Bleib dir nicht treu

Text zum Thema Gesellschaftskritik

von  Remy

Tatsächlich wollte ich nur nach Hause fahren, in mein Bett hüpfen und den langen ereignisreichen Tag in meinen Träumen nochmals erleben. Und dann stehe ich mit meinem Rad an der Ampel, spüre deinen Blick und sehe dich an. Du lächelst mich an, ich lächle zurück, du lachst, ich lache zurück. Hin und her, hin und her.
« Hey, sag mal, wieso lachst du ? »
Du antwortest nicht, sondern kicherst ungeniert weiter. Ich fühle mich an der Nase herumgeführt, gar unbehaglich. Vielleicht weil uns das freundliche Anlächeln einer unbekannten Person in diesem Land gefühlt nur wenige Male im Leben begegnet.

Allerdings dank der zwei Gläser Wein grinse ich leicht angetrunken den Katzenjammer spielend weg. Indessen strahlt in deinen schimmernden Augen die von Endorphinen getränkte Jugend in hinreißender Manier. Bei jedem Wort lachst du so wunderbar, dass Myriaden von Glückshormonen die ganze Welt mit Anmut bestauben. Alles erscheint plötzlich glanzvoll. Ich überlege, bei Grün einfach weiterzufahren, aber der Typ aus deiner Gruppe sagt irgendetwas zu mir, was mich für einen Augenblick in eure Welt zieht. Diese Gelegenheit muss genutzt werden. Gut gelaunt steige ich von meinem Rad, mache einen weiteren Schritt in euer Leben, dann ein paar mehr.

Du warst überzeugt, ich hätte zu erst gelacht, aber nein, « das war bestimmt nicht so ! ». Ein Dauergrinsen hat sich eingestellt. Es war so ein – « Nein, leg du auf ! -Moment ! » - eigentlich ziemlich kindisch. Inmitten unseres Herumkreisens rauschen betrunkene Studierende mit ihren Hollandrädern an uns vorbei. Deine Freunde folgen uns mit ein paar Metern Abstand, als würden sie uns alleine lassen wollen. Spüren auch sie die Spannung ?

« Wohin geht ihr ? »,
« Woher kommst du ? »,
« Wie alt bist du ? »,
« Wir gehen feiern ! »,
« Ich komme aus Hellern ! »,
« Na, was schätzt du denn ? »,
« Und du ? »

Trotz der Banalität der üblichen Phrasen ist es kein langweiliges Gespräch, vielleicht liegt es an der Spannung, die mich elektrisiert. Ob du wohl auch die Elektronen spürst, die in ihrer Umlaufbahn Richtung Edelgaskonfiguration streben? Oh Gott, was rede ich da? Ich habe Chemie gehasst! Jedenfalls gefiel es mir, wie du mich angesehen hast, weil dieser Blick niemals alleine kam, sondern immer Hand in Hand mit deinem Lächeln und einem Hauch Faszination in den Augen. Und wenn deine schlanke Figur mal nicht zu mir zeigt, offenbart sich dein graziler Rücken, bei dem mein Augenmerk auf das Kleid fällt, welches nicht über die Knie ragt, und dessen Träger sich auf dem oberen Teil deines Rückens kreuzen, als wäre es verboten, die sanfte Haut daneben zu berühren.

Wir bleiben stehen, deine Freunde gehen zur Bank. Ein appellierendes « Hey, du musst mit zum Feiern ! » verlässt deine Lippen.
« Ich weiß ja nicht, das wäre jetzt sehr spontan, und ich kenne dort niemanden. »
« Doch, natürlich, du kennst mich ! »
Im Hintergrund sehe ich deine Freunde in der Bank tuscheln. Gleichzeitig hältst du mir selbstsicher den kleinen Finger entgegen.
« Kommst du ? »

Ich habe ein mulmiges Gefühl. Es ist gegen die Vernunft, sogar gegen weit mehr noch. Einige Sekunden verstreichen, bis mir klar wird, dass das Verneinen des Fingerschwurs für mich keine Option darstellt. Unsere Finger umarmen sich, dann radele ich los.

Während die Lichter der Stadt sommerlich an mir vorbeiziehen, schmecke ich die Spannung auf meinen Lippen. Siebzehn Jahr, brünettes Haar. Fünfzehn Jahre Unterschied. Es ist verwerflich, trotzdem fahre ich unbeirrt weiter, darüber bewusst, ein schlechter Mensch zu sein.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (04.12.20)
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