Traum? Kapitel 13

Kurzgeschichte zum Thema Meer

von  Manzanita

Eigentlich geht‘s mir gut. Eigentlich ist alles gut. Wenn man daran denkt, dass ich aussichtslos mitten im Meer auf einem Rettungsboot bin, würde wahrscheinlich niemand glauben, dass es mir gut geht. Aber, mal davon abgesehen, geht es mir ziemlich gut. Ich meine, ich habe ein Handy. Ich kann damit alles machen. Ich kann mich damit beschäftigen. Ich kann mir diese Situation eigentlich kaum noch vorstellen, ohne jede Beschäftigung. Ich muss wirklich sehr viel Glück haben. Ich bin eigentlich gar nicht mehr allein.

Ich könnte in allen Ländern sein. Ich bin sogar in irgendeinem Land. Aber es ist völlig egal, in welchem ich bin, denn, je nachdem ob ich nach der Internetadresse den einen Buchstaben hinter einem Punkt eintippe, oder den anderen, bin ich woanders. Ich kann um die Welt reisen, obwohl ich mich kaum bewege in diesem Boot. Aber ob ich nun um die Welt reise oder nicht, ich kann auch einfach hierbleiben. Ich kann in dem Land bleiben, indem ich gerade bin, auch wenn dieses Meer zu keinem Land gehören sollte. Ich kann ins Internet gehen, ich kann die Nachrichten lesen, ich kann YouTube-Videos anschauen, eben dass, was ich jetzt auch Zuhause machen würde. Vielleicht bin ich ja auch Zuhause, wenn ich das gleiche machen würde. Vielleicht habe ich es bisher nur noch nicht gemerkt. Ich meine, ich könnte ja umgezogen sein. „Durch die Globalisierung“, wie es Frau Brunn gesagt hätte, „kann man heute ganz einfach umziehen und generell eben mit allen anderen Ländern kommunizieren“. Und wenn sie das so sagt, dann hat sie auch völlig recht. Die Spalte „International“ in den Zeitungen, musste ja auch irgendwie gefüllt werden. Und sie wurde es ja auch. Jeden Tag mit vielen neuen und teilweise sogar interessanten Beiträgen aus aller Welt. Seitdem in den USA Trump Präsident ist, habe ich diese Spalte auch öfters mal gelesen, denn ich finde Trumps berühmte Aussagen doch ziemlich amüsierend. Und sie sind es wahrscheinlich noch immer, nur dass ich sie nun seit ein paar Tagen nicht mehr gelesen habe. Aber ich kann es ja jetzt tun. Ich kann jetzt sofort ins Internet gehen. Und das tue ich auch. Nur steht da diesmal nichts über Trump, sondern über ein gesunkenes Schiff.


Passagierschiff-Clara Skandal – Bisher nur ein Überlebender
Noch immer konnte die Ursache für das womöglich größte Schiffsunglück dieses Jahres nicht gefunden werden. Untersuchungen wurden bereits aufgenommen.


Es war 7 Uhr morgens am 16. August, als der 1. Offizier des Kreuzfahrtschiffes das Notsignal sendete. Das Schiff sank. Das Schiff sank, aber niemand reagierte. Die Besatzung der Clara bat um Hilfe. Sie wussten nicht warum, aber sie kannten bereits ihr Schicksal. Sie kannten bereits das Problem, das Rettungsbootproblem. Es gab nicht genügend. Obwohl vor dem Start der Kreuzfahrt nochmal alle Sicherheitsvorschriften genau überprüft worden waren, kam es kurz vor dem Einsteigen der ersten Passagiere zu einer Überraschung. Das Schiff wies einen technischen Fehler auf. Was genau schiefgelaufen war, ist bis heute nicht geklärt. Jedenfalls durfte das Schiff so nicht eingesetzt werden, sondern musste kurzfristig durch ein anderes ersetzt werden. Eigentlich sollte dies kein größeres Problem darstellen, denn für solche Vorfälle war immer ein bisschen „Pufferzeit“ übrig, aber die Kreuzfahrt war voll besetzt und es stand kein genauso großes Schiff zur Verfügung. Aber auch zu diesem Problem fand man schnell eine Lösung. Der Kapitän, der selbst erst gerade mit einem anderen gewechselt hatte, und selbst eine kleine Yacht hatte, stellte diese als „provisorische Kajüte“, wie er laut einer Küstenwache gesagt hatte, für diese Kreuzfahrt einmalig bereit. Nachdem der Kapitän dies vorgeschlagen hatte, musste man die Yacht aber auch irgendwie in das Schiff reinkriegen. Auch hierfür fand man schnell eine Lösung. Obwohl es ziemlich unklar ist, ob man diese „Lösung“ noch als solche ansehen sollte. Der Kapitän jedenfalls, ließ eines der Rettungsboote an Land zurück, und stellte an seine Stelle seine eigene Yacht. Natürlich wurde diese Aktion nicht gleich von der Polizei erlaubt. Erst als der Kapitän erklärte, dass seine Yacht im Fall der Fälle auch als Rettungsboot dienen könne, und man alle Sicherheitsregelungen für Rettungsboote in der Yacht überprüft hatte, durfte die Kreuzfahrt starten, obwohl es keinesfalls erlaubt ist, private Objekte als Noteinrichtungen bereitzustellen.

Doch das Schiff sollte nicht weit kommen. Schon am Tag nachdem Aufbruch, kam es zu ersten Problemen. Am Ersatzschiff, dass erst am nächsten Hafen überprüft werden sollte, fiel das Radar aus. Warum bzw. wann das passierte ist noch unklar, weil es erst viel später auffiel. Für den wachhabenden Offizier war wohl das Fußballspiel Deutschland gegen Belgien wichtiger. Denn nach heutigen Erkenntnissen war dies der Hauptgrund für das Unglück. Erst spät am Morgen, um ca. 7 Uhr (lokale Uhrzeit) war das Spiel mit 1:0 für Belgien ausgegangen (Mehr dazu lesen Sie auf Seite 12 in der Sport-Rubrik). Und erst um diese Uhrzeit sah der Offizier das Problem. Das Radar war aus. Sofort unternahm er erste Versuche, es schnellstmöglich wieder anzukriegen. Aber es reagierte nicht. Mitten in der Panik blieb dem Mann wohl nichts anderes mehr übrig, als über Funk um Hilfe zu bitten. Aber auch das war unmöglich. Das Schiff war wohl in ein Funkloch geraten, wie sich später herausstellte. Dazu kam noch, dass plötzlich die Tür des Kontrollraumes aufgestoßen wurde und ein riesiger Wasserstoß in den Raum kam. Deshalb kam es auch dazu, dass erste SOS-Signale über das Handy erfolgten. Und auch dafür wären die Passagiere bestimmt sehr dankbar gewesen, wenn der dortige „Salvamento Maritímo“ oder auf Deutsch Seenotrettung auf die SOS-Signale reagiert hätte. Nur kam es nicht dazu. „Weder meine Kollegen noch ich selber wurden in irgendeiner Weise benachrichtigt“, so verteidigt sich ein Mitarbeiter der Seenotrettung, der aber lieber nicht seinen Namen angeben möchte. Die Polizei hat bereits in Zusammenarbeit mit dem Inhaber des Mobilfunknetzes die Ermittlungen aufgenommen, um herauszufinden, ob das Telefon geklingelt hat. Allerdings war dies wahrscheinlich der Fall, da auch Frau Angela Polonska, eine deutsch-polnische Touristin, die einzige Überlebende dies bestätigen kann. Sie befand sich in einer Kajüte unmittelbar neben dem Kontrollraum, in der ersten Klasse, und verfolgte dort auch das Fußballspiel. (> S. 12). Als es zu Ende war, wollte sie eine Freundin (die sich auch in ihrer Kajüte aufgehalten hatte) zurück in ihre Kajüte begleiten. Als sie aber an der Tür des Kontrollraumes vorbeiging, ging diese schlagartig auf, und ein Mann, vermutlich der wachhabende Offizier rannte heraus. „Als die Tür aufging und mir fast ins Gesicht schlug, kriegte ich sofort einen Schreck, aber dass er dabei laut <In die Rettungsboote, das Schiff geht unter> schrie, das machte mich wirklich platt“, sagt Frau Polonska. Wahrscheinlich war der erste Offizier zur Yacht des Kapitäns gerannt, um ihn zu benachrichtigen. Aber die Yacht schien schon weg zu sein. Der Kapitän hatte das Schiff ohne Vorwarnung verlassen. Frau Polonska jedenfalls war sofort zur Treppe und zu den Rettungsbooten gerannt, denn ihre Freundin wartete auf sie. Aber statt einer Freundin, erwartete sie dort ein leerer Rettungsbootplatz und der Offizier. Bis dahin reichen die Informationen von Frau Polonska, aber angeblich kann sie sich nicht mehr daran erinnern, was passiert ist. „Wenn sie mich fragen, sitze ich immer in meiner Kajüte, aber das kann gar nicht sein, denn dann wäre mir ja übel“, sagt sie und lacht. Dabei war es erst vor wenigen Tagen, als sie einen Schock fürs Leben erhielt. Aber über ihre Situation mag Frau Polonska lieber nicht reden, „ich möchte doch nicht vor den ganzen Kameras anfangen zu heulen!“

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