Einige Gedanken zu Kierkegaard und zur Freiheit des Glaubens

Kommentar zum Thema Philosophie

von  Kleist

In seinem Erstlingswerk „Entweder – oder“ konfrontiert uns der dänische Philosoph Sören Kierkegaard (1813-1855) in Form eines fiktiven Briefwechsels mit einer fundamentalen Entscheidungsfreiheit: derjenigen zwischen einem ästhetischen Leben, das vor allem nach sinnlichen und schöngeistigen Genüssen trachtet, und einem ethischen Leben, das in moralischen Werten aufgeht.


Später erweitert Kierkegaard diese Alternative noch um eine dritte Option: nämlich die eines religiösen Lebens, was für ihn vor allem bedeutet, sich „in Gleichzeitigkeit zu Christus zu setzen“ (so ähnlich in „Einübung im Christentum“). Wichtig ist hierbei, dass jede dieser drei Stufen die vorangegangene(n) einschließt. Wer also ethisch lebt, lebt auch ästhetisch – und wer religiös lebt, lebt zugleich ästhetisch und ethisch. Die verschiedenen Lebensentwürfe bauen also wie Stufen aufeinander auf.


Die Freiheit, sich zwischen diesen zu entscheiden – beziehungsweise, und das füge ich hinzu: die Freiheit, sich als ethisch Lebende:r für ein bestimmtes Ethos oder als religiös Lebende:r für eine bestimmte Form der Religiosität zu entscheiden – ist eine bewusste Wahl. Meiner Erfahrung nach kann man in nahezu jedem Moment durch das, womit man den Geist füttert, mitbestimmen, in welche Richtung die Reise geht. Darüber hinaus ist es in seltenen Momenten so, als ob sich eine Pforte auftut – und man ist frei, hindurch zu schreiten oder nicht – mit Worten, die Kierkegaard oft in dem Mund gelegt werden, den „Sprung in den Glauben“ zu wagen (wenn es denn um ein religiöses Leben geht).


Wie gesagt bedeutete das für Kierkegaard in seinem Leben, sich für eine „Gleichzeitigkeit mit Christus“, also für ein Christentum, so wie er es verstand, zu entscheiden. Das ist allerdings natürlich nicht die einzige Möglichkeit für ein religiöses Leben – und das sage ich wieder in Fortführung und Ergänzung Kierkegaards. Stattdessen könnte man sich beispielsweise genau so in Gleichzeitigkeit zu heidnischen Gottheiten eigener Wahl setzen, in guter Tradition Zuflucht zu den 3 Juwelen des Buddhismus nehmen – oder sich für eine andere der schier endlos vielen verschiedenen Möglichkeiten, die der „Markt der Religionen“ bietet, oder für eine nahezu beliebige Kombination bereits existierender Optionen entscheiden.


Das schließt natürlich die Freiheit ein, sich von einem Glauben loszusagen, die Religion zu wechseln, oder einen nichtreligiösen Lebensentwurf zu wählen. Letzterer verbliebe dann aber wohl nach Kierkegaard auf der Stufe des „ethischen Lebens“ – wo sich natürlich ebenfalls endlos viel mehr Optionen als die von Kierkegaard in „Entweder – oder“ ausformulierte, das Leben eines Ehemannes zu führen, bieten.


...und selbst für ein „ästhetische Leben“ bieten sich unbegrenzt viele verschiedene Möglichkeiten…


Natürlich ergibt sich diese Entscheidungsfreiheit immer aus dem Wechselspiel zwischen Individuum, Umwelt und besonders der geistigen, bzw. geistlichen Welt. Ich kann mich nur für eine Religion (eine Ästhetik, eine Ästhetik) entscheiden, die mir in meinem Leben auch begegnet ist, und die sozusagen ihrerseits auch bereit ist, sich „für mich zu entscheiden“ und die zu mir passt. Bei den Religionen lässt sich innerhalb von deren Realitätsdeutungsmuster oft davon sprechen, dass sich eine Gottheit oder eine andere geistliche Entität „mich ausgesucht“ hat, und nicht umgekehrt ich mir sie – aber wahrscheinlich liegt die Wahrheit wie so oft irgendwo in der Mitte.




Anmerkung von Kleist:

Geschrieben im August 2020, überarbeitet im Dezember 2021.

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Kommentare zu diesem Text


 Quoth (25.12.21, 17:50)
Hallo Kleist, eine gute und nicht unkritische Zusammenfassung des Briefwechsels. Viellecht sollte man darauf hinweisen, dass "Entweder - Oder" sehr viel mehr enthält, nämlich u.a. das "Tagebuch des Verführers". Gruß Quoth

 Kleist meinte dazu am 25.12.21 um 18:23:
Das sollte eigentlich keine Zusammenfassung sein, sonder ein Kommentar und eine Weiterführung zu einem bestimmten Konzept Kierkegaards. "Entweder - oder" ist nur der erste Anknüpfungspunkt.

 Terminator (25.12.21, 22:24)
Ist die ethische Lebensführung für Kierkegaard nicht vielmehr die Negation der ästhetischen, "egoistischen"? Und ist das Religiöse nicht ein Sprung von den Klippen der aporetischen menschlichen Vernunft ins Gottvertrauen?


Wichtig ist hierbei, dass jede dieser drei Stufen die vorangegangene(n) einschließt. Wer also ethisch lebt, lebt auch ästhetisch – und wer religiös lebt, lebt zugleich ästhetisch und ethisch. Die verschiedenen Lebensentwürfe bauen also wie Stufen aufeinander auf.
Das klingt viel besser und sagt mir persönlich zu. Aber hat das Kierkegaard in den 1840-ern, vor all den Erkenntnissen der Psychologie, bereits so gesehen? Dann nichts als Hut ab!

 Kleist antwortete darauf am 27.12.21 um 02:02:
So wie ich das aus meiner Lektüre von "Entweder - oder" und einem sekundären Buch dazu in Erinnerung habe: ja. Da ging es allerdings nur um die ästhetische und die ethische Stufe. Dass er das für die religiöse Stufe analog gebildet hat, habe ich, glaube ich, selbst geschlossen - bin mir da gerade nicht sicher.

Hach - mein schlechtes Gedächtnis!
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