Abseitsgang
Gedicht zum Thema Abschied
von Mullenlulle
Kommentare zu diesem Text
Hallo Mullenlulle,
der Text ist schwierig zu kommentieren. Nicht etwa, weil er schlecht geschrieben sei, das ist er definitiv nicht. Er ist so schwierig zu kommentieren, weil er die heimlichen Ecken in uns anspricht, die, in denen wir nicht so gern rumporkeln.
Ich fang mal mit dem Handwerklichen an: Der gesamte Text kommt mit nur 4 Reimendungen aus, was aber m.E. an keiner Stelle dieses 8-strophigen Werkes + Nachsatz gezwungen oder gedrechselt wirkt.
Als wirklich gelungen empfinde ich insbesondere die überall vorkommenden Assonanz-Schmankerl wie (nur um mal ein paar deutliche Beispiele zu nennen) z.B.
an diese trauergraue Häuserwand
hier steckt so viel au und äu im Vers, dass man rein klanglich automatisch mitleidet.
Dann grinsen sie in Schwindel und in Brand,
Hier zwingen die vielen Is den (stimmhaften) Leser regelrecht zum Grinsen, als säße er ebenfalls dort und zwar mittendrin.
Die "Gerschworenen" in S7 sollten übrigens noch ein kleinen r ablegen.
Zum Inhaltlichen: Böse. Gerade weil das LyrI um die Schwächen derer weiß, bei denen er so gern hockt und mit denen er sich gemein macht, weil er sich nicht mit der "Elite" vergleichen mag, schwankt man als Leser, ob man sich dort, in dieser ehrlichen Gemeinschaft der Verlorenen nicht auch wohler fühlen würde, ob es dort trotz sichtbarer Not nicht menschlicher und wärmer zugeht als in den Bereichen, in denen man sich beweisen, die man sich erarbeiten muss. Und dann die fast noch größere Gemeinheit: Genau die, die dort am Boden liegen, die, denen es kaum noch schlechter gehen könnte, die, zu denen sich das lyrische Ich geflüchtet hat, weil es fürchtet, in der "anderen Welt" unterzugehen, nicht zu bestehen, die wollen es auch nicht bei sich haben, es soll sich gefälligst dorthin scheren, wo der Pfeffer wächst, äh, sorry, wo die Unschuld wohnt, in der Walachei oder so!
Warum die letzten Reime (Walachei/sei) us dem immerwährenden "and" und "orenen" ausbrechen, verstehe ich. Gut nachvollziehen kann ich auch, warum der Friedhofstorreim in S6 "oren" und nicht "orenen" heißt, Friedhof ist eine endgültige Sache, da schließt sich dann ganz einfach das Tor.
Nicht so ganz nachvollziehen kann ich hingegen, warum in S3 die Reimendungen ebenfalls ausbrechen, aber vielleicht habe ich ja da nur irgendetwas übersehen.
Ein Text, mit dem ich mich gern beschäftigt habe.
Liebe Grüße
Sabine
der Text ist schwierig zu kommentieren. Nicht etwa, weil er schlecht geschrieben sei, das ist er definitiv nicht. Er ist so schwierig zu kommentieren, weil er die heimlichen Ecken in uns anspricht, die, in denen wir nicht so gern rumporkeln.
Ich fang mal mit dem Handwerklichen an: Der gesamte Text kommt mit nur 4 Reimendungen aus, was aber m.E. an keiner Stelle dieses 8-strophigen Werkes + Nachsatz gezwungen oder gedrechselt wirkt.
Als wirklich gelungen empfinde ich insbesondere die überall vorkommenden Assonanz-Schmankerl wie (nur um mal ein paar deutliche Beispiele zu nennen) z.B.
an diese trauergraue Häuserwand
hier steckt so viel au und äu im Vers, dass man rein klanglich automatisch mitleidet.
Dann grinsen sie in Schwindel und in Brand,
Hier zwingen die vielen Is den (stimmhaften) Leser regelrecht zum Grinsen, als säße er ebenfalls dort und zwar mittendrin.
Die "Gerschworenen" in S7 sollten übrigens noch ein kleinen r ablegen.
Zum Inhaltlichen: Böse. Gerade weil das LyrI um die Schwächen derer weiß, bei denen er so gern hockt und mit denen er sich gemein macht, weil er sich nicht mit der "Elite" vergleichen mag, schwankt man als Leser, ob man sich dort, in dieser ehrlichen Gemeinschaft der Verlorenen nicht auch wohler fühlen würde, ob es dort trotz sichtbarer Not nicht menschlicher und wärmer zugeht als in den Bereichen, in denen man sich beweisen, die man sich erarbeiten muss. Und dann die fast noch größere Gemeinheit: Genau die, die dort am Boden liegen, die, denen es kaum noch schlechter gehen könnte, die, zu denen sich das lyrische Ich geflüchtet hat, weil es fürchtet, in der "anderen Welt" unterzugehen, nicht zu bestehen, die wollen es auch nicht bei sich haben, es soll sich gefälligst dorthin scheren, wo der Pfeffer wächst, äh, sorry, wo die Unschuld wohnt, in der Walachei oder so!
Warum die letzten Reime (Walachei/sei) us dem immerwährenden "and" und "orenen" ausbrechen, verstehe ich. Gut nachvollziehen kann ich auch, warum der Friedhofstorreim in S6 "oren" und nicht "orenen" heißt, Friedhof ist eine endgültige Sache, da schließt sich dann ganz einfach das Tor.
Nicht so ganz nachvollziehen kann ich hingegen, warum in S3 die Reimendungen ebenfalls ausbrechen, aber vielleicht habe ich ja da nur irgendetwas übersehen.
Ein Text, mit dem ich mich gern beschäftigt habe.
Liebe Grüße
Sabine
Kommentar geändert am 29.01.2018 um 20:30 Uhr
Liebe Sabine,
erstmal vielen Dank für Deine ausführliche Rückmeldung und die Empfehlung! =)
Ich habe während meiner Zeit in Berlin tatsächlich öfter mit Obdachlosen und Junkies geredet und dadurch viele meiner übernommenen Vorurteile verworfen. Das in eine Versform zu bringen, war schwierig, weshalb ich mich bemüht habe, das Gedicht - trotz seiner Schwere - so zu schreiben, dass es sich halbwegs flüssig lesen lässt.
Erstaunlich: Ich habe den Text unzählige Male gelesen, aber das r bei GeRschworenen ist mir NIE aufgefallen. Soviel zum Thema Betriebsblindheit - vielen Dank für den Hinweis! =)
Ehrlich gesagt kann ich nicht mehr begründen, weshalb das Reimschema in S3 unterbrochen wird. Ich vermute, das hing mit der begrenzten Anzahl der Reimendungen auf -and zusammen, die ich weiter unten im Gedicht verarbeiten wollte. Daher womöglich der Bruch - mich persönlich stört er nicht, aber ich nehme Dein Stutzen zur Kenntnis. Vielleicht schreibe ich später nochmal eine Alternativfassung. =)
Wie schön, dass Du Dich so tief mit dem Text auseinandergesetzt hast. Deine Interpretation trifft, obwohl ich sie für mich nie so ausführlich beschrieben hatte.
Beste Grüße.
Mull
erstmal vielen Dank für Deine ausführliche Rückmeldung und die Empfehlung! =)
Ich habe während meiner Zeit in Berlin tatsächlich öfter mit Obdachlosen und Junkies geredet und dadurch viele meiner übernommenen Vorurteile verworfen. Das in eine Versform zu bringen, war schwierig, weshalb ich mich bemüht habe, das Gedicht - trotz seiner Schwere - so zu schreiben, dass es sich halbwegs flüssig lesen lässt.
Erstaunlich: Ich habe den Text unzählige Male gelesen, aber das r bei GeRschworenen ist mir NIE aufgefallen. Soviel zum Thema Betriebsblindheit - vielen Dank für den Hinweis! =)
Ehrlich gesagt kann ich nicht mehr begründen, weshalb das Reimschema in S3 unterbrochen wird. Ich vermute, das hing mit der begrenzten Anzahl der Reimendungen auf -and zusammen, die ich weiter unten im Gedicht verarbeiten wollte. Daher womöglich der Bruch - mich persönlich stört er nicht, aber ich nehme Dein Stutzen zur Kenntnis. Vielleicht schreibe ich später nochmal eine Alternativfassung. =)
Wie schön, dass Du Dich so tief mit dem Text auseinandergesetzt hast. Deine Interpretation trifft, obwohl ich sie für mich nie so ausführlich beschrieben hatte.
Beste Grüße.
Mull