Milchblau

Kurzgeschichte zum Thema Horror

von  RainerMScholz

Das Weiße überstrahlt alles, das Glänzende, der blinkende Stahl, der Karbolgeruch, die weißen Kacheln und das grelle Neonlicht, das jeden Winkel ausleuchtet, alle Ecken erhellt, jede Falte. Die wuchtigen, in die Wand eingelassenen Edelstahlschubfächer mit den blanken Griffen liegen gegenüber der Milchglaseinlassung, das Licht von dort scheint diffus, wie eine beunruhigende Nebelwand, aus der jedoch niemand zu treten vermag, nichts dringt hindurch, kein Wesen und kein Ding. Nur die lange Reihe der klobigen Schubladen scheint eine undefinierbare Präsenz darzustellen, eine unnennbare scheinbare Ankündigung von etwas Bevorstehendem. Doch die Aufmerksamkeit wird von dem großen sauberen Tisch im Zentrum des Raumes eingenommen. Der Mann in dem weißen, gemangelten Leinenkittel mit der mintgrünen Atemschutzmaske, die nur seine Augen frei lässt, welche er hinter Neonlichter fangenden Brillengläsern verbirgt, steht seitlich des Tisches, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Sein Blick, sofern das zu deuten ist, ist teilnahmslos auf die glatte Oberfläche des Tisches gerichtet. Er wartet scheinbar. Der Tisch hat seitliche Ablaufvorrichtungen, die Flüssigkeiten abzuleiten vermögen, die in einem Loch im Boden aufgefangen werden. Das Gurgeln und Gluckern ist jedoch längst verstummt. Selbst das leise Summen der Neonröhren scheint aus dem Raum abgeleitet zu sein.
Eine Schiebetür an der Kopfseite des bis zur Unkenntlichkeit anonymisierten Raumes öffnet sich mit einem dezenten Zischgeräusch und zwei Männer in Kitteln treten ein. Der eine trägt eine unscheinbare blaue Kühlbox. Wie Zwillinge treten sie gleichzeitig an den Tisch und begutachten ihre Fracht, die darauf ausgestreckt liegt. Dann bückt sich der Mann zu der auf den Kachelboden abgestellten Box, öffnet den Deckel und entnimmt einen Zellophanbeutel mittlerer Größe. Er pustet sanft hinein, damit er sich zur Gänze öffnet und schüttelt ihn ein wenig. Der andere Mann schiebt seine Hände unter das winzig erscheinende Genick und die Kniekehlen, hebt das gewesene Leben mit den Plastikhandschuhen auf. Er bugsiert den Kopf in die Tüte, dann die schmalen Schultern, die  kleinen Arme und die Beinchen. Die Augenlider heben sich leicht durch die Bewegung, der Blick schimmert blaumilchig durch die Plastikfolie. Der andere Mann schüttelt den Zellophanbeutel leicht, damit er ihn über den Gliedmaßen schließen kann, die Augen gehen zu, er verschweißt den Beutel und legt ihn in die Kühlbox. Dann wird der Deckel geschlossen. Die beiden Männer drehen sich zum Ausgang und gehen wortlos. Der Mann mit der mintgrünen Maske vor dem Gesicht öffnet eine Luke an der Gerätewand, entrollt einen Gummischlauch und beginnt den Tisch mit einer Mischung aus Wasser und Desinfektionsmittel abzuspritzen.
Die Männer mit der blauen Box gehen einen langen dunklen Flur hinab und verlassen das Gebäude. In der Box befindet sich der Zellophanbeutel und in dem Beutel starren die Milchaugen zwischen Kühlaggregaten.


© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Habakuk (04.05.18)
Wo hast du den Alien gefunden? Gibts da noch mehr davon?

H.

 Dieter_Rotmund (04.05.18)
Sehr verplappert.
Zuerst ist der Tisch leer (" Blick auf die glatte Oberfläche des Tisches gerichtet"), dann liegt plötzlich doch was drauf? Schlampig gemacht. Und wieso trägt der eine eine Schutzmaske, aber niemand stört sich daran, dass ein andere in die Tüte spuckt? ("Er pustet sanft hinein").
Also insgesamt in der Text viel zu sehr in seine eigene Form verliebt.

 Isaban meinte dazu am 04.05.18:
Ich glaube, der Mann hat, um seine Contenance zu wahren und möglichst unbeteiligt und professionell zu wirken, seinen Blick auf die Glatte Oberfläche des Tisches, auf die leere Fläche gerichtet, weil er nicht auf die Stelle des Tisches schauen mochte, wo das Baby lag.

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 04.05.18:
Glauben gehört in die Kirche, wenn ich das mal so salopp sagen darf. Ein ordentlicher Autor sollte ohne formal mögliche Widersprüche erzählen können.
Inhaltlich finde ich auch, das der Kindstod zu sehr ästhetisiert ist, ein wenig "Rotz" würde dem Text gut tun, muss ja nur ein Detail sein.

 RainerMScholz schrieb daraufhin am 04.05.18:
Arme Sau.

 Dieter_Rotmund äußerte darauf am 05.05.18:
Wer ist eine "arme Sau"? Der Autor? Der Mann am Tisch?

 Isaban (04.05.18)
Ein Baby. Anscheinend ein ganz kleines, das nach der Obduktion zur Beerdigung abgeholt wird. Man mag es sich kaum vorstellen. Ich bin froh, wenn ich das Bild des winzigen toten Kindes in der Plastiktüte wieder aus dem Kopf habe.

 RainerMScholz ergänzte dazu am 04.05.18:
Richtig und gut gelesen. Ich danke.
Grüße,
R.
Marjanna (68)
(04.05.18)
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 RainerMScholz meinte dazu am 04.05.18:
Tut weh, ich weiß. Ist ja schnell vorbei.
Grüße,
R.
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