenschaf erneut.
"Ich spiele euch jetzt mal ein Stück auf meinem Schifferklavier vor, das passt in diese Landschaft, dann wisst ihr das nächste Mal Bescheid, bevor ihr mir die Tür eintretet." Opa Hermann verklärte seine Augen und griff in die Tasten. Er sang dazu folgenden Text:
"My Bonnie is over the ocean - my Bonnie is over the sea, my Bonnie is over the ocean - please bring back my Bonnie to me!"
"Nicht schlecht", schluchzte Clemens, "wenn doch nur min Olschke wieder bei mir wäre..."
"Weshalb ist sie denn damals stiften gegangen?" fragte Opa Hermann mitfühlend. "Das war die Zeit, als ich damit anfing, Trompete zu lernen!"