Meine Reise in die Vergangenheit

Erzählung zum Thema Alter

von  Februar

Meine Reise in die Vergangenheit

Eine Premiere für mich.
Es ist bestimmt schon vierzig Jahre her, seit ich das letzte Mal mit der Bahn gefahren bin. Heute früh habe ich mich spontan dazu entschlossen. Ich kann nur sagen, es war ein Erlebnis. Schon allein der Kartenkauf. Nun stand ich wie ein kleines Kind vor dem Automaten. Das wird nix. dachte ich, eher fahre ich mit dem Auto nach Rom, als dass ich hier ein Ticket bekomme. Ratlos sah ich den Roboter an.
Ein junger Mann bemerkte mein Bemühen und fragte, ob er behilflich sein könnte.
„Gell Sie sehen, dass es nicht klappt. Ich komme mir vor wie ein Analphabet. Das ist heute eine Premiere für mich.“ Er lachte und meinte:
„Glauben Sie mir, meinen Eltern geht es genau so. Mit dem Auto ist man schneller und außerdem steht es vor der Tür. Warum sich solche Mühe machen?“
„Ich wollte halt noch einmal in die Vergangenheit reisen, aber ich sehe, die Zukunft ist schon allgegenwärtig.“ –
"Welches Ziel haben Sie denn?“ –
"Egal, einfach die Strecke über Pfeddersheim. Wissen Sie, ich bin da aufgewachsen.“
„Aber ich muss ihnen eine Fahrkarte lösen.“ –
„Darf ich indiskret sein und fragen wohin Sie fahren?
„Ich muss nach Harxheim Zell."
„Dann lösen Sie mir bitte eine Karte nach Börrstadt“
„Also Worms – Börrstadt. Acht zwanzig kostet es.“
„Zu meiner Zeit waren es nur 1 Mark 20. Wenn ich noch rechnen kann sind das sechzehn Mark. Ganz schön teuer geworden, na ja so ist das eben mit dem Euro.“
"Kommen Sie wir müssen uns beeilen, der Zug ist gleich da. Auf Gleis vier fährt er ein.“
„Die Unterführung ist noch genau so dreckig wie damals und die ausgetretenen Treppen, da kann man sich ja den Hals brechen.“
Er lachte,
„ich kenne es nicht anders, schon sieben Jahre fahre ich diese Strecke und manchmal riecht es sogar nach Urin. Es ist wirklich kein schöner Bahnhof.“
„Ist das unser Zug“, fragte ich ganz aufgeregt.“
„Ja, kommen Sie, dort ist der Einstieg.“  Soll nur einer sagen, die heutige Jugend wäre nicht hilfsbereit. Eigentlich bin ich noch nicht schutzbedürftig, aber dankbar nahm ich seine Fürsorge an.
Im Abteil setzte er sich mir gegenüber und zeigte auf die vorbei gleitende Landschaft.
„Schön hier.“
„Gleich kommt Pfiffligheim. Jetzt stand ich aufgeregt auf um besser sehen zu können. Sehen sie das rote Backsteinhaus? Ja rechts neben der großen Tanne? Ja genau das ist es." Schon war es vorbei, ich verrenkte meinen Kopf um noch den letzten Zipfel zu erhaschen.
„Jeden Morgen, wenn ich den sieben Uhr dreißig nahm, stand ein Junge auf dem Balkon und winkte mir zu. Wissen Sie, ich fuhr zur Arbeit. Ich lernte Verkäuferin im Kaufhof."  Ein leises Lächeln lag auf meinem Gesicht, ohne dass ich es bemerkte. Erst als ich mich in der Scheibe spiegelte, fiel es mir auf.
"Ein Jahr dauerte es, bis wir zum ersten Mal mit einander redeten. Er stieg eines Tages einfach zu und kam ins Abteil. Vom Sehen kannten wir uns ja schon. Nun hatte er sich Mut gefasst und wollte mich näher kennen lernen. Wir waren beide siebzehn. Das ist schon so lange her."--- Versonnen sah ich aus dem Fenster. Feinfühlig merkte er, dass ich in Gedanken weit fort war, und blieb still.
"Wissen sie was daraus wurde? Wir heirateten.“
"Das ist eine schöne Geschichte, und jetzt wollen sie ihre Erinnerungen auffrischen?“
„Ja ich bin wieder allein, er ist vor einem Jahr gestorben," in Gedanken fügte ich hinzu, und heute wäre unser fünfzigster Hochzeitstag. Ich konnte es nicht vermeiden, dass mir die Tränen kamen.
Taktvoll wechselte er das Thema.
„Es wurde viel gebaut in den letzten Jahren und viele Arbeitsplätze geschaffen.“
„Früher gab es hier saftige Wiesen mit Dotterblumen und Kühe grasten mit ihren Kälbern.“ Wehmütig fügte ich noch hinzu,
„es hat sich so vieles verändert. Wo sind die kleinen Siedlungen all geblieben. Hier in Pfeddersheim wohnte ich, da war meine Spielstraße. In dem Schwimmbad war ich den ganzen Sommer anzutreffen, hier ging ich zur Schule. Auf dem Friedhof liegen meine Eltern. Ich werde auf der Rückfahrt aussteigen und das Grab besuchen. Kann man das?"
"Sicher, Sie müssen nur sehen, dass Sie einen Anschlusszug bekommen. Fragen Sie am Besten am Schalter nach."
„Bald kommt Monsheim, Wachenheim-Mölsheim, Harxheim-Zell, Göllheim-Dreisen und dann kommt Börrstadt. Da hatte ich auch Verwandte, eine Schwester meines Großvaters. Ich will mal sehen ob da noch jemand lebt.“
„Sie haben aber nichts vergessen.“
„Hier war sehr lange meine Heimat.“
„Jetzt sind wir bald da, ich habe eine langen Tag vor mir. Dort in der Fabrik ist meine Arbeitsstätte.“ Wieder war eine Weile Stille. Dabei musterte ich ihn verstohlen. Er sah ordentlich aus. Seine Hände waren gepflegt und seine Fingernägel sauber. Der kurze Haarschnitt machte ihn aber älter als er wahrscheinlich war. Das blütenweiße Hemd stand am Kragen offen und die Jeans die er trug sahen nicht billig aus. Er bemerkte meine Musterung und ein feines Lächeln war auf seinem Gesicht.
„Zufrieden?“ fragte er. Ich lief puterrot an.
“Sie haben mich ertappt, ich überlegte gerade, welchem Beruf ich Sie wohl zuordnen sollte.“
„Und was denken sie“, fragte er lächelnd.
„Schwer zu sagen, Akademiker, Chemie, Labor“?
„Nichts von alldem, die Kantine ist mein Revier.“ Jetzt staunte ich,
„Koch, den hätte ich mir anders vorgestellt, mit einem behäbigen Bauch und einfach kräftiger.“
„Kommt bestimmt noch, wenn ich nicht aufpasse. So hier muss ich mich verabschieden, es hat mir Freude gemacht, Sie sind eine nette Mitreisende. Vielleicht trifft man sich wieder. Oh ich habe mich noch nicht vorgestellt, mein Name ist Günter Frei.“
„Angenehm Meisel“. Ich sah ihm nach, wie er mit Riesenschritten dem Ausgang zustrebte. Er drehte sich noch einmal um und winkte mir zu. Leise murmelte ich:
„Du bist ein Junge nach meinem Herzen“

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(20.10.19)
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 Februar meinte dazu am 20.10.19:
Danke für Deine Aufmerksamkeit lieber Sätzer. Wenn ich wieder einmal verreise lade ich Dich ein.

Gruß Februar

 Moja (20.10.19)
Eine Geschichte voll aus dem Leben, ich habe sie sehr gerne gelesen. Viele Grüße, Moja

 Februar antwortete darauf am 20.10.19:
ja, so war das, danke fürs Kommentieren,

freundliche Grüße Februar

 Cassandra (20.10.19)
Wirklich sehr schön und wehmütig geschrieben

LG

 Februar schrieb daraufhin am 20.10.19:
Leider alles schon so lange vorbei.

Danke für Deine Aufmerksamkeit

Gruß Februar

 Dieter_Rotmund (20.10.19)
Da fehlen einige Kommas und in Dingsbumsheim gibt es sicherlich keinen menschlich besetzten Schalter mehr ...

 Februar äußerte darauf am 20.10.19:
Sarkasmus?,
sollte man den überbewerten,
besser nicht, die Stufe ist zu nieder .

Freundliche Grüße Februar

 Dieter_Rotmund ergänzte dazu am 21.10.19:
Wie bitte?

P.S.: es -> Es

 Februar meinte dazu am 21.10.19:
ach vergiss es

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 22.10.19:
Entschuldigung, dass ich frug.

 August meinte dazu am 05.12.19:
Ich mag deine Geschichten von früher. Es steckt so viel Herz darin.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 03.06.20:
Danke.
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