Vom Verschwinden öffentlicher Cruising-Plätze und der Unmöglichkeit eines offenen Literaturforums

Erzählung zum Thema Gefangen

von  toltec-head

Es ist soziologisch gut dokumentiert, dass die gesellschaftlich zunehmende Toleranz gegenüber sexuell abweichendem Verhalten mit einer fortschreitenden Verbannung desselben aus dem öffentlichen Raum korreliert. Die Schwulen bekommen die Ehe für die eigenen vier Wände, aber Toilettenklappen sterben aus. Die Verschwulung der Heterosexualität mittels Swingerclubs und Flatratebordellen wird im großen Stil organisiert und kapitalistisch ausgebeutet, die kostenfreie Verschwulung der Parkanlagen hingegen immer weniger toleriert. Das Internet beschleunigt diese Entwicklung, da es aus Sicht der Benutzer eine der größten Unannehmlichkeiten öffentlichen Cruisens löst: die Anwesenheit unattraktiver, zumeist älterer Spanner. Aus deren Sicht ist das Internet wiederum eine Katastrophe, da sie nicht einmal wie früher auf der Toilette oder im Park wenigstens noch mit den Augen mitmachen dürfen, sondern mittels Filtern und Altersgrenzen von vornherein eliminiert werden. Es ist dann nicht nur so, als existierten sie nicht, sie existieren dann wirklich nicht. Wer will schon einen richtigen, literarisch ambitionierten Text in einem Forum schreiben, in dem Rentner täglich ihre Kitschgedichte reinballern? Toilettensex mit herumlungernden Leichen um einen herum, nein Danke!

Es könnte sein, dass bald auch die Bullenwiese in Hannover nicht mehr existiert. Man macht sich selten klar, wie sehr die letzten Idyllen dieses Planeten alles andere als naturgegeben sind, sondern von den Launen und der Lebenszeit ihrer Erfinder, oftmals eines einzigen Mannes, abhängen. Erst jetzt erfahren, dass die Bullenwiese einem schwulen Bauern gehört, der sie in seiner Jugendzeit zu einem der wohl schönsten deutschen Cruising-Plätze verwildern ließ, mittlerweile aber eben recht alt ist und die Wiese, auf deren Rekultivierung Erben längst bereits spekulieren, selbst seit Jahren schon nicht mehr besucht hat. Wo benutzte Kondome unter Weißdornbüschen früher langsam vor sich hin verwesten, könnte also bald schon wieder Weizen sprießen. Die mittels Internet sozialisierten Jungschwulen wird´s nicht stören und die Alten sind im Altersheim, wo sie malen und sich gegenseitig Gedichte vorlesen können, eh viel besser aufgehoben.

Niemand wird sich für die Historie der Bullenwiese oder ähnlicher Orte oder für die Historie eines offenen Literaturforums interessieren. Diese Orte waren nur für diejenigen interessant, die dort abspritzten oder anderen beim abspritzen zusahen.

***
Luftkrieg und Willkommenskultur. In einem seiner Essays beschreibt W.G. Sebald wie Victor Gollancz im Herbst 1945 einige Städte der englisch besetzen Zone, darunter auch Hamburg, aufsucht, um mit Berichten aus erster Hand die englische Öffentlichkeit von der Notwendigkeit humanitärer Hilfeleistungen zu überzeugen.

Er beschreibt einen Besuch in der Jahnturnhalle, where mothers and children were spending the night. They were units in that homeless crowd that goes milling about Germany "to find relatives", they said, but really, or mainly, I was told, because a restlessness has come over them that just won´t let them settle down.

Bomber Harris do it again. Bevor nicht ganz Europa wie das Flüchtlingscamp in Calais mit einigen  segregated communities dazwischen, wo Politiker ihre Kinder auf Privatschulen schicken, aussieht, werden Antje und Annalena nimmer Ruhe geben.

Böll, der schon die mit dem Krieg verbundene ewige Fahrerei als einen ganz spezifischen Aspekt des menschlichen Unglücks, als eine Art Renomadisierung friedlich seßhafter Bevölkerungen begrifff, schreibt die bundesrepublikanische Hast und Reisewut, die alljährlich Ströme von Menschen außer Landes treibt, den Erfahrungen einer historischen Stunde zu, in der kollektiven Teilen der Gesellschaft die letzte Sicherung ihres Daseins, der Platz, an dem sie wohnten, entzogen wurde. Über das archaische Verhalten, das damit zum Durchbruch kam, gibt die Literatur sonst nur wenig Bescheid.


In ihrer Unfähigkeit zu trauern beklatschten die Bahnhofsklatscher in Wirklichkeit die endlich aus Stalingrad zurückkehrenden blonden Jungens und die nicht zu Grabe getragenen verkohlten Leichen aus den Bombennächten. Endlich wären die Deutschen zu sich selbst gekommen, wenn da noch etwas gewesen wäre, wohin sie hätten kommen können. Stattdessen überall Neger.  Ich möchte aus diesem Land nach England in irgendein efeuüberwachsenes College fliehen und als Kolonialherren-Lecturer in langen, kalten Winternächten vor einem Kaminfeuer in Tweed und mit Krawatte  irgendetwas nicht mehr richtig Klassifizierbares schreiben.

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Kommentare zu diesem Text

Iphigenie (38)
(12.11.18)
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 toltec-head meinte dazu am 13.11.18:
So hässlich wie ein Pakistani werde ich selbst mit 50 nicht sein.
Iphigenie (38) antwortete darauf am 13.11.18:
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 toltec-head schrieb daraufhin am 13.11.18:
Aber vielleicht dann einen Inzest mit einer lieben Schwester.
Iphigenie (38) äußerte darauf am 13.11.18:
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