Spiegelungen
Text zum Thema Abstraktes
von Viriditas
02
Eine Kaffeetafel, fein eingedeckt, das Silber blitzt, die Servietten zu kleinen Kunstwerken gefaltet. Torten und Kuchen, Kerzen. Ein Sonntag. Kerzen werden angezündet. Ein Geburtstag. Es klingelt, nach und nach erscheinen die Gäste, begrüßen sich untereinander. Draußen auf der Terrasse gibt es einen Sekt. Plaudern, lachen, unterhalten, der Tag geht so vor sich hin. Die Gäste sind nicht zu erkennen, aber zu hören und zu spüren.
Abends bleibt ein Kästchen auf dem Tisch zurück, auf dem steht: „Für .....“. Und „Alleine in Ruhe öffnen.“ Ich riß die Augen auf. Ein Traum? Wenn ich mich umschaute, erinnerte mich eher meine aktuelle Gegenwart an einen Traum. Diese Wirklichkeit war echt und fühlte sich gleichzeitig unwirklich an. Ich registrierte, dass ich wieder auf dem luftweichen Lager lag.
Eine ganz vage Erinnerung, eher ein Hauch von derselben, schwebte heran. Der Sonntag, die Feier. Das Kästchen. Es war, als wäre es von einem Schleier umgeben. Ich begann in dem Raum herumzulaufen, und meine Gedanken rasten durch meinen Kopf. Ich blieb stehen, zwickte mich selbst ziemlich fest, um mir eine Idee von meiner jetzigen Realität zu geben.
Ein Blick nach oben in die Kuppel, schönstes Wetter, die Bäume wiegen sich lautlos im Wind. Der Traum, der keiner war. Wenn ich nicht mehr dort war, gab es mich dann in meinem bisherigen Leben noch? Denn wenn ich hier war, und es fühlte sich sehr danach an, konnte ich nicht gleichzeitig dort sein.
Gerade, als der Gedanke begann, sich mit einem seltsamen Gefühl zu verbinden, erhellte sich eine in der Wand befindlichen Öffnungen. Es sah wie ein Bildschirm aus, und schon begann der Film. Mein Traum. Die Kaffeetafel ... und alles andere. Mein Geburtstag, ich mittendrin. Ich sehe, wie ich abends das Kästchen nehme und damit in mein Zimmer gehe. Der Bildschirm wurde dunkler und fiel langsam in seinen undurchsichtigen, plasmatischen Zustand zurück.
Ich ging langsam an den Wänden entlang, sie aus einer Handbreit Entfernung abfühlend, ertastend, ohne sie zu berühren. Ich suchte eine Tür, einen Durchgang und fühlte mich wie Ali Baba. Hier, an dieser Stelle, glaubte ich, sähe die Wand anders aus. Und da war auch etwas wie eine kleine Erhebung. Ich hielt meine Hand darüber, und die Wand öffnete sich neben der Erhebung, so dass ich hindurchgehen konnte. Ich kam nicht nach draußen, was meine Hoffnung gewesen war. Auch wenn ich keine Vorstellung davon hatte, was mich dort erwarten würde. Ich stand in einem weiteren Raum, etwas größer als der mir bekannte und meinte, diesen als eine Art Wohnzimmer ausmachen zu können. Sitz- und Liegegelegenheiten, alle in diesen ungewohnten runden Formen.
Hier reichte die Kuppel an einer Seite des Raumes bis auf den Boden und gab einen Panoramablick frei. Neugierig näherte ich mich dem, was ich für den Rand der Kuppel hielt. Als ich recht nah war, streckte ich ganz langsam meinen linken Arm aus. Noch ein Stückchen näher, ich war darauf gefasst, gleich auf eine Grenze zu stoßen, so wie man es bei gewöhnlichem Glas kannte. Den Arm ein Stück weiter, da war nichts, einfach nichts. Unwillkürlich machte ich nun auch einen Schritt nach vorne. Und – stand im Freien. Deutlich spürte ich den Unterschied zwischen drinnen und draußen.
Hier draußen schien alles so, wie ich es glaubte zu kennen. Bewegungen, Geräusche. Ganz im Gegensatz zu dieser manchmal bewegungslos anmutenden Stille innerhalb der Räume. Aber was machte das Ganze für einen Unterschied – für mich?
Vor mir lag ein Wald. Andeutungen von Wegen führten in ihn hinein. Er wirkte hell und erfrischend. Ich ging los. Der Wind rauschte in den Bäumen über mir. Ich ging und schaute mich um. Auf den zweiten, genaueren Blick musste ich feststellen, dass es auch hier draußen etwas anders war als das mir Bekannte. Es waren andere Bäume, andere Sträucher, andere Blumen. Am auffälligsten war der Unterschied bei den Blumen. Sie waren alle groß und bunt in den unterschiedlichsten Formen. Keine davon kam mir auch nur annähernd bekannt vor.
Neben dem angedeuteten Weg schlängelte sich eine Weile ein Bach, der aufmunternd plätscherte. Ein Bach. Ein Bach hat auch eine Quelle, schoß es durch mich hindurch. Die Quelle, an der ich gewesen war, schoß es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich hatte dieses Erlebnis vergessen, obwohl es sich doch erst vor wenigen Stunden ereignet hatte. Aber hatte ich nicht auch schon vergessen, dass ich Geburtstag hatte? Alles war Wirklichkeit, so oder so.
Ich beschloß, dem Bachlauf zu folgen, weil er mich irgendwann an seine Quelle bringen würde. Es war mir gleichgültig, um welche Quelle es sich genau handeln würde. Nach einer Weile entfernte sich der Bachlauf vom Weg und ich mit ihm. Der Wald wurde dichter, aber nicht dunkel. Auch die Vögel, die sich überall und nirgends aufzuhalten schienen, waren irgendwie anders. Ähnlich den bekannten und doch anders. Auch ihre Stimmen schienen anders.
Nach vielen Stunden öffnete sich vor mir eine Lichtung. Der Bach schlängelte sich mitten hindurch. Die Lichtung war von halbhohem bis hohem Gras bedeckt, überall zirpte, flatterte, zwitscherte und knisterte es. Am Rande des Baches gab es einige Sträucher mit bunten, großen Beeren und ein paar Bäume. Ziemlich in der Mitte der runden Lichtung stand ein Baum, der einer Weide ähnlich war, am Bach. Die Blätter waren größer und grüner und sie wirkten eher golden als silbrig. Dort, wo einzelne Zweige den Boden berührten, begannen sie, von dort aus in einem sanften Bogen wieder weiter nach oben zu wachsen. Ich näherte mich dem Baum, zögerte einen Moment und setzte mich dann mit dem Rücken an seinen Stamm.
Um mich herum war ein einziges Rascheln, Vibrieren, Zittern und Beben. Alles schien in Bewegung zu sein. Außer dem Bach, der an dieser Stelle ein bisschen breiter war und sich hier im Sonnenlicht langsamer, fast träge bewegte. Ich folgte mit dem Blick seinem Weg. Die Sonne beschien das Wasser, so dass es wie ein silbernes Band wirkte. Es schien, als würden kleine, silberne Funken über dem Wasser schweben und sich hin- und herbewegen. Und von oben schienen goldene Funken aus dem weidenähnlichen Baum auf mich herabzurieseln. Fast unsichtbar, durchsichtig gegen die Sonne, nur ein Hauch von Umrissen zu erkennen. Eingebunden in diese raschelnde, knisternde, prickelnde, surrende Umgebung, silbern und golden berieselt, schlief ich nach dem langen Marsch ein. Mal wieder.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Ganz dunkel. Wolken schoben sich über den Himmel und gaben nur ab und an einen schimmernden Halbmond frei, der dann das Wasser des Baches beschien. Das Wasser wurde dann zu einer einzigen, silberschimmernden, sich langsam bewegenden Masse, die etwas wie Magnetismus auszustrahlen schien. Sobald sich eine Wolke vor den halben Mond schob, war der Bach kaum noch zu sehen, und irgendwo aus dem Dunkeln war er zu hören. Tagsüber im Hellen plätscherte, hüpfte und sprang das Wasser, jetzt hörte es sich wie ein sanftes, träges, aber stetiges Murmeln an. Beim nächsten Mondstrahl ging ich zum Rand des Baches und setzte mich dorthin. Ich traute mich nicht, ins Wasser zu fassen, weil ich sonst diese sich sanft wiegende, silberne Oberfläche gestört hätte. Es sprach. Ich konnte etwas hören. Ich traute nun auch meinen Ohren nicht. Lauschte in alle Richtungen in die Dunkelheit, aber es war eindeutig.
Der Bach, das Wasser sprach. Es war als würde das Murmeln des Wassers langsam in Worte einer fremden Sprache übergehen. Ich hörte es deutlich. Aber ich konnte es nicht verstehen. Für mich eine Fremdsprache. Als sich erneut eine Wolke vor den Mond schob, verstummten die fremdartigen Worte.
Es gab keinen Grund, das zu glauben, was ich erlebte. Es war eine Tatsache, eine Wirklichkeit. Ich sah die Dinge, ich hörte sie, ich spürte sie. Sie waren echt. Keine Glaubensfrage. Ist. Sind. Wozu? Ein Mondstrahl, und das fremdartige Flüstern, das vom Wasser ausging, begann wieder. Ich lauschte und ... verstand. Verstand diese fremde Sprache, die mir sagte, dass ich jetzt gleich losgehen sollte, dem Bach folgend, heraus aus dem Wald, an seinen Rand, wo die Vorboten des Gebirges auftauchten. Der Mond schien weiter auf das Wasser, aber die Stimme schwieg. Nur das Murmeln blieb.
Ohne zu zögern stand ich auf und folgte dem Bach. Hinaus aus der Lichtung, der Wald war nun ausreichend dunkel. Der Halbmond zeigte mir den Weg, das Wasser blitzte zwischendurch immer wieder einmal auf. Nach vielleicht einer Stunde, wenn ich denn so etwas wie ein Zeitgefühl noch hatte, lichtete sich der Wald immer mehr, ging in eine große Wiese über, an deren Ende die ersten Anhöhen begannen. Zielstrebig durchquerte ich die Wiese, am Bach entlang. Am Fuße der Felsen endete der Bach und ging in einen kleinen See über.
Genau jetzt schob sich eine ganze Wolkendecke vor den Mond, das Licht ging aus. Mit einem letzten Blick hatte ich erkennen können, dass am anderen Ende des Sees sich Felsen begannen aufzutürmen. Von dort hörte ich jetzt nur noch ein lautes Rauschen. Es war unmöglich, durch diese Dunkelheit auch nur einen Schritt zu gehen. Hinter mir erinnerte ich mich an eine Gruppierung kleiner Bäume, durch die ich gerade gegangen war und die nur wenige Meter entfernt lagen mussten. Ich tastete mich am Murmeln des Wassers entlang und kam auch nach wenigen Metern dort an. An einem Baum, dessen Zweige bis zur Erde reichten, rollte ich mich ein und schlief.
Das Rauschen weckte mich. Es war früh, die Sonne oder das, was hier den Tag erhellte, begann aufzugehen. Der Baum, unter dem ich lag, trug große, orangefarbene Früchte. Sie schmeckten ähnlich wie Äpfel, waren etwas weicher. Der Strauch daneben lieferte eine auberginefarbene Frucht, die optisch wie geschmacklich sich zwischen Himbeeren und Trauben befand. Ich nahm ohne nachzudenken von beidem. Ein Schluck Wasser aus dem Bach. Das mich an die Quelle erinnerte und – an den Gegenstand in meiner Tasche. Aus meinem Erleben und Empfinden war die ganze Zeit so angefüllt gewesen, dass ich ihn schlicht und ergreifend vergessen hatte.
Und nun fühlte es sich wie eine unendlich lange Zeitlupe an, als sich meine Hand in die Hosentasche schob und den Gegenstand hervorzog. Ich öffnete die Hand und sah einen Skarabäus aus Tigerauge. Ein Mistkäfer. Ägyptischer. Mit irgendeiner Bedeutung. Mir nicht bekannt. Ich betrachtete ihn von allen Seiten. Es war ein kleines Kunstwerk. Seine dunkle, glänzende Unterseite wurde von einem goldenen Strahl durchzogen, der sich auf der geschnitzten Seite fortsetzte, dort aber kaum als solcher zu erkennen war.
Dieser Tigeraugen-Skarabäus war der Inhalt des Kästchens gewesen. Das ich abends allein ausgepackt hatte. Ein kurze Mitteilung war dabei, handschriftlich.
Eine Kaffeetafel, fein eingedeckt, das Silber blitzt, die Servietten zu kleinen Kunstwerken gefaltet. Torten und Kuchen, Kerzen. Ein Sonntag. Kerzen werden angezündet. Ein Geburtstag. Es klingelt, nach und nach erscheinen die Gäste, begrüßen sich untereinander. Draußen auf der Terrasse gibt es einen Sekt. Plaudern, lachen, unterhalten, der Tag geht so vor sich hin. Die Gäste sind nicht zu erkennen, aber zu hören und zu spüren.
Abends bleibt ein Kästchen auf dem Tisch zurück, auf dem steht: „Für .....“. Und „Alleine in Ruhe öffnen.“ Ich riß die Augen auf. Ein Traum? Wenn ich mich umschaute, erinnerte mich eher meine aktuelle Gegenwart an einen Traum. Diese Wirklichkeit war echt und fühlte sich gleichzeitig unwirklich an. Ich registrierte, dass ich wieder auf dem luftweichen Lager lag.
Eine ganz vage Erinnerung, eher ein Hauch von derselben, schwebte heran. Der Sonntag, die Feier. Das Kästchen. Es war, als wäre es von einem Schleier umgeben. Ich begann in dem Raum herumzulaufen, und meine Gedanken rasten durch meinen Kopf. Ich blieb stehen, zwickte mich selbst ziemlich fest, um mir eine Idee von meiner jetzigen Realität zu geben.
Ein Blick nach oben in die Kuppel, schönstes Wetter, die Bäume wiegen sich lautlos im Wind. Der Traum, der keiner war. Wenn ich nicht mehr dort war, gab es mich dann in meinem bisherigen Leben noch? Denn wenn ich hier war, und es fühlte sich sehr danach an, konnte ich nicht gleichzeitig dort sein.
Gerade, als der Gedanke begann, sich mit einem seltsamen Gefühl zu verbinden, erhellte sich eine in der Wand befindlichen Öffnungen. Es sah wie ein Bildschirm aus, und schon begann der Film. Mein Traum. Die Kaffeetafel ... und alles andere. Mein Geburtstag, ich mittendrin. Ich sehe, wie ich abends das Kästchen nehme und damit in mein Zimmer gehe. Der Bildschirm wurde dunkler und fiel langsam in seinen undurchsichtigen, plasmatischen Zustand zurück.
Ich ging langsam an den Wänden entlang, sie aus einer Handbreit Entfernung abfühlend, ertastend, ohne sie zu berühren. Ich suchte eine Tür, einen Durchgang und fühlte mich wie Ali Baba. Hier, an dieser Stelle, glaubte ich, sähe die Wand anders aus. Und da war auch etwas wie eine kleine Erhebung. Ich hielt meine Hand darüber, und die Wand öffnete sich neben der Erhebung, so dass ich hindurchgehen konnte. Ich kam nicht nach draußen, was meine Hoffnung gewesen war. Auch wenn ich keine Vorstellung davon hatte, was mich dort erwarten würde. Ich stand in einem weiteren Raum, etwas größer als der mir bekannte und meinte, diesen als eine Art Wohnzimmer ausmachen zu können. Sitz- und Liegegelegenheiten, alle in diesen ungewohnten runden Formen.
Hier reichte die Kuppel an einer Seite des Raumes bis auf den Boden und gab einen Panoramablick frei. Neugierig näherte ich mich dem, was ich für den Rand der Kuppel hielt. Als ich recht nah war, streckte ich ganz langsam meinen linken Arm aus. Noch ein Stückchen näher, ich war darauf gefasst, gleich auf eine Grenze zu stoßen, so wie man es bei gewöhnlichem Glas kannte. Den Arm ein Stück weiter, da war nichts, einfach nichts. Unwillkürlich machte ich nun auch einen Schritt nach vorne. Und – stand im Freien. Deutlich spürte ich den Unterschied zwischen drinnen und draußen.
Hier draußen schien alles so, wie ich es glaubte zu kennen. Bewegungen, Geräusche. Ganz im Gegensatz zu dieser manchmal bewegungslos anmutenden Stille innerhalb der Räume. Aber was machte das Ganze für einen Unterschied – für mich?
Vor mir lag ein Wald. Andeutungen von Wegen führten in ihn hinein. Er wirkte hell und erfrischend. Ich ging los. Der Wind rauschte in den Bäumen über mir. Ich ging und schaute mich um. Auf den zweiten, genaueren Blick musste ich feststellen, dass es auch hier draußen etwas anders war als das mir Bekannte. Es waren andere Bäume, andere Sträucher, andere Blumen. Am auffälligsten war der Unterschied bei den Blumen. Sie waren alle groß und bunt in den unterschiedlichsten Formen. Keine davon kam mir auch nur annähernd bekannt vor.
Neben dem angedeuteten Weg schlängelte sich eine Weile ein Bach, der aufmunternd plätscherte. Ein Bach. Ein Bach hat auch eine Quelle, schoß es durch mich hindurch. Die Quelle, an der ich gewesen war, schoß es wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich hatte dieses Erlebnis vergessen, obwohl es sich doch erst vor wenigen Stunden ereignet hatte. Aber hatte ich nicht auch schon vergessen, dass ich Geburtstag hatte? Alles war Wirklichkeit, so oder so.
Ich beschloß, dem Bachlauf zu folgen, weil er mich irgendwann an seine Quelle bringen würde. Es war mir gleichgültig, um welche Quelle es sich genau handeln würde. Nach einer Weile entfernte sich der Bachlauf vom Weg und ich mit ihm. Der Wald wurde dichter, aber nicht dunkel. Auch die Vögel, die sich überall und nirgends aufzuhalten schienen, waren irgendwie anders. Ähnlich den bekannten und doch anders. Auch ihre Stimmen schienen anders.
Nach vielen Stunden öffnete sich vor mir eine Lichtung. Der Bach schlängelte sich mitten hindurch. Die Lichtung war von halbhohem bis hohem Gras bedeckt, überall zirpte, flatterte, zwitscherte und knisterte es. Am Rande des Baches gab es einige Sträucher mit bunten, großen Beeren und ein paar Bäume. Ziemlich in der Mitte der runden Lichtung stand ein Baum, der einer Weide ähnlich war, am Bach. Die Blätter waren größer und grüner und sie wirkten eher golden als silbrig. Dort, wo einzelne Zweige den Boden berührten, begannen sie, von dort aus in einem sanften Bogen wieder weiter nach oben zu wachsen. Ich näherte mich dem Baum, zögerte einen Moment und setzte mich dann mit dem Rücken an seinen Stamm.
Um mich herum war ein einziges Rascheln, Vibrieren, Zittern und Beben. Alles schien in Bewegung zu sein. Außer dem Bach, der an dieser Stelle ein bisschen breiter war und sich hier im Sonnenlicht langsamer, fast träge bewegte. Ich folgte mit dem Blick seinem Weg. Die Sonne beschien das Wasser, so dass es wie ein silbernes Band wirkte. Es schien, als würden kleine, silberne Funken über dem Wasser schweben und sich hin- und herbewegen. Und von oben schienen goldene Funken aus dem weidenähnlichen Baum auf mich herabzurieseln. Fast unsichtbar, durchsichtig gegen die Sonne, nur ein Hauch von Umrissen zu erkennen. Eingebunden in diese raschelnde, knisternde, prickelnde, surrende Umgebung, silbern und golden berieselt, schlief ich nach dem langen Marsch ein. Mal wieder.
Als ich aufwachte, war es dunkel. Ganz dunkel. Wolken schoben sich über den Himmel und gaben nur ab und an einen schimmernden Halbmond frei, der dann das Wasser des Baches beschien. Das Wasser wurde dann zu einer einzigen, silberschimmernden, sich langsam bewegenden Masse, die etwas wie Magnetismus auszustrahlen schien. Sobald sich eine Wolke vor den halben Mond schob, war der Bach kaum noch zu sehen, und irgendwo aus dem Dunkeln war er zu hören. Tagsüber im Hellen plätscherte, hüpfte und sprang das Wasser, jetzt hörte es sich wie ein sanftes, träges, aber stetiges Murmeln an. Beim nächsten Mondstrahl ging ich zum Rand des Baches und setzte mich dorthin. Ich traute mich nicht, ins Wasser zu fassen, weil ich sonst diese sich sanft wiegende, silberne Oberfläche gestört hätte. Es sprach. Ich konnte etwas hören. Ich traute nun auch meinen Ohren nicht. Lauschte in alle Richtungen in die Dunkelheit, aber es war eindeutig.
Der Bach, das Wasser sprach. Es war als würde das Murmeln des Wassers langsam in Worte einer fremden Sprache übergehen. Ich hörte es deutlich. Aber ich konnte es nicht verstehen. Für mich eine Fremdsprache. Als sich erneut eine Wolke vor den Mond schob, verstummten die fremdartigen Worte.
Es gab keinen Grund, das zu glauben, was ich erlebte. Es war eine Tatsache, eine Wirklichkeit. Ich sah die Dinge, ich hörte sie, ich spürte sie. Sie waren echt. Keine Glaubensfrage. Ist. Sind. Wozu? Ein Mondstrahl, und das fremdartige Flüstern, das vom Wasser ausging, begann wieder. Ich lauschte und ... verstand. Verstand diese fremde Sprache, die mir sagte, dass ich jetzt gleich losgehen sollte, dem Bach folgend, heraus aus dem Wald, an seinen Rand, wo die Vorboten des Gebirges auftauchten. Der Mond schien weiter auf das Wasser, aber die Stimme schwieg. Nur das Murmeln blieb.
Ohne zu zögern stand ich auf und folgte dem Bach. Hinaus aus der Lichtung, der Wald war nun ausreichend dunkel. Der Halbmond zeigte mir den Weg, das Wasser blitzte zwischendurch immer wieder einmal auf. Nach vielleicht einer Stunde, wenn ich denn so etwas wie ein Zeitgefühl noch hatte, lichtete sich der Wald immer mehr, ging in eine große Wiese über, an deren Ende die ersten Anhöhen begannen. Zielstrebig durchquerte ich die Wiese, am Bach entlang. Am Fuße der Felsen endete der Bach und ging in einen kleinen See über.
Genau jetzt schob sich eine ganze Wolkendecke vor den Mond, das Licht ging aus. Mit einem letzten Blick hatte ich erkennen können, dass am anderen Ende des Sees sich Felsen begannen aufzutürmen. Von dort hörte ich jetzt nur noch ein lautes Rauschen. Es war unmöglich, durch diese Dunkelheit auch nur einen Schritt zu gehen. Hinter mir erinnerte ich mich an eine Gruppierung kleiner Bäume, durch die ich gerade gegangen war und die nur wenige Meter entfernt lagen mussten. Ich tastete mich am Murmeln des Wassers entlang und kam auch nach wenigen Metern dort an. An einem Baum, dessen Zweige bis zur Erde reichten, rollte ich mich ein und schlief.
Das Rauschen weckte mich. Es war früh, die Sonne oder das, was hier den Tag erhellte, begann aufzugehen. Der Baum, unter dem ich lag, trug große, orangefarbene Früchte. Sie schmeckten ähnlich wie Äpfel, waren etwas weicher. Der Strauch daneben lieferte eine auberginefarbene Frucht, die optisch wie geschmacklich sich zwischen Himbeeren und Trauben befand. Ich nahm ohne nachzudenken von beidem. Ein Schluck Wasser aus dem Bach. Das mich an die Quelle erinnerte und – an den Gegenstand in meiner Tasche. Aus meinem Erleben und Empfinden war die ganze Zeit so angefüllt gewesen, dass ich ihn schlicht und ergreifend vergessen hatte.
Und nun fühlte es sich wie eine unendlich lange Zeitlupe an, als sich meine Hand in die Hosentasche schob und den Gegenstand hervorzog. Ich öffnete die Hand und sah einen Skarabäus aus Tigerauge. Ein Mistkäfer. Ägyptischer. Mit irgendeiner Bedeutung. Mir nicht bekannt. Ich betrachtete ihn von allen Seiten. Es war ein kleines Kunstwerk. Seine dunkle, glänzende Unterseite wurde von einem goldenen Strahl durchzogen, der sich auf der geschnitzten Seite fortsetzte, dort aber kaum als solcher zu erkennen war.
Dieser Tigeraugen-Skarabäus war der Inhalt des Kästchens gewesen. Das ich abends allein ausgepackt hatte. Ein kurze Mitteilung war dabei, handschriftlich.