Schmaler Grat

Brief zum Thema Ausbrechen

von  Xenia

Dieser Text ist Teil der Serie  Kämpferherz
Die Welt tritt in den Hintergrund, es gibt nur noch dich und die Straße.  Wie sehr ich dir solche Momente wünsche, Momente, in denen du einfach nur fühlen kannst, in denen du einfach nur bist. Manchmal kannst du nicht schlafen, weil deine Gedanken dich zu ersticken drohen. Du kannst sie nicht fassen und doch greifen sie nach dir, tun dir weh, lassen dir keine Ruhe. Dabei brauchst du Ruhe so sehr. Ich fühle deine Sanftheit, deine Verletzlichkeit. Ich hab so oft Angst, dich zu verletzen, weil du mir so wertvoll bist.

Umso besser, zu wissen, dass du Wege für dich gefunden hast. Die Straße, auf der du fährst, ist schmal. Auf der einen Seite geht es steil einen Abhang hinunter, rechts von dir ist eine schroffe Felswand. Die Sonne geht gerade unter und du musst noch runter ins Tal, um dir ein Zimmer zu suchen, in dem du heute Nacht schlafen kannst. Du bist müde, kannst dir aber einen Fehler nicht erlauben. Ab und zu wirst du etwas unaufmerksam, dann schlingert dein Fahrzeug und du streifst die Felswand. In deinen Erzählungen unterschlägst du diese Momente meistens, weil du nicht willst, dass ich mir Sorgen um dich mache. Umso lieber erzählst du mir von der berauschenden Aussicht, die du, obwohl du so aufpassen musst, staunend wie ein Junge in dich aufsaugst.

Anblicke dieser Art werden für dich niemals an Faszination verlieren. Hier kannst du frei atmen. "Ich weiß, dass ich irgendwann neben meinem Moped sterbe und kann es kaum erwarten, wieder draufzusitzen", hast du mir erzählt. Ich hab geschluckt, aber ich kann es verstehen. Irgendwann wirst du vielleicht bei einem Unfall sterben. Aber bis dahin, bis dahin wirst du jedes Mal, wenn du mitten im Nichts fährst, fucking lebendig sein.

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