Liberal

Gleichnis zum Thema Hilfe/ Hilflosigkeit

von  Terminator

Ersterseits war die Gemeinde World City hochverschuldet, doch zweiterseits war sie auch die liberalste Gemeinde der USA. Dritterseits verkündete die US-Regierung, dass es aufgrund der schweren wirtschaftlichen Situation keine staatlichen Hilfen für notleidende Gemeinden geben würde, was ohne Unterstützung der Bundesregierung für World City eine Hungersnot und den Zusammenbruch des Gesundheitssystems bedeuten würde. Doch vierterseits sollte die zum Jahresabschluss liberalste Gemeinde des Landes ihre Schulden komplett erlassen bekommen und eine saftige Haushaltsprämie dazu.


Auf der High School passierte Folgendes: der älteste Sohn aus einer katholischen Familie outete sich. Jemand ist schwul in der liberalsten Gemeinde eines liberalen Landes? Warum sollte das ein Problem sein! Doch gleich danach wurde dieser junge Mann namens Uri Ross zu Hause von seinem Vater verprügelt. Er ging gleich zum Schuldirektor und bat um Hilfe. Dieser stellte klar, dass sein Vater, Mr. Ross, auf keinen Fall bei der Polizei angezeigt wird. Am nächsten Tag gab es noch mehr Schläge. Mr. Ross wurde von mehreren respektierten Mitgliedern der Gemeindeverwaltung ausgeschimpft, sein Kiosk mit christlichen Devotionalien, Vodka und Bibeln wurde von immer mehr Bewohnern der Gemeinde boykottiert.


Um Vodka entbrannte allerdings ein heftiger Streit, denn viele Einwohner waren alkoholabhängig und konnten nicht kurzfristig auf Vodka-Einkäufe bei Mr. Ross verzichten. Dieser verprügelte nochmals seinen ältesten Sohn, doch der Junge schlug diesmal zurück. Er ging zur Polizei und forderte wenigstens Schutzhaft für sich selbst, damit der Konflikt mit seinem Vater nicht weiter eskaliert. Die Polizei weigerte sich kategorisch, sich einzumischen. Der Polizeichef sagte aber: "Die Familie Ross braucht ein neues Familienoberhaupt". Am nächsten Tag stellte er klar, dass er keineswegs zum Sturz des Vaters aufgerufen habe.


Es ging jeden Tag so weiter: Mr. Ross verprügelte seinen Sohn immer heftiger, dieser wehrte sich auch immer heftiger, und zog den Unmut der Gemeinde auf sich. Die Leute redeten: "Warum kann er nicht einfach leugnen, dass er schwul ist?" "Er soll auf seinen Vater hören, er ist schließlich sein Vater". "Wir können den Schuldenerlass und die Prämie nicht für einen einzigen Schwulen riskieren!" Und so blieb Uri nur die Hoffnung, bei der Abwehr eines weiteren Angriffs seinen Vater so schwer zu verletzen, dass er ihn nicht mehr verprügeln konnte. 


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Kommentare zu diesem Text


 Graeculus (01.04.22, 17:39)
Der schwule Sohn ist nur die Nagelprobe des Heuchlers; die des Liberalen ist der Andersdenkende (der Illiberale?).


Ich habe meine Tochter antiautoritär erzogen, aber sie macht trotzdem nicht, was ich will.

(Nina Hagen)
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