einer geht die Stufen hinab

Gedicht

von  juttavon

zum Fluss
der kennt seine Schritte
hallen weit

suchen den offenen Fels
durch Spalten
zittert der Wind

Pappeln wachen über den Herbst
sinkt Leere
schneidet zwischen Gold und Blau

er schaut hinauf

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Kommentare zu diesem Text


 AchterZwerg (04.10.19)
Liebe Jutta,
sehr schöne Enjambements.
Der Inhalt lässt an Freitod denken, der aber abgewendet wird.
Die Depression lenkt den Blick nach unten; ein einziger Blick zurück lässt Erinnerungen sichtbar weden, die weniger trostlos sind als das zuvor Gefühlte.

Gruß
der8.

 juttavon meinte dazu am 07.10.19:
Vielen Dank, AchterZwerg, auch für Deine Lesart.

HG Jutta
wa Bash (47)
(04.10.19)
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 juttavon antwortete darauf am 07.10.19:
Danke! Das freut mich.

HG Jutta

 BeBa (04.10.19)
Ein sehr intensives Gedicht, das prima in die jetzige Jahreszeit passt. Dieses Hinunter lässt Schlimmes vermuten, doch der Blick hinauf am Ende gibt wieder Hoffnung.

Sehr gern gelesen.

Kommentar geändert am 04.10.2019 um 23:30 Uhr

 juttavon schrieb daraufhin am 07.10.19:
Vielen Dank, BeBa; freut mich sehr.

HG Jutta

 Momo (06.10.19)
Hier wird der Herbst nicht als Übergang empfunden zwischen Sommer und Winter, sondern als Vorbote des Todes und Zeit der Depressionen.
Der Schnitt im zweitletzten Vers wirkt schmerzhaft.
Die Suche nach Offenheit und der hinauf führende Blick lässt ahnen, dass die Stufen, ist er unten angekommen, auch wieder ans Licht führen.

Beim ersten Lesen hatte es für mich keinen Klang, keine Sprachmelodie, aber genau das ist es ja, was Leere und Depression ausmacht.

LG Momo

 juttavon äußerte darauf am 07.10.19:
Danke, Momo, für Dein Reinspüren.

HG Jutta

 FrankReich (06.10.19)
Hallo Jutta,

mich überzeugt an diesem Gedicht besonders die Bindung zwischen Titel und Schluss (einer geht die Stufen hinab er schaut hinauf), als auch die der einzelnen Strophen in sich (seine Schritte, durch Spalten, über den Herbst). Super!

Ciao, Frank

P.S.: Mir fällt momentan leider nicht das Stilmittel zu dieser Doppellesbarkeit ein, aber sie untermauert, dass es sich dabei nicht um Tod oder Depression handelt, sondern um einen sich regelmäßig wiederholenden Vorgang, so wie es zu Beginn schon angedeutet wird (der kennt seine Schritte). Der Blick hinauf kann auch schon deshalb kein Blick zurück sein, außerdem geht letztere Auslegungsmöglichkeit nicht aus dem Text hervor, denn dazu hätte "einer" sich umdrehen müssen. Nicht zuletzt spielt auch die symbolische Bedeutung der Farben Gold (das Beste, Wärme) und Blau (die Treue, Kälte), als Trenn,- und Veränderungszeichen auf dem Höhepunkt des Herbstes (die Leere) eine Rolle, wobei das Blau sowohl auf das Wasser des Flusses aber auch den Himmel verweist. Der Protagonist, der nicht näher bestimmt, und deshalb auch gedanklich austauschbar ist (der Fluss kennt die Schritte von einem, also irgendeinem), entscheidet sich allerdings, nach oben zu schauen. Das jedoch ist meines Erachtens nach kein Ausdruck von Hoffnung, sondern dem immerwährenden Kreislauf geschuldet.

Kommentar geändert am 06.10.2019 um 21:09 Uhr

 juttavon ergänzte dazu am 07.10.19:
Vielen Dank für Deine Gedanken, Frank.

Der Fachbegriff für den Doppelbezug ist Apokoinu.

Deine Lesart des immer wiederkehrenden Kreislaufes ist für mich stimmig. Doch schlüssig ist auch die der Todesnähe und Depressivität. Herbst steht ja für vieles.
Dann könnte der Blick nach oben schon etwas Rettendes haben, hervorgerufen durch die Wahrnehmung der faszinierenden Natur, der Farben oder durch eine innere Stimme bzw. Stimmung.

Auf jeden Fall spielen mehrere Schichten von Wirklichkeit hier zusammen (stilistisch entspricht das dem Apokoinu) : Natur, Erde und Himmel auch in ihrer spirituellen Bedeutung, Reifungsprozesse der Seele.

HG Jutta

 FrankReich meinte dazu am 12.10.22 um 13:53:
Lange nicht gelesen und doch wiedererkannt. 🙂

Ciao, Frank

 Habakuk (08.10.19)
Liebe Jutta,

schönes, bildmächtiges, symbolträchtiges Gedicht. An einer versuchten Entschlüsselung der bildlichen Bedeutungsebenen werde ich nicht vorbeikommen. In der mir eigenen spirituellen Ausrichtung, mit Verlaub.

Das lyr. Ich geht die Stufen hinab. Treppen/Stufen führen uns nach unten oder nach oben. Mit Hilfe von Treppen bezwingen wir Höhenunterschiede, sie verbinden zwei Ebenen oder mehrere miteinander. Das macht sie zu einem Ort des Übergangs, zu einem Ort der Veränderung. Im positiven wie negativen Sinn. Auch ein Sturz ist möglich.

Von solch einer Veränderung, womöglich gar einer Krisen-
situation, handelt dein Gedicht m. E.
Der Fluss steht für mich für spirituelle Energie. „Alles fließt“. Der Fluss als Symbol für die Möglichkeiten, aber auch für Tod und Erneuerung, für Übergänge. Das Wasser, ein Bild für das Unbewusste. Der Fluss kennt die Schritte. Aber auch der Schreitende kennt sie. Er ist sich derer bewusst. Die Schritte erzeugen einen Schall, Widerhall.

„suchen den offenen Fels / durch Spalten / zittert der Wind“

Der Schreitende ist auf der Suche. Der Fels symbolisiert auch Härte, Festigkeit, Zuverlässigkeit usw. Die Bibel verwendet dieses Bild häufig. So ist auf dem Fels, anders als im Schlamm, ein sicherer Stand möglich und nur das auf Fels gebaute Haus überdauert den Sturm. Nicht zuletzt bietet Gott als der Fels absolute Sicherheit. Etc. pp. Der Fels kann also für feste Zuversicht stehen. Ein Schutzort.

„durch Spalten / zittert der Wind“.

Der Wind symbolisiert die Macht des Geistes. Der Wind galt bei vielen Völkern als Atem der Erde. In ihm wurde das Wirken von höheren Kräften gesehen. Windstille ist ein Zeichen starker Energie. Aber auch, wenn sich der Wind erhebt, weist dies auf starke geistige Energien hin. Eine ekstatische Erfahrung verursacht Zittern, und die Energie macht sich auch auf der physischen Ebene bemerkbar.

„Pappeln wachen über den Herbst / sinkt Leere / schneidet zwischen Gold und Blau“.

Die Pappel ist der Baum der Götterstimmen. Das Raschen der Pappelblätter verkündet die Botschaften der Himmels-
bewohner. Für die naturverbundenen Kelten hatten die Bäume neben ihrer magischen Bedeutung immer auch einen überlebenswichtigen Aspekt. Bei ihren Streifzügen schützten sie sich mit Kampfschildern aus leichtem Pappelholz. Pappeln stehen sehr gerne in der Nähe von Gewässern. Eine Verbindung zum Unbewussten kann hier gesehen werden.

Herbst symbolisiert die Ernte, den Ertrag, aber auch die Vergänglichkeit. Die in der Meditation erlebbare große Leere ist in den östlichen Kulturen ein Symbol besonders starker Energien des Göttlichen. Fülle ist Leere und Leere Fülle.

Die Bedeutung des Goldes in Glaube, Mystik und Spiritualität kann nur kurz angeschnitten werden. Sie würde einen eigenen Text füllen. Gold war und ist bei vielen Völkern heilig, ein Sinnbild für göttliche Unvergänglichkeit, für Gott und das Göttliche selbst. Die Tränen der Sonne, der Schweiß der Götter, das Goldene Kalb, das männliche Prinzip der Sonne, Feuer und Bewusstsein und noch sehr viel mehr könnte mit Gold assoziiert werden. Bei den alten Israeliten war Gold heilig.

Die sinnbildliche Bedeutung der Farbe Blau ist nicht weniger weitreichend. In orientalischen Ländern werden Türen und Fenster Blau gestrichen, um auf diese Weise die guten Geister und Götter, die sich in den meisten Religionen im Himmel oder auf hohen Bergen jenseits der Wolken befinden, auf sich zu lenken.
Die Gottesmutter Maria schmückt ein blauer Mantel.
Im alten Ägypten war Dunkelblau die Farbe des Wassers und damit auch der lebensspendenden Nilgottheiten. Aufgrund ihrer Vorstellung, dass Blau eine wundersame Heilwirkung innewohnt, trugen die Ägypter viel blauen Schmuck. Bei besonderen festlichen Gelegenheiten trug der Pharao einen blauen Helm, um seine direkte Abstammung von den Göttern des Himmels zu dokumentieren. Auch in China symbolisiert Blau die Mächte des Himmels und der Unsterblichkeit. In Indien werden verschiedene Gottheiten mit blauem Kopf oder mit blauer Hautfarbe dargestellt. Ein in Blau gemalter Elefant gilt dort als das Zeichen für höchste Vergeistigung und göttliche Erleuchtung.

Das Gedicht lässt mich auch an einen Initiationsprozess denken, der stets eine Krisensituation darstellt. Bei den alten Propheten der Bibel findet sich mehrmals ein Hinweis hierauf: Und ich bringe den dritten Teil ins Feuer, läutere sie, wie man das Silber läutert, und prüfe sie, wie man das Gold prüft. Der wird meinen Namen anrufen, und ich werde ihm antworten, ich werde sagen: Er ist mein Volk. Und er wird sagen: Der HERR ist mein Gott.

„er schaut hinauf“. Der Vers spricht für sich.

Zum Abschluss noch ein Hinweis auf das Stilmittel „Apokoinu“, bei dem ein Wort- oder Satzteil gleichmäßig auf zwei Teile bezogen wird. Dieses Stilmittel zieht sich durch das gesamte Gedicht.

Etwas länger geworden, aber angemessen, wie ich finde. Hoffe ich zumindest.

HG
H.

 juttavon meinte dazu am 12.10.19:
Danke, lieber H., für den feinen Kommentar. Schön wie Du die Bilder aufblätterst und dazu einlädtst weiter zu blättern...

HG Jutta
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