Trainees Achter Zwerg. Metaphorische Botschaften aus der Bubblegum-Blase.

Kommentar zum Thema Eigene Welt

von  Willibald

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Metaphores: Transporte
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Mindmapping

Und muss man bei so viel Sprungkraft tatsächlich noch erwähnen, dass Metaphern in der Rhetorik als Sprungtrope bezeichnet werden, weil man mit ihrer Hilfe zwischen der wörtlichen und übertragenen Bedeutung hin- und herspringt?
Christian Metz: Poetisch denken. Die Lyrik der Gegenwart. Frankfurt: Fischer 2018

Trainees achter Zwerg:
Metaphorische
Botschaften aus der Bubblegum-Blase


(0) Intro

Nun ja, Trainee hat im Lyrikteil eines Literaturforums einiges an Texten geliefert und das hier: Kaugummiblase, sieben Zwerge, ein achter Zwerg. Zäher, sich ziehender Bubblegum.  Zwerge, Märchen, Bilder, Metaphern, eigentlich etwas anderes als die Zwerge im "Schneewittchen". Und doch auch? Wenn man da auf dem Schlauch steht, ist es kein Wunder, dass man sich geliefert fühlt.. Aber vielleicht liefert ja die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling  Hilfestellung?

Eine Metapher hat immer eine Quelldomäne und eine Zieldomäne, und ein metaphorisches Mapping bedeutet, Teile der Frame-Semantik der Quelldomäne gedanklich auf die – in der Regel abstraktere – Zieldomäne zu übertragen.

Zum Beispiel sprechen wir aufgrund der Metapher Mehr ist Oben von ›steigenden‹ und ›fallenden‹ Preisen – die Domäne der Vertikalität dient als metaphorische Quelldomäne für die Zieldomäne der Quantität.

Und aufgrund der Metapher Nation als Person sprechen wir von ›Gesprächen zwischen Staaten‹ – die Quelldomäne Person strukturiert das Denken und Sprechen über die Zieldomäne Nation.

Wehling, Elisabeth:  Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag  2018, S. 70.

Hier nun der  Text von Trainee, fern von Politik, aber - sehen Sie selbst:

Bubblegum
Ich hock in einer Blase und geb den Achten Zwerg.
Der Plot verflüchtigt sich in jenem Prosamund,
aus dem man mir das Mastixhaus gepustet hat.

Im Höhlenpurpur tafeln sieben adipöse Brüder;
ich faste meist, bin adoptiert und lebe mehr auf Probe.
Für mich ist selten eingedeckt. Zuweilen reicht es für
ein Give-away: „Auf, auf zur Langzeitkur nach Riedstadt!“

Am liebsten mögen sie es aber, wenn mein Heim
zerplatzt und ich an einem zähen Gummiband
in ihre Gegenwart zurückgezüngelt werde.
(Für Paul)

Vorsichtshalber eine Anmerkung: Der Achte Zwerg trägt hier Symbolcharakter und hat mit meiner früheren Forums-Inkarnation als eben solcher rein gar nichts (oder allenfalls auf Ebene X) zu tun.


Vorsichtshalber auch eine Anmerkung von Willibald. Was jetzt kommt, ist Erklärbär-Sprech der linguistischen, literaturwissenschaftlichen Art. Gewiss abschreckend. Allerdings tröste ich mich damit, dass Besucher bei einem Juristen nach einiger Zeit verstehen wollen und können, was er in seinem Juristendeutsch b(r)abbelt. Und umgekehrt versteht der Jurist das Reden seines Klienten. - Und so geht das hoffentlich auch mit dem Besuch beim Linguisten-Kauz.

Hat mein Blick Trainees Vers-Zeilen nur gestreift und ist nicht drangeblieben, weil: Da ist zu viel zu sehr zu wenig Zusammenhang? Aber. Seltsamerweise stutze ich, eher halbbewusst, bei Wörtern mit dem a-Laut: Blase, Achter Zwerg, Prosa, Mastixhaus, adipös, adoptiert und Bubblegum (darin gleich zweimal ein verdeckter a-Laut, phonetisch). Äh, und ja, "Bubble", mundartlich "babbeln", "quasseln", "plappern". Sprachliches Schlendern.

Nun ja, bleiben wir dran? Geheimnissen wir etwas hinein, Eierkopf-Eiertänze? Lohnt es sich? Mag sein. Mal sehn.

(1) Basics

Ich-Position:
Hier in der ersten Zeile spricht ein Ich, ein lyrisches Ich, es liefert eine Positionsbeschreibung  und eine Körperhaltung: „Ich hock“, ein Ausdruck des Geducktseins, vielleicht des Eingesperrtseins ("Ich hock in einer Blase.", erinnert Willibald an „Ich hock in meinem Bonker“).

"Hausinsasse" und Rollenspieler:
Alles andere als kommod und stabil - eine Blase, wohl die Blase eines Kaugummis von der Bubblegum-Sorte. Gleichzeitig in der Selbstreflexion des Ichs ein Hinweis auf eine Rolle, die man „gibt“, die das Ich „gibt“.
Ein Publikum in der Nähe? Oder nur einfach Sichtbarkeit in einer Blase? Ist die Rolle vorgetäuscht? Ist das Ich in die Rolle gezwungen? Situationsgerecht sich adaptierend?
Dann gibt es da noch andere Bewohner des Textes: Sieben Zwerge, eher fett, gemästet. Sich derSelbstmästung hingebend? Eine Assoziation  zum Mastixhaus.
Aber nein: Mastix ist ein Grundmaterial für Kaugummi, also sitzt das Ich mit der Zwergenrolle in einem Kaugummihaus, hat da sein „Heim“ (V8). Und das ist vom Zerplatzen bedroht (V9).

Adressaten und Kommunikationsraum:
Das Ich, das so redet und sich reflektiert und uns mit seinem Bild eines Höhlendaseins in der Blase konfrontiert, spricht uns nicht direkt an. Wir sind latent vorhanden. Nehmen die Textbilder und das Ich wahr. Sind so mit Literatur, mit einem Text, mit einem lyrischen Text befasst, wenn wir uns darauf einlassen. Der Kommunikationsraum von lyrischem Ich und rezipierendem Du ist bruchstückhaft da,  lässt sich durch unser Hören und Sehen  komplettieren, wenigstens ansatzweise.

Wahrnehmungsraum:
Gekoppelt an den Kommunikationsraum baut sich vor uns ein Wahrnehmungsraum auf: Er wird beherrscht von zwei Instanzen. Da ist die  mächtige Gruppe der sieben fetten „adipösen“ Zwerge und der eher hilflose achte, fastende Zwerg. Zwei Domänen, ungleich besetzt, ungleich gewichtet.

(2) Verortung und Domänen

2.1 Purpurhöhle: Sieben Prosazwerge

Ziemlich spannend, die Orte der Textfiguren, der Zwerge aufzusuchen, zu untersuchen. Und sie als Domänen zu verstehen, Bezirke und Machtbereiche ihrer Insassen irgendwie.

Die sieben Zwerge sind „adipöse Brüder“. Der achte Zwerg allerdings, der Zwerg außerhalb der märchenhaft bekannten Reihe, ist nicht nur ein Faster, also nicht adipös, er ist auch kein „echter Bruder“, ist nur „adoptiert“ und nicht wohlgelitten. Wird an der Tafel nur selten geladen. Bekommt als achter Zwerg die Konnotation „fünftes Rad am Wagen“, die Älteren erinnern sich vielleicht noch an diese Redensart, eine Metapher für Überflüssiges, Unnötiges. Gilt sogar als ein Fall für die Psychiatrie, die „Langzeitkur in Riedstadt“ ist  ja nun wirklich eine zynisch-ironische Formel, die man dem Adressaten auf den Weg mitgibt, weg von der „Normalbehausung“ Blase, weg von der Normalbehausung der Sieben.

Die aber ist nun bei den sieben Zwergen von besonderer Art. Das „Häuschen im Wald“ der Grimmschen Zwerge ist hier eine Höhle, genauer eine Tafelstätte im „Höhlenpurpur“.  Das Rot mag eine königlich-dominante Konnotation besitzen, es kann zusätzlich auch auf eine Mundhöhle hinweisen, auf den Gaumen, als Metonymie für Essen- und Essensgenuss und Völlerei. Abgesichert ist dieses Interpretation durch das seltsame Lexem „Prosamund“. Das Organ "Mund" als Werkzeug des Sprechens und der Nahrungsaufnahme. Nun ist „Prosa“ ein Gegenbegriff zu Lyrik und Versen, also  zu dem, was wir hier vor uns sehen.

2.2 Mastixhaus: Achter Zwerg, lyrischer Zwerg

So gewinnt die Bubblegum-Blase plötzlich den Schauwert einer „Sprechblase“, die Sprechblase ist nun allerdings das „Mastixhaus“, also das Kaugummihaus, das vielleicht an die Gummizelle alter Psychiatrien erinnern mag, aber eben nicht deren Festigkeit besitzt. So spricht einiges dafür, die Blase, die der Prosamund „gepustet“ hat, nicht nur als Produkt übelwollender Brüder zu sehen, sondern eher als eine Art instabiles Refugium, ein „Austragshäusl“, eine besondere, gar nicht verachtenswerte Enklave, ein gar nicht fernes Exil, eine Absonderung im mehrfachen Sinn des Wortes.

„Plot“ ist nun ein erzähltechnischer Begriff, gemeint ist die Ereigniskette, die  - Ballade ist die Ausnahme – prosaischen Erzählungen zugrunde liegt und nur in Schwundform der typischen Lyrik. Lyrik ist eher der Ort für Ereignisarmes: Imaginationen, Emotionen, Bilder des Vorbewusstseins, aber luzide Bilder.

Einmal ist das die Absage an die Märchenerzählung und ihren Plot von der Bedrohung Schneewittchens und ihrer Aufnahme durch die sieben Zwerge und die Errettung aus dem todesähnlichen Schlaf. Dann ist es vielleicht die Fokussierung auf lyrisches Sprechen und eben nicht auf das typische Erzählen mit einer Orientierungsfigur, welche auf vergangene Ereignisse zurückblickt und so einen vergangenen Wahrnehmungsraum konstruiert, über den sie mit dem Leser kommunizieren kann. Hier in diesem Gedichtraum haben wir eben kein geselliges Kommunikationsspiel, vielmehr vor allem eine Selbstaussage und eine Selbstbeschreibung, gesprochen und vor Augen gestellt von einem Ich, lokalisiert in einem Forum, unmittelbar im reportagehaften Präsens. Aber eben zu jeder Zeit zugänglich. Offen für das Einklinken des Lesers in Zeit und Ort des lyrischen Ichs.

Dann ist der durchgehende Jambus, der lyriktypische Zeilenumbruch, die Dreistrophigkeit, der angedeutete Hebungsprall in „Auf, auf“ erst mal ein massives Lyriksignal, dann markiert hier eine lyrisch codierte  Beschreibung die Außenseiterposition und auch ein wenig die Feier dieser Außenseiterposition. Lyrisches Sprechen, knapp und verdichtet, nicht prosaisch ausufernd bis fett,  lyriktypisches Verrätseln und lyriktypische Steigerung von Ambiguität.

(3) Deutungsprobleme, Deutungskonflikte

3.1 Zwerge  der Literaturszene "Forum"

Ein wenig befremdlich und gar nicht glatt ist die Konfliktlinie des zweipoligen Bildes: Einerseits ist das lyrische Ich der Sprechblase  „ausgestoßen“, ein Bewohner der Lyrikblase, nahe am Sprechermund und der Sprache, aber vielleicht doch in einer Position, die dem lyrischen Ich angemessen ist.  Und in der es sich nicht ganz unwohl fühlt. Ein gewisser Widerspruch.

Dann ist das Platzen der lyrischen Sprechblase im Bilde ein wenig schwierig. Ist das nun die vernichtende Rezeption von einer Sprachausübung? Kollabiert die Sprechblase mangels Resonanz? Kollabiert sie durch negative Kritik? Kollabiert sie durch Prosaproduzenten, die eben auch – natürlich – Kritiker sind und lyrische Äußerungen als minderwertig,  als klappsmühlenreif, als vernichtbar behandeln? Der achte Zwerg eben ein Schriftsteller, aber nicht für voll zu nehmen?

Kollabiert aber dieser Verstehensrahmen vielleicht schon allein deswegen und grundsätzlich, weil die Märchenzwerge des Quelltextes nun einmal keineswegs sich mit Texten und Texturen befassen. Wie  überzeugend ist der Transfer von sieben grimmschen „Zwergen“ in das Feld literarischer Arbeit?

Akzeptiert man aber diese Metapher, diesen Transport in die literarische Welt, dann wären Zwerge eben lesbar als Gegenfigur zu Riesen, keine Größen der Literaturszene, sondern eben das Personal, das sich in Foren gerne finden lässt. Trainee hat hier einen indirekten Hinweis gesetzt, der vielleicht um sieben Ecken herum doch auf der Ebene X das Forumgeschehen antippt, in dem Trainee mit der Rollenbezeichnung „achter Zwerg“ zuwege war und sich jetzt zum Trainee selbstironisch gemausert hat?

3.2 Respektloses Sprechen

Schalten wir einen Gang zurück: Das Lexem „Bubblegum“ bezeichnet denotativ eine besondere Art von Kaugummi. Eine Genussware, die ihren Geschmack durch ständiges Kauen und ihren Wert durch (reinigenden) Speichelfluss erzielt, beruhigend wirkt und lässig cool aussieht, in der Wirkung reichend bis hin zur Provokation gesitteter älterer Herrschaften.

Das Besondere: Dieser Kaugummi lässt sich durch Blasen in Ballonform und  Ballongröße transformieren, man kann ihn zum Platzen bringen, man kann die entstehenden Fäden wieder in den Mund einziehen und manchmal dann durch Kauen wieder in eine energetische Form zurückbringen.

Auf der konnotativen Ebene, der sozialen,  wirkt das oft anstößig, irgendwie – so sagte man früher – „halbstark“, „respektlos“, „normbrechend“.  In dieser popliterarisch fundierten Normbrechung sitzt  - mehr oder weniger unfreiwillig unser lyrisches Ich, der achte Zwerg.

Wird er hier respektlos behandelt, ist er Teil einer aktiven respektlosen Behandlung  der Zuschauer durch die prosaischen Zwerge? Agieren die auf ihre Weise – trotz Alters – in einer unwürdigen, provokanten, cool-lässigen, despektierlichen, halbstarken Weise? Ist der achte Zwerg passives Opfer dieser nach außen gerichteten Provokation, die eben auch die Zuschauer zu Beleidigten und Opfern machen soll?

(4) Vortrag und  Vertrag

4.1 Kognitiver Imperativ in Natur- und Textverstehen

Tja, fahren wir zunächst mal schwere Geschütze auf, einen Satz des Soziobiologen Eckart Voland:

Der kognitive Imperativ zwingt ständig zum Nachdenken über die Regelhaftigkeiten und Gesetzmäßigkeiten des Seins, über die Gründe für das Vorfindliche, über die Ursachen des Geschehens – letztlich über den Sinn und Zweck des Ganzen. Der kognitive Imperativ zwingt zu einer plausiblen, kohärenten Konstruktion des Abbilds des Weltgeschehens, ohne Erklärungslücke, ohne irrationale Inseln. Menschen können Kontingenz, Irrationalität und kausale Ungewissheit offenbar nicht gut aushalten, weil nicht Verstandenes Angst erzeugt. Um dies zu vermeiden, werden Gründe und Ursachen auch dort gesehen, wo es keine gibt. Das Gehirn ist ein permanent arbeitender Geschichtengenerator. Es sieht nicht nur Regeln, wo keine sind, sondern erfindet auch Geschichten, die diese Regeln mehr oder weniger plausibel erscheinen lassen. Konfabulationen haben hier ihren Ursprung. Deren vorrangige Aufgabe ist es, plausible Erklärungen für all jenes zu liefern, das sonst unverstanden bliebe.

Voland, Eckart: Homo naturaliter religiosus. Umrisse des soziobiologischen Argumentes. In: Bierl, Anton/Braungart, Wolfgang (Hrsg.): Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert. Berlin: De Gruyter 2010, S. 296.

Was für das Naturgeschehen gilt, gilt auch für die Rätselhaftigkeit und die Mehrdeutbarkeit und die oft unerträglich harte Mehrdeutarbeit, die manche Gedichte einfordern, Hansz liefert solche Texte oft.

die apfel musen dirn zur birn erweicht
die firn eis blau den stern mit apfel stielen
dem richter reicht der birn mit apfel gleich
( tells apfel)
elektrisch negative lee wellen
umstellen rosetten von schwer positiven
proton proteinen ambrosia broten
die nick neck tarinen appellen de sina
(piratae)

Der Blick  auf solche Texte intensiviert sich, auch wenn die Frustration nicht klein ist, bei dieser Art von Text bei manchem Leser, nicht bei der Mehrzahl. In dieser Art von Gedichten laufen  Assoziationsketten von Lexemen, von phonetisch-phonemischen Splittings, die ins Unendliche spielen, sicher viele plausible vorläufige Verstehensprozesse stimulieren, nicht unwahrscheinliche  Deutungen zulassen, aber nur selten hohe Wahrscheinlichkeiten vermitteln und so doch einen erheblichen Teil der Forumsleser frustrieren.

4.2 Vertrag und Vertragsverstoß

Willibald hat es immer wieder am eigenen Leib und im eigenen Kopf gespürt. Und dann verweigert sich der Kopf dem kognitiven Imperativ, auch wohl dessen musikalisch-emotional-ikonischer Variante/Parallele. Irgendwie – so das Gefühl – verstößt der sich splittende Text gegen den stillschweigenden Vertrag zwischen Texter und Leser, gegen das latente Versprechen des Vortragenden, dass  es im „Vortrag“ fairerweise einen dechiffrierbaren Zusammenhang gibt, dass es Bestätigungen gibt, die das Hypothesenspiel nicht fast als Rorschach-Test erscheinen lassen.

(5) Im Herzen des Denkens

5.1 Metaphern erkennen: Richard Gorilla

Auf seine Weise ist auch dieses Bubblegum-Gedicht für den Leser ein wenig oder gar sehr ein Ärgernis. Sein Provokationswert, seine ästhetische Qualität ist trotzdem und deswegen gegeben. Das Gedicht ist befremdlich, aber doch auf eine besondere Weise zuverlässiger als die oben zitierten Texte: Es ruft über die Lexeme und Verbindungen und Metaphern in überschaubarer Zahl kulturelle Einheiten, Frames und Scripte auf. Und reizt dann bei allem freien Flottieren zum Dechiffrieren und zum Mitschauen. Die anfängliche Phase der Desorientierung löst sich mit einiger Wahrscheinlichkeit auf, wenn man den Text als metaphorisches Sprechen erkennt.

Dafür gibt es Textsignale. Man teste sich etwa hier. Ohne allzu lange zu überlegen, wird man seltsame und weniger befremdliche und gar nicht befremdliche  Gorillas  erkennen:

Richard ist ein Gorilla.
Richard ist manchmal ein richtiger Gorilla
Richard ist ein drei Jahre alter Berg-Gorilla.


Im Herzen unseres Denkens erkennen und verstehen wir  Metaphern: Die Kontexte enthalten eben doch Hinweise, ob ein Lexem aus seinem Ursprungsbereich herausgezogen wurde, auffällt, das Verstehen verzögert. Oder glatt und schnell  verstanden werden kann, weil automatisiertes Sprechen und Verstehen greift.

5.2 Metaphern erkennen: Bubblegum

Hier, in Trainees Text, funktioniert über weite Strecken Frame (und Script) des Überschriftlexems. „Bubblegum“ bezeichnet denotativ eine besondere Art von Kaugummi. Eine Genussware, die ihren Geschmack durch ständiges Kauen und ihren Wert durch (reinigenden) Speichelfluss erzielt, beruhigend wirkt und lässig cool aussieht, bis hin zur Provokation gesitteter älterer Herrschaften. Das Besondere: Der Kaugummi lässt sich durch Blasen in Ballonform und  Ballongröße transformieren, man kann ihn zum Platzen bringen, man kann die entstehenden Fäden wieder in den Mund einziehen und manchmal dann durch Kauen wieder in eine energetische Form zurückbringen, auf der konnotativen Ebene wirkt das oft anstößig, irgendwie – so sagte man früher – „halbstark“, „respektlos“, „normbrechend“.

Unser Text setzt aber nicht nur diese Grundbedeutung samt ihrer Denotation und Konnotation ins Kommunikationsspiel mit dem Leser. Sehr kühn und wohl nicht zu halten:  Im Bedeutungshof von „Blase“ liegt auch, wenn auch sehr entfernt,  Aggregation, ein Clan, eine Clique, eine Gang.

Mit den bekannten Eigenschaften der Gruppenbildung, seien sie nun Offenheit für Nichtzugehörige oder Verhöhnung oder Abschottung gegenüber eher verachtenswürdigen Gliedern der „out-group“. Intern ist solchen Gruppierungen nicht oft Parität der Mitglieder zugeordnet, vielmehr sind Alpha- und Beta-Figuren, Ranghöhere und Rangniedere zu unterscheiden. Niederhalten oder gar Ausstoßen der Minderrangigen ist Teil des aggressiven Spieltriebes in solchen Gruppenblasen. 

Kurz: Wer Bubble-Gum liest und den Schlüssel zum Thema -  „Prosamund“ und „Plot“-Verlust -  überliest, der wird sich von den Zwergen und ihren Verhaltensweisen frustriert abwenden. Wer aber das  Haupt-Thema „literarische Produktion“ und „literarisches Sprechen“ in dem Bild der Sprechblase dechiffrieren kann, die seltsamen Zwerge nun verorten kann, der  wird Lust an einer immer komplexer und doch feststrukturierten Großmetapher empfinden, wird wildes und detektivisches Denken im und am Text erleben. Eine produktive mesalliance der beiden Domänen Bubblegum und Literatur . Wer will, kann  eine erotische Beziehung erleben: nicht introspektierbare Verstehenvorgänge zusammen  mit rational hermeneutischen und fast schon analytisch-sezierenden und abwägenden logischen Verfahren.

Und er wird sich - schließlich/endlich/vorläufig - trotzdem an den Unschärfen und Problemen der beiden Bereiche und ihrer Kopplung reiben. Wärme – lasst es uns kühl und verfahrenstechnisch formulieren -  wird dabei auf jeden Fall erzeugt. Und ja doch, auch ein Gaumenschmaus, dieser Bubblegum. Und nicht zuletzt: Eine verschlüsselte, eine poetisch stimmige Klage , Anklage und - poetisch-lyrische  Demütigung für die, welche mit ihrer Prosa satt und zufrieden die Purpurhöhle füllen.

(6) Bonus-Track: Die Struktur einer Metapher - Fokussieren

6.1 Lexemtransport - Lexemprojektion

Betrachten  wir an zwei Beispielen die Struktur von typischen Metaphern. Hier an einem Satz:

"Gelehrte Zitate sind Eis für unsere Stimmung."

• Ein  konkreterer und sinnlich erfahrbarer und relativ durchschaubarer Ursprungsbereich Y "Eis" (Gefrorenes Wasser)  hält  bestimmte Lexeme bereit. Und die darin gespeicherten Konzepte/Modelle/Szenarios/Features/Gemeinplätze/
Weltwissen/Allgemeinwissen[/i] (Kälte, Abkühlung, Frieren, Erfrieren, Tod...).

• Man nutzt diese Lexeme und ihre Konzepte,  um  abstraktere Phänomene außerhalb von Y in ihrer Struktur erlebbar zu machen und (kognitiv-emotional) aufzuhellen. Diese durch kontextfremde Wörter charakterisierten Phänomene bezeichnen wir mit X. Hier in unserem X trifft es die "gelehrten Zitate".

• Werkzeug für diesen Vorgang ist die Metapher, eine Art poetisches Vehikel, das Wörter/Lexeme aus ihrem Ursprungsbereich heraustransportiert. Dabei werden die in den Wörtern gespeicherten  Seme/Merkmale heraus- und weiter  transportiert  und dann  projiziert .

*      Projiziert auf das zu erhellende Phänomen und seine (auch schon vorhandene) Struktur. Projiziert werden Seme,  Konzepte oder Modelle  oder Szenarios (Scripts)  oder Features  auf  den Bildempfänger und seine bereits vorfindlichen Modelle. Das nennt man mapping, manchmal auch cross-mapping.

6.2 Modernes Standardmodell:  Konzeptkopplung (Mapping) und Fokussieren

• In der Modellkopplung (Konzeptkopplung) wirken bestimmte Elemente des Herkunftsbereiches  besonders hervorstechend, da sie in ihrem neuen Umfeld dessen Kategorien verletzen; man nennt solche Elemente die salient features (auffällige Merkmale), sie sind die zentralen Träger der entstandenen  Metapher. Bestimmte, weniger passende Merkmale werden randständig, sie werden sozusagen „narkotisiert“. Die verbleibenden sind dann besonders deutungsmächtig.

• In der Terminologie eingebürgert für den Ursprungsbereich: uneigentliches Wort (Aristoteles, Quintilian), vehicle (Richards)subsidiary subject (Black), Bildspender, bildspendendes Feld (Weinrich), source domain/source concept (Lakoff, Johnson u.a.)

• In der Terminologie eingebürgert für den Zielbereich: eigentliches Wort (Aristoteles, Quintilian), tenor (Richards), principal subject (Black), Bildempfänger, bildempfangendes Feld (Weinrich), target domain/target concept (Lakoff, Johnson u.a.).

• Fokussieren: Bei einer erfolgten  Metaphernkonstruktion fallen zunächst kontextfremde Lexeme auf. Dann wirkt der Kontext wie ein Filter: Nur bestimmte Seme werden durchgelassen. So  entsteht eine Art Schnittmenge mit bestimmten Semen. Solche Merkmale gelten als kompatibel und erklärungsrelevant. Sie bilden die Kernanalogie ab. Man vergleiche die Abbildung oben bei der Überschrift..

Andere Merkmale treten eher in den Hintergrund. Sie wirken (zunächst) inkompatibel (unverträglich) und kaum erklärungsrelevant. Entwickeln aber später vielleicht ein besonderes aufregendes Eigenleben.

Fokussieren ist der Oberbegriff  für betonen/markieren und verbergen/narkotisieren. Die obige Skizze  (Gebäude II Website) zeigt im Zusammenhang, was man unter Fokussieren versteht.

(7) Bibliographische Hinweise für Interessierte

*Anz, Thomas (Hrsg.): Handbuch Literaturwissenschaft. Band 1: Gegenstände und Grundbegriffe. Stuttgart: Metzler 2013.

*Black, Max: Language and Reality. In: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press 1962, S. 1–16.
–: Metaphor. In: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press 1962, S. 25–47.
–: Models and Archetypes. In: Models and Metaphors. Studies in Language and Philosophy. Ithaca, NY: Cornell University Press 1962, S. 219–243.
–: More about Metaphor. In: Dialectica 31:3–4 (1977), S. 431–457.

Chalmers, David John: The character of consciousness. Oxford/New York: Oxford University Press 2010.

Davidson, Donald: Truth and Meaning. In: Synthese 7:1 (1967), S. 304–323.
–: What Metaphors Mean. In: Critical Inquiry 5:1 (1978), S. 31–47.
–: A Coherence Theory of Truth and Knowledge. In: Truth and Interpretarion. Perspectives on the Philosophy of Donald Davidson. Hrsg. von Ernest LePore. Oxford: Blackwell 1986, S. 307–319.
–: Theories of Meaning and Learnable Languages. In: Inquiries into Truth and Interpretation. 2. Aufl. Oxford: Clarendon Press 2001, S. 3–16.

Fauconnier, Gilles/Lakoff, George: On Metaphor and Blending.
http://www.cogsci.ucsd.edu/~coulson/spaces/GG-final-1.pdf

*Fauconnier, Gilles /Turner, Mark: The Way we Think. Conceptual Blending and the Mind’s Hidden Complexities. New York: Basic Books 2002.

Fauconnier, Gilles: Rethinking Metaphor. In: The Cambridge Handbook of Metaphor and Thought. Hrsg. von Raymond W. Gibbs Jr. Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2008, S. 53–66.

Fludernik, Monika: Naturalizing the Unnatural. A View from Blending Theory. In: Journal of Literary Semantics 39:1 (2010), S. 1–27.
–: Introduction: The Rise of Cognitive Metaphor Theory and Its Literary Repercussions. In: Beyond Cognitive Metaphor Theory. Perspectives on Literary Metaphor. Hrsg. von Monika Fludernik. New York/London: Routledge 2011, S. 1–19.
– (Hrsg.): Beyond Cognitive Metaphor Theory. Perspectives on Literary Metaphor. New York/London: Routledge 2011.

**Hofstadter, Douglas/Sander, Emmanuel: Die Analogie. Das Herz des Denkens. Stuttgart: Klett-Cotta  2014.

**Kohl, Katrin: Metapher. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007.
–: Poetologische Metaphern. Formen und Funktionen in der deutschen Literatur. Berlin/New York: de Gruyter 2007.

***Kövecses, Zoltán: Metaphor. A practical introduction. Second Edition. Oxford u.a. 2010

-:Where Metaphors Come from. Reconsidering Context in Metaphor. Oxford u. a.: Oxford University Press 2015.

*Skirl, Helge/Schwarz-Friesel, Monika: Metapher. Heidelberg: Unversitätsverlag  2013.

**Voland, Eckart: Homo naturaliter religiosus. Umrisse des soziobiologischen Argumentes. In: Bierl, Anton/Braungart, Wolfgang (Hrsg.): Gewalt und Opfer. Im Dialog mit Walter Burkert. Berlin: De Gruyter 2010, S. 293-315.

**Wehling, Elisabeth: Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag 2018.

*Weinrich, Harald: Allgemeine Semantik der Metapher. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 317–327.
–: Semantik der kühnen Metapher. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 295–316. –: Streit um Metaphern. In: Sprache in Texten. Stuttgart: Klett 1976, S. 328–342.

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Kommentare zu diesem Text

Piroschki (57)
(15.01.19)
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 Willibald meinte dazu am 15.01.19:
Am Erleben des "Bubble-Gummmm-Textes",
am "Rumprobieren mit Verstehversuchen",
"Am Beiseitelegen oder am Zuendelesen des Analyseversuchs".
Und daran, dass man diesen Text findet, wenn man uni-mäßig was über Metaphern schreiben soll und dann vielleicht durchblickt.

Herzliche Grüße am Piroschki

ww

 Willibald antwortete darauf am 15.01.19:
Und außerdem versteht man freudig das Bild mit dem LKW und der Aufschrift Metaphores (Trans-Port).

greetse
ww
Piroschki (57) schrieb daraufhin am 15.01.19:
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 Irma (15.01.19)
Heidrun Dehnhardt? Die war hier auch einst auf KV unterwegs, erst als magenta und dann als Achter Zwerg.

Von deiner Riesen-Doktorarbeit habe ich jedoch, wie ich gestehen muss, nur einen Zwergenteil verstanden.

Bubblegum-Grüße, Irma

 Willibald äußerte darauf am 15.01.19:
Salute, Irma, dafür eine spaßige Gabe, sicher ..

Sätze, zehn, mit denen man jeden Fluss fertigmachen kann

1. „Mach dich nicht so breit."
2. „Mäander nicht so rum."
3. „Wasser hat an Land nichts verloren."
4. „Eine Nudelsuppe schwimmt schneller."
5. „Fließ weiter! Hier gibt's nichts zu sehen."
6. „Is was? Bist du übergeschwappt?"
7. „Bleib stehen, wenn man mit dir redet!"
8. „Bist du taub? Oder bloß auf die Mündung gefallen?
9. „Halt die Schleuse, du Rinnsal!"
10. „Du kippst doch von einmal Reinpinkeln um!"

Tex Rubinowitz

greetse
ww

 EkkehartMittelberg (15.01.19)
Hallo Willibald, deine glänzende Analyse war mir wirklich ein Vergnügen und ich habe wieder einmal erfahren, dass es zur Entschlüsselung mancher Gedichte eines braucht: Geduld und manchmal auch Vorbildung. Aber auf Dauer wirst du hier nur Leser gewinnen und behalten, wenn du das Forum nicht mit einem germanistischen Oberseminar verwechselst.
Beste Grüße
Ekki

 Willibald ergänzte dazu am 15.01.19:
Minime dissentior, carissime,

qua de causa res - ut opinor - iocasa et lectores delectans hic:

 https://www.keinverlag.de/425110.text

Praetera haec sententiae excusandi causa scriptae:

Vorsichtshalber auch eine Anmerkung von Willibald. Was jetzt kommt, ist Erklärbär-Sprech der linguistischen, literaturwissenschaftlichen Art. Gewiss abschreckend. Allerdings tröste ich mich damit, dass Besucher bei einem Juristen nach einiger Zeit verstehen wollen und können, was er in seinem Juristendeutsch b(r)abbelt. Und umgekehrt versteht der Jurist das Reden seines Klienten.
Und so geht das hoffentlich auch mit dem Besuch beim Linguisten.

Vale
Bilibaldus

Antwort geändert am 15.01.2019 um 17:59 Uhr

 loslosch (15.01.19)
es wurden schon doktorarbeiten, sogar im ausland, über goethes berühmten fünfzeiler "Über allen Gipfeln ist Ruh' ..." geschrieben.

am ende kommt mehr heraus, als der dichter hineingelegt hat. sags der Heidrun (palindromisch: nur die Heidrun).

an sie kann ich mich gut erinnern. sie ist jetzt über 70.

 Willibald meinte dazu am 15.01.19:
Keine Frage: Lang lang.

Dafür hat dieser Goethe allein die Farbe grün seitenlang betextet. Und dieser Eckermann war über die stundenlangen poetologischen Gespräche mit diesem Schiller erheblich und getreu in den Sielen oder wie dies heisst.

Beste Grüße
ww

 Irma meinte dazu am 15.01.19:
Das kannst du ihr jetzt selber sagen, Lo! She's back!
Trainee (71)
(15.01.19)
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 Willibald meinte dazu am 16.01.19:
Heureka, reziprokes!
greetse
ww

 AchterZwerg (07.09.24, 06:50)
Posthum noch eine weitere Würdigung dieses ausgefeilten "Kommentars." Noch immer fühle ich mich extrem geehrt. <3

[Für alle Nachgeborenen: Wie es den Kommentaren zum Kommentar entnommen werden kann: Ich war schon öfter hier, habe aber erst in der jetzigen Inkarnation meine wahre KV-Bestimmung gefunden. Und fühle mich nun rundherum wohl.]

Ich vermisse deine geistreichen Anmerkungen an jedem Tag der Woche!

 tulpenrot meinte dazu am 07.09.24 um 09:39:
... und ich kann mir lebhaft vorstellen, dass es Willibald damals sehr viel Freude machte, so ins Detail mit seinen Ausführungen zu deinem Text zu gehen. Dass ihm immer noch mehr dazu einfiel, dass er Verbindungen herstellen konnte, die einem "Normalsterblichen" nie einfallen würden. Das ist natürlich für dich und deinen Text eine wirklich große Ehre! Ich finde es toll!! Und freue mich mit.

Antwort geändert am 07.09.2024 um 09:40 Uhr

 AchterZwerg meinte dazu am 07.09.24 um 13:36:
Ja,
Willibald hatte diesen spezifischen, stets höflichen Uni-Wortschatz - gepaart mit Ironie bis hin zur leichten Bosheit, den ich so überaus  schätze - und in der Provinz ganz arg vermisse.

*wein)
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