Klassenfahrt - Tag 2
Tagebuch
von Manzanita
Am Donnerstag, den 28. April 2022 wache ich um 7:25 Uhr in einem Hostel am Comer See, Italien, auf. Ich bin also noch an der selben Stelle, gut. Um mich herum liegen Benjamin, Jonathan und Oliver. Oliver schnarcht.
In fünf Minuten klingelt Benjamins Wecker. Ich schaue den Wecker an, dann Benjamin. Er sieht friedlich aus. Hat er sich verändert seit Herbst? Wollte er „menschlicher“ werden, mit Absicht? Oder ist er im Inneren immer noch der selbe? Nein, ein bisschen hat er sich verändert. Und Jonathan, warum hat er gestern so gelästert über Oliver? Ist er ich in der 7. in Kunst, als ich mit Ben an einem Tisch saß? Nein, darüber denke ich nicht nach! Dafür müsste ich für immer und ewig büßen, da hätte ich mich niemals verlieben können!
Hat sich Jonathan schon mal verliebt? Er kennt Lena wahrscheinlich besser als ich, also müsste er zumindest annähernd von uns wissen, was Verliebtsein heißt. Wenn ich ihn anschaue, sieht er jung aus. Zu Luisa hat er gesagt, er würde sich ein bis zwei Mal die Woche „eine runterholen“ (was auch immer das genau bedeutet), wenn ich ihn aber anschaue, passt das gar nicht zu ihm. Ich kenne meine Freunde gar nicht richtig.
Um 7:30 Uhr klingelt Benjamins Handy tatsächlich nicht. Ich hatte schon daran gezweifelt, da er das Handy über Nacht ausmachte. Entsprechend bin immer noch nur ich wach. Ob ich die Anderen wecken sollte? Ich beschließe, noch bis 20 Minuten vor acht zu warten. Wenn wir heute schon so lange schlafen, wie lange werden wir dann morgen schlafen, denke ich nach, wenn wir um halb sieben zum Frühstück müssen? Schade, dass uns die Schule nicht gelassen hat, die Klassenfahrt bis Sonntag zu machen.
Um 7:40 Uhr ist immer noch niemand außer mir im Zimmer wach. Aber bald sollten wir uns anziehen, sonst schaffen wir es nicht pünktlich zum Frühstück, überlege ich. Also beschließe ich, sie aufzuwecken. Und damit sie nicht sauer sind, tue ich es möglichst unauffällig, in dem ich mich im Bett von einer Seite auf die andere wälze. Nach kurzer Zeit erwachen Oliver und etwas später Benjamin. Ich sage die Uhrzeit und Benjamin murmelt irgendwas von wegen ich hätte ihn früher wecken sollen.
Wir ziehen uns an. Jonathan braucht etwas Motivation von unserer Seite dazu, denn er liegt noch müde im Bett. Hier ist wieder klar der Charakterunterschied zwischen Jonathan und Benjamin zu sehen. Während Jonathan wenig Initiative hat, bspw. kommt er mit dem Auto in die Schule, steckt Benjamin voller Energie und Lebenslust und kommt mit dem Fahrrad in die Schule.
Wir schaffen es, bis acht Uhr und etwa zehn Minuten fertig zu sein und gehen runter. Ich frage sicherheitshalber noch mal Oliver, ob er wirklich keine Decke haben will. Dem ist nicht so.
Das Buffet ist etwas enttäuschend. Es gibt verschiedene Müslisorten, Orangensaft, Milch, kleine Weißbrotscheiben, Butter, Aprikosenmarmelade, (abgepackte) Croissants mit Aprikosenmarmelade oder Nuss-Nougat-Creme im Inneren, die Nuss-Nougat-Creme auch fürs Brot sowie Schokoladenkekse. Ich nehme drei Brotscheiben (welche ziemlich winzig sind), dazu beide Aufstriche und Butter.
Eigentlich möchte ich Milch trinken, aber ich stehe verwirrt vor zwei nicht beschrifteten Kannen, beide mit weißem Inhalt. Welche davon enthält die Kuhmilch, welche die Sojamilch? Ich wähle den Orangensaft.
Die Meisten essen bereits und manche von uns sind sogar schon fertig. Lena sitzt zusammen mit den Mädchen an einem Tisch. Neben ihr sitzt Anastasia, sie hat eine Plastikkrone auf dem Kopf. Der 28. April ist anscheinend ihr Geburtstag. Benjamin, Jonathan, Oliver und ich setzen uns draußen in den Garten zu Nico und Jakub. Ich unternehme nichts dagegen und setze mich auch nicht um, denn, denke ich mir, um diese Uhrzeit bin ich für interessante Gespräche noch nicht wach genug. Außerdem, muss ich zugeben, kann ich Anastasia nicht besonders leiden, sie mich auch nicht, und um sie dreht sich bei den Mädchen heute wahrscheinlich alles.
Tatsächlich ist die Konversation mit Nico nicht sonderlich interessant und ich nehme auch nicht aktiv an ihr teil.
Um 8:35 Uhr sind wir allesamt (an unserem Tisch) mit Frühstück fertig (obwohl ich noch etwas Hunger habe) und gehen auf die Zimmer Zähneputzen. Nachdem ich das getan habe, packe ich die Kekse aus meinem Rucksack aus, denn für die Aktivitäten brauche ich sie nicht. Dann will ich – sollen wir – runtergehen zum Bus um in den Tag zu starten.
Die Anderen sind dazu allerdings zu faul, auch Benjamin. Es dauert etwas, bis ich sie dazu überzeuge, loszugehen. Unten sind schon fast alle, als würde man nur noch auf uns warten. Frau Taube ist auch schon da. Sie informiert uns darüber, dass wir gleich ins Hostel der englischen Sektion runterlaufen, wo Herr Herring mit Lunchpaketen auf uns wartet. Dann gehen wir weiter zur Straße, wo wir in den Bus einsteigen.
Auf dem Weg zum Bus geht Lena links neben mir, aber wir reden nicht und an den engeren Stellen (wo wir keinen halben Meter Abstand halten können) geht sie vor. Allmählich trennen wir uns.
Ich erinnere mich leider nicht mehr so genau daran, aber ich glaube, dass ich im Bus ich neben Benjamin und unter Daniel sitze, weil der Bus zu klein für uns alle ist. Der nette Busfahrer fährt uns zum Parkplatz von gestern.
Auf der Fahrt diskutiert Frau Taube für uns alle hörbar über die Fahrt von gestern, den zwei Ampeln, der fehlenden Adresse, dem Abzeichen, den Roaming-Kosten und darüber, dass er heute Nacht im Bus geschlafen hat. Anscheinend hat die Schule nicht genug Zimmer gebucht für Lehrer*innen, Busfahrer und Schüler*innen.
Trotzdem, sagt Frau Taube, sie wäre freiwillig in Herrn Herrings Zimmer umgezogen, wenn der Busfahrer denn gekommen wäre. Der wollte aber nicht. Das er dann im Bus geschlafen hat ist für Frau Taube eine Gefahr.
Wie auch der Fakt, dass der Bus gestern beim Ausparken auf dem Berg so nah an einem Busch vorbeigefahren ist, dass eine Scheibe hinten Risse zeigt. Damit wir trotzdem sicher fahren können, hat der Busfahrer mit Klebestreifen eine weitere Scheibe rangeklebt.
Frau Taube zweifelt an der Sicherheit unseres Fortbewegungsmittels und will den Chef des Busunternehmens anrufen um diese sicherzustellen. Sie argumentiert, dass der Anruf überhaupt kein Einwand gegen den Busfahrer darstellt, dass sie bloß die Sicherheit der Schüler*innen gewährleisten möchte und muss. Der Busfahrer glaubt ihr kein Wort, wird sehr sauer auf Frau Taube und zeigt ihr Briefe von Fahrgästen, die früher mal täglich mit ihm zur Schule gefahren sind. Frau Taube konfrontiert erneut mit den Ereignissen und es wird keine Einigung erreicht.
Sehr erwähnenswert, finde ich, ist hier der Fakt, dass Frau Taube diese Diskussion bewusst laut und öffentlich geführt hat, obwohl unsere Klasse, unverschämt wie immer, ganz still da saß und zugehört hat. Das hat den Hintergrund, dass Frau Taube noch mit uns in einem Boot ist und uns nicht alleine unter Kontrolle bekommen kann sowie dass sie auch das Schönste aus der Klassenfahrt rausholen möchte und deshalb ehrlich ist.
Wir kommen am Parkplatz an. Wie Herr Herring am Vorabend angekündigt hatte, fahren wir nun über den See auf eine Insel. Aber vorher treffen wir am Anleger eine Frau voller Taschen. Bestimmt 20 hat sie dabei. Sie wird uns heute führen.
Zuerst müssen wir ihr die Taschen abnehmen. Dann, noch vor der Begrüßung, gehen wir zum Bootsanleger, wo uns bereits ein kleines Motorboot erwartet. Wir steigen ein.
Die Fahrt auf die einzige Insel des Comer Sees ist kurz; Benjamin beschwert sich, dass das Motorboot so viel Lärm macht. Die Insel ist sehr klein, auf ihr finden bloß Platz die Natur, eine Kirche, ein Rasenmäher und (wie ich später erfahre) ein Restaurant. Sie ist sehr schön.
Zuerst gehen wir zu einer kleinen Wiese. Dort begrüßt uns besagte Frau und erklärt uns die folgenden zwei Stunden. Dann sollen wir uns aus den Taschen bedienen und einen Umschlag bestimmter Farbe rausholen. In ihm finden wir einen Umgebungsplan der Insel, aber noch nicht beschriftet, also stumm.
Die Frau erklärt uns, dass wir die verschiedenen Ökosysteme der Insel eintragen sollen. Das Wort „Ökosystem“ erinnert mich an das Thema dieser Klassenfahrt: Ökologie und Nachhaltigkeit, was auch das Thema des Unterrichtes vor zirka einem Jahr bei Herr Friedrich war.
Leider scheint es nicht so, also könnten sich besonders viele an die Definition eines Ökosystems erinnern. Deshalb hilft uns netterweise Frau Taube etwas und wir stellen fest, dass auf der Insel selbst verschiedene Ökosysteme wie Wiese, Haus oder römische Ausgrabungen verteilt sind und das die Insel von Ökosystem See umgeben ist! Doch mit dieser Errungenschaft ist unsere Sehnsucht nach Lerninhalt noch längst nicht vorbei!
Nun gehen wir kurz zur Kirche, wo wir Gott unser Gepäck überlassen. Dann laufen wir zum kleinen Strand der Insel; die Hälfte der Klasse fängt sofort an, Steine in den See zu werfen. Es wird ein Wettbewerb veranstaltet, wer am Weitesten werfen kann mit am meisten Sprüngen. Erst als Frau Taube das absolute Steinewerfverbot auferlegt, hören wir der Ökologin zu.
Es steht Stationsarbeit an. Wir werden also in Gruppen aufgeteilt. Da wir unendlich zufrieden mit der Zimmerverteilung sind, ähnelt diese sehr den Gruppen, was auch heißt, dass Lena bei den Mädchen ist. Das enttäuscht mich, weil ich eigentlich schon mal (und wenn auch nur ein kleines Bisschen) mit ihr ins Wasser gehen wollte, weil sie (sagte sie gestern Abend) gerne ins Wasser gehen würde heute nach dem Abendessen.
Ich bin da eigentlich eher neutral, weil hier das Wasser bestimmt ziemlich kalt ist, schließlich handelt es sich um einen Gletschersee. Aber, denke ich mir, ich kann diesen Umstand jetzt nicht ändern, deshalb konzentriere ich mich darauf, das Beste daraus zu machen.
Die Ökologin erklärt nun, dass jede Gruppe eine Tasche jeder Farbe braucht sowie einen Umschlag mit Mappen jeder Farbe, welche sich in den Taschen befinden. Es gibt verschiedene Stationen: Die erste besteht darin, ins Wasser zu gehen, einen Stein vom Boden rauszuholen und die sich auf der Unterseite des Steines befindenden Pflanzen und Organismen abkratzen und abbürsten. Diese Proben sammeln wir in einer Flasche, welche danach in eine Art Tablett entleert wird, sodass wir die Organismen des Ökosystems See, also die Biozonöse, genauer betrachten und unter die Lupe nehmen können.
Bei der zweiten Station erfassen wir wichtige Werte, welche das Leben im See konditionieren, wie bspw. Den pH-Wert des Wassers, mit einem Messgerät. Die Zahlen tragen wir dann in eine Tabelle ein.
Bei der dritten Station laufen wir mit einem dem Netz in Station eins ähnlichem Objekt durch den See und fangen schwimmendes Zeug ein, welches wir wieder in einer Flasche auffangen und dann genauer betrachten können.
Es gibt noch ein paar mehr Stationen, aber ich höre auf zuzuhören. Alle Gruppen sollen alle Stationen bearbeiten, das ist die Theorie. In der Praxis werden wir freigelassen und können uns aussuchen, mit welcher Station wir beginnen möchten.
Dadurch scheidet wieder ein Großteil der Klasse aus, der Steine ins Wasser wirft. Jonathan und ich einigen uns darauf, dass unsere Gruppe mit Station eins anfangen wird. Dazu gehe ich gleich zum Netz, das wenige Meter vor dem Wasser auf den Strandboden liegt.
Das selbe Ziel hat auch Lena, welche sich das Netz vor mir greift und sagt, sie wollte auch als erstes zu dieser Station. Wir lösen das Problem indem wir drei (auch Jonathan) zusammen bis zu den Knien ins Wasser gehen und die Aufgabe erfüllen.
Das Wasser ist sehr kalt. Die Frau versteht nicht, wie wir die Kälte aushalten und ich kann es mir nur durch Lenas Präsenz erklären, obwohl sie auch nur sehr knapp ausreicht. Wir gehen an die Arbeit. Lena nimmt sich einen großen Stein und bürstet dessen Unterseite ab. Ich halte das Netz.
Lena findet darauf hin eine an einem Stein klebende Unterwasserschnecke, welche sie gerne mitnehmen würde. Ich sage, das ist zwar eine gute Idee, merke allerdings an, dass die Schnecke dann ersticken würde. Lena, die sich an meine Präsentation über Schnecken im Juni erinnert, überzeugt dieses Argument und legt die Schnecke wieder zurück.
Mittlerweile ist Jonathan nicht mehr bei uns, wurde es ihm zu kalt? Lena und ich entscheiden uns dagegen, mehr Steine abzubürsten, da unsere Flasche schon ziemlich voll ist. Sie enthält auch schon ein paar Organismen, weshalb wir zufrieden sind.
Ich will der Ökologin das Ergebnis zeigen und schaue an Land. Alle scheinen mit irgendetwas beschäftigt zu sein. Alle sind fröhlich und mögen den Ort. Und ich fühle mich auch super, schließlich stehe ich bis zu den Knien in durchsichtigem Wasser neben meiner Freundin und genieße den Frühling in Italien! Ich glaube, ich bin der Situation gar nicht genug bewusst!
Lächelnd gehe ich mit der Flasche zur Ökologin und frage sie, wie ich Netz von Flasche trenne. Das tun wir anschließend zusammen. Dann kippen wir den Inhalt der Flasche in das Tablett und betrachten ihn. Wir haben eine Insektenlarve gefangen! Außerdem viele andere Organismen.
Die Frau beglückwünscht uns und beginnt, Lupen auszuteilen. Es gibt genug für alle und fast alle wollen die Probe sehen. Damit sind die Stationen beendet. Es scheint allerdings so, als hätten wir (mal wieder) nicht ganz gehorcht und nicht alle alle Aufgaben gemacht. Bspw. hat keine Gruppe den pH-Wert aufgeschrieben, ein Fakt, der die Seele der Ökologin zumindest ein bisschen traurig macht.
Trotzdem sind Frau Taube und sie zufrieden, da Lena und ich wohl richtig schöne Proben gesammelt haben. Wir beschließen, sie uns auf dem Festland anzuschauen, unter dem Mikroskop. Dort fahren wir mit dem Motorboot hin, nachdem wir unsere Rucksäcke an der Kirche eingesammelt haben.
Auf der Wiese unter dem Parkplatz setzen wir uns wieder an die Tische und essen unsere Lunchpakete während wir darauf warten, dass die Frau das Mikroskop holt. Lena, Benjamin, Jonathan und ich sitzen wieder zusammen und Lena hat wieder kein Lunchpaket mitgenommen. Ich überlege, aus Höflichkeit auch nicht zu essen, tue es dann aber doch.
Das Mikroskop kommt. Wir müssen alle einmal durchschauen, sagt Frau Taube, dürfen aber auch öfter. Wir stellen uns an, legen uns eine kleine Probe an und warten darauf, dass wir drankommen. Wie sich herausstellt, ist das Mikroskop leider ziemlich schmutzig. Trotzdem schafft die geübte Frau Taube, es richtig einzustellen und wir können durchschauen.
Ist das getan, setzen wir uns wieder an unsere Tische und spielen Queens. Leider – obwohl ich Fortschritte gemacht habe – gewinne ich nie und Lena nur selten. Trotzdem macht es Spaß. Wir spielen sehr lange und genießen das Wetter, die Aussicht, die gesamte Klassenfahrt. Es kommen Lian und ein paar andere Leute dazu. Wir erklären ihnen die Regeln und sie spielen besser als ich. Ich bin dumm, denke ich mir, aber egal, jetzt sollte ich die Situation besser genießen. Das tue ich und wir spielen ein paar Runden weiter. Zwischendurch kündigen die Mädchen an, zu einem Kiosk vorlaufen zu wollen und bringen mir netterweise ein kleines Eis mit (ich gebe ihnen zwei Euro dafür).
Dann hat Benjamin keine Lust mehr. Er versucht stattdessen, steile Steinmauern (vielleicht drei Meter hoch?) hochzuklettern. Scheint ihm nicht sehr schwerzufallen, könnte ich wahrscheinlich auch. Aber warum sollte ich?
Lena macht Benjamin nach. Warum? Welches Interesse hat Lena daran, die Mauer hochzuklettern? Na ja, es ist gut, sportlich zu sein, antworte ich mir. Aber das Argument überzeugt mich nicht. Ich erinnere mich an eine Freistunde auf dem Pausenhof mit Lena, Benjamin, vielleicht Jonathan und mir: Benjamin fing damit an, sich einzig an der Latte eines Tores festzuhalten und dabei in der Luft zu halten. Auch diesmal machte Lena es ihm nach. Dann schauten wir uns an und zumindest mir schien es so, als würde sich Lena schämen, denn sie hörte sofort damit auf.
Will sie mich also beeindrucken? Kann sein, überlege ich, denn sie hat sich gemäß dem Stereotypen sowieso immer „maskuliner“ aufgeführt als ich. Bspw. habe ich bei meinen Standart-Winterpullovern einen größeren (wenn auch kleinen) Ausschnitt als sie, generell sieht sie viel mehr von meinem Körper als ich von ihrem. Ich komme zu dem Schluss, dass sie mich beeindrucken und / oder selbst beweisen möchte. Und ich wiederhole die Strategie vom Pausenhof: nicht mitmachen.
Benjamin wiederholt die Aktion immer wieder, obwohl er es schon kann. Lena macht nicht weiter. Jonathan geht in den Schatten zu den anderen Jungen. Irgendwann hört Benjamin auf und wir setzen uns zu den Mädchen – in einen anderen Schatten.
Wir fragen uns, wo Frau Taube ist. Auch Frau Helling aus der C fragt. Dann taucht Frau Taube auf. Es ist noch etwas Zeit. Frau Taube schlägt vor, die Leute, die baden wollen, sollen das jetzt tun, unter ihrer Aufsicht. Sie ist Bademeisterin. Ein paar Leute springen ins Wasser. Ich habe Angst, Lena würde jetzt rein wollen, weil ich keine trockene Kleidung (Unterhose, denn ich müsste in Unterhose rein) dabei habe.
Aber dafür ist keine Zeit. Als Frau Helling die Menschen im Wasser sieht, schreit sie laut auf und befielt uns in einem hysterischen Tonfall, es sollen alle sofort rauskommen. Frau Taube versucht ihrer Kollegin zu erklären, dass sie Schuld hat und schämt sich natürlich. Nicht so schlimm, uns ist es sowieso größtenteils egal, ob wir Mist gebaut haben.
Irgendwann beginnt der nächste Workshop, „Nachhaltiger Tourismus“. Das klingt schon mal so idiotisch… Ich versuche, trotzdem interessiert auszusehen, weil ich das Beste aus der Klassenfahrt machen und nicht in Pessimismus verfallen möchte wie früher mit Heinrich.
Frau Taube sammelt uns ein und wir gehen ein paar Meter weiter, wo die Führung beginnt. Die beiden Führerinnen, denn diesmal sind es zwei, teilen Zettel aus. Gleichzeitig fordern sie uns auf, selbst Papier und Stifte aus unseren Rucksäcken rauszuholen, was ich tue. Dann sagen sie uns, dass wir zuallererst bitte unsere ersten Eindrücke von Dorf, See und alles drumherum aufschreiben sollen.
Die Leute mit dem ausgeteilten Zettel beginnen zu schreiben. Der Zettel hat verschiedene Felder zu den fünf Sinnen. (Benjamin merkt an, dass es eigentlich mehr sind.) Ich, wie ein paar Andere, möchte gerne auch eines dieser Zettel bekommen, aber niemand hört mir zu. Ich beschließe, meine Eindrücke auf meine Block zu schreiben.
Ich schreibe auf Englisch: leise; ordentlich (dieses Wort hat uns Lena verraten, danke!); reich an Natur; weniger Verkehr; viele Hotels, das ganze Dorf scheint für Touristen gedacht. Ich werde gebeten, meine Stichpunkte vorzulesen. Tatsächlich scheine ich es richtig gemacht zu haben. Jetzt gerade sollte man auf das eigene Papier schreiben und gleich auf das ausgeteilte, das jetzt alle bekommen.
Wir gehen gleich ein bisschen durch das Dorf, erklärt eine der beiden Führerinnen, und ihr schreibt auf, was eure Sinne alles wahrnehmen. Frau Taube fragt, ob wir reden dürfen. Sie kennt uns, aber die Führerinnen nicht, deshalb heißt es, dass wir dürfen. Wir spazieren an einem wunderschönen Weg entlang des Sees.
Unser Ziel ist ein kleiner Platz mit genug Bänken für uns alle. Hier geht es richtig los. Erst lesen wieder manche vor, dann besprechen wir, was Nachhaltigkeit ist und was sie bedeutet. Benjamin erklärt das so: Die Steinmauer, auf der wir sitzen, ist nachhaltig, weil sie nicht ständig ausgewechselt oder erneuert werden muss sondern über einen langen Zeitraum funktionsfähig bleibt. Sehr gutes Beispiel, gratulieren ihm die beiden Führerinnen.
Die nächste Aufgabe ist in Gruppen. Wir sollen ein Rollenspiel zum Thema Nachhaltigkeit improvisieren. Als wir uns in die Gruppen – die selben wie immer – aufteilen wollen, schlägt Frau Taube vor, mal andere Gruppen zu bilden. Damit sind wir nicht einverstanden. Trotzdem verändert Frau Taube etwas die Zusammenstellung.
Lena ist mit den Mädchen in einer Gruppe, Benjamin, Jonathan und Dennis mit mir in einer. Jede Gruppe muss einer bestimmten Zielgruppe erklären, was Nachhaltigkeit ist. Wir, Teenagern. Das übernimmt Benjamin, weshalb wir nicht besonders viel zu tun haben. Lange dauert die Gruppenarbeit aber auch nicht.
Es stellt sich heraus, dass wir nicht ganz den Arbeitsauftrag verstanden haben. Wir sollen es alle zusammen erklären, aber nicht uns selbst (wir sollen uns nicht in Erklärer und Teenager aufteilen) sondern anderen Freiwilligen, die sich für die Teenager-Rolle bewerben. Zum Glück sind wir solidarisch und machen es uns gegenseitig nicht besonders schwer.
Ich melde mich einmal freiwillig und spiele den Journalisten, wenn ich mich richtig erinnere. Sind alle Gruppen durch, gehen wir etwas auf den Berg rauf und laufen zu einer kleinen Wiese. Davon überzeugt, dass wir die Umgebung wunderschön finden (was ja auch stimmt), teilen uns die Führerinnen lange Stäbe aus.
An dessen oberen Enden befinden sich kleine quadratische Papiere mit einem Loch in der Mitte und einem Pfeil, der auf das Loch zeigt. Wir sollen die Stäbe so in den Boden pflanzen, dass man durch die Löcher irgendetwas besonderes sieht, das mit dem Pfeil beschriftet ist. Wo wir doch vorher schon versucht haben, zu verbergen, dass wir kein großes Interesse an der Aktivität haben, da wird das jetzt deutlich schwieriger. Manche verfallen der Dummheit und spielen mit den Stäben.
Wir bleiben zu lange dort, gehen aber weiter. Das war, sagen die Führerinnen, die letzte Aufgabe des Workshops und wir kehren zur Wiese zurück – zum Ausgangspunkt.
Dort ist auch schon die andere Klasse (die A) angekommen, die gerade auf der Insel war. Wir warten alle zusammen auf den Bus und Benjamin führt uns wieder seine Kunststücke vor. Nicht die ganze Klasse ist zur Wiese gelaufen, manche stehen auf dem Parkplatz, als würden sie gleich in den Bus einsteigen.
Lena und ich beschließen, deswegen und weil wir uns langweilen, zu ihnen zu gehen und evtl. in den Bus einzusteigen. Doch so weit ist es noch gar nicht. Es stehen zwar schon Leute da und auch die anderen Busfahrer – welche diskutieren – aber wir sollen noch warten.
Als wir wieder runter zur Wiese gehen, fragt Frau Taube, was wir da machen. Lena sagt, wir wollten bloß mal schauen, ob der Bus schon da ist weil Peter und ein paar andere Leute schon da sind. Frau Taube antwortet, Peter sei doch immer dort, wo wir nicht sein sollen.
Ungeduldig wie wir sind steht die Klasse aber wenig später trotzdem schon draußen vor dem Bus, obwohl dieser noch nicht losfahren wird. Benjamin, Jonathan und ich steigen schon mal ein, trotz unseres Angebots möchte Lena nicht mitkommen. Wir sitzen also alleine im Reisebus. Wenige Minuten später kommt der Busfahrer und setzt den Bus in Bewegung.
Wir gucken uns verdutzt an, sagen aber nichts. Noch verwundeter werden wir, als der Busfahrer den Rückwärtsgang einlegt und losfährt. Zuerst rangiert er nach hinten, um dann links auf die Straße aufzufahren. Der Plan glückt ihm aber nicht, als ein anderer Busfahrer (die beiden hatten sich gerade gestritten) den unseren anhält und fragt, wie viele Leute bei ihm drin wären. „Fünf“, lautet die Antwort. Daraufhin wird der Rest der Klasse zu uns dazu geschickt.
Wir fahren also doch nicht alleine zum Hostel zurück. Stattdessen, glaube ich, sitze ich wieder neben Benjamin. Wieder wird diskutiert: Frau Taube Frau Taube bittet den Busfahrer darum, heute Nacht im Hostel zu schlafen, schließlich haben wir morgen viele Stunden Fahrt vor uns, außerdem bestätigt sie, dass der Chef des Busfahrers gesagt hat, wir dürfen mit der kaputten Scheibe fahren.
Auch diesmal wird vor dem Abendessen Tischtennis gespielt. Allerdings verzichte ich darauf, zu zeigen, wie schlecht ich bin. Parallel zum Tischtennis gibt es eine Art Krieg zwischen Linus’ Zimmer und den Mädchen, die im Vorgarten des Hostel stehen. Es wird allerlei Zeug, vor allem, Lebensmittel, herumgeworfen und liegt schließlich am Boden.
Während sich die Jungen nicht beteiligen, räumen die Mädchen – hauptsächlich Lena, die gar nicht mitgemacht hat – den Vorgarten auf. Frau Taube und Herr Herring bekommen glücklicherweise nichts mit.
Weil Tischtennis langweilig wird und Nico, der gerade gekommen ist, es vorschlägt, wechseln wir auf Tennis. Benjamin und Jonathan versuchen abwechselnd den Ball in unser Zimmer zu werfen, wo übrigens Oliver am Handy ist. Es nervt ihn und er schließt das Fenster. Kein Problem, denn es sind ja auch noch andere offen. Lian kommt auch dazu, aber die Erfolgsquote bleibt weiterhin bei null.
Ich schaue halb anwesend und halb abwesend zu, während ich daran denke, dass die Klassenfahrt schon bald wieder zu Ende ist. Morgen stehen wir früh auf und fahren schon am frühen Nachmittag zurück nach Frankfurt.
Das heißt auch, dass heute Abend der letzte Abend ist, den ich mit Lena verbringen könnte. Schon vor der Fahrt habe ich mir eingeprägt, dass ich es akzeptiere, wenn sie nicht zu zweit irgendwo hin gehen möchte. Dabei bleibe ich. Trotzdem werde ich langsam etwas nervös und hoffe, dass alles klappt.
Küssen werden wir uns wahrscheinlich eher nicht, denn zuerst müssen wir andere Barrieren zwischen uns aufheben. Vielleicht fragt sie heute nach dem Abendessen ja wieder nach meinem Privatleben, hoffentlich traut sie sich das. Sollte ich fragen?
Auch den Sicherheitsabstand können wir meiner Meinung nach aufheben. Schließlich hat sie es sich getraut, in unser Zimmer als einziges Mädchen zu kommen.
Viertel vor acht nähert sich langsam und wir gehen ins andere Hostel essen. Als Vorspeise gibt es Risotto, was relativ gut schmeckt. Wie gestern sitzt mir Lena gegenüber, links neben ihr sitzt Jonathan. Statt um mein Leben generell geht die Konversation jetzt über Alkohol. Wer schon und was getrunken hat? Ob schon mal jemand betrunken war, usw.. Tatsächlich ist Jonathan mir in diesem Aspekt sehr ähnlich, denn er hat noch nie probiert.
„Noch nie?“, wundert sich Lena, noch mehr als ich ihr sage, dass es mir gleich geht. Sie hingegen hat schon mal vor den Eltern probiert, Bier; war aber – natürlich – noch nie betrunken. Ich bin bestimmt nicht der Einzige, der sich nicht an den Beginn von Gesprächen erinnern kann, so bin ich mir auch nicht mehr sicher, ob Lena das Thema reinbringt.
Allerdings glaube ich das und finde es auch gut, schließlich haben wir auch Ansprüche an uns gegenseitig und wollen uns kennen, damit die Beziehung auch mal über Blickkontakte hinaus kommt. Und ich merke an, dass noch nie etwas getrunken zu haben nicht besser ist als mal probiert, weil letzteres, solange es dabei geblieben ist, auch ein gewisses Vertrauen in den eigenen Körper aufbaut.
Das sage ich auch nicht nur, weil ich nett zu ihr sein will, sondern weil es meine ehrliche Meinung ist und ich auch daran denke, dass ich wirklich süchtig werden könnte, wenn ich mal probiert hätte, vor allem in einer Woche, wenn ich 16 werde.
Als Hauptspeise gibt es Filet und Kroketten. Auf die bin ich gespannt, denn es ist mir bis dato noch nicht bekannt gewesen, dass es in Italien auch Kroketten gibt. Doch so scheint es zu sein. Doch die Kroketten sind nicht mit Béchamel gefüllt, sondern mit Kartoffeln! Wer ist denn auf solch eine merkwürdige Idee gekommen?! Lena ist mit mir einverstanden, dass Kroketten aus Spanien deutlich besser schmecken.
Wir essen weiter. Linus, der auch mit uns am Tisch sitzt, bzw. eher wir an seinem, zeigt Lena seine Listen von Philien und Phobien. Ich überlege nach drei Kroketten, noch ein Filet zu essen, vor Lena, und beschließe, es zu tun. Als ich anfange zu essen und sehe, wie groß es ist, bezeichne ich diese Entscheidung als einen minimalen Fehler, denn fast alle sind schon fertig.
Oliver, neben mir, fängt an, Fußball zu schauen. Es spielt seit neun Uhr die Eintracht gegen West Ham United, was heißt, dass ein Großteil der Klasse gleich das Spiel schauen werden wollen wird. Dadurch, dass wir aber noch im Raum „gefangen“ sind, wird es unruhig, weil das Spiel schon angefangen hat.
Herr Herring kommt und fragt Oliver, wie er das Spiel überhaupt schauen will, da es ja möglicherweise nicht von italienischen Sendern übertragen wird. Das wird es bestimmt, meint Oliver (ohne Herrn Herring das Handy zu zeigen) und Lena schlägt vor, VPN zu benutzen. Das, füge ich hinzu, machen wir auch oft in Frankfurt, wenn wir spanisches Fernsehen schauen wollen.
Dann geht Herr Herring wieder an seinen Platz zurück, steht auf und sagt die Regeln für den Abend: Aufgrund des Eintrachtspiels werden diese etwas schwächer sein als gestern. Das Spiel darf fertig geschaut werden. Herr Herring entdeckt, dass Linus es bereits auf dem Handy schaut und nimmt es ihm weg.
„Die Mädchen“, sagt er so oder ähnlich, „die wahrscheinlich keine so großen Fußballfans sind, dürfen auch länger draußen bleiben.“ Es wird eine Art Gleitzeit eingerichtet, wer nicht Fußball schauen möchte, darf bis spätestens 22:30 Uhr im Dorf bleiben. „Mindestens zu dritt – und wenn ich die Mädchen so sehe, dann mindestens zu fünft.“ Herr Herring wiederholt diese Regeln und lässt uns frei.
Die Leute fangen an, aufzustehen. Mein Puls steigt. Steigt.
Was mache ich jetzt? Es muss jetzt sei: morgen reisen wir wieder ab! Wo ist Lena? Gerade war sie noch da, wo ist Lena? Alle stehen auf, ich stehe auch auf. Benjamin und Jonathan stehen noch draußen. Vorbei an Herr Herring, der in der Mitte steht. Um ihn herum stehen die Mädchen und melden sich ab. Da ist auch Lena! Besser, ich stelle mich dazu, dann bin ich halbwegs abgemeldet.
Und dann? Einfach mitlaufen? Es wird sich bestimmt alles um Anastasia drehen, die hat doch Geburtstag. Würde sich Lena noch mal abspalten?
Herr Herring gibt das Okay. Die Mädchen setzen sich in Bewegung. Gehen nach draußen.
Schließe ich mich ihnen an? Gehe ich nun mit ihnen? Benjamin ist beim Tischkicker. Will er dort bleiben? Frage ihn. Bitte mitkommen! Ich glaube, ich kann nicht alleine mit Lena.
Doch, kann ich wohl. Gestern habe ich das gekonnt. Und wir sind ja auch schon fast ein Jahr zusammen, das ist auch legitim.
Ich gehe wieder zu den Mädchen. Mein Puls steigt wieder. Es ist alles so schnell, warum bloß keine Zeit zum Denken? Was machen die Mädchen da? Warum stehen sie alle so da, gehen nicht runter. Warten die – nein, Anastasia fehlt. Mich sehen sie gar nicht.
Ich werde mitgehen. Nur so können wir uns abspalten. Unauffällig oder auffällig verhalten? Was soll ich sagen? Denke nach. Wohin sie gehen ist ja nicht logisch. Was fragen? Etwas mit Anastasia. Ob sie auf Anastasia warten. Wartet ihr noch auf Anastasia? Ja, das ist eine gute Frage. Ich stelle sie und komme einfach mit. Schaffe ich schon. Was war die Frage? Ach: Wartet ihr auf Anastasia.
Will mich umdrehen. Plan läuft schon.
Zu spät. Anastasia sprintet zu den Mädchen. Nimmt einen großen Bogen um mich herum.
Die Mädchen gehen los.
Schnell – hinterher! Ich gehe ihnen nach. Einholen!
Lena geht zusammen mit Martha als letzte. Was sagen? Habe Angst vor Martha. Lena nimmt mich nicht wahr. Reden miteinander.
Sind fröhlich. Lächeln alle.
Warum gehe ich zu denen, die brauchen mich doch gar nicht. Bleibe stehen.
Lena möchte eben auch mit ihren Freundinnen zusammen sein. Deswegen ist sie ja auch überglücklich, dass sie welche hat. Ist sie das? Ich meine, es stimmt ja, dass sie Freundinnen hat. Heißt das, dass ich nicht mehr nötig bin? Heißt Freundschaft, dass Liebe nicht möglich ist?
Sind Liebe und Freundschaft nicht kompatibel? Ja. Die Strategie, der Status, alles das, was ich und wir Freundschaft nennen, ist nur möglich, wenn wir Stärke zeigen. Liebe ist eine Schwäche. Und sie zuzulassen ist ein Risiko. Deshalb ist Lena gegangen; deshalb ist der dünne Draht durchgebrannt; deshalb kann diese Liebe nicht sein. Kann sie nicht.
Ich stehe da. Was jetzt? Ich denke keine klaren Gedanken mehr. Nicht nach dem Schluss. Diese Liebe kann nicht sein. Benjamin dreht sich um und schaut kurz zu mir.
Eigentlich müsste der Film jetzt vorbei sein. Kein Happy-End.
Ich erinnere mich an das Jugendfilmcamp. Die Emotionen. Leylas Probleme, Leylas Emotionen. Meine Emotionen. Lenas Emotionen? Was denkt Lena? Ich versuche, mich in sie hineinzuversetzen. Wie ein Blitz stößt es aus meinem Gehirn: aufschreiben! Schreibe es auf! Das ist eine Liebesgeschichte, ein Liebesfilm, schreib! Gute Idee.
Ich muss sowieso hier weg. Benjamin hat mich schon gesehen. Er ist zu allem fähig, das weiß ich. Ich gehe ins Zimmer. Sage den Leuten beim Tischkicker bescheid.
Gehe nach oben. Kann es sein, dass ich mir das alles nur ausgedacht habe? Vielleicht hat mich niemand von den Mädchen gesehen. Unwahrscheinlich. Vielleicht lag es auch bloß an mir. Ich hatte keinen Plan, bin zu unsozial, mich zu integrieren, wollte alleine mit meiner – genau wie ich, 15-jährigen – Freundin sein, was natürlich in einer absoluten Katastrophe geendet hat. Lena macht Schluss und ich werde nie mehr Freunde haben. Nein, überlege ich. Auch unwahrscheinlich.
Meinst du? Ja, schließlich war ich gestern alleine mit Lena beim Hafen ohne Resistenz ihrerseits. Wobei? Danach war sie schnell wieder bei ihren Freundinnen, als würde sie vor mir fliehen. Ich bekomme Angst. Nein, das macht keinen Sinn. Wenn Lena vor mir fliehen wollte, warum ist sie dann überhaupt mit mir zum Hafen gegangen, warum?
Viel wahrscheinlicher ist, dass sie sich geschämt hat und deswegen ihren Freundinnen zeigen wollte, dass sie auch ohne mich auskommt. Ich bleibe bei meiner ersten Theorie. Höre kurz auf zu denken erhole mich.
Fühle mich etwas sicherer: öffne die Tür zum Hostel. Es brennt ein Licht im Speisesaal. Gehe nach oben.
Überlege: Was genau schreibe ich jetzt? Bisher habe ich meine Gedanken – erfolgreich, würde ich sagen – geordnet und klargestellt, was gerade passiert ist. Jetzt muss ich noch überlegen, was ich nun mache.
Strategie. Wenn ich jetzt runtergehe, Lena sehe, werde ich vor Nervosität, Angst, Herzklopfen, etc. sterben. Ich muss das vorbereiten. Weiche ich Lena aus, rede ich mit ihr, helfe ich ihr, wie? Wie helfe ich jetzt Lena? Dafür, beschließe ich, überlege ich erst, was sie gerade denkt. Ich schreibe das dann geordnet nach den Emotionen auf, wie in unserem Film. Dann überlege ich mir eine Strategie für den Abend.
Ich erreiche unser Zimmer. Öffne die Flurtür. Mir fällt ein: Ich habe keinen Schlüssel. Ich rüttele an der Zimmertür. Sie geht nicht auf. Natürlich nicht, Jonathan hat ja abgeschlossen.
Scheiße. Keine Chance fürs Aufschreiben. Lehne mich an die Wand. Atme durch. Kann ich nicht schreiben, muss ich halt denken. Ohne Stift und Papier mir Lenas Gedanken in solch einer Krise vorstellen, zu schwierig. Mein Gehirn würde abstürzen. Lieber praktisch denken.
Die Zukunft, in zwanzig Minuten, wenn ich auf die „Piste“ zurückkehre. Strategie. Was kommt infrage? Eigentlich nur eines: ruhig bleiben. Und: entschuldigen, mich entschuldigen, wie Lena es gesagt hat. Ich hätte ja die Situation auch einfach hinnehmen können. Jetzt habe ich Scheiße gebaut, ich muss mich bei ihr entschuldigen.
Gut. Jetzt schnell zurück, bevor sich jemand wundert, was ich treibe. Gehe los.
Am besten, ich schließe mich Benjamin und Jonathan an. Es ist noch vor zehn Uhr, der Abend geht noch (fast) eine Stunde! Vielleicht ändert sich die Situation, stabilisiert sich. Vielleicht passiert das Happy-End doch noch! Immer positiv bleiben, das habe ich mir doch 2019 versprochen! Okay.
Gehe schneller. Schaffe ich.
Gehe wieder langsamer. Stimmt das alles wirklich? Denkt Lena nicht, dass ich ein Idiot und noch dazu pervers und was weiß ich alles bin? Hat sie gestern Angst gehabt, das zu sagen? Ist heute als Demonstration weggegangen? Nein, Quatsch! Das Gegenteil hatte ich schon bewiesen! Bewiesen? Wie soll ich das beweisen können, wenn ich ihre Gedanken nicht annähernd kenne?
Ich habe Angst. Was, wenn ich mich in meiner Behauptung irre? Ich muss sicher werden. Blickkontakt etablieren. Nein! Wie komme ich darauf?! Das macht es doch bloß schlimmer! Ich muss mich entschuldigen. Dann und nur dann bin ich sicher. Und wenn sie mich schon jetzt verabscheut? Ende! Ende.
Ich komme an. Da ist der Tischkicker. Es sind immer noch alle da. Sie diskutieren, ob sie den Spielstand richtig aufgeschrieben haben. Scheint so, als wäre ich nicht der Einzige, der das langweilig findet. Lasse sie ein bisschen diskutieren. Dann greife ich ein. Sicherer als ich mich fühle, spreche ich.
Ob ihr nicht mal ins Dorf wollt oder doch den ganzen Abend hier verbringen. Nico will in die Pizzeria. Der ist doch verrückt, die Pizza kommt nicht von hier, sondern aus Neapel oder Rom. Die Anderen wollen auch nicht.
Wir gehen los Richtung Dorf, Richtung Lena. Die Pizzeria ist nicht weit. Wir bleiben vor ihrer Tür stehen. Ein paar gehen rein um Pizza oder Getränke zu kaufen.
Die Pizzeria hat einen kleinen „Biergarten“, dort sitzen ein paar von uns und schauen auf einem großen Fernseher Fußball. Es wird kurz überlegt, ob wir auch schauen wollen und darauf verzichtet.
Benjamin und ich sitzen vor dem Eingang auf ein paar Treppenstufen. Ich schaue nach allen Seiten. Keine Spur von den Mädchen und Lena. Weiter vorne steht Jakub alleine.
Benjamin sagt nichts, ich auch nicht, wir schauen uns gegenseitig an. Er scheint wohl alles gesehen zu haben. Sein Gesichtsausdruck ist nett und er will auch weiter ins Dorf. Wir warten noch auf die Leute in der Pizzeria. Ich beruhige mich sogar ein wenig, aber fürchte, mich gleich nicht mehr unter Kontrolle zu haben.
In mir steigt, Sekunde für Sekunde, das Gefühl, dass Lena mich verlassen hat. Ich sehe sie von den Treppenstufen aus nicht und kann deshalb auch nicht das Gegenteil beweisen. Wenn ich sie gleich sehe, beschließe ich, dann warte ich auf ein Zeichen. Sonst werde ich nicht schlafen können. Wenigstens kann ich Benjamin – anscheinend – vertrauen; danke, Benjamin!
Es ist fast nur noch eine halbe Stunde, das muss jetzt schnell gehen! Die Pizza, eine wurde bestellt, ist fertig und wird bezahlt. Wir beraten darüber, wohin es jetzt geht. Wir gehen zum Hafen. Vor das kleine Häuschen einer Touristeninformation setzen wir uns auf Bänke. Ich nehme kein Stück.
Ich schaue in alle Richtungen, kurz mal ins Meer (wie wir den See nun nennen), in alle Straßen und Ecken. Lena ist noch nicht da. Es wird die Pizza gegessen. Benjamin hat Duplos dabei. Ich nehme einen an.
Da kommen die Mädchen! Anastasia mit ihrem blauen T-Shirt erkenne ich zuerst, dann die anderen Mädchen.
Sie gehen auf uns zu! Ich werde nervös, versuche mich zu beruhigen, meine Gedanken zu ordnen bevor die nächste Katastrophe kommt. Benjamin kündigt die Mädchen an. Es sind nur noch vier Duplos übrig. Die Mädchen sind da.
Da ist Lena, direkt vor uns! Ich schaue sie an. In die Augen. Ich bin völlig kaputt.
Keine Reaktion. Sie gehen an uns vorbei. Vielleicht hat sie mich bloß nicht gesehen.
Die Mädchen gehen hinter die Touristeninfo. Ist da ein Steg?
Die Pizza ist fast fertig. Benjamin – glaube ich – ist noch ein paar Kanten.
Lena. Ich denke nur noch an Lena. Sie kann nur wenige Meter hinter mir sein. Ich muss es irgendwie schaffen, Kontakt zu ihr aufzubauen. Sonst explodiere ich.
Die Mädchen kommen wieder vor. Stehen wieder da. Diesmal gehen sie nicht an uns vorbei. Andere Richtung: Hostel. Ich sehe nur ihren Rücken.
Kein Zeichen. Das war bestimmt die letzte Chance. Ich bin am Ende, meine Gedanken treiben mich in den Wahnsinn. Aber: Es kann noch alles gut werden. Ich glaube nicht mehr dran. Ich weiß nicht, was ich glaube.
Wir gehen weiter. In die gleiche Richtung. Schneller als die Mädchen. Benjamin möchte zu ihnen. Wir holen sie bald ein, noch vor der Pizzeria.
Ein Duplo für Anna, einer für Luisa, einer für Emma, einer für Lena. Lena spricht Benjamin als erstes an. Natürlich will sie einen Duplo! Danke!
Ich schaue Lena an, als ich an ihr vorbeigehe. Ganz langsam. Ich schaue ihr in die Augen.
Bin ich verrückt?! Was tue ich da?! Neutrale Haltung. Nimmt den Duplo. Ich gehe vorbei.
Ich bin ein absoluter Vollidiot. Was zum Teufel tue ich da? Habe ich komplett den Verstand verloren?!
Stopp, ruhig bleiben, das ist eine Krisensituation. Auf die Außenwelt konzentrieren. Wir haben die Mädchen hinter uns gelassen und sind an der Pizzeria angekommen.
Jonathan ist dafür, wie die Anderen auch, sich reinzusetzen und Fußball zu schauen. Benjamin ist unentschieden. Irgendjemand sagt, dass er uns kostenlos Pizza spendiert, wenn wir reingehen. Ich gehe rein und frage, wer mir Pizza kaufen würde. Natürlich niemand. Gehe wieder raus.
Benjamin hat sich dafür entschieden, hierzubleiben. Ich tue mir das nicht an. Oliver, habe ich gerade gesehen, hatte eine Bierflasche auf seinem Tisch. Hoffentlich ohne Alkohol. Ich gehe ins Hostel.
Endlich mal Ruhe. Nachdenken, überlegen. Was ist passiert? Woran bin ich Schuld? Wo lag der Fehler? Ferner: Was kann ich jetzt tun? Was kann ich jetzt tun um die Krise möglichst schnell zu lösen? Mag, liebt Lena mich noch? Liebe ich sie? Bilde ich mir das bloß ein? Ich muss mich entschuldigen, ich muss ohne sie auskommen können, ich muss sie verstehen und ich muss sie respektieren. All das in einer Strategie.
Jakub geht hinter mir. Er ist schneller und holt mich gleich ein. Eigentlich mag ich Jakub nicht. Wenn der wüsste, was in meinem Kopf vorgeht…
Ich muss das aufschreiben, sonst kann ich ihr Problem, das zu meinem Fehler und der Katastrophe geführt hat, nicht lösen. Denn ich bin letztendlich der, der die Mädchen dazu gebracht hat, mich nicht mitzunehmen. Ich muss mich verändern, damit es Lena besser geht und soetwas nicht mehr vorkommt.
Jakub holt mich ein. Wir sind fast schon da. Ich atme tief durch und wiederhole noch mal: Jetzt schreibe ich den Status auf, versetze mich in Lena hinein und schreibe ihre möglichen Gedanken auf und denke bzw. verfasse eine Strategie. Für morgen, denn es ist ja schon zehn nach zehn, in zwanzig Minuten müssen wir auf unseren Zimmern sein.
Jakub und ich trennen uns. Schreibe den Status für als ich gerade gegangen bin auf: Lena zwei, Benjamin eins, Jonathan zwei und ich eins. Dann schreibe ich unter dem Titel „Gefühle Lena“ auf Spanisch:
„Angst: Angst davor, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben, Angst davor, ich hätte sie falsch interpretiert nach dem Abendbrot und vor der Pizzeria im Dorf.
„Trauer. Sie ist traurig, weil sie die Klassenfahrt nicht so gut ausnutzen konnte (einfach nur weil sie nicht so viel Freude konzentrieren konnte wie der Anlass bot), sie ist traurig, weil sie mich stehen lassen musste, sie ist traurig, weil sie keine gerechte, egalitäre Lösung zwischen ihren Freundinnen und mir treffen konnte, sie ist traurig, weil sie keine Freundinnen hat, die ohne Vorurteile unsere Beziehung zulassen, sie ist traurig, weil sie morgen keine Chance haben wird.
„Wut. Sie ist wütend auf mich, weil ich zu spät erkannt habe, dass ihre Intention war, mich nicht mitzunehmen, sie ist wütend, weil ich mit ihr gehen wollte aber mich trotzdem nicht getraut habe, mit den Mädchen zu sprechen.
„Freude. Sie ist froh, weil sie (ein bisschen) den Abend genießen konnte mit ihren Freundinnen, sie ist froh, einfach bloß weil sie auf Klassenfahrt ist.
„Ekel. Sie ekelt sich vor mir nachdem sie erkannt hat, dass ich sie küssen wollte.“
Weiterhin überlege ich mir die Strategie für morgen, schon der Abreisetag. Da ich mein Verhalten gerade eben als wir die Mädchen trafen als großen Fehler bezeichne, beschließe ich, es nicht in die Strategie mit aufzunehmen. Stattdessen werde ich sie nicht anschauen, noch weniger in die Augen und mich bei ihr für mein inakzeptables Verhalten entschuldigen. Trotzdem warte ich auf ein Zeichen, welche Konsequenzen sie zieht. Ich, jedenfalls, liebe sie.
Mit diesen Überlegungen, glaube ich, bin ich gerüstet für den Freitag. Für alles darüber hinaus, also ab Montag, werde ich mich noch mal am Wochenende zum Denke hinsetzen. Ich lege mich ins Bett und schaue auf die Uhr.
Schon nach halb. Es sollten längst alle da sein. Na ja, die kommen bestimmt gleich. Ist ja auch schön, mal auf einer Klassenfahrt alleine zu sein. Alles ist ruhig und ich muss über nichts nachdenken. Draußen höre ich Menschen sprechen, vielleicht diskutieren. Soetwas kommt auf unserer Straße auch häufig vor. Da wird erst geredet, dann eskaliert es und manchmal gibt es eine kleine Schlägerei.
Die Menschen kommen näher. Ich höre ihre Stimmen zumindest lauter. Viele lachen, es singt sogar jemand. Im Hostel bleibt es ruhig, niemand redet, alle schweigen und genießen die Stille. Sehr erholsam, nach den zwei Tagen. Und noch mehr für mich. Immerhin war ich eine Woche vor der Klassenfahrt noch in einem Camp.
Ich denke über unseren Film nach. War der wirklich so gut? Jetzt, mit dem, was in mir vorgeht, zweifle ich daran. Aber ich will nicht über Lena nachdenken, nicht jetzt. Ich lege mich ins Bett und decke mich zu. Meine Decke, die eigentlich Olivers ist.
Draußen scheinen die Stimmen lauter geworden zu sein. Oder? Bin mir nicht sicher. Vor dem Hostel sind auch ein paar wenige Leute und reden. Zu leise, als das ich sie verstehen könnte. Eigentlich müssten wir längst alle auf den Zimmern sein. Um elf ist Nachtruhe. Wobei, wahrscheinlich ist Nachspielzeit und Fußball darf ja fertig geschaut werden, hat Herr Herring gesagt.
Na ja, darauf, auf der Nachspielzeit basiert Fußball eben heutzutage. Das ganze Spiel lang gar nichts machen bis zur Nachspielzeit. Am besten, am Ende gibt es auch noch Elfmeter und das Spiel wird ausgelost.
Tatsächlich kommen die Stimmen immer näher. Die Leute scheinen betrunken zu sein. Noch kann ich sie nicht verstehen. Und so liege ich im Bett, angezogen, unter der Decke. Ich überlege, meinen Schlafanzug anzuziehen, tue es dann aber doch nicht. Inzwischen müssten diese Leute direkt vor dem Hostel stehen. Was wollen die hier?
Es wird an Türen und Fenster geklopft, gehämmert. Hoffentlich machen die nichts kaputt. Laute Stimmen, Leute schreien, singen. Die sind definitiv betrunken. Wer ist das bloß? Durchs Fenster kann ich nichts erkennen. Zu dunkel.
Frau Taube kommt rein. „Hallo Lennart, mach nicht auf; wir spielen das Spiel jetzt auch.“ Geht weiter. Was hat sie gesagt? Wir spielen das Spiel jetzt auch. Welches Spiel? Und warum sollte ich irgendwelche betrunkenen Leute vor dem Hostel reinlassen? Ich ziehe meinen Schlafanzug an, es ist schon nach elf.
Es wird immer heftiger gehämmert. Die nerven. Die Anderen stehen jetzt bestimmt daneben und wollen rein. Ich bin müde. Will morgen einigermaßen wach sein und die Kontrolle über mich behalten.
Draußen wird gesungen, geschrien, alles Mögliche.
Plötzlich kann ich etwas verstehen. In einer aufgekratzten, fast heiseren Stimme und extremen Lautstärke schreit jemand vermutlich so laut wie er kann direkt unter dem Fenster „Eintracht“. Und zahlreiche Andere antworten: „Frankfurt“.
Ich bin geschockt. Das sind wir! Wir! Meine Klasse, das war einer meiner Mitschüler! Das wird Ärger geben. Gut, dass ich nicht in der Pizzeria geblieben bin. Die stehen jetzt alle da, betrunken, und Frau Taube hat abgeschlossen. Das gibt einen Ärger… Und ich bin Klassensprecher!
Wenigstens sind sie jetzt endlich da, dann dauert es nicht mehr lange, bis ich schlafen kann. Ich gehe am Besten schon mal die Spritze holen. In Socken laufe ich runter. Im Treppenhaus ist niemand. Die wurden alle ausgesperrt, vermutlich, damit sie sich beruhigen. Oliver hatte wohl Bier mit Alkohol getrunken vorhin.
Mitten auf der Treppe treffe ich auf eine weiße Wand. Sie reicht bis zur Decke. Es ist eine Brandschutztür. Merkwürdig, die ist mir vorher noch nie aufgefallen. Hier hat Frau Taube also abgeschlossen. Dann werde ich mit der Spritze wohl noch etwas warten müssen.
Ich lausche etwas. Höre Herrn Herring, kann ihn aber nicht richtig verstehen. Es ist still. Alle sind still. Das gibt einen Ärger!
Ich gehe wieder hoch. Herr Herring ist leise zu hören. Dann kurzer Moment Stille und die Masse strömt herein. Benjamin, Jonathan und Oliver kommen durch die Tür. Ich frage sofort, was los ist.
Die Eintracht hat gewonnen. Die Pizzeria hat auch Minderjährigen Bier verkauft. Fast alle haben getrunken.
„Lena hat bestimmt nicht getrunken“, sagt Jonathan daraufhin und macht sich etwas lächerlich.
Oliver war es, der Eintracht geschrien hat. Benjamin, Jonathan und ein paar Andere sind ein paar Minuten früher gegangen, wurden aber auch nicht reingelassen. Sie waren zu spät. Hatte Herr Herring nicht gesagt, Fußball dürfe fertig geschaut werden? Komisch.
Ich lasse mir alles erklären. Es gab Bier. Eintracht hat fast in der letzten Minute das Ausgleichstor geschossen und dann gab es Nachspielzeit. Alle bis auf sehr wenige, darunter auch Benjamin und Jonathan, haben getrunken. Jonathan wiederholt: „Lena hat bestimmt nichts getrunken“. Benjamin hat sie jedenfalls nicht dabei beobachtet.
Er zeigt mir Videomaterial. Dann, kurz vor elf, sind die ersten vor gelaufen. Wurden aber, wie gesagt, nicht reingelassen. Die Anderen kamen kurz nach elf, teilweise betrunken und singend nach. Frau Helling forderte sie auf, ins Hostel zu gehen. Sie schlenderten hoch. Die Tür war zu. Dann alles, was ich auch mitbekommen habe. Irgendjemand, kann mich nicht mehr erinnern, war es Benjamin?, forderte Oliver dazu auf, still zu sein. Er schrie „Eintracht“. Viele antworteten. Herr Herring kam raus. Ärger.
Benjamin bewundert seine Ansprache. In dem Moment kommen Frau Taube und Herr Herring rein. Herr Herring hat eine Liste der Schüler*innen dabei. Es werden alle befragt. Benjamin und Jonathan haben nichts getrunken. Oliver ein halbes Bier. Sicher? Ja, danach ist es nämlich ausgekippt. Mit einem halben Bier war Oliver so betrunken…
Oliver saß in der ersten Reihe. Mit wem? Carlos, … Wie viel hat Carlos getrunken? Oliver antwortet. Zwei Bier. Die Handys werden eingesammelt. Deshalb hat niemand Benjamins Nachricht gelesen, dass morgen alle pünktlich zum Frühstück erscheinen sollen. Ist egal, sagt Herr Herring. Soll ich das Handy abgeben? Nach kurzem Zögern sagt Frau Taube klar ja. Gehen wieder.
Jonathan und ich erzählen vom Gespräch heute Abend beim Essen. Benjamin fragt: „Hat sie euch das mit dem Whiskey erzählt?“ Nein.
Ich erinnere mich an Lena. Ich schreibe unauffällig erneut den Status auf. Lena null, Benjamin zwei, Jonathan eins und ich drei. Weil Lena nicht weiß wie wir über sie reden und Jonathan sich etwas lächerlich gemacht hat und weil ich keinen Ärger bekommen werde.
Gehe die Spritzen holen. Lege mich dort auf zwei Stühle. Nicht geduscht. Morgen wird alles besser, das ist meine Hoffnung.
Anmerkung von Manzanita:
Ausschließlich falsche Namen.