Ingeplackt

Kurzgeschichte zum Thema Taubheit

von  RainerMScholz

Der Einarmige im Dorf zeigt gerne, dass er nur einen Arm besitzt, dass er versehrt ist und gezeichnet. Im Sommer rennt er mit seinem weißen feingerippten Altmännerunterhemd herum und tut geschäftig, scheinbar immer bei der Arbeit, oder ein langer beiger oder farblich undefinierbarer Hemdsärmel flattert lose im Wind; nicht wie bei anderen Amputierten ohne Arm, die das lose Ende des Hemdes einstecken oder hochbinden. Wenn er die Straße kehrt, und das tut er jeden Samstag gegen elf Uhr, wenn alle zum Edeka oder zum Rewe einkaufen fahren, arbeitet er immer ganz nah am Bordstein, als wolle er sagen: seht her, ihr beidarmigen Kraftfahrer, die ihr nicht so verletzt worden seid wie ich, die ihr das gar nicht aushalten könntet, ich bin unzerstörbar, ich schaffe die Arbeit, die ihr mit zwei gesunden Armen, mit beiden Händen und zehn Fingern erledigt mit meiner Hälfte doppelt so gründlich und die Straße ist bei mir noch sauberer, als vor euren Türen.
Sein Stumpf wackelt und zittert entschlossen am Rumpf, wenn er die Dorfstraße geradeaus hinunter marschiert ohne nach links oder rechts zu blicken, wächst aus seiner Schulter und seiner Achselhöhle selbstbewusst und provokant hervor, als hätte dieser Fortsatz ein Eigenleben. Dieses gewesene Leid vermag niemand zu überbieten und ich recke dem Schicksal die Stirn entgegen, ich bin unzerstörbar, ich bin größer als das, was der Schöpfer für mich vorsah.
Neulich bin ich bei einer Verkehrskontrolle am Ortsausgang angehalten worden und der Einarmige und ein Nachbar standen am Rand und sahen der peinlichen und misslichen Lage der Angehaltenen zu. Und als ich meinen Obolus bezahlt hatte und die Polizei mich weiterwinkte, ließ ich beim Anfahren das Beifahrerfenster herunter und rief ihnen zu, sie sollten machen, dass sie weiterkämen, unnützes Pack und Gaffer hätten wir schon genug hier im Dorf. Ihr Krüppel! Ich glaube, sie haben mich nicht erkannt. Ich fuhr dann weiter, beide Hände fest am Lenkrad.


© Rainer M. Scholz

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