Bio-Blogging auf einem Friedhof

Roman zum Thema Straßenverkehr

von  toltec-head

Memoiren hassen. Den Akt des sich Hinsetzens, um - betulicher geht nimmer - seine Memoiren zu verfassen. Der Typus Mensch, der so etwas tut. Der damit einhergehenden Geisteszustand. Schlimmer sind eigentlich nur Romane. Romane vereinen in sich die doppelte Hassenswürdigkeit des Schreibens von Memoiren und des dieses Verbergenwollens. Einfach nur ekelhalft.

Setzte ich mich hin und begänne im Stil von "Dichtung und Wahrheit" oder von Handke ein autobiographisches Werk, so müsste der erste Satz lauten: "Er kam im Dezember mit einer Geburtszange zur Welt." Ich weiß aber genau, dass ich ein paar Sätze weiter schon keine Lust mehr hätte. 

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W.G. Sebald, geboren am 18. Mai 1944, gestorben an einem Herzinfarkt bei einem Autounfall am 13. Dezember 2001. War 1984 also 40. Seine Bücher handeln, wenn auch nur sehr diskret, immer auch von Homosexualität. Als junger Mann beinahe so blond und  gut aussehend wie Bruce Chatwin, wenn auch weniger stilsicher. Lehnte seine Vornamen Winfried und Georg, weil sie für ihn „richtige Nazi-Name“ waren, ab. AIDS kommt bei ihm überhaupt nirgends vor. Naturgemäß ließ sich sein eigener Tod anders als der Holocaust nicht mehr im Nachhinein ästhetisieren, wirkt aber gerade durch den von Außen hereinbrechenden Spiegelungseffekt merkwürdig.

Überhaupt sind mir nach dem 2. Weltkrieg geborene, denen AIDS, aus welchen Gründen auch immer, egal sein konnte, suspekt. Stattdessen gerinnen dann auf nicht ganz gewaltfreie Weise wie eine Mittelinitiale vollkommen abstrakte Dinge wie die deutsche Schuld zur fixen Idee. Closet-Queens, Hässliche oder Frauen. Betriebsnudeln, die, in welchen Betrieben der funktionalen Differenzierung auch immer, immer gut ankommen.

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Campo Santo. Willkommenskultur - gemeinschaftskonstituierendes Element der 7,52 Milliarden: Ausschluss aller Toten. Seltsame Epoche, in der Fräulein, denen man dies genau so im Gesicht auch ansieht, für 30 Euro pro Monat ein Patenkind in Afrika haben, das sie dann irgendwann einmal besuchen, aber keinerlei Ahnen.

Wo kommen sie hin, die Toten von Buenos Aires und Sao Paolo, von Mexiko City, Lagos und Kairo, von Tokio, Shanghai und Bombay? Die allerwenigsten wohl in ein kühles Grab. Und wer erinnerte sich an sie, wer erinnert sich überhaupt? Erinnerung, Aufbewahrung und Erhaltung, schreib Pierre Bertaux über die Mutation der Menschheit schon vor dreißig Jahren, waren lebenswichtig nur zu einer Zeit, da die Siedlungsdichte gering, die von uns hergestellten Gegenstände selten und nur der Raum in Fülle vorhanden war. Auf keinen konnte man damals verzichten, nicht einmal dann, wenn er gestorben war. In den Stadtschaften des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts hingegen, in denen jede, von einer Stunde zur andern, ersetzbar und eigentlich bereits von Geburt an überzählig ist, kommt es darauf an, dauernd Ballast über Bord zu werden, alles, woran man sich erinnern könnte, die Jugend, die Kindheit, die Herkunft, die Vorväter und Ahnen restlos zu vergessen.

AfD-Politiker vom Typus Heiko Maas, der in 10 Jahren stolz erklärt, wegen des großen Austauschs in die Politik gegangen zu sein. Deutsches Volk dabei längst genauso abstrakt wie Holocaust. Menschen, die gegen etwas ankämpfen, eben immer auch ein Teil davon.

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Unsicher, ob ich wirklich die neuen Tagebücher von Sloterdjik lesen soll. Aus einer Rezension: "Exhibitionismus ist Sache des Philosophen nicht." Nein, natürlich nicht. Wer öffentlich auf dem Marktplatz masturbiert, schreibt keine Acta Diurna. Kommandieren ist besser als ficken.

Am Tag, an dem Klonovsky das sizilianische Sprichwort "Commandare è meglio che fottere" als angebliche sizilianische Weiberweisheit bringt, ficke ich zufällig mit einem Sizilianer, der mir erklärt, dass es sich in Wirklichkeit um die Weisheit eines Mafiaboss handele. Immer noch besser als Medien- oder Kulturschaffender.

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