Der Alkoholtester in der Bergstraße

Kurzgeschichte zum Thema Aufbruch

von  Koreapeitsche

(Die nun folgende Geschichte ist der Bericht eines außenstehenden Jugendlichen, der ein Erlebnis als Ich-Erzähler wiedergibt und dem Punkroman als Gastbeitrag zur Verfügung stellt. Die Erzählperspektive wurde vom Autor des Punkromans übernommen.)

 

Der Alkoholtester war eine wirkliche Sensation in der Kieler Bergstraße. Die Existenz des Automaten sprach sich in der Hauptstadtregion Kiel herum wie ein Lauffeuer. Viele Leute besuchten den Discothekenkomplex nur aus dem Grund nach langer Zeit mal wieder, um den Alkoholtester auszuprobieren. Sie wollten erkunden, ob er wirklich funktionierte und ob sich das Ergebnis manipulieren ließe. Der Tester war in einem weißen Metallkasten eingebaut, der von der Größe einem Drittel eines herkömmlichen Zigarettenautomaten entsprach. Der Automat hatte rechts oben einen Einwurfschlitz für 1-DM-Münzen, ein Ausgabefach für kleine circa 15 cm lange weiße Strohhalme zum Blasen, sowie ein Digitaldisplay, auf dem die gemessene Promillezahl angezeigt wurde. Wenn die zulässige Promillezahl von 0,8 ‰ zum Führen eines Fahrzeugs überschritten war, gab der Automat einen Alarmton, sodass die Testperson gewarnt war. So konntest du erkennen, ob du fahrtauglich warst oder nicht. Das probierten Tausende von Bergstraßenbesuchern aus und bescherten den Automatenbetreibern florierende Umsätze. Der Automat hing viele Monate dort und wollte nicht an Beliebtheit verlieren. Besonders an Wochenenden zur Prime Time, also gegen 1 bis 2 Uhr, war der Automat stark frequentiert. Unter der Woche jedoch an den Tagen Dienstag, Mittwoch und Donnerstag herrschte eher Ebbe am Automaten.    

      Zu der Zeit hatte ich eine Zweckgemeinschaft mit zwei Rockern aus Dorf P., mit denen ich häufig nach Sendeschluss im Jugendtreff um Punkt 21 Uhr allmählich mit dem Auto in die Stadt fuhr. Einer von beiden, mein alter Kumpel Kaja, fuhr einen pissgelben BMW, mit dem er später frontal gegen einen Baum fahren sollte und überlebte. Der andere war mein Kumpel Gunner, der in der Nähe meiner Großeltern wohnte. Wir hatten zuvor im Jugendtreff Billard gespielt und wollte noch auf einen Sprung in die Bergstraße. Es war im Gespräch, den Alkoholtester von der Wand zu reißen und mitzunehmen, was ich eher als Witz begriff, denn wer klaut schon einen Automaten unmittelbar vor dem Haupteingang zur Disco H. Böll? Auf der Fahrt wurde gequalmt. Es lief ein Tape mit der LP Stella der Schweizer Synth-Pop-Band Yello. Die Anlage im pissgelben BMW mit den Boxen hinter der Rückbank vermittelte Kino-Sound.

Wir mussten zu der Zeit wahnsinnig gewesen sein, da immer mehr Details vom Skandal in der lokalen Rüstungsfirma durchsickerten. Das brachte uns auf die Palme. Deshalb auch die Übersprungshandlungen vieler Jugendlicher des involvierten Stadtteils.

Wir parkten ziemlich weit unten im Parkhaus und gingen übers Treppenhaus in die zweite Kelleretage des Discothekenkomplexes, in der sich sowohl das Böll als auch das Subway befanden. Wir gingen einmal kurz durchs Böll. Ich hatte ohnehin bereits mein Pensum an Bierchen. Im Böll war nichts los. Es lief wie immer Deppen-Hard-Rock. Die Suchsdorferin arbeitete am Tresen, der damals auf einer Wave Party der Schmuck der Mutter geklaut wurde. Hier im Böll f*ckte Tonn mehrmals im Vollsuff auf der Toilette. Doch das war am Wochenende. An diesem Abend war nichts los. Jedenfalls verließen wir das Böll gleich wieder und gingen zum Alkoholtester. Wir standen vor dem Automaten. Es war schon spät, 12 Uhr lange durch. Am Wochenende hätte Tschakko drei Meter rechts neben dem Automaten an der Kasse gesessen und Eintritt kassiert. Unter der Woche war der Kassentisch nicht aufgebaut.

      Es ging recht schnell. Wir brauchten keine zwei Minuten, da war das Ding von der Wand gerissen. Ich riss gemeinsam mit Gunner an der Oberkante, während Kaja ein Metallteil mit Hebelwirkung zum Einsatz brachte. Ich sagte noch

      „Das ist die einzige Formel, die ich aus dem Physikunterricht behalten habe. F1 ∙ a1 = F2 ∙ a2. Das Hebelgesetz.“

Da krachte der Automat auch schon runter. Der Automat war wirklich nur laienhaft an der Wand befestigt, sodass wir uns wunderten, weshalb das Teil nicht schon eher abgerissen wurde.

      Direkt links neben der restlichen Automatenaufhängung befand sich ein Durchgang mit Verbindungsweg ins Parkhaus. Gunner trug den Alkoholtester unter dem Arm. Nach gut einer Minute erreichten wir den pissgelben BMW und legten den Alkoholtester in den Kofferraum. Das Auto verließ über die Ausfahrt Muhliusstraße das Parkhaus und wir fuhren in ein Waldstück außerhalb von Kiel-Nord, in das wir ein gutes Stück mit dem Auto hineinfahren konnten. Kaja platzierte das Auto so, dass wir den Automaten im Scheinwerferlicht knacken konnten. Auch das ging ruckzuck. Wir kamen an die Geldkassette und zogen sie raus. Die Strohhalme interessierten uns nicht. Wir ließen den geplünderten Metallkasten an Ort und Stelle zurück. Während der Rückfahrt steckte der Fahrer mir meinen Anteil von 27 DM zu. Die Gesamtschadenssumme blieb unbekannt.  

 


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