Amos und das Interview

Glosse zum Thema Absurdes

von  Reliwette

Gedruckt sieht alles so ganz einfach aus

Gestern war die Presse bei Opa Hermann. Der Journalist hatte sich für 11 Uhr angekündigt. Deshalb hatte sich der alte Herr in Schale geschmissen und seine neue Cordhose (15 Jahre alt) aus dem Kleiderschrank geholt. "Meine Güte, wenn das in den überregionalen Teil kommt!" Niemand will sich gerne blamieren. Deshalb war Rentner Hermann am Tage zuvor noch schnell beim "haircutter" gewesen. So nennt man heutzutage die Friseure, die weniger in althergebrachten "Salons" werkeln als dass sie heutzutage in "Studios" die Kundschaft zur "Schere bitten". Entsprechend haben sich die Namen der Unternehmen dem Mainstream angepasst: "HAIRHUNTER" -analog zu "Kopfgeldjäger" - oder "HEIßE SCHERE" anstelle von "SALON EPIDERMES", was übrigens keine griechische Göttin war.
Derart gestylt blickte der Geschorene daheim in den inzwischen infolge "hoher Laufleistung" patinierten großen Kristallspiegel aus dem vorigen Jahrhundert. Aber so oft sich der alte Herr auch drehte und wendete, es kam nichts wesentlich Neues dabei heraus. Opa Hermann hatte außer einigen fehlenden Ohr-, Nasen- und Augenbrauenhaaren das Studio so verlassen wie er es betreten hatte. Was ist auch an einer "Fast-Glatze" groß herum zu schnippeln?
Um so größer war der Schock, als der junge Journalist sich mit Namen vorstellte und kurz und knapp den Anlass seines Besuches darlegte: "Unsere Redaktion beabsichtigt einen Bericht über ihr sprechendes Schaf zu veröffentlichen." "Ach, und deshalb sind sie hier?" fragte Opa Hermann überflüssigerweise. "Ja, wir hatten doch telefoniert..."
"Aber nicht darüber gesprochen, dass Sie mit Amos, dem Piratenschaf, ein Interview machen wollen", verteidigte der alte Herr seine störrische Haltung. "Ich war davon ausgegangen, dass Sie mich sprechen wollen", fügte der etwas pressegeile Opa Hermann hinzu.
Der Zeitungsreporter druckste etwas herum, es war ihm sichtlich unangenehm. Wie sollte er erklären, dass eine Reportage über einen brummigen ehemaligen Bergmann nicht viel hergeben würde außer einem Gähnen bei der Leserschaft des beliebten Tageblattes, ohne Opa Hermann zu brüskieren?
"Na dann kommen Sie mal mit!" Opa Hermann angelte sich im Vorbeigehen seine Arbeitsjacke vom Haken seines Garderobenständers: "Hier entlang bitte!" Es ging zweimal links herum, einmal rechts um die Häuserecken und dann war nur noch Grünes: mehr lang und breit als hoch. In Sichtweite grasten zwei Schafe, welche die Ankömmlinge interessiert beobachteten. "Amos und Linda", rief Opa Hermann, "ihr habt Besuch, die Presse ist da!" "Was pressen die denn"? fragte Amos. "Heu?"
"O ja", rief der Journalist begeistert, "tatsächlich, es spricht!" Opa Hermann mischte sich ein: "Früher war das Drucken mittels Druckstöcken wirklich ein Pressen, heute verwendet man Matritzen per Computer, nur der Name ist geblieben: Zeitungsmacher = Presse!" "Aha", röhrte das Piratenschaf und fügte "Böööööh" hinzu. "Verstehe", erwiderte der Zeitungsmann und notierte etwas in seinen Notizblock. "Huch", fügte nun Linda hinzu, "wie praktisch!" "Ach, Sie sprechen auch? Darf ich "du" sagen?" "Bin noch keine sechzehn", erwiderte Linda, das Schaf, "ich habe kein Problem damit!"
An Amos gewandt startete der Journalist die erste Frage: "Was bevorzugst du am liebsten im Speiseplan?" "Den Plan", sagte das Piratenschaf etwas irritiert. Dann dachte es einen Moment nach: "Weidegras!" "Und an zweiter Stelle kommt.....", wurde gefragt und Amos: "Weidegras!"

Das würde ein Schietinterview, so viel war sicher. Aber du kannst ein Schaf ja schlecht nach seiner bevorzugten Whiskeymarke befragen. Amos schien die Verlegenheit des Reporters zu bemerken und sagte von sich aus: "Ich spreche hannoversches Hochdeutsch und bei Opa Hermann Plattdütsk. Bei den lieben Piraten wird "Lakonisch" gesprochen, das ist die Sprache der Frustrierten!"

Der Reporter schüttelte den Kopf wie ein Zugpferd, dem das Holster zu eng geworden war. "Das ist ja unglaublich!"
"Amos ist schlau", mischte sich jetzt Opa Hermann ungefragt ein, "das Schaf sollte in die Politik gehen, außerdem sind die Betriebskosten viel günstiger als bei einem herkömlichen Abgeordneten. Ich erinnere: Weidegras! Die Politik könnte es nebenher machen, neben dem Fressen. Die Wirtschaft ist ohnehin ein Selbstläufer, und der Zahlmeister ist schon zufrieden, wenn die Steuereinnahmen tüchtig sprudeln, nicht wahr Amos?"
"Bööööh", machte Amos, und Opa Hermann frohlockte: "Sehen Sie, sag ich doch! Haben Sie mitgeschrieben?" "Scheiß Interview", dachte der Reporter, "läuft völlig aus dem Ruder!"
"Fragen Sie das Piratenschaf nach dem Wehretat", stichelte Opa Hermann. "Ich bin doch nicht bekloppt", ächzte der Journalist, "wem soll ich das denn auf die Nase binden?"
"Geht bei der Blödzeitung doch auch", ereiferte sich der alte Bergmann, "was glauben Sie, was die aus der Story machen würden? Eine Fotomontage, das Piratenschaf mit dem Gesicht von Frau..." "Hören Sie auf, das ist doch völliger Quatsch!" "Ja, und genau den wollen die Leute lesen, die Realität kennen die Menschen doch zur Genüge! Außerdem geifern so furchtbar viele danach, manipuliert zu werden. Das ist die Volksseuche Nummer 1, nicht irgend ein Grippevirus. Ein nackter Frauenpopo ersetzt vier Philosophiebücher, junger Mann, wenn ich das mal so wertfrei in den Raum stellen darf!"
Linda hatte etwas abseits gegrast. Sie tat so, als ginge sie das alles nichts an. In Wirklichkeit bekamen ihre gespitzten Ohren jede Einzelheit des Diskurses mit. Sie war stolz auf ihren Mann, das berüchtigte Piratenschaf, das es sogar mit dem Leithammel Brutus aufgenommen hatte, wenn auch durch eine rasante Flucht.
Gerade hörte sie, wie sich der Journalist für das Gespräch mit den Worten bedankte: "Wenn mein Chef das so durchgehen lässt, wird der Artikel in der übernächsten Ausgabe erscheinen!"
"Wer ist sein Chef?" zischte Amos zu Opa Hermann hinauf. "Das ist doch der bekannte Chefredakteur vom Tagesanzeiger, aber du hättest dem Reporter auch ein wenig zuarbeiten können." Dabei ließ der alte Herr ein verschmitztes Lächeln erkennen und zwinkerte mit dem rechten Auge.

Der alte Bergmann hatte sich nicht umsonst in seine "neue" Cordhose geschmissen.

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