Tagebuch des Hans Giebenrath
Text zum Thema Alles und Nichts...
von philippjonas
16 – 28 Februar 1943.
16. Februar. Mein Radio ist neu und entspricht dem selben Modell wie das von meinem Nachbarn Herrn Sternberg. Heute haben sie im Radio eine Symphonie gespielt, schon schön so ein Orchester und ein Genuss, wenn man dazu am Fenster sitzt und ein Zigarettchen´ schmaucht. Es war ein langsames Stück. Längere Pausen, wo kein einziger Ton aus dem Radio kam und wo man schon denkt das Radio habe sich selbst ausgeschaltet. Im 4. Satz dann eine Disharmonie aus F und ein Fis, nur von den Bratschen gespielt. Das hat mir der Sternberg von 3. Stock erklärt. Gscheiter´ Mann und studiert hat der auch. Schirch klingt das schon so ein F und ein Fis direkt nebeneinander und so ein bisserl unbequem wird’s im Zimmer, wenn man das hört. Eigentlich wollt ichs´ dann gleich wieder abdrehen das Radio.
17. Februar. Morgendlicher Ablauf wie folgt: 6 Uhr Tagbeginn, Zähneputzen, obligatorisches Waschen, abschließend zu Fuß in die Arbeit. Weit ist es nicht bis ins Gymnasium in der Fadingerstraße. Unterricht ohne Vorfälle. Korrektur der Hausarbeiten zu den Potenzgesetzen der 5a und Organisatorisches bis etwa 16 Uhr, anschließend wieder nach Hause. Zum Abendbrot wurde eine Wiederholung der Symphonie von gestern gespielt und ein Unwohlsein hat sich in mir breitgemacht. Schön hat´s auch diesmal nicht geklungen, nach Öde und Wahnsinn. Wenn man sich den ganzen Tag solche Sachen anhört, kann man sich gleich selber ins Sanatorium einliefern. Anm. unruhiger Schlaf. Abruptes Aufwachen wie in Panik gegen 3 Uhr. nasses Nachtgewand. Starrte einige Sekunden desorientiert an die Wand.
18. Feb. Unterricht wie immer. Zum Abendessen eine Übertragung von Minister Goebbels. Ein Choleriker, freilich, aber recht hat er schon irgendwo. Die Finanz und die Wirtschaft kann man nicht einfach unter den Teppich kehren, das versteht sich von selbst. Natürlich gilt das nicht für den einzelnen Menschen. Mein Nachbar Herr Sternberg, ein hochanständiger Mensch. Von mir aus kann mir das Ganze gestohlen bleiben, ich leb´ ganz gut. Arbeit, manchmal eine bisserl Frauengesellschaft. Eine ordentliche Mahlzeit am Abend, hin und wieder auch a´ kräftiges Fleisch.
20. Februar. Spät wars´ schon am Abend und gedacht hab´ ich wieder an die Radioübertragung. Ein F und ein Fis klingt unschön wie der Tod. Freilich ist das nichts, was man klingen lassen kann, den Tod. Aber, wie das mit dem Künstlerischen halt´ ist, assoziiert man. Das will er ja, der Künstler, dass man assoziiert, das man verbindet. Nicht das ganze Programm hab´ ich mir angehört, vielleicht 30 oder 40 Minuten, dann hab´ ich wieder abgedreht, weil man das nicht aushält länger. Dann kurz duschen. Komisch hat sichs´ angefühlt, so spät noch zu duschen und Angst hab´ ich gehabt, dass gleich ein Nachbar vor der Tür steht und sich beschwert bei mir. Dann hab´ ich mich hingelegt und auf den Schlaf gewartet. Wenn der Tod wie ein disharmonischer Zweiton klingt, wie schaut er dann aus? Ich glaub´, wenn man ihn anblickt, blickt man sich selbst an, so wie man halt´ glaubt, dass man ist, das man aussschaut. Dann redet man kurz vielleicht. Viel zu reden gibt’s da, denn der arbeitet das Gleiche, hat die gleichen Interessen, spielt ein bisschen Klavier am Wochenende und geht spazieren, wenn die Sonne scheint im Volksgarten. Manchmal meldet er sich, bevor er kommt, manchmal klingelt er gleich an. Meistens dann, wenn man gar nicht rechnet damit. So wie bei der Isabella. Freilich wars´ ein Mischling, aber tüchtig und geliebt´ hab´ ich sie wie sonst gar nichts. Aber was bringt’s denn, wenn beide mitgehen? Das hat sie schon eingesehen als die gekommen sind von der Gestapo. Freundlich warens´ auch. Immerhin bin ich ja bei der Partei, ich meine wer nicht, aber das mit den Juden hab´ ich trotzdem nie verstanden.
24. Februar. Heut´ führte ich ein kurzes Gespräch mit Gott. „Hallo Gott, ich bin es der Hans.“ „Hör zu, wo ich doch mein Leben lang ein braver Christ war, kannst du mir da nicht die Isabella zurückbringen? Ich verspreche dir“, wie in einer Art Tausch war das, als wäre ich auf irgendeinem Wochenmarkt, wo Gott seine Wunder an einem Marktstand feilbietet, „wenn du die Isabella zurückbringst, wenn sie morgen aufwacht neben mir im Bett, dann sag ich nichts. Ich rufe nicht die Zeitung an und sage: schauts´ her ein Wunder ist geschehen oder Ähnliches. Ich bleib einfach liegen und nehm´ das hin, wie es passiert ist. Wenn sie morgen wieder neben mir liegt, dann kannst du von mir aus die Schuld für so viele tote Zigeunerkinder wie du willst von deinem auf mein Konto geben.“
Juden, Deutsche, Tschechen, Polen, Franzosen, Ungarn, Russen, Österreicher. Ist man letztlich nicht Mensch unter demselben Himmel auf derselben Erd´. Anm.: Gott hat nicht geantwortet.
27. Februar. Heute haben sie die Isabella nach Auschwitz gebracht. Ein formloser Brief ist das, ich kenns´ ja. Glaubt man, das fällt keinem auf, wo sies´ doch direkt vor der Nase haben in Mauthausen, wo in der Nacht die Fahrzeuge ein und aus fahren.
28. Februar. Habe morgens Kaffee gekocht, dann Paprikatopfen zubereitet.
Den Topfen teile ich in exakt fünf gleich große Teile ein. Den ersten Teil schabe ich mit dem Messer heraus und gebe ihn in eine kleine Glasschüssel, dann streue ich den Paprika dazu Ich setzte mich an den Tisch beim Fenster und schaute auf den Bahnhof während des Frühstücks. Irgendwann stand ich auf und ging zum Kühlschrank. Ich machte die Türe auf und blicke den Topfen an, der noch vier-fünftel-voll dort stand, wo ich ihn vorher hingestellt hab´ und nehme ich ihn heraus.
Die Hand hat mir nicht gehorcht und wie ein Degenerierter hab´ ich ihn gegen die Wand geworfen, dass es scharf gestunken hat und überall die Spritzer waren. Dann hab´ ich das Fenster aufgemacht, ruhig alles in allem, den Hut aufgesetzt und bin raus auf die Straße gegangen. „Hoffentlich treff´ ich jetzt nicht den Sternberg“, hab´ ich gedacht, „den hab´ ich auch schon lange nicht mehr gesehen.“ Eine Zigarette, ein kurzer Besuch in der Zentrale. Ein paar Tage Urlaub würde ich brauchen, hab´ ich dem Haberwallner gesagt, meiner Mutter ginge es schlecht. Dann bin ich losgefahren in den Westen. Weit weg von Isabellas Grab im Osten. „Wer weiß, Isabella?“, hab´ ich gedacht, „unter anderen Umständen wär´ aus uns noch ein richtiges Ehepaar geworden, mit Kindern und einem Haus am Land.“ Vielleicht in Eferding. Schön war es dort im Sommer, wo die Sonne golden auf die Felder schien.
16. Februar. Mein Radio ist neu und entspricht dem selben Modell wie das von meinem Nachbarn Herrn Sternberg. Heute haben sie im Radio eine Symphonie gespielt, schon schön so ein Orchester und ein Genuss, wenn man dazu am Fenster sitzt und ein Zigarettchen´ schmaucht. Es war ein langsames Stück. Längere Pausen, wo kein einziger Ton aus dem Radio kam und wo man schon denkt das Radio habe sich selbst ausgeschaltet. Im 4. Satz dann eine Disharmonie aus F und ein Fis, nur von den Bratschen gespielt. Das hat mir der Sternberg von 3. Stock erklärt. Gscheiter´ Mann und studiert hat der auch. Schirch klingt das schon so ein F und ein Fis direkt nebeneinander und so ein bisserl unbequem wird’s im Zimmer, wenn man das hört. Eigentlich wollt ichs´ dann gleich wieder abdrehen das Radio.
17. Februar. Morgendlicher Ablauf wie folgt: 6 Uhr Tagbeginn, Zähneputzen, obligatorisches Waschen, abschließend zu Fuß in die Arbeit. Weit ist es nicht bis ins Gymnasium in der Fadingerstraße. Unterricht ohne Vorfälle. Korrektur der Hausarbeiten zu den Potenzgesetzen der 5a und Organisatorisches bis etwa 16 Uhr, anschließend wieder nach Hause. Zum Abendbrot wurde eine Wiederholung der Symphonie von gestern gespielt und ein Unwohlsein hat sich in mir breitgemacht. Schön hat´s auch diesmal nicht geklungen, nach Öde und Wahnsinn. Wenn man sich den ganzen Tag solche Sachen anhört, kann man sich gleich selber ins Sanatorium einliefern. Anm. unruhiger Schlaf. Abruptes Aufwachen wie in Panik gegen 3 Uhr. nasses Nachtgewand. Starrte einige Sekunden desorientiert an die Wand.
18. Feb. Unterricht wie immer. Zum Abendessen eine Übertragung von Minister Goebbels. Ein Choleriker, freilich, aber recht hat er schon irgendwo. Die Finanz und die Wirtschaft kann man nicht einfach unter den Teppich kehren, das versteht sich von selbst. Natürlich gilt das nicht für den einzelnen Menschen. Mein Nachbar Herr Sternberg, ein hochanständiger Mensch. Von mir aus kann mir das Ganze gestohlen bleiben, ich leb´ ganz gut. Arbeit, manchmal eine bisserl Frauengesellschaft. Eine ordentliche Mahlzeit am Abend, hin und wieder auch a´ kräftiges Fleisch.
20. Februar. Spät wars´ schon am Abend und gedacht hab´ ich wieder an die Radioübertragung. Ein F und ein Fis klingt unschön wie der Tod. Freilich ist das nichts, was man klingen lassen kann, den Tod. Aber, wie das mit dem Künstlerischen halt´ ist, assoziiert man. Das will er ja, der Künstler, dass man assoziiert, das man verbindet. Nicht das ganze Programm hab´ ich mir angehört, vielleicht 30 oder 40 Minuten, dann hab´ ich wieder abgedreht, weil man das nicht aushält länger. Dann kurz duschen. Komisch hat sichs´ angefühlt, so spät noch zu duschen und Angst hab´ ich gehabt, dass gleich ein Nachbar vor der Tür steht und sich beschwert bei mir. Dann hab´ ich mich hingelegt und auf den Schlaf gewartet. Wenn der Tod wie ein disharmonischer Zweiton klingt, wie schaut er dann aus? Ich glaub´, wenn man ihn anblickt, blickt man sich selbst an, so wie man halt´ glaubt, dass man ist, das man aussschaut. Dann redet man kurz vielleicht. Viel zu reden gibt’s da, denn der arbeitet das Gleiche, hat die gleichen Interessen, spielt ein bisschen Klavier am Wochenende und geht spazieren, wenn die Sonne scheint im Volksgarten. Manchmal meldet er sich, bevor er kommt, manchmal klingelt er gleich an. Meistens dann, wenn man gar nicht rechnet damit. So wie bei der Isabella. Freilich wars´ ein Mischling, aber tüchtig und geliebt´ hab´ ich sie wie sonst gar nichts. Aber was bringt’s denn, wenn beide mitgehen? Das hat sie schon eingesehen als die gekommen sind von der Gestapo. Freundlich warens´ auch. Immerhin bin ich ja bei der Partei, ich meine wer nicht, aber das mit den Juden hab´ ich trotzdem nie verstanden.
24. Februar. Heut´ führte ich ein kurzes Gespräch mit Gott. „Hallo Gott, ich bin es der Hans.“ „Hör zu, wo ich doch mein Leben lang ein braver Christ war, kannst du mir da nicht die Isabella zurückbringen? Ich verspreche dir“, wie in einer Art Tausch war das, als wäre ich auf irgendeinem Wochenmarkt, wo Gott seine Wunder an einem Marktstand feilbietet, „wenn du die Isabella zurückbringst, wenn sie morgen aufwacht neben mir im Bett, dann sag ich nichts. Ich rufe nicht die Zeitung an und sage: schauts´ her ein Wunder ist geschehen oder Ähnliches. Ich bleib einfach liegen und nehm´ das hin, wie es passiert ist. Wenn sie morgen wieder neben mir liegt, dann kannst du von mir aus die Schuld für so viele tote Zigeunerkinder wie du willst von deinem auf mein Konto geben.“
Juden, Deutsche, Tschechen, Polen, Franzosen, Ungarn, Russen, Österreicher. Ist man letztlich nicht Mensch unter demselben Himmel auf derselben Erd´. Anm.: Gott hat nicht geantwortet.
27. Februar. Heute haben sie die Isabella nach Auschwitz gebracht. Ein formloser Brief ist das, ich kenns´ ja. Glaubt man, das fällt keinem auf, wo sies´ doch direkt vor der Nase haben in Mauthausen, wo in der Nacht die Fahrzeuge ein und aus fahren.
28. Februar. Habe morgens Kaffee gekocht, dann Paprikatopfen zubereitet.
Den Topfen teile ich in exakt fünf gleich große Teile ein. Den ersten Teil schabe ich mit dem Messer heraus und gebe ihn in eine kleine Glasschüssel, dann streue ich den Paprika dazu Ich setzte mich an den Tisch beim Fenster und schaute auf den Bahnhof während des Frühstücks. Irgendwann stand ich auf und ging zum Kühlschrank. Ich machte die Türe auf und blicke den Topfen an, der noch vier-fünftel-voll dort stand, wo ich ihn vorher hingestellt hab´ und nehme ich ihn heraus.
Die Hand hat mir nicht gehorcht und wie ein Degenerierter hab´ ich ihn gegen die Wand geworfen, dass es scharf gestunken hat und überall die Spritzer waren. Dann hab´ ich das Fenster aufgemacht, ruhig alles in allem, den Hut aufgesetzt und bin raus auf die Straße gegangen. „Hoffentlich treff´ ich jetzt nicht den Sternberg“, hab´ ich gedacht, „den hab´ ich auch schon lange nicht mehr gesehen.“ Eine Zigarette, ein kurzer Besuch in der Zentrale. Ein paar Tage Urlaub würde ich brauchen, hab´ ich dem Haberwallner gesagt, meiner Mutter ginge es schlecht. Dann bin ich losgefahren in den Westen. Weit weg von Isabellas Grab im Osten. „Wer weiß, Isabella?“, hab´ ich gedacht, „unter anderen Umständen wär´ aus uns noch ein richtiges Ehepaar geworden, mit Kindern und einem Haus am Land.“ Vielleicht in Eferding. Schön war es dort im Sommer, wo die Sonne golden auf die Felder schien.