Barcelona

Tagebuch

von  Pearl

Muñeca de porcelana, sagte der Eine und seine Haut war wie Pergamentpapier. Der Mond schien über das Gestein der Ciutat Vella und seine müden alten, vom Heroin gelben Augen,  schauten in mich hinein.
Es war eine kleine Gruppe, in der wir uns hier in der Nacht zusammenfanden. Gemeinsam verbrachten wir die Stunden zwischen dem einen und anderen Tag. Und es war das erste Mal, dass ich ein besetztes Haus von innen sah und erkannte, dass es auch Armut war, was diese jungen Menschen hier leben ließ.
Tagsüber schlafwandelte ich durch Gassen, vorbei an Strichern, Dealern, Kleinkriminellen, die mich schläfrig im Mittagslicht anblinzelten und begrüßten, so als wüssten sie, dass ich so gut wie keinen Cent in meinen Taschen hatte.
Ich liebte es, mich zu verlaufen. Es war das erklärte Ziel am Anfang meiner Reisen; sich im Gewirr der Gassen zu verlieren  war die beste Möglichkeit, jeden Tag Neues zu entdecken. Hinter mir lagen viele Schritte, Menschen, Erfahrungen. Ich sammelte sie, so wie andere Leute Muscheln am Strand. Und nirgends konnte ich bleiben, nirgendwohin zurückkehren. Keine Erfahrung kann ein zweites Mal gelebt werden, dachte ich und deshalb kam ich nie wieder, um diesen Zauber des ersten Augenblickes nicht zu zerstören.
Manchmal aber wurde ich müde, das Leben kam mir dann vor wie ein ewiger Kampf, in dem ich wünschte, ein Braunbär zu sein, der sich in seine Höhle zurückzog, während es draußen schneite.

                  "es scheint nur so", hörte ich eine Pergamentstimme sagen, weil müde alte, vom Heroin gelbe Augen, durch das Lachen hindurch auf den Braunbär schauten, der sich in einer Welt aus Glas sah und Angst davor hatte, sie kaputt zu machen.



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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (18.01.22, 12:52)
Eine schöne Erinnerung an Barcelona. Der Zauber bleibt, gewiss, wenn der Ort einmal besucht wird. Allerdings weiß ich aus Erfahrung, besucht man einen Lieblingsort mehrmals, so wird man fähig die Details wahrzunehmen. Der wahre Charakter eines Ortes erschließt sich nur einem, der mehrmals die Möglichkeit hat den Ort zu besichtigen. 
Man sieht plötzlich Dinge, die man zuvor nicht gesehen hatte. Ganz winzige Details beispielsweise, die den Ort charmant machen. 
Anders ausgedrückt; jene Details des Ortes werden lieb wert geschätzt, wie eines/einer Geliebten sein/ihr an einer Körperstelle entdecktes Muttermal, dem man zuvor übersah.

 Pearl meinte dazu am 18.01.22 um 13:17:
Danke für deinen schönen Kommentar, Augustus. Ich habe dort 9 Monate gelebt, also ich glaube, bestimmte Einzelheiten konnte ich schon wahrnehmen.

Lieber als zu reisen, arbeite (oder wie hier, studiere) ich an einem fremden Ort. So bekommt man viel tiefere Einsichten, was das Leben hier/dort bedeutet. Anfangs habe ich in einem Randbezirk (Nou Barris) gelebt, da waren fast nur Lateinamerikaner. Sie nahmen mich mit in typische Salsalokale. Wir hatten unendlich viel Spaß in unserer Mädels WG, bis wir stritten ;) In dieser WG habe ich eine Freundin gefunden, mit der ich sehr verbunden bis, seelisch, obwohl sie mittlerweile nach Peru zurückgekehrt ist.

Danach lebte ich zentral, in der Nähe der Ramblas, da war ein ganz anderes Lebensgefühl, obwohl es dieselbe Stadt ist.

Aus Nostalgie würde ich Barcelona gerne wieder besuchen... vielleicht diesen Sommer mit einer Freundin, wenn die Finanzen es zulassen.

Liebe Grüße, Pearl

 AZU20 (19.01.22, 15:20)
Es scheint nur so, sagt einer, aber bei Dir war es viel mehr. Gern gelesen. LG

 Pearl antwortete darauf am 19.01.22 um 20:45:
Danke, lieber AZU20!
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