Steingarten

Gedicht zum Thema Verlust

von  Isaban

Vor frischen Gräbern wurzeln schwarze Hüte,
bedecken Köpfe, die in Gruppen weinen,
als müssten sie das Leben nass verneinen.
Das feuchte Grab verschlingt so manche Blüte.
Gesprochen wird nicht viel, nur viel geschwiegen,
das Reden kommt hernach, beim Totenschmaus,
da lernen Blutsverwandte wieder lügen.
Um sechs geht seine Frau allein nach Haus,
den Kopf gesenkt. Die Stirn muss Zentner wiegen.
Sie muss ins Bett und dort für zweie liegen.

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Kommentare zu diesem Text

Piroschka (55)
(05.12.18)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban meinte dazu am 17.01.19:
Hallo Piroschka,

verzeih die späte Antwort. Herzlichen Dank für deine Rückmeldung, dein freundliches Lob freut mich sehr.

Freundliche Grüße
Isban

 Lluviagata (05.12.18)
Mit wenigen Worten viel zu sagen, das ist schon eine Kunst. Hier gefällt mir auch die Sprache, die bunt und einfach ist und einen daher betroffener macht als man möchte. Dass dabei noch solche geschmeidigen Reime entstehen konnten, ja, das zeugt vom Können der Schreiberin, von guter Beobachtungsgabe und Lebenserfahrung dazu.

Sehr gern gelesen und darob sinniert hat
Llu ♥

Kommentar geändert am 05.12.2018 um 12:27 Uhr

 Isaban antwortete darauf am 17.01.19:
Tausend Dank, liebe Llu!
Viele Grüße, spät aber herzlich,

Sabine

 Irma (05.12.18)
Schon der Titel gefällt mir. „Steingarten“ ist eine schöne (vielleicht zu schöne) Bezeichnung für einen Friedhof. Einen „Garten“ mit Grab-"Steinen". Die hartgesottenen Pflanzen, die hier zu wachsen vermögen, sind die unbeweglich stehenden Trauernden („wurzeln schwarze Hüte“). Auch das ein tolles Bild. Man spricht ja von „Wurzeln schlagen“, wenn jemand nicht vom Fleck kommt, und von "wie angewurzelt stehen". Die Unwegsamkeit dieses Steingartens wird aber nicht verschwiegen: „Das feuchte Grab verschlingt so manche Blüte.“ Die Blüte lässt mich an einen ehrer jüngeren Verstorbenen denken, der noch "mitten in der Blüte seines Lebens" stand.

Interessant ist für mich vor allem auch der Reimaufbau. Die ersten vier Zeilen stehen im umarmenden Reim. Das passt zu der Trauergesellschaft. Sie stehen vereint schweigend als Gruppe (Paarreim) in der Mitte und umarmen sich. Die folgenden vier Zeilen sind im Kreuz-Reim (das Kreuz passt natürlich). Gleichzeitig wird hiermit die Eintracht der Gruppe aufgehoben. Beim Leichenschmaus kommen die wahren Gesichter zum Vorschein, es geht über Kreuz, man streitet vielleicht ums Erbe („Blutsverwandte“ lässt daran denken) und lügt (leider ja kein seltenes Bild). Da muss natürlich auch der –iegen-Reim in ein verlogenes –ügen rutschen.

Die Ehefrau, vermutlich die einzige aus wahrem Herzen Trauernde, geht „allein nach Haus, / den Kopf gesenkt“. Sie fühlt sich unendlich allein gelassen in ihrem Schmerz. Die Kopfschmerzen haben sicher ihre Ursache in den Lügereien der Verwandten. Und das Kopfsenken kann aus Traurigkeit sein oder aus Beschämung über so viel Falschheit. Natürlich will man unwillkürlich im Kreuzreim weiterlesen, da sich der –iegen-Reim im vorletzten Vers fortsetzt. Aber die letzten beiden Verse stehen im Paar-Reim. Das passt natürlich für das leere Ehebett, das die Frau nun alleine füllen muss.

Gleichzeitig liegt das „lügen“ aus V.7 lautlich so dicht beim „liegen“, dass man automatisch wieder „lügen“ liest: „Sie muss ins Bett und dort für zweie LÜGEN.“ Bei mir hat es jedenfalls so funktioniert. Sehr geschickt gemacht! Und irgendwie passt gerade dieses leichte Anklingen der Lüge ganz ausgezeichnet. Schließlich muss sie nicht nur alleine im großen, leeren Bett liegen, sondern wird sich wohl auch immer wieder die Zweisamkeit zusammenlügen: Nachts ein Arm, der neben ihr ins Leere greift, bis sie irgendwann begreift.

Sehr anrührend und traurig, aber auch wieder sehr überzeugend und gekonnt geschrieben, Sabine. LG Irma

Kommentar geändert am 05.12.2018 um 16:53 Uhr

 Isaban schrieb daraufhin am 17.01.19:
Ach Irmchen, ma douce,

was soll man auf solch einen Kommentar antworten, es sei denn, mit Begeisterung? Jepp, du hast mich, ich bin mehr als begeistert - ich bin hin und weg. Du hast so ziemlich alles rausgeholt, was es rauszuholen gab - und du hast es verdammt genial gemacht.

Wahrscheinlich wäre es gut, sollte wirklich eine Kommentarempfehlungsfunktion eingebaut werden, wenn es ein Drei-Sternchen-System gäbe. 1 Sternchen für "guter Kommentar!", 2 Sternchen für "extrem guter Kommentar!" und 3 Sternchen für "absolut herausragender Kommentar!".

Hier bekämst du mindestens ein Dreigestirn.
Danke.

Liebe Grüße,

Sabine

 AZU20 (05.12.18)
Das hat mich beim Lesen sehr gepackt. LG

 Isaban äußerte darauf am 17.01.19:
Das freut mich. Vielen Dank für die Rückmeldung, Armin! LG

 eiskimo (05.12.18)
Stark! Man erlebt eine Beerdigung mit allen Elementen, die ,man leider Gottes kennt... und erlebt sie doch ganz neu! Umschreibungen, Personifizierungen, das Entlarven der Verlogenheit - sehr plastisch. Der Schlusssatz macht die neue Lebenswirklichkeit sehr lakonisch - aber dafür umso eindringlicher- deutlich. Zeile 3 habe ich noch nicht ganz verstanden: Warum verneinen sie das Leben?
Trotzdem super, handwerklich und in der Wirkung!
lG
eiskimo

 Isaban ergänzte dazu am 17.01.19:
Hallo Eiskimo,

was soll man vor einem Grab anderes tun, als hadern, als das Leben verneinen? Wenn man dann wieder daheim ist, sieht alles gleich wieder ganz anders aus, da kann man feiern, dass es einen selbst nicht erwischt hat - es sei denn, dass man einen sehr nahestehenden Menschen verloren hat.
Hab vielen Dank für das Eintauchen in meinen Text und deine Rückmeldung. Das Lob geht runter, süß und prall, wie eine Mozartkugel.

LG Sabine
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