Traum? Kapitel 5

Kurzgeschichte zum Thema Meer

von  Manzanita

Es ist Montag in der ersten Stunde. Heute ist die zweite Woche nach den Herbstferien. Ich kann mich immer noch nicht damit abfinden, dass ich wieder in die Schule gehen muss. Ferien sind eben besser.

Ich stehe vor dem Klassenraum und warte mit meinen Klassenkameraden auf unsere Lehrerin. Frau Brunn, so sollen wir sie nennen, verspätet sich gerne. Sie hat eigentlich immer Verspätung, wie der Zug, der uns neulich aus den Sommerferien, zwischen der 2. und der 3. Klasse zurückgebracht hat.

Endlich kommt Frau Brunn mit gesammelten vierzehn Minuten Verspätung (die Uhr hat mir Mama beigebracht), an der Tür hat sich schon ein richtig großer Tumult gebildet. Um Carlos herum stehen eine Menge Leute, die den armen Jungen, der gerade erst aus Italien hier her gekommen ist, eine Menge Fragen stellen, die angeblich auf Italienisch sind, was aber definitiv nicht stimmt, sonst hätte er sie ja verstanden…

Unsere Lehrerin versucht die große „Schülermenge“ zu durchqueren, die laut schreit: „Frau Brunn ist vierzehn Minuten zu spät!“ Aber daran ist Frau Brunn schon längst gewöhnt, es ist ja schon Oktober.

Endlich erreiche auch ich, Sebastian Matthias, als letzter die Klasse. Wie immer setze ich mich mit meinen Freunden zusammen in die letzte Reihe. Dort können wir den Unterricht verbringen, wie wir wollen. Und wenn Frau Brunn uns fragt, was sie denn gerade gesagt hat, weil sie denkt, wir hätten ausnahmsweise nicht zugehört, dann antworten wir einfach, wir hätten sie akustisch nicht ganz verstanden. Das klingt erstens sehr professionell, und zweitens hätte das wahrscheinlich auch gestimmt, wenn wir denn überhaupt zugehört hätten, denn Frau Brunn redet meistens ziemlich leise. Aber schreien kann sie natürlich auch, das haben wir erst vor ein paar Tagen ausprobiert. Da konnten wir natürlich nicht behaupten, sie hätte zu leise geredet.

Ungefähr fünf Minuten nachdem alle sich hingesetzt haben, schafft es Marco, sein Gerede, oder wie es Frau Brunn auch gerne nennt, sein Gelabere, einzustellen.

„Schön, dass wir es endlich geschafft haben, anzufangen, Marco“, sagt sie mit dieser gefährlichen Stimme in die Runde, die wir nur zu gut kennen. „Heute fangen wir mit einem neuen Thema an. Die nächsten paar Wochen werden wir die Schifffahrt durchnehmen. Ein Thema das sowohl Geografie als auch Geschichte enthält.“ Ein besseres Thema ist Frau Brunn wohl nicht mehr eingefallen. Wenn wir schon Schiffe durchnehmen, könnten wir doch auch Fotos von coolen Autos oder anderen coolen Sachen angucken, aber Schiffe sind doch langweilig, oder? Immerhin haben wir dann, wenn wir endlich achtzehn sind und einen Führerschein für Yachten machen wollen, schon ein bisschen Vorwissen.

Solche Sachen stelle ich mir vor, als Frau Brunn unser neues Thema vorstellt, aber das ist wohl weit gefehlt. Das Wort „Geschichte“ hat Frau Brunn ja auch erwähnt…

„Ich dachte, Kinder“, redet Frau Brunn weiter, „wir könnten vielleicht ein Mindmap zu diesem Thema machen.“ Bei einem Mindmap schreibt man das betreffende Thema in einen Kreis und schreibt dann außen herum alle möglichen Begriffe, die einem dazu einfallen. Das können in einer Schulklasse viele sein. Das gute an einem Mindmap ist, dass wir Schüler die Sachen aufschreiben dürfen und dass Frau Brunn wenigstens ein paar davon nicht wegwischen wird, weil ja sonst kein Thema zum Durchnehmen mehr da ist. Das einzige „Problem“ ist dabei Alex, unser Klassenstreber. Schade, dass er nicht krank ist.

Zum Glück haben wir nur einen Streber, denn jeder darf nur einen Begriff an die Tafel schreiben, oder besser kritzeln, zur Minimierung des Quatsches, wie Frau Brunn gerne sagt.

Nachdem die erste Hälfte der Klasse dran war, also die ersten zwei Reihen, in denen auch Alex sitzt, steht unter anderem folgendes an der Tafel: coole Yachten; Sturm & Gewitter; Der Untergang der Titanic (natürlich Alex‘ Beitrag); noch coolere Yachten; Käpt‘n Blaubär usw. Also alles ziemlich jämmerliche Beiträge, außer natürlich bei Alex, von dem wir wirklich nichts anderes erwartet hatten. Natürlich kommt auch nach den nächsten zwei Reihen nichts Besseres raus, immerhin nicht noch so ein Streberbeitrag wie vorhin mit „Der Untergang der Titanic“. Das ist nun aber das einzige was Frau Brunn für „gut“ erklärt, weshalb sie alles andere wegwischt.

„Was könnt ihr mir zur Titanic sagen?“, fragt Frau Brunn jetzt.

„Sie ist untergegangen!“, antwortet Marco und tut so, als würde er anfangen zu weinen. „Und dabei sind über tausend Leute gestorben!“, jammert er weiter.

„Marco! Dass die Titanic untergegangen ist, wissen wir wohl alle ziemlich genau. Und dass du so tust, als hättest du mit diesen Opfern Mitleid, ist zwar nett, aber wir wissen auch alle, dass du das nur spielst. Also hör endlich auf mit diesem Scheiß!!!“ Fluchen sollte sich Frau Brunn aber wirklich mal abgewöhnen, nicht wegen der Schimpfworte, sondern eher wegen unserer Reaktion darauf. „Nicht fluuuuuuuchen, Brünnchen“, schreit Maxi sofort. Matze sagt: „Keine Schimpfwörter sagen, iss lieber Pizza und Pasta“, und guckt dabei erwartungsvoll Carlos an (der, der erst vor kurzem aus Italien hierhergezogen ist). Der verdreht aber nur die Augen, wahrscheinlich ist ihm Matzes Italienisch nicht gut genug.

„Als Strafe für euer schlechtes Benehmen“, sagt Frau Brunn jetzt, wo sie sich ein bisschen erholt hat, „werde ich euch jetzt eine Doku aus dem Internet abspielen, in der es um die Titanic geht“, na das waren ja schon mal gute Aussichten, YouTube!, „und ihr müsst mitschreiben, verstanden? MITSCHREIBEN!“. Da hatte ich vielleicht ihre Dankensfähigkeit etwas überschätzt. Als Reaktion auf diese Strafe geht in unser Klasse sofort eine Welle richtig elegantes Stöhnen herum. Es fängt bei der ersten Reihe an, Alex kann natürlich nicht mitmachen, sondern wird einfach nur ausgelassen, und läuft bis hinten rechts, wo ich in der Ecke sitze. „Stöhn, Super!!!, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn, Stöhn“, genau 25 Mal wird gestöhnt, nur einmal schreit Alex „Super!!!“. Und dann beginnt die Doku, die glücklicherweise nur eine Viertelstunde dauert. Dabei gäbe es noch längere…


Die Titanic, ein Schiff, das bestimmt jeder kennt. Ein Schiff, indem sich eine der schlimmsten Katastrophen der Schifffahrt ereigneten. Ein Schiff, das wegen seiner erstaunlichen Größe und seinem revolutionären Komfort berühmt werden sollte, eine Berühmtheit, die aber durch ihren Untergang übertroffen wurde. Über Tausendfünfhundert Männer und Frauen, darunter fünfzig Kinder kamen bei dieser Katastrophe ums Leben. Aber beginnen wir diese schreckliche Geschichte von Anfang an.

Wir schreiben den 12. April in 1912. Die längst nicht ausgebuchte Jungfernfahrt der Titanic geht los. Die Titanic lag im Hafen von Southampton. Aufgrund eines Kohlestreiks befanden sich im Hafen gerade deutlich mehr Schiffe als geplant. Schon im Hafen selbst wurde nur knapp ein Zusammenstoß mit dem Schiff „New York“ verhindert. Trotzdem verzögerte dieser Vorfall die Abfahrt der Titanic nur um eine Stunde. Schon am frühen Abend ankerte die Titanic in Cherbourg, Frankreich, wo 22 Passagiere aus- und 274 einstiegen. Der letzte planmäßige Halt der Titanic war dann Queenstown in Irland. Dort stiegen nur sieben Passagiere aus und zum größten Teil Auswanderer nach Amerika in die 3. Klasse ein.

Und dann begann die Fahrt in den Atlantik. Schon auf dem Weg wurde über die neuen Funksysteme der Titanic mehrfach darauf hingewiesen, dass sich im Bereich der Route der Titanic Eisberge befanden. Allerdings hatten die Offiziere unterschiedliche Informationen, was dazu führte, dass die Warnungen nicht beachtet wurden.

So kam es, dass am 14. April 1912 um 23:40 Uhr (Schiffszeit) die Alarmglocke drei Mal läutete. Der Grund: Frederick Fleet, also der Ausguck hatte einen Eisberg vor dem Schiff entdeckt. Außerdem rief Frederick den sechsten Offizier auf der Brücke an, der sofort die dringende Meldung entgegennahm. Wie Fleets Kollege Reginald Lee bemerkte, begann sich die Titanic noch während des Telefonats zu drehen. Das lag vermutlich daran, dass der wachhabende Offizier den Eisberg auch schon bemerkt und ein Backbord-Umrundungsmanöver eingeleitet hatte.

Und so passierte es. Ein Bremsen oder Ausweichen der Titanic war praktisch auf Grund der hohen Geschwindigkeit nicht mehr nötig, weshalb die Titanic an den Eisberg, der vermutlich aus einem Gletscher in Grönland stammte, stieß.

Laut Augenzeugen erschien der Schaden kurz nach Aufprall eher gering. Der Eisberg ragte ca. 30 Meter aus dem Wasser und reichte dadurch nicht bis ans Vorderdeck heran. Das heißt: über dem Wasser blieb die Titanic ganz, nur unter dem Wasser drang Wasser in das Schiff hinein. Nachdem das Wasser schon eine Stunde lang in die Titanic eingedrungen war, betrug die Neigung des Schiffes 5º, weshalb sich viele Passagiere wohl nicht allzu viel Sorgen machten, obwohl ja schon ganze 25.000 l eingedrungen waren. In den nächsten Stunden drang mit maximal 6.000 l recht wenig Wasser ein, weswegen sich die Neigung auch nicht gravierend veränderte. Allerdings war das nicht die einzige Wasserquelle für das Schiff. Immer mehr Wasser kam durch sogenannte „Sekunderquellen“ in die Titanic.

Der Kapitän der Titanic Smith erkundigte sich mit seinem Schiffsarchitekten ausführlich über den Schaden und kam dabei zum Entschluss, Notrufe über den Funk zu senden und etwas später auch die Evakuierung der Titanic zu veranlassen.

Die Evakuierung wurde genau um 0:05 Uhr von Smith veranlasst. Allerdings wurde das erste Rettungsboot erst 40 Minuten später, um 0:45 Uhr, zu Wasser gelassen. Auf allen Rettungsbooten galt allerdings die sogenannte „Birkenhead“-Vorschrift. Das bedeutete, dass alle Frauen und Kinder zuerst auf die Boote durften. Jedoch hingen die Möglichkeiten, die Titanic schnellstmöglich zu verlassen, auch von der Reiseklasse sowie von der Seite des Schiffes und dem dort Aufsicht habenden Offizier ab. Auf der Backbordseite der Titanic, zum Beispiel, hieß es wohl, Männer dürfen auf keinen Fall auf die Boote. Letztendlich wurden auf der Backbordseite deutlich weniger Menschen gerettet als auf der Steuerbordseite. Auch wollten viele Leute gar nicht auf die Rettungsboote, weil sie nicht glaubten, dass die Titanic untergehen würde. Damit generell keine Panik unter den Passagieren ausbrach, befahl Smith dem Orchester, Musik zu spielen, was dazu führte, dass auch die Musiker nicht überlebten.

Als allerletztes fuhr das Rettungsboot D um 2:05 von der Titanic los. Obwohl man die Funker von ihren Pflichten entbunden hatte, sendeten diese noch weitere Notrufe, auch diesmal ohne Antwort.

Erst zwei Stunden, nachdem das Rettungsboot D die Titanic verlassen hatte, konnten die Passagiere, die zu dem Zeitpunkt bei einer Temperatur von 0 ºC noch nicht an Unterkühlung gestorben waren, vom rettenden Schiff, der Carpathia, aufgenommen werden.

Obwohl in den Rettungsbooten der Titanic noch mehrere Hundert Plätze verblieben, die nicht besetzt wurden, kamen bei dieser fatalen Katastrophe circa 1.500 Menschen um ihr Leben. Insgesamt konnten ausschließlich 711 Menschen den Untergang des einst größten Schiffs der Welt bei seiner Jungfernfahrt überleben.


„Frau Brunn, können sie vielleicht die letzten zwei Minuten noch mal abspielen? Ich habe da glaube ich einen Satz vergessen“, fragt Alex.

„Frau Brunn können sie alles nochmal abspielen? Dann ist die Stunde um“, fragt Marco.

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